laut.de-Kritik

Gitarrengewitter, Feedback-Orgien und eine dünne, hohe Stimme.

Review von

"The further one travels, the less one really knows," sang George Harrison in Jahre 1966 auf der B-Seite der Beatles-Single "Lady Madonna." Eine Feststellung, die sich Neil Young, damals am Anfang seiner Karriere, scheinbar zu Herzen genommen hat. 43 Platten hat er seitdem aufgenommen, vier mit Buffalo Springfield, vier mit CSN&Y, den Rest unter eigenem Namen. 35 Soloalben seit 1969, etwa genauso viele werden unter dem Titel "Archives," eine Anthologie mit unveröffentlichtem Material, vieles davon unbekannt, seit Jahren sehnlichst erwartet.

Hunderte, gar Tausende von Liedern, die von einer dünnen, hohen Stimme vorgetragen werden, manchmal von einem Klavier, meistens von Gitarren begleitet. Von wenigen Patzern abgesehen (so die peinliche '86er "Landing On Water," mit Synthie und Kinderchor), erreichen seine musikalischen Produkte stets eine Qualität, die seinesgleichen sucht. Neil Young ist die personifizierte Sturheit: lebt seit Jahrzehnten auf einer Ranch in Montana mit der Fläche eines durchschnittlichen deutschen Bundeslandes, schreibt Lieder wie am Fließband und schert sich einen Dreck darum, was die Leute von ihm und seiner Musik halten - was gleichermaßen für Fans, Musikkritiker und Plattenbosse gilt. Das Erstaunlichste daran: Obwohl es oft schwierig ist zu unterschieden, ob ein Lied aus den Sechzigern oder den Neunzigern stammt, hat man selten das Gefühl, das Material sei veraltet oder überholt. Man vergleiche zum Beispiel "After The Gold Rush" (1970), "Rust Never Sleeps" (1979) und "Mirrorball" (mit Pearl Jam, 1995).

So ist es jedes Mal eine Freude, wenn einem eine neue Young- Veröffentlichung aus dem Regal zulächelt. Nach der etwas zu sülzig geratenen Reunion mit CSN und dem akustischen Meisterwerk "Silver And Gold" ist "Road Rock Volume I" immerhin schon die dritte in 13 Monaten. Unerwartet, aber nicht unnötig, ist sie die sechste (offizielle) Liveplatte seiner Karriere, die zweite in etwas mehr als drei Jahren; diesmal wird er nicht von seinem treuen Crazy Horse begleitet, sondern von "Friends and Relatives," also Frau Pegi und Schwester Astrid plus die Musiker, die schon auf "Silver And Gold" zugange waren.

Am 20. September 2000 in Denver, Colorado aufgenommen entfalten sich auf dem Mitschnitt Neil Youngs typische Klänge und Atmosphären. Auch wenn Knaller wie "Like A Hurricane" oder "Needle And The Damage Done" fehlen, wird wie gewohnt nicht weit, sondern tiefgründig gereist. Schon das erste Lied, "Cowgirl In The Sand," aus der zweiten Soloplatte 1969, ist ein achtzehnminütiges Gitarrengewitter, und man kann sich bildlich vorstellen, wie der Hüne mit Holzfällerhemd und Rücken zum Publikum in seine Gitarre haut und dabei mit dem Oberkörper hin und her wippt. Ein glänzender Anfang, der mit Material aus den Sechzigern und siebziger Jahren fortgeführt wird (die einzige Ausnahme, "Fool For Your Love," ist ein bisher unveröffentlichtes Lied von 1988), sehr gut unterstützt von den weiblichen Background Vocals, eine wahre Bereicherung, und der Begleitband, die es stets schafft, bei den Feedback-Orgien des Meisters mitzuhalten.

Höhepunkte sind, neben dem Eröffnungstrack, eine elfminütige Version von "Words" (aus dem'72er "Harvest"), mit einem herrlichen Solo, das an die Studioversion von "Cortez The Killer" erinnert, und das letzte Stück, "All Along The Watchtower," der Beweis, dass man mit wenigen Akkorden (oder gar keinem) so intensiv klingen kann wie Jimi Hendrix und genauso schludrig wie Bob Dylan. Begleitet von Chrissie Hynde (Pretenders) ist es der krönende Abschluss eines Albums, das zwar nicht den Glanz von "Live Rust" vorweisen kann, aber ein mal mehr zeigt, dass der Musiker nach wie vor oben auf ist. Ideal, um die Vorfreude auf das erste dicke Paket der "Archives" weiter anzufeuern. Neil Young Fans haben's echt gut.

Trackliste

  1. 1. Cowgirl In The Sand
  2. 2. Walk On
  3. 3. Fool For Your Love
  4. 4. Peace Of Mind
  5. 5. Words
  6. 6. Motorcycle Mama
  7. 7. Tonight's The Night
  8. 8. All Along The Watchtower

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