laut.de-Kritik

Hip Hop dieser Sorte kann Leben retten.

Review von

Hip Hop ist aggro, prollig und reduziert sich auf (mehr oder weniger Möchtegern-) Gangstertum, Sex, Gewalt und Bling-Bling? Fans des Genres entlocken derartige Vorwürfe selbsternannter Kenner der Szene kaum noch ein müdes Gähnen. Hey, Welt? Wir wissen es besser! Gegenbeweise existieren zuhauf - und Mr. Lif fügt der Flut wahrhaftig intelligenten, kritischen, gehaltvollen Materials mit "Mo' Mega" eine weitere Großartigkeit hinzu. There now you got Lif - listen up and let him guide you to the point of collapse!

Wir bewegen uns auf Def Jux-Terrain - klar, dass der Löwenanteil der Produktion von El-P übernommen wird. "Bei Def Jux mag ich die Beats nicht", musste ich kürzlich in einem Hip Hop-Forum (von einem von mir an sich als brauchbar anerkannten User) lesen. Auf mein erschüttertes "Er mag die Beats nicht?!", rechtfertigte sich dieser mit "zu roh, zu dreckig". Hmmm. Roh und dreckig - allerdings. Aber zugleich unglaublich musikalisch und wahnsinnig strukturiert ... Okay, möglicherweise bin ich ein wenig befangen, was Def Jux-Beats angeht. Aber trotzdem: Wenn El-P einem mit wuchtigen Bassschlägen und derbsten Rockgitarren gleich im Eröffnungstrack ("Collapse") die Schädeldecke einschlägt, und dann kommt Lif und stopft Geschichten in das Loch: Wer kann sich dem denn entziehen, bitte? Ich nicht.

"12,99 to hear a hype rhyme"? Preiswert, solange die Reime eine Qualität an den Tag legen, wie sie Boston's reflective rhyme warrior scheinbar mühelos aus dem Ärmel schüttelt. Lif rappt in einer Weise flüssig und bastelt seine Lines derart trickreich, dass man ihm seinen auf Albumlänge doch ein wenig eintönigen Flow problemlos verzeiht.

Solange man auch nur ein wenig Augenmerk auf die Texte legt, fällt die stilistische Monotonie ohnehin nicht ins Gewicht: Gefangen in Mr. Lifs Lyrik - keine andere Bezeichnung trifft den Kern der Sache besser - kann man nur staunen, was Sprache vermag. Mal todernst, mal saukomisch - eines vereint Lifs Bilderwelten: Hinter den elaborierten Texten steckt ein überaus scharfsinniger, bei aller Wut stets rationaler Beobachter. Völlig egal, ob er die eigene Situation reflektiert ("Collapse") oder ein grandioses Verschwörungs-Szenario entwirft ("The Fries"): Lif seziert die Schwierigkeiten einer Fernbeziehung ("Long Distance") ebenso analytisch wie die große Politik. Ein simples "Fuck the Bush administration!" wird man bei ihm vergebens suchen, ohne dass gute Gründe genannt werden - die dann auch schon mal zu einem "Fuck Clinton, too!" führen können.

El-Ps Produktionen gestalten sich vorwiegend finster, druckvoll und wuchtig - Def Jux' Chefkoch kann aber auch anders: Der Funk-Einschlag in "The Fries" ist unüberhörbar. Swingende Drums sorgen für eine wesentlich leichtere musikalische Verdaulichkeit als es dem Text gebührt: Lifs Fritten dürften doch eher schwer im Magen liegen. "World's greatest mass murders / Entertainment for all the living observers." Wie wahr. Wie traurig.

Wenn sich Lif selbst an den Reglern zu schaffen macht, weicht die Düsternis. Zu straightem Ragga-Rhythmus singt er das Hohe Lied der Körperhygiene. Hätte ich mich nicht schon bei "Murs Is My Manager" kaputtgelacht: Spätestens jetzt läge ich haltlos gackernd am Boden. Murs, ja ... ein großer Komiker vor dem Herrn! "What's that? A bird? A plane? Nah, it's brother Murs with the keys to fame!" Gemeinsam nehmen die Kollegen ihr Business auf die Schippe. Die ohnehin herrschende Dynamik wird von Lifs funky Bläsern noch vorangepeitscht.

Features von den Labelkollegen Aesop Rock und El-P finden ebenso unaufdringlich ihren Platz wie die Gastauftritte seines Mit-Perceptionisten Akrobatik und Rhymesayes' Blueprint.

Falls es noch irgendjemandem entgangen sein sollte: "Mo' Mega" begeistert mich nicht zu knapp. Hip Hop dieser Sorte kann Leben retten. Und wenn Mr. Lif mit Poeten, Storytellern und True-Life-Reportern wie Chuck D, KRS-One, Rakim und Guru in eine Reihe gestellt wird, dann finde ich: Dort steht er mit Recht.

Trackliste

  1. 1. Collapse
  2. 2. Ultra Mega
  3. 3. Brothaz
  4. 4. The Fries
  5. 5. Take, Hold, Fire
  6. 6. Murs Is My Manager
  7. 7. Washitup!
  8. 8. Long Distance
  9. 9. The Come Up
  10. 10. Lookin' In
  11. 11. For You

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20 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Mr. Lif - Mo' Mega mixtape mixed by DJ Big Wiz (http://www.definitivejux.net/momegamix.mp3) (14 MB | 128 kBits/s | ~15 min)

    Hatte borism, glaub ich, auch schon mal im HipHop-Forum gepostet.

  • Vor 17 Jahren

    @yasmin (« Ich gebe Jack Irgendwie Recht.El-P ist ohne Zweifel ein bemerkenswerter Produzent und in erster Linie ein großartiger Musiker...ich weiß noch wie fasziniert ich war, als ich zum ersten mal in High Water reingehört habe.
    Ich mag ihn halt wenn er jazzig ist.... »):

    EL-Ps Anteil an High Water ist allgemein überschätzt. Für die musikalische Genialität sind eher die Avantgarde/Free-Jazzer Matthew Shipp (Piano) und William Parker (Bass) als Kern von The Blues Continuum auszumachen. EL-P war da "lediglich" als Produzent in der Form beteiligt, indem er aus den etlichen freien Improvisations-Sessions, die finalen Tracks zusammengeschnitten hat.

    Wem High Water gefällt, der MUSS sich mit folgenden Avantgarde/Future Jazz/Fusion/"Avant-Hop" Alben auch mal auseinandersetzen:

    DJ Spooky That Subliminal Kid (& The Blue Series Continuum) – Optomery (2002)
    The Blue Series Continuum - Sorcerer Sessions (2003)
    The Blue Series Continuum - Good And Evil Sessions (2003)
    Matthew Shipp - Equilibrium (2003)
    Antipop Consortium - Antipop vs. Matthew Shipp (2003)

    Die anderen Sachen von Matthew Shipp gehen in Richtung Free Jazz, bei William Parker ebenso.

  • Vor 17 Jahren

    @yasmin (« Ich gebe Jack Irgendwie Recht.El-P ist ohne Zweifel ein bemerkenswerter Produzent und in erster Linie ein großartiger Musiker...ich weiß noch wie fasziniert ich war, als ich zum ersten mal in High Water reingehört habe.
    Ich mag ihn halt wenn er jazzig ist.... »):

    EL-Ps Anteil an High Water ist allgemein überschätzt. Für die musikalische Genialität sind eher die Avantgarde/Free-Jazzer Matthew Shipp (Piano) und William Parker (Bass) als Kern von The Blue Series Continuum auszumachen.
    EL-P war da "lediglich" als Produzent in der Form beteiligt, indem er aus den etlichen freien Improvisations-Sessions, die finalen Tracks zusammengeschnitten hat.

    Wem High Water gefällt, der MUSS sich mit folgenden Avantgarde/Future Jazz/Fusion/"Avant-Hop" Alben auch mal auseinandersetzen:

    DJ Spooky That Subliminal Kid (& The Blue Series Continuum) – Optomery (2002)
    The Blue Series Continuum - Sorcerer Sessions (2003)
    The Blue Series Continuum - Good And Evil Sessions (2003)
    Matthew Shipp - Equilibrium (2003)
    Antipop Consortium - Antipop vs. Matthew Shipp (2003)

    Die anderen Sachen von Matthew Shipp gehen in Richtung Free Jazz, bei William Parker ebenso.