laut.de-Kritik

Famoses Comeback des legendären Smiths-Sängers.

Review von

Er ist zurück. Nach fast sieben Jahren. Zweitausend vierhundert und zweiundsiebzig Tage Beschäftigung mit Epigonen haben ein Ende: Morrissey, der zölibatäre Dandy, der aufrichtige Zyniker, der vielbewunderte Außenseiter und natürlich Ex-Sänger der 80er-Legende The Smiths präsentiert auf neuem Label sein siebtes Studio-Album.

Die Platte beginnt mit einem - hier verfällt der Kritiker in verschwörerisches Flüstern - Beat! Der vorgebliche Disco-Hasser Morrissey auf triphoppigem Pfad. Die Stimme setzt ein, DIE Stimme, der vermutlich göttliche Lohn von Enthaltsamkeit und Vegetarismus, diese Stimme ist in ihrer ganzen Erhabenheit konserviert: "America, your head's too big." Morrisseys Hassliebeserklärung an seine Wahlheimat werden ihm Gegner reflexhaft mal als oberlehrerhaft, mal als larmoyant auslegen, unfähig, zwischen der Person Morrissey und den diversen Ich-Erzählern seiner Texte zu differenzieren.

Es folgt die erste Single. Das etwas verquere Plädoyer für ein neues England und die Sehnsucht nach einem 'korrekten' Patriotismus, tritt dabei eher in den Hintergrund der überraschend energisch rockenden Gitarren. "There is no one on earth I'm afraid of", singt der Mann, für den die Bezeichnung 'teenage angst' einst erfunden wurde. Jetzt ist klar: Morrissey ist wirklich wieder da. In voller Form. Druckvoll und prägnant.

Amerika, England, Jesus - Mit seinen Auftakt-Themen entzieht sich Morrissey jeglichem Anfangsverdacht einer neuen Bescheidenheit. "I have forgiven Jesus." Größenwahnsinnige Altersmilde? Keineswegs. Doch ein Selbstbewusstsein, das man durchaus 'erwachsen' nennen darf. Und das Coverartwork belegt: Morrissey leidet am 'Bowie-Syndrom': Er sieht mit jedem Jahr besser aus. Stylish, klarer Blick, graue Schläfen, die legendäre Tolle aufgerichtet gegen die Konformität der Mode, gegen Langweiler und Streber, die unsere Welt dominieren - "this world, I'm afraid, is designed for crashing bores."

Zur Mitte erreicht das Album seinen Höhepunkt: "How Can Anybody Possibly Know How I Feel" ist eine Hymne aller Unverstandenen, halb verzweifelt, halb trotzig, laut mitgesungen von Außenseitern aller Kulturen und Altersgruppen. "First Of The Gang To Die", die hoffentlich zweite Single, gehört zu den besten Solo-Songs Morrisseys überhaupt. Die tragische Legende vom Jugendbanden-Idol Hector, dem Vernehmen nach eine Referenz Morrisseys an die Latino-Jugendkultur Kaliforniens, unterlegt Co-Songwriter Alain Whyte mit einer zuckersüßen Radio-Melodie. "We are the pretty petty thieves."

Gegen Ende strahlt dann ein weiteres Glanzstück des Albums. Zwischen all den Tiraden auf Autoritäten und Hymnen an die Einsamkeit heißt es unvermittelt: "Could it be, I like you?" Kann das wirklich wahr sein? Ein reines, aufrichtiges, euphorisches, ja: Liebeslied, fern aller hohlen Floskeln. Wunderbar. Willkommen zurück. Morrissey in lyrischer Höchstform und endlich auch musikalisch wieder auf der Höhe der Zeit (oder die Zeit auf seiner?). Was sind schon sieben Jahre?

Trackliste

  1. 1. America Is Not The World
  2. 2. Irish Blood, English Heart
  3. 3. I Have Forgiven Jesus
  4. 4. Come Back To Camden
  5. 5. I'm Not Sorry
  6. 6. The World Is Full Of Crashing Bores
  7. 7. How Could Anybody Possibly Know How I Feel?
  8. 8. The First Of The Gang To Die
  9. 9. Let Me Kiss You
  10. 10. All The Lazy Dykes
  11. 11. I Like You
  12. 12. You Know I Couldn't Last

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44 Kommentare

  • Vor 20 Jahren

    Am 17.Mai ist es soweit. Das neue Morrissey-Album erscheint und schlägt schon Wellen. Der deutsche Rolling Stone des Monats Mai wird mit Morrissey auf dem Cover und 16seitigem Special erscheinen, in den englischen Medien sind es mehr als 10 Zeitschriften, die ihn aufs Titelbild setzen.

    Das erste Konzert in seiner Heimatstadt Manchester nach 12 Jahren findet am 22. Mai statt (ich werde auch dabei sein). Die etwa 20.000 Mann fassende Manchester Evening News Arena war nach 90 Minuten ausverkauft, Franz Ferdinand spielen als Vorband.

    Am Freitag war ich bei einer Prelistening-Session im Hamburger Atlantik-Hotel, wo ich das Album in voller Länge zu hören bekam. Und ich kann sagen - es ist großartig, da kommt was ganz großes. Die erste Single "Irish Blood, English Heart", die schon im Radio Weltpremiere hatte, polarisiert und ist tanzbar. Die Mischung aus schnellen und langsameren Songs auf dem Album ist schön ausgewogen. Textlich ist das unverkennbar der gute, alte Moz mit seinen sarkastischen, witzigen und hintergründigen Texten. Ich freue mich sehr darauf, das Album in Händen halten zu dürfen.

    Wer freut sich mit?

  • Vor 20 Jahren

    ehrlich gesagt bin ich ziemlich skeptisch, was der gute da auf den weg bringt, aber ich wünschte, die geschichte ginge so aus, wie du schreibst ... übrigens, geiles billing in manchester, alle achtung :D

  • Vor 20 Jahren

    Ich sag mal, dieses Album erreicht auf jeden fall die Klasse von "Vauxhall & I" und "Your Arsenal".... besser als die letzten beiden... vor allem besser als "Maladjusted".

    Wenn "First of The Gang To Die" ausgekoppelt wird, ist das die Single des Jahres. Die erste kommt übrigens auch als feine, kleine 7".

    Und Manchester war wirklich ein Kampf, besetzte Telefone, crashende Internetseiten, Herzrasen bis zum geht nicht mehr...