laut.de-Kritik

Gutes Storytelling auf etwas schwachbrüstigen Beats.

Review von

Langsam sollte man wirklich mal mit dem Liegengebliebenen aus dem vergangenen Jahr zu Rande gekommen sein - trotzdem findet sich unter den Altlasten die eine oder andere Sache, die man gerne doch noch geklärt hätte. Zum Beispiel die Frage: Seid ihr down mit Mike Crush?

Mit wem? Um gar nicht erst Mike Jones-artige Zustände aufkommen zu lassen, stellt sich ein wohlerzogener junger Mann zunächst einmal vor. "Ehrgeizig und sehr fleißig" sei er - ein wahrer Schwiegermuttertraum vor theatralischer, aber nicht überpräsenter Geigenkulisse. Für meinen Geschmack hätte der Einstieg ruhig etwas dynamischer ausfallen können. Da Mike Crush aber bereits hier verspricht, notfalls auch mit amputiertem Bein ins Ziel zu hüpfen: Eine Starterlaubnis hat er mit "Wer Bin Ich" allemal verdient.

Was den Beats an Gewalt fehlt, macht der Frankfurter durch Ideenreichtum und Themenvielfalt mühelos wett: "Halbum I" ist derart mit Stories vollgestopft, dass sich die Teilung des Debüts in zwei halbe Alben von selbst erklärt. Noch mehr hätte beim besten Willen nicht rein gepasst, auch wenn Mike und Partner Efe offenbar reichlich weiteres Songmaterial zur Hand hatten. "Ich schreib' Lieder über was auch immer mir gerade einfällt", heißt es in "Diese Lieder", und es stimmt. Mike Crush malt sich seine Zukunft als "Opa Gangsta" in einer Weise farbig aus, dass ich den (dann vermutlich in "Pimp My Wheelchair") mit "geilen Felgen" aufgemotzten Rollstuhl schon vor Augen habe. Sehr lustig, auch wenn das penetrant wiederholte "Ah Yeah" doch merklich auf die Nerven fällt.

Menschen mit Einschlafproblemen können den Schäfchen kurzzeitig eine Pause gönnen und mitzählen, wie viele Menschen der in "24 Stunden" durch seinen letzen Tag begleitete Killer mit ins Jenseits reißt. Ich habe bereits beim Rundumschlag im Lehrerzimmer die Übersicht verloren - nichtsdestotrotz ein böser Countdown, der es in sich hat. Mikes etwas leiernde Raps passen in "Ticken" ausgezeichnet zum besungenen Teufelskreis aus Armut und Drogenkriminalität. Druck bringt Kollege Üba3ba ins Spiel, der hier einen der wenigen Featureparts so exzellent absolviert, dass ich mich frage: Wo steckt der Mann eigentlich die ganze Zeit?

Sollte es stimmen, und er sitzt wieder mal in der Psychiatrie? Dann hätte das in "Schlagzeilen" ausgiebig zitierte Hip Hop-Magazin ja Recht gehabt! In dem Fall müsste Eißfeldt eine Frau gewesen, MC Rene aus Promogründen zum Mörder geworden und Fler mit neuem Boyfriend gesehen worden sein. Klar, dass Mike Crush für diese Nummer harsche Kritik kassierte. Wer mit aggressivem Namedropping von Afrob bis Xavier quer durch die Deutschrap-Szene pflügt, darf sich über den Vorwurf, auf diese Weise Aufmerksamkeit heischen zu wollen, nicht wirklich wundern. Was nichts daran ändert, dass ich mich von den "Schlagzeilen" bestens unterhalten fühle, und das nicht nur, weil mich die Vorstellung, Azad würde im großen Stil Aggro-Aktien aufkaufen, grandios amüsiert.

Die Beats bieten angenehme Momente. Ein hübsches Piano klimpert durch "Geb Nicht Auf", in "No Santo" ist es eine Gitarre, die Melancholie verströmt. "Wir Sind So" erinnert gar ein wenig an Warren Gs Klassiker "Regulate". Insgesamt betrachtet locken die Instrumentals allerdings keinen hinter dem Ofen hervor, dafür fehlt es (wie bereits der Eröffnungsnummer) an Wucht.

Trotzdem: Mike Crush rappt wahlweise deutsch oder spanisch, beweist in beiden Sprachen Sicherheit und Talent ("Hay Que Olvidarte"). Zwar ist kein überragender Techniker an ihm verloren gegangen, wohl aber ein frischer Storyteller, der mit mal witzigen, mal bösen, mal nachdenklichen Lyrics mühelos über die musikalische Mittelmäßigkeit hinweg hilft. Crush befindet sich angeblich "auf dem Weg der Besserung" ("No Santo"), möglicherweise hat er die Schwachstellen beim nächsten Mal also noch besser im Griff. Unter den Umständen: Immer her, mit "Halbum II".

Trackliste

  1. 1. Wer Bin Ich
  2. 2. Diese Lieder
  3. 3. Schlagzeilen
  4. 4. Alles Mir
  5. 5. No Santo
  6. 6. Ticken
  7. 7. Ich Sag's Noch Mal
  8. 8. Wir Sind So
  9. 9. Opa Gangsta
  10. 10. I Don't Care
  11. 11. 24 Stunden
  12. 12. Geb' Nicht Auf
  13. 13. Nix Zu Reden
  14. 14. Hay Que Olvidarte
  15. 15. Nur Für Die Demo

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