24. August 2006

"Zu Deutschland hat man als Jude ein besonderes Verhältnis"

Interview geführt von

Er ist im internationalen Reggae-Geschäft der Mann der Stunde. Der New Yorker Matthew Miller aka Matisyahu trifft in Berlin auf einen Namensvetter. Ein Gespräch über Erweckungsgemeinden, jüdische Befindlichkeiten in Bezug auf Deutschland und die Zugehörigkeit zur Szene.Kurz bevor mein Interview-Slot mit Matisyahu beginnen soll, geht im Hotel in Berlin-Mitte der Feueralarm los. Alle müssen raus, Matisyahu stört das nicht großartig. Er spielt unverdrossen mit seinem kleinen Sohn, der ihn zusammen mit seiner Frau begleitet. Als das Interview beginnt, treffe ich auf einen Musiker, der mit leiser und ruhiger Stimme spricht und genau abzuwägen scheint, was er sagt.

Dir scheint im Moment viel Aufmerksamkeit entgegen gebracht zu werden.

Ja, das stimmt schon. In jeder Stadt mache ich ein paar Stunden Promo täglich.

Ist das eine Belastung für dich?

Ja es belastet schon. Naja, nicht eine Belastung, denn es ist wichtig. Es ist nicht der spaßige Teil des Jobs.

Aber du hast deine Familie mit dir.

Ja, ich habe meinen Sohn bei mir. Er ist neun Monate alt. Sein Name ist Levi.

In einem jüdischen Online-Magazin wurdest du als ein rappender Rabbi bezeichnet. Wie zutreffend ist das?

Ich bin kein Rabbi. Um Rabbi zu sein, musst du gewisse Prüfungen bestehen. Es braucht ein gewisses Maß an Studien.

Würdest du dich als jemand sehen, der predigt?

Nein, ich denke nicht. Wenn ich ans Predigen denke, denke ich an Menschen, die eine Antwort haben. Wie eine verschriebene Medizin. Die verabreichen sie den Leuten. Ich denke, das funktioniert nicht so. Zweitens denke ich, dass Musik ein Werkzeug ist, mit dem die Leute einen Zugang zu sich selbst finden. In diesem Sinne müssen die Antworten von den Leuten selbst gefunden werden. Das Leben ist kein Multiple-Choice-Test.

Findest du Antworten durch deine Musik? Machst du das alles auch ein bisschen für dich selbst?

Ja, das auch. Warum ich es tue? Weil es für mich etwas Natürliches ist. Musik war immer inspirierend für mich, sie hat mir immer geholfen. Ich bin leidenschaftlich, wenn es um Musik geht. Das sollte Teil meines Lebens sein.

"Das ist nichts, was mich hier fernhalten würde."

Du bist ein sehr religiöser Mensch. Deine religiösen Ansichten äußern sich auch sehr stark in deiner Musik. In den USA dürfte das nichts Besonderes sein, wenn man an die Christian Rock Bands denkt. Merkst du, ob man dich in Europa ein bisschen als Exot sieht?

Nicht unbedingt. Die Wahrnehmung meiner Person in den USA ist sehr gut. Wir haben über eine Million Platten verkauft. Die Konzerte von mir sind sehr groß, mit mehreren tausend Personen. Diese Leute sind nicht alle jüdisch. Die Leute, die kommen, respektieren die Musik und spüren eine Verbindung zu ihr. Das versuchen wir jetzt auch in Europa zu schaffen. Wir spielen halt ein paar Shows und schauen, ob es eine Interaktion gibt mit den Fans. Wo wir hingehen, gibt es schon diese Tendenz, dass die Journalisten die gleichen Fragen stellen. "Geht es dir ums predigen?" - "Geht es dir darum, Leute zu bekehren?" Das sind die Fragen der Journalisten, ich weiß nicht, ob das auch die Fragen der Leute sind. Aber wenn die Journalisten repräsentieren, was die Leute wissen wollen ... Dann sind das die Fragen, die mir in Europa und in den USA gestellt werden.

In Deutschland gab es in den letzten Jahrzehnten auf Grund der Shoah wenig bis gar kein jüdisches kulturelles Leben. Wie fühlst du dich, wenn du hierher kommst?

Es ist ein besonderes Gefühl. Für Juden ist die Vorstellung von Deutschland und den Deutschen wie keine andere. Deutschland ist herausragend, wegen seiner Geschichte. Das geht wahrscheinlich jedem Juden so, der hierher kommt. Wenn man nur das Wort "Deutschland" sagt, hat man bestimmte Assoziationen. Das ist nichts, was mich hier fernhalten würde, was mich davon abhalten würde, hier Musik zu spielen. Es ist ein natürlicher Teil des Hierseins. Diese Dinge, diese Fragen hat man im Unterbewusstsein.

Menachem Mendel Schneerson, der große Rabbi der Chabad-Gemeinde, der du angehörst, hat in den 20er und 30er Jahren eine Zeitlang in Berlin gewohnt.

Ich würde mich nicht als einen Anhänger bezeichnen. Momentan halte ich es nicht für notwendig, mich mit einer bestimmten Gruppe zu identifizieren. Aber ich lebe in Crown Heights und bin dort auch zur Schule gegangen, und das ist das weltweite Zentrum der Chabad-Gemeinde. Das ist in Brooklyn. Ich habe viel mit Chabad zu tun. Ich habe den Rabbi Menachem nie getroffen, denn er ist gestorben, bevor ich gläubig wurde. Ich habe seine Lehren gelesen und ich respektiere ihn sehr.

Awardgewinner mit 50%-Reggae.

Erschwert das Touren manchmal das Leben deines strengen Glaubens? Ich habe gesehen, dass du hier im Hotel kosheres Essen bekommst. Du performst ja auch nicht am Freitagabend, wegen dem Schabbat. Triffst du da manchmal auf Unverständnis?

Die meisten Leute verstehen es bis zu einem bestimmten Grad. Es ist nicht wirklich ein Problem, es ist einfach so.

Du hast mal einen Song mit der christlichen Alternative-Band P.O.D. aufgenommen, das hat dich sicherlich einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Wie ist das zustande gekommen?

Ja, ich habe auf einem ihrer Songs gesungen, und wir haben einen Song zusammen geschrieben. Beide Songs sind auf ihrem Album. Ich glaube, sie haben einen jüdischen Freund, der sie auf meine Musik hingewiesen hat. Sie mochten meine Musik, und er hat uns dann zusammen gebracht. Sie haben gerade ihr Album aufgenommen und dachten, es wäre nett, mich dabei zu haben. Wir haben keine lange gemeinsame Geschichte. Die Songs sind wirklich gut. Der eine hat eine großartige Hookline.

Würdest du sagen, das war eine ungewöhnliche Kollaboration, du und eine Alternative-Rock-Band?

Ja, das war schon mal was anderes für mich. Es war eine Herausforderung, über einen Hardrockpart zu singen. Aber es hat geklappt.

Wo verortest du dich in der Reggae-Szene? Siehst du dich als ein Teil der Szene? Musikalisch hast du ja auch eine Menge Rockeinflüsse.

Ich nehme meine Musik nicht als reine Reggaemusik wahr. Auch wenn die meisten Kritiker und Musikjournalisten sagen. Es dürfte also schon mehr als 50% Reggae sein. Wir haben gerade einen Reggae-Award gewonnen. Für den besten neuen Artist. Sie, wer auch immer das ist, scheinen es für Reggae zu halten. In den Charts heißt es Reggae. In den USA war es die in einer Woche am meisten verkaufte Reggae-Platte. Jeder scheint es Reggae zu nennen.

Wie würdest du es nennen?

Ich nenne es Musik.

Am Freitag, den 25. August erscheint Matisyahus neue Single "Youth", der Titeltrack des neuen Albums. Am selben Tag darf er den "Chiemsee Reggae Summer" eröffnen. Keine Frage, Matisyahu ist der Durchstarter der Saison.

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LAUT.DE-PORTRÄT Matisyahu

Manche Verbindungen erschließen sich nicht sofort. Um zu erkennen, wie Reggae und orthodoxes Judentum Hand in Hand gehen, muss man schon genauer hinsehen …

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