29. Januar 2018

"Sex lag immer in der Luft"

Interview geführt von

Im 27. Jahr ihres Bestehens veröffentlicht die Metal-Institution Machine Head dieser Tage ihr neuntes Album. Kontroversen sind zu erwarten und zeichneten sich bei den im Vorfeld veröffentlichten Songs schon ab. Sänger und Gitarrist Robb Flynn machte keinen Hehl daraus, dass ein stilistisch anderes Album auf die Fans wartet. Beste Voraussetzungen für ein unterhaltsames Gespräch.

Etwas fehl am Platz wirkt Flynn schon, wie er mit Cowboyhut und Jeanskutte durch das Flughafenhotel in Düsseldorf stiefelt. Etliche Business-Anzüge drehen sich irritiert nach ihm um. Fragen nach Phil Anselmo dürfen nicht gestellt werden, außerdem führt sein PR-Mensch ein scharfes Regiment. "Wenn mein Handy klingelt, hast du noch genau fünf Minuten Zeit." Zu Befehl, dann besser keine Zeit verschwenden.

(Vorabbemerkung: Das Interview fand Ende Oktober letzten Jahres statt, was den Kontext einiger Fragen und Antworten erklärt.)

Fangen wir mit dem neuen Album an. "Catharsis" ist ja ein ausdrucksstarker Titel. Was bedeutet der Begriff für dich?

Musik war immer sehr kathartisch für mich. Ich gehe seit der fünften Klasse zu Konzerten. Als ich 16 war, hob die Thrash-Szene in der Bay Area gerade so richtig ab. Ich hab Metallica für Raven eröffnen sehen, vor 250 Zuschauern. Das war ein lebensveränderndes Ereignis für mich. Danach wusste ich: Ich will in einer Band spielen und Thrash Metal machen. Wir waren immer vorne drin im Circle Pit und kamen schon mal mit einer gebrochenen Nase wieder raus. Das war schon kathartisch. Und das eigene Musikmachen dann erst recht. Es ist eine vollkommen neue Art gewesen, mich auszudrücken. Die neue Platte ist sehr vielfältig und umfassend. Wir haben so viele Emotionen zum Ausdruck gebracht, von Wut bis zu Partysongs.

Im Vorfeld des Albums hast du "Catharsis" als "nicht die härteste und schnellste Platte von Machine Head" angekündigt. Erwartest du kontroverse Reaktionen?

Seit Monaten sage ich den Fans jetzt: Senkt eure Erwartungen an die Härte, haha. Es ist nicht "The Blackening" und auch nicht "Burn My Eyes", sondern eine melodische und groovende Platte. So wenig Thrash haben wir seit Jahrzehnten nicht gespielt. Dem lag kein Plan zugrunde, es hat sich einfach so entwickelt. Einige Leute meinten: Es ist keine gute Idee, das so zu sagen. Und ich: Warum nicht? Schließlich handelt es sich um die Wahrheit. Ich werde nicht klischeemäßig hier sitzen und verkünden, es sei die härteste Platte aller Zeiten. Da draußen sind Tausende von Bands, die härter als Machine Head klingen. So entwaffend, wie das klingen mag, die Fans werden am Ende die Ehrlichkeit zu schätzen wissen.

Klar könnte ich so tun, als hätten wir gerade "Reign In Blood" aufgenommen, aber wozu? Es gibt sogar Pop-Elemente auf dem Album. Die erste Musik, die ich mochte, waren die Beatles, der fröhliche "I Wanna Hold Your Hand"-Kram. Melodien bleiben im Gedächtnis. Die melodischen Einflüsse bei Machine Head kommen alle aus dieser Richtung. Und sowas findet sich auf "Catharsis", beispielsweise ein Song ausschließlich mit Akustikgitarre und ohne harte Vocals. "Behind The Mask" heißt dieses Stück. Da kann ich doch nicht vom heaviesten Album aller Zeiten faseln.

Wir haben uns dieses Mal sehr aufs Songwriting konzentriert, wir wollten gute Songs mit starken Hooks und das Ganze vereinfachen. Was die Erwartungshaltung der Leute angeht, werden wir sehen, aber ich habe im Vorfeld klar gemacht, was zu erwarten ist.

Da du "Behind The Mask" gerade erwähnt hast: Das Stück weicht sehr von euren üblichen Songs ab.

Ja, nicht wahr? Phil kam mit einem Songteil an und spielte ihn uns im Proberaum vor. Meine Reaktion war direkt: Das ist großartig. Also bin ich damit nach Hause gegangen und habe einen Refrain dazu komponiert. Anschließend geriet der Song sechs Monate oder so in Vergessenheit. Er fiel uns erst an den letzten Aufnahmetagen wieder ein. Dann haben wir schnell noch den Rest ausgearbeitet.

Ein weiterer Song, der vermutlich für Kontroversen sorgen dürfte, ist "Bastards". Wie seid ihr denn dazu gekommen? Er hat eine gewisse Singer-/Songwriter-Qualität.

Meiner Meinung nach ist das ein Folksong. Er hat vier Akkorde, die über Hunderte von Jahren schon Millionen Male gespielt wurden. Und die trotzdem der beste Weg sind, um eine Geschichte zu erzählen. Dieser Song ist so eine Geschichte. Ich hatte ein Gespräch mit meinen Kindern am Tag nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Meine Jungs sind 12 und 9 Jahre alt und das Gespräch war nicht einfach. Am nächsten Tag habe ich dieses Stück geschrieben und mit den Akkorden rumprobiert, speziell mit dem Refrain. Eine Skizze davon hab ich bei Youtube hochgeladen und dachte erstmal, das wär's gewesen. Aber das Thema dieses Refrains hat sich dann immer wieder durch die anderen Songs gezogen, "stand your ground, don't let the bastards grind you down" und der Rest. Ich schlug eine Bandfassung von "Bastards" vor, letztlich wurde der Song zum zentralen Stück auf der Platte.

Verglichen mit den letzten Alben seid ihr wieder zu kürzeren Stücken zurückgekehrt. Hat sich das so ergeben oder war es Absicht?

Die ersten beiden Songs, die wir für die Platte geschrieben haben, waren "Screaming At The Sun" und "Beyond The Pale". Und wir so: Super, fertig! Wir brauchen gar keine Zehnminüter. Wir machen aber keine Pläne, wir begeben uns einfach auf die Reise und schauen, was am Ende dabei herauskommt. Die Leute erwarten scheinbar immer, dass Bands Pläne haben, wie Musik entsteht. Aber wir verfolgen keinen, wir schreiben drauflos und haben keinen Schimmmer, was wir da tun. Selbst bei "The Blackening" entstanden zunächst vier kurze Songs. Fünf oder sechs Monate lang gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass wir zehn Minuten lange Stücke schreiben würden. Wir haben ja auch keine Uhr im Proberaum, eines Tages entstand halt ein Song, über dessen Länge wir uns gar nicht bewusst waren. Und plötzlich ist so ein Lied fertig.

Da würde ich gerne die Frage dazwischen werfen, die mich schon länger interessiert: Sollten die verschiedenen Einzelteile von "Clenching The Fists Of Dissent" ursprünglich einzelne Songs werden?

Nein. Dieses Teil ist als ein langer Song herausgekommen. Wir haben mit den verschiedenen Passagen herumgespielt und das ist das Ergebnis. Ob du's glaubst oder nicht, dieser Song ist innerhalb von zwei Tagen entstanden. Wir hatten ein paar Riffs, am nächsten Tag kamen wir rein und hatten ein paar weitere, fertig. Das war echt einzigartig. Auch das Intro war besonders, hat den Song auf eine andere Ebene gehoben. Dieses Intro ist auf seine Weise ein eigenes Stück, es umfasst 90 Tonspuren.

Wie schreibt ihr eure Songs denn überwiegend? Zu Hause oder im Proberaum?

Wir machen es auf die alte Schule. Alle kommen in einem Raum zusammen und schreiben. Ein Jahr lang haben wir uns drei bis vier Mal die Woche getroffen und geschrieben. Manchmal kamen tolle Sachen dabei heraus, manchmal nur Schrott. Im Anschluss nahmen wir als Band das Album auf. Das klingt offensichtlich, aber heutzutage ist das nicht mehr die Norm. Die meisten schicken sich irgendwelche Tonspuren per E-Mail hin und her, keiner kommt mehr als Band zusammen. Die Leute fragen oft, warum Musik heute nicht mehr so gut ist wie früher. Das ist ein Teil der Antwort. Viele Bands leben aber auch innerhalb von Ländern oder über Ländergrenzen hinweg verstreut. Das macht für uns überhaupt keinen Sinn. Wir müssen uns treffen, und ich glaube, das ist auch der Grund, warum wir ein großartiges Album nach dem nächsten veröffentlichen. Unsere Vorbereitungszeit ist immens, es erfordert Arbeit und Anstrengung und vor allem Geduld.

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Das neue Album ist 74 Minuten lang. Meinst du, das könnte für manchen Hörer zu viel sein?

Na klar. Ich glaube, selbst zehn Songs sind für manche Leute heute zu viel, haha. Drei Songs auch schon. Ich sage das und ich scherze nicht mal, denn wir leben in einer Welt der Singles. Drei Stücke werden dieses Album letztlich definieren. Ich weiß noch nicht, welche bei den Leuten gut ankommen werden, aber so war es bisher mit jeder Platte. Wenn du dir unsere Spotify-Abfragen anschaust, merkst du: Es sind "Now We Die" und "Game Over". Jeder andere Song hat maximal ein Zehntel der Streams. Die Leuten hören keine Alben mehr. Das ist in Ordnung, mir kann es egal sein. Außerdem war es in den 50ern und 60ern schon so. Die Beatles haben keine Alben veröffentlicht, sondern Singles. Und diese dann kombiniert, um ein Album zu haben. So fühlt es sich im Moment auch wieder an. Ich bin jetzt 50 Jahre alt, mit neun Platten auf dem Buckel. Wir sind in der Album-Ära groß geworden, deshalb nehmen wir weiter welche auf. Für mich sind es fünfzehn Songs, die verbunden sind, keine Sammlung von Einzelliedern. Wie ein Film, ein langer Film. Wenn dir ein Song gefällt und du gerne in den Hasenbau hinabsteigen möchtest, ist dieses Album für dich da.

Erzähl uns ein bisschen was über die Texte. Worum geht es beispielsweise im Titelsong?

Dieser Song symbolisiert quasi alles. Als wir uns Gedanken über den Albumtitel gemacht haben, war der Katharsis-Gedanke schnell im Mittelpunkt. Auf der Platte fliegen so viele Ideen durch die Gegend. Auf der einen Seite hast du die sozialen und politischen Sachen, auf der anderen Seite Zeug wie "California Bleeding" und "Razorblade Smile". Oder Songs über Depressionen wie "Eulogy". Das Album ist sehr eklektisch und vielfältig. Die Emotionen, die wir raushauen, lassen sich gut in diesen Zeilen konzentrieren: "The only thing keeping me sane / The music in my veins / and if these words are my fists / this is my catharsis."

Der Anfang von "Catharsis" erinnert mich mit seiner Keyboard-Atmosphäre etwas an Soundtrack-Musik. Wie habt ihr das geschrieben?

Ich habe ein paar Keyboard-Leute und Streicher, mit denen ich gerne arbeite. Ich sage denen: So und so höre ich den Teil in meinem Kopf, probiert da mal rum. Ich schreibe mit einem Midi-Plugin, ein superpraktisches Tool. Du spielst Gitarre und jede Note wird als Midi-Ton in den Computer übertragen. So komme ich dazu, all diese Soundschichten aufeinanderstapeln zu können und später ein Cello draufzulegen. Eine der besten Erfindungen, über die ich je gestolpert bin.

Wie viel Arbeit steckst du in deine Texte?

Für mich ist es das wichtigste überhaupt. Ich habe hart an den Texten gearbeitet und war von dem Gefühl begleitet, ich müsse eine Geschichte erzählen, in jedem Song. Jedes Stück sollte ein klares, leicht verständliches Thema bekommen. In der Vergangenheit habe ich viel dunkle, abgefuckte Poesie geschrieben, die gut klang, aber nicht viel Sinn ergab. Selten stand ein Konzept dahinter. Das sollte dieses Mal anders sein. In manchen Fällen ging das sehr leicht von der Hand. "Triple Beam" schrieb ich innerhalb einer Stunde, "Beyond The Pale" hingegen hat mich sieben Monate lang beschäftigt, bis ich erstmal eine grundsätzliche Idee hatte. Ich habe sieben vollständige Texte für diesen Song weggeschmissen. Beim letzten Entwurf wusste ich dann: der ist es. Songwriting im klassischen Sinne trat für uns plötzlich in den Mittelpunkt, es ging darum, Ideen zu vereinfachen. Wenn wir ein komplexeres Riff hatten, wollten wir einen einfachen Schlagzeug-Rhythmus dazu - und umgekehrt.

Kommen bei euch die Texte zuerst oder die Musik?

Das ist ganz unterschiedlich. Den Text zu "Triple Beam" hab ich geschrieben, bevor überhaupt auch nur ein einziges Riff existierte. Bei anderen Songs stand zuerst das Grundgerüst der Musik.

"Triple Beam"? Was ist das? Den Ausdruck hab ich noch nie gehört.

Haha, das ist so lustig, in Deutschland fragt mich jeder danach. Das ist eine Waage, am bekanntesten dafür, dass man Drogen damit abwiegen kann. Dieser Song handelt von einem kurzen Abschnitt meines Lebens, in dem ich als Drogendealer gearbeitet habe. Ich vertickte Metamphetamine und wog meine Drogen mit der Triple Beam ab.

Als du Machine Head gegründet hast, war es dir da schon klar, dass du gleichzeitig singen und Gitarre spielen würdest? Oder hast du überlegt, einen Sänger in der Band anzuheuern?

Nein, ich wusste von vornherein, dass ich der Sänger sein wollte. In meinen zwei vorhergehenden Bands hatte ich lediglich Gitarre gespielt und ein paar Backing Vocals beigesteuert. Aber auch da dachte ich schon: Ich bin ein besserer Sänger als diese Typen, haha. Ich wollte es machen und fing an, Texte und Gesangslinien zu schreiben. Die Grundrichtung von Machine Head war mir immer klar.

Du singst heute mehr als vor zwanzig Jahren. Hast du einen Gesangslehrer?

Nein. Eines Tages habe ich einfach gemerkt: Hey, ich kann ja ganz okay singen, hahaha! Aber ich erzähle dir, was der entscheidende Wendepunkt war. Rund um "The Burning Red" und "Through The Ashes Of Empires" begann ich, etwas mehr zu singen. Wir sollten dann "Hallowed Be Thy Name" von Iron Maiden covern, für einen Kerrang-Tribute-Sampler. Das muss so 2008 gewesen sein, ich war sehr nervös. Den Song darfst du einfach nicht verkacken. Ich konnte natürlich nicht wie Dickinson singen, also brauchte es eine Weile, bis ich den für mich passenden Gesangsstil gefunden hatte. Dieser Prozess hat mir eine Menge Selbstvertrauen gegeben und mich darin bestärkt, dass ich singen kann. Das war der ausschlaggebende Moment. Eins der Dinge, die wir anderen Metalbands voraus haben, ist genau dieses: Wir beherrschen auf der einen Seite brutales Zeug, auf der anderen Seite aber auch beatleske Gesangsharmonien. Man muss furchtlos sein.

Ein anderes Thema. Im Zuge des Amoklaufes in Las Vegas hast du laut darüber nachgedacht, "Davidian" von der Setlist zu streichen, aufgrund der "shotgun blast"-Zeile im Song. Wie stehst du momentan dazu?

Ich habe noch keine Entscheidung gefällt. In Deutschland könnte es anders aussehen, aber in den USA wird es mir schwer fallen, Waffenkram zu glorifizieren, wenn das ganze Thema ganz offensichtlich vollkommen außer Kontrolle geraten ist. Vielleicht fühle ich mich in ein paar Monaten anders. In den USA findet jetzt alle zwei Monate eine Massenschießerei statt. Die Medien haben meine Gedanken aber auch sehr aufgeblasen. Dabei haben wir "Davidian" schon so oft nicht gespielt, es gab sogar komplette Tourneen ohne diese Nummer. Und niemanden hat das gestört. Aber jetzt im Licht dieser Tragödie wird plötzlich ein Riesen-Bohei darum veranstaltet.

Ein Freund von mir schlug eine Textänderung vor: "Let freedom ring with a popcorn blast."

Hahahaha. Da kann ich schon sehen, wie sich die Leute aufregen werden. Ich schlag das mal meinen Fans vor.

"Sex lag immer in der Luft"

Verfolgst du, was die Fans über eure Musik sagen? Liest du Reviews?

Reviews lese ich nicht. Wer liest schon Reviews? Ich trete über Facebook und Youtube mit den Fans in Kontakt, zweimal die Woche mache ich eine Live-Schalte. Das sind offene Foren, wo die Leute mir Fragen stellen können. Ich gebe Updates und rede, beantworte diese Fragen. Zu der neuen Platte kommt logischerweise noch nichts, weil die Leute sie bisher nicht kennen. Aber "Davidian" ist gerade großes Thema.

In letzter Zeit hören wir viel über sexuellen Missbrauch in Hollywood, Stichwort Harvey Weinstein. Hast du dahingehend im Musikgeschäft Erfahrungen gemacht?

Ich habe natürlich davon gehört, aber die Sache nicht richtig verfolgt bisher. Ich bin Mitglied einer gottverdammten Metalband, da kann ich mich jetzt nicht hinsetzen und diesen Typen verurteilen. Mir sind einige verrückte Frauen begegnet. Ich hatte Dates mit Stripperinnen und Sex lag immer in der Luft. Ich war mal sexabhängig und habe Frauen gefunden, denen es genauso ging. Aber wie gesagt, so richtig weiß ich über den Fall nicht Bescheid. Den Hashtag #metoo hab ich mitbekommen. Ich denke, es ist eine Schande, dass dieses Verhalten so lange toleriert wurde. Richtig was kann ich dazu nicht sagen.

Kein Problem, reden wir wieder über die Musik. Auf der kommenden Tour spielt ihr wieder ausschließlich "An Evening With Machine Head"-Shows, zweieinhalb bis drei Stunden. Das stelle ich mir physisch sehr anstrengend vor.

Oh ja, das sind in der Tat physische Auftritte. Auf der einen Seite ist es einfacher, diese Art von Shows zu spielen. Machine Head hatten immer diese ruhigeren, weicheren Momente. Wenn wir auf Festivals auftreten oder im Package mit anderen Bands touren, spielen wir davon nie was. Da geht es um ordentliche Energie und Circle Pits. Aber es macht Spaß, diese Songs zu spielen und die Fans hören sie auch gerne. Du glaubst nicht, wie oft ich am Tag gefragt werde, ob wir "Deafening Silence" spielen. Im Rahmen der "An Evening With"-Auftritte ist das drin, da können wir "Descend The Shades Of Night" rausholen und "Darkness Within" und "Now I Lay Thee Down" und "Elegy".

Wir geben auf diese Weise uns selbst und dem Publikum Gelegenheit, durchzuschnaufen. Das Gefühl ist sehr befreiend. Irgendwo auf der Strecke hat sich der Metalbetrieb in den letzten Jahren so verändert, dass es viele der Package-Tours gibt. Meiner Meinung nach scheren sich die Leute aber gar nicht sonderlich drum. Wenn Bruce Springsteen in die Stadt kommt, fragt auch keiner: Hey, welche sieben anderen Bands hat er noch dabei? Und genau diesen Status wollen wir auch, es soll um Machine Head gehen. Wir können das leisten. Beim letzten Mal haben wir 250 Shows gespielt, die diese Länge hatten.

Bringst du dich vorher körperlich in Form?

Auf jeden Fall! Ich fange fünf Wochen vor einer solchen Tour mit dem Fitnesstraining an. Und dann dauert es noch weitere zwei Wochen auf Tour, bis ich wirklich in einer guten Verfassung bin. Ich musste einiges an meinem Verhalten ändern. Ich bin jetzt 50 Jahre alt, mein Körper erholt sich langsamer. Ich kann nicht so viel trinken, wie ich möchte, weil ich am nächsten Tag drei Stunden singen muss. Man passt sich halt an. An einem bestimmten Punkt war die Frage: Trinken oder drei Stunden singen? Beides geht nicht, auf eins musst du verzichten. Musik ist mir einfach wichtiger.

Machst du dir dann Sorgen um deine Stimme? Du schreist ja eine Menge.

Das stimmt. Es sind nicht die Rolling Stones, die da auf der Bühne stehen, sondern eine brutale Band. Natürlich mache ich mir Sorgen um meine Stimme und meine Kehle ist auch oft heiser. Ich habe aber dazugelernt. Wir haben mal so getourt, dass wir neun Gigs am Stück gespielt haben, da waren die Auftritte aber nur 45 Minuten lang. Bei der Länge der Konzerte jetzt geht das nicht mehr. Wir haben es versucht und ich dabei gemerkt, dass es nicht machbar ist. Deshalb gehen wir jetzt nach einem anderen Turnus vor, und der funktioniert gut. Ich verliere meine Stimme nur, wenn ich eine Brustinfektion bekomme. Dann kracht es kurz und die Stimme ist weg.

Welche Meinung hast du zu Spotify?

Ich liebe Spotify. Ich nehme bestimmt keine CD-Mappe mit, wenn ich auf Tour gehe.

Bands erzählen mir öfter, dass sie so gut wie nichts damit verdienen.

Die haben beschissene Plattenverträge, das ist der Grund. Du musst mit der Zeit gehen und Spotify ist super. Selbst wenn Leute es nicht mögen: so laufen die Dinge heute nun mal. Du kannst Veränderung nicht bekämpfen. In Amerika gibt es nicht mal mehr CD-Läden. Best Buy, eine große Ladenkette, verkauft Kühlschränke und Stereoanlagen und hat eine CD-Abteilung so groß wie dieser Tisch hier. Da gibt es die Foo Fighters und Taylor Swift, aber bestimmt nichts von Machine Head. Für einen Reisenden wie mich ist Spotify der Wahnsinn. Was die alles haben! Wir haben vor ein paar Tagen erst ein altes Metallica-Demo von 1985 gehört, super. Ich wüsste nicht, wo ich das sonst herbekäme. Ich laufe jedenfalls nicht in jeden CD-Laden in Belgien, bis ich das Ding habe. Und wo soll ich es dann abspielen? Es gibt nirgendwo mehr CD-Player. Es betrübt mich, dass Metalfans sich so gegen Spotify wehren. Das schadet den Bands, denn die Streamingzahlen beeinflussen die Chartpositionen. Pop und Hip Hop werden ohne Ende gestreamt und verkaufen Tonnen von Alben. Metalbands nicht, weil keiner streamen will. Da sollte sich dann aber auch keiner beschweren, warum Metal nicht den Stellenwert von Pop oder Hip Hop hat.

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