24. Juni 2009

"Am besten liest man gar nichts"

Interview geführt von

Es läuft gut für Elly Jackson. Die zwei Promotage in Deutschland waren so schnell ausgebucht, dass die Telefon-Interviews auf die Folgewoche verschoben werden mussten. Am 26. Juni erscheint ihr Debütalbum "La Roux".

Bevor uns das britische Label zu seinem gefragten Schützling durchstellt, gleich die Kampfansage: Die vereinbarten 15 Minuten dürften schwierig werden, La Roux aka Elly habe in weniger als zehn Minuten eine "wichtige Verabredung". Umso schöner, dass die Künstlerin da scheinbar ihrem eigenen Zeitmanagement folgt.

Hi Elly. Ich muss mich sputen. Gerade höre ich, du musst gleich weg.

Elly: Nein, schon okay, wir können uns fünfzehn Minuten unterhalten, wenn du magst.

Sehr schön. Wenn deine Musik beschrieben wird, fallen früher oder später die Namen Eurythmics, Yazoo oder Depeche Mode. Was nervt am meisten?

Soll ich dir was sagen? Ich kriege das kaum noch mit. Und es gibt viel schlimmere Fragen, etwa "Warum bist du in dieser Frauenbewegung mit Lady Gaga und Little Boots?" Bei diesen Yazoo-Vergleichen ist mir nur wichtig, dass die Leute erkennen, dass ich etwas Neues bringe und nicht Vergangenes kopiere.

Little Boots, Lady Gaga, La Roux: Alle verwenden Synthesizer und haben ein "L" als Anfangsbuchstaben. Dreht man angesichts solch hohler, vermeintlicher Gemeinsamkeiten der Presse nicht manchmal durch?

Ach, mit solchen Banalitäten machen sich Journalisten am Ende doch selbst lächerlich. Wenn jemand nichts anderes zu schreiben weiß, als dass wir alle Vaginas haben und Synthesizer benutzen, ist das schon ein bisschen langweilig. Bei mir kommt das so an, dass sie nur daran interessiert sind, ihre Artikel voll zu kriegen.

Und die Musikzeitschriften sind derzeit voll von Artikeln über dich. Kommst du noch nach mit dem Lesen?

Nein, damit habe ich schon lange aufgehört. Am Anfang bist du natürlich irre aufgeregt und freust dich, dass dein Gesicht zu den Leuten getragen wird. Natürlich liest man dann auch die Interviews und denkt: "Das hättest du mal besser etwas anders formuliert". Man lernt viel dabei.

Mittlerweile ist es fast unmöglich, noch Schritt zu halten. Man gibt Interviews und macht Bilderstrecken, die erst zwei Monate später veröffentlicht werden. Grundsätzlich glaube ich aber nicht, dass es gesund wäre, ständig nach Artikeln über sich zu fahnden.

Wenn du aber doch mal etwas über dich liest: Ärgern dich Fehlinformationen oder falsche Zitate?

Ja. Genau deswegen hört man auf, sie zu lesen. Das meiste ist einfach falsch. Ich hasse es, wenn ich falsch porträtiert werde. Sätze werden ganz selbstverständlich völlig umformuliert. Eine Sprache verwendet, die ich gar nicht benutze. Das hat mich schon sehr geärgert. Aber je stärker du diese Dinge an dich heran lässt, desto eher sagst du irgendwann etwas, was du besser für dich behalten solltest. Und dann haben sie gewonnen. Also liest man besser gar nichts.

Sprechen wir hier nicht über ein reines Boulevard-Problem?

Man sollte es meinen, aber es passiert wirklich oft. Ich spreche scheinbar nicht in kurzen, leicht verständlichen Sätzen, aus denen man sofort etwas rausziehen kann. Also ändern Journalisten Sätze um, bis sie ein Zitat für die Überschrift haben. Meistens habe ich das dann so nie gesagt, geschweige denn die entsprechende Vokabel benutzt. Im Endeffekt wird also eine Person porträtiert, die mit mir kaum etwas zu tun hat. Das ist frustrierend. Sie bräuchten eigentlich gar kein Interview mit mir anfragen, sie könnten gleich meine Kumpels interviewen.

Was war bisher die größte Lüge, die du über La Roux lesen musstest?

Hmm, ganz lustig finde ich die Tatsache, dass viele Leute glauben, Ben wäre mein Keyboarder, was nicht der Fall ist. Manche denken auch, ich stamme aus Schottland.

Aus Schottland?

Viele Leute glauben offenbar, alle Rothaarigen kommen automatisch aus Schottland. Was noch? Es gab da noch einige Geschichten. Wie gesagt: Oft sind es nur Kleinigkeiten, die einen aufregen, nicht unbedingt total erfundener Schwachsinn.

Und Ben ist dein Songwritingpartner.

Genau.

Was ist das Verstörendste daran, über Nacht berühmt zu werden?

(überlegt) Wahrscheinlich die Menge an Arbeit, die man plötzlich hat. Und es ist immer noch seltsam, wenn dich plötzlich Leute auf der Straße erkennen.

Musst du Autogramme im McDonalds schreiben?

Das nicht, aber viele zeigen mit dem Finger auf dich, manche kommen auch her und wollen ein Foto. In Clubs passiert das oft.

"Das habe ich nie gesagt!"

Warum ist "Speak & Spell" für dich die beste Platte aller Zeiten?

Ob es wirklich die beste Platte aller Zeiten für mich ist, weiß ich nicht ...

Nein? Habe ich in einem Interview mit dir gelesen ...

Habe ich aber nicht gesagt (lacht). Siehst du, genau das meine ich, sowas bringt mich auf die Palme: Es ist eben nicht meine allerliebste Platte aller Zeiten, weil ich nämlich gar keine habe. Es gibt zu viele gute. Aber sie gehört in den engeren Kreis.

Vor ein paar Jahren hörte ich sie pausenlos. Ich denke, jedes Album hat seine Zeit: Du entdeckst es, hörst es andauernd, dann kommt ein anderes. Und wenn man über billigen, trockenen Electro spricht, kommt man an Songs wie "New Life" einfach nicht vorbei. Es macht einfach irre viel Spaß, sie anzuhören.

Weißt du, dass die Band nicht sehr stolz auf ihre Frühwerke ist?

Ja, aber ich verstehe es nicht. Gut, die Produktion auf den frühen Alben ist nicht immer überragend und oft schimmert der Demo-Charakter durch. Ich glaube, ihr Problem ist eher, aufgrund dieser Platten von vielen nicht ernst genommen worden zu sein. Und dass sie sich nach der ersten Platte von Vince Clarke trennten, macht die Erinnerungen an diese Zeit sicher auch nicht einfacher. Ich kann ihre Gefühle also in gewisser Weise nachvollziehen, aber ich sehe es trotzdem anders.

Was würdest du Martin Gore also entgegnen, für den die ersten zwei Depeche-Platten ausnahmslos vergnügte, harmlose Popsongs beinhalten?

Ich würde ihm wahrscheinlich sagen, dass er falsch liegt. (lacht) Letzte Woche wollte ich sie in London sehen, aber das Konzert fiel ja wegen Krankheit aus. Ja, ich würde gerne mit Martin über Musik sprechen.

Wäre er dein Lieblingsgesprächpartner all deiner Helden?

Nein, das wäre dann wohl Prince.

Und was würdest du ihn fragen?

Äh, warum er so großartig ist? (lacht)

Heute auch noch?

Um ehrlich zu sein, verfolge ich seine jüngeren Sachen nicht mehr so genau. Aber es ist immer besser, wenn man wie Depeche Mode über einen langen Zeitraum seinen Stil festigt und dabei doch immer wieder leicht verändert. Ich halte wenig von Bands, die plötzlich aus der Versenkung auftauchen und ein Album aufnehmen, das so klingt, wie das letzte vor 20 Jahren. Was ich von Prince kenne, finde ich ausnahmslos brilliant, auch wenn ich kein allzu großer Anhänger von "Purple Rain" bin.

"Wir wollten nicht so klingen wie die frühen Depeche Mode"

Jetzt muss ich nochmal mit einem Interview-Zitat kommen: Du sagtest, die letzten fünf Jahre seien relativ traumatisch gewesen und du hättest viel geweint.

Naja, ich musste mich mit einigen Dingen auseinander setzen und manches davon war eben nicht einfach. Das gehört dazu, wenn man erwachsen wird. Einsam durch die Straßen laufen und sowas. Heute bin ich drüber weg, aber damals war vieles kompliziert.

In diese Zeit fiel auch deine Entscheidung, elektronische Musik zu machen, richtig?

Ja, das war vor etwa drei Jahren.

Wie kam dieser Schritt zustande?

Ganz unbewusst. Ich denke, jede musikalische Phase findet irgendwann zu einem Ende und mich begleitete durch meine Kindheit vor allem Hippie-Musik. Und obwohl ich sie immer noch mag, merkte ich irgendwann, dass ich mich musikalisch nicht mehr auf diesem Gebiet austoben will. Ich ging eben viel aus, hörte elektronische Musik und begeisterte mich dafür.

Wie dürfen wir uns den Folkmusik-Sound der jungen Elly Jackson vorstellen?

Oh je, ich glaube nicht, dass ich das übers Telefon angemessen darstellen kann. Es war mitunter schon tränenrührig, vielleicht ein wenig wie Joni Mitchell.

Kannst du dir vorstellen, in zehn Jahren auf dein Debüt zurück zu schauen und es ähnlich zu kategorisieren wie das DM-Debüt? Dass es etwas demohaft klingt und produktionstechnisch dünn?

Nein, im Moment kann ich mir das wirklich nicht vorstellen, aber wer weiß. Unser Album hatte anfangs ja auch Demo-Charakter und klang recht trocken. Zum Glück hatten wir die Zeit, alles ein bisschen größer und hoffentlich auch besser zu machen. Wir wollten explizit nicht so klingen wie die frühen Depeche Mode, das wäre einfach zu klischeehaft gewesen.

Ich erinnere mich, dass uns anhand früher Versionen damals ein paar Label-Leute diesen Vorwurf gemacht haben. Deshalb saßen wir lange am Album-Mix. Mit der Produktion bin ich jetzt sehr zufrieden. In den 80ern war es für junge Bands ja praktisch unmöglich, eine ordentliche Produktion hinzukriegen. Das war ja alles unglaublich teuer. Wobei dieses Argument sicher nicht auf alle Bands zutrifft. Wahrscheinlich war es damals einfach nur ihr Sound.

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