31. März 2009

"Kann es zu viel des Guten geben?"

Interview geführt von

Herbie Hancock hält ihn für einen "dazzling piano player" und auch Till Brönner schwärmt in den höchsten Tönen.Kristjan Randalu, nie gehört? Macht nix! Mit "Desde Manhattan" wird es jedoch höchste Zeit, zwei Ohren zu riskieren. "Ich habe den Namen direkt von einem Plakat übernommen, der in Madrid so gedruckt war - mein Name und darunter 'Desde Manhattan' = 'from Manhattan'. Ich habe die Übersetzung gerade von meinem spanischen Bassisten nochmals bestätigen lassen", erklärt Kristjan Randalu den bilingualen Albumtitel.

Mehrsprachigkeit ist nicht das einzige Herausstellungsmerkmal des Kristjan Ranadalu Quartet. Als Mastermind sinniert der estnische Pianist über die Wahrnehmung der Zeit, den "Kampf der Kulturen" und die Frage: Kann es zu viel des Guten geben?

Ich hasse dich!

(lacht) Das ist gut! Da wir heute hier über meine Musik reden, heißt es, dass sie dich nicht gleichgültig lässt.

Sie lässt mich keineswegs gleichgültig. Im Gegenteil, ich finde es unverschämt, mit so wenig Lenzen auf dem Buckel ein so ausgereiftes Album an den Start zu bringen.

Es hat erst mal nichts mit dem Alter zu tun.

Verrätst du mir dein Alter?

Kein Twen mehr ...

Na, dann bin ich ja beruhigt. Auf dem Cover von "Desde Manhattan" siehst du aus wie 22.

So langsam komme ich wohl in das Alter, wo das jüngere Aussehen nicht mehr eine Last, sondern etwas Positives ist.

Zu deinen Alterszipperlein befrage ich dich nachher.

(lacht)

Zurück zu "Desde Manhattan". Warum bin ich davon so begeistert?

Vielleicht, weil es keine zusammengewürfelte Studio-Produktion ist, sondern die Dokumentation von einer Band, die mittlerweile fünf Jahre zusammen gespielt, getourt und aufgenommen hat?

Und warum verheimlichst du mir, dass du mit Schlagzeuger Bodek Janke jamst, seit du in Karlsruhe ins Gymnasium gingst?

Du hast ja nicht danach gefragt (lacht). Das Thema stand bereits im Zusammenhang mit unserer letzten CD Grupa Janke Randalu "Live" sehr im Vordergrund. Bodek ist mein langjährigster Weggefährte und beeinflusst dementsprechend maßgeblich die Musik.

Was fasziniert dich an "Desde Manhattan"?

Ich habe mir vor der Aufnahme viele Gedanken gemacht, was ich selber an Aufnahmen anderer schätze und welche Details mich zum wiederholten Durchhören animieren. Eine wichtige Rolle spielt für mich die bewusste Unterscheidung zwischen einem Live-Auftritt und dem festgehaltenen Moment auf der CD. Die Wahrnehmung der Zeit ist in diesen Situationen sehr unterschiedlich, dementsprechend funktionieren Sachen unterschiedlich gut. Es kann z.B. sehr gut sein, dass in einem Konzert ein Stück von 15 Minuten absolut die Spannung hält - die gleiche Musik auf CD wirkt aber anders. Daher habe ich vieles bewusst komprimiert, gekürzt. Ich finde das Resultat sehr kurzweilig und das wiederum motiviert zum wiederholten Anhören - "was war da jetzt eigentlich? wie war das noch mal?" Ich bin sehr glücklich mit dem Resultat.

Mich betört u.a. das melodieführende Cello. Wie um Herrgottswillen kommt man auf die Idee, dem Cello die Stimmführung zu überlassen?

Das Cello ist ein sehr flexibel einsetzbares Instrument - es kann im tiefen Register Bass-Funktionen übernehmen, im höheren Register die Rolle des Melodie-Instruments spielen, pizzicato gespielt sehr perkussiv sein oder teilweise als Gitarre funktionieren. Mit Effekten erweitert eröffnet sich noch ein völlig anderes Universum. Das alles hängt aber natürlich vom Spieler ab und da habe ich mit Stephan Braun viel Glück gehabt.

Wo und wie findet man einen so ausgezeichneten Jazzcellisten, der das schafft, wovon die Jazzgeiger bis heute träumen: das Instrument von Klischees zu befreien?

Mittlerweile findet man ihn immer wieder in Berlin, wo er zu Hause ist. Allerdings ist er wohl gar nicht so viel vor Ort und eher irgendwo auf der Bühne anzutreffen. Bodek Janke (Schlagzeug) hatte mit Stephan zusammen in einem anderen Projekt gespielt und so kam der Kontakt zustande. Wir haben paar Tage nach unserem ersten Treffen die Quartett-Platte "Tidbits" (2004) aufgenommen. Das war der Anfang des Weges, der jetzt zu "Desde Manhattan" geführt hat. Was die Klischees betrifft, sind diese natürlich auch bedingt durch die Musik, in welchem Kontext sie stattfinden können. Ich bin grundsätzlich kein Freund von Klischees, es sei denn, dass man bewusst mit ihnen spielt.

"Die Zeit-Wahrnehmung ist sehr unterschiedlich."

Wie würdest du euren Umgang mit Klischees beschreiben? Oder seid ihr frei davon?

Keine Musik ist frei davon, denn sie kann nicht aus dem Nichts entstehen. Es geht also immer um eine Verarbeitung der eigenen Eindrücke und Einflüsse. Wenn diese plakativ und einfach als Zitate eingesetzt werden, dann landet man bei den Klischees. Wenn man aber einen Moment reflektiert und selektiert, dann kann man daraus etwas Persönliches gewinnen. Aber letztendlich bin ich der Falsche, um ein Urteil über den Klischee-Anteil unserer Musik zu fällen. Wie siehst bzw. hörst Du denn das?

Für die Lesenden dürfte deine Meinung interessanter sein als meine, deshalb nur so viel: Ich finde, es gehört eine Menge Potential dazu, als Klaviertrio, was ihr in der Kernbesetzung seid, heutzutage eine Wurst vom Jazz-Teller zu ziehen. Außerdem spielt ihr, als wäre der kreative Teufel hinter euch her. Erzähl' uns etwas über die Geschichte eures Quartetts.

Wir haben seit "Tidbits" jedes Jahr paar Tourneen gespielt, waren regelmäßig in Deutschland, Spanien und den USA unterwegs. Mit dieser andauernden Spielpraxis kann man eine musikalische Vertrautheit aufbauen, die einem erst im Nachhinein bewusst wird. Ein paar Jahre später ist man dann wieder im Studio und man muss nichts besprechen, ausdiskutieren usw. Der ganze Fokus kann nur in dem Moment sein und in der Musik - weil man auf so vieles zurück greifen kann, was man gemeinsam entwickelt hat. Ich meine damit nicht vorgefertigte Lösungen, sondern eine musikalische Ebene, welche die Bewegungsfreiheit garantiert.

Du sprichst mir aus der Seele. Ich will ja nichts sagen, aber deine kreative Kraft erinnert mich an den Mann, über den die Süddeutsche einst schrieb: "Wenn er in Cargohose und Muskelshirt die Bühne betrat, wenn er sich zwischen den Nummern wie ein Tennisspieler Gesicht und Hände abtrocknete und ein paar Schluck aus seiner Flasche nahm, signalisierte er immer auch: Kinder, das hier ist Musik mit Bauchmuskeln. Rückhandvolleyjazz". Weißt du wer gemeint ist? Seine Band griff auf ähnliche Erfahrungen zurück.

Dein Zitat erinnert mich daran, dass Tauchen manchmal eine gefährliche Sportart sein kann ...

... ja, leider ...

... das war eine wirklich tragische Nachricht damals. Das Esbjörn Svensson Trio ist bestimmt eine dieser Bands gewesen, die auf jahrelange gemeinsame Spielpraxis zurückgreifen konnten. Dementsprechend nahm das Publikum sie auch als Band war. Sie hatten einen Band-Sound. Im Vordergrund stand nicht der Ego-Trip eines Musikers.

Ich liebe eingespielte Bands wie das e.s.t. oder das Kristjan Randalu Quartet. Du bist aus Estland. Pendelst zwischen deiner Heimat, Deutschland und New York. Du spielst mit einem spanischen Bassisten, einem deutschen Cellisten und einem aus Polen stammenden Trommler. Ist das nicht zu viel des (Kultur-) Guten?

Kann es zu viel des Guten geben? Ich muss dazu sagen, dass ich selber sehr kritisch mit meiner Musik umgehe und daher auch nicht ein willkürliches Durcheinander von allen möglichen Zutaten zulasse. Ich filtriere sehr intensiv den unterschiedlichen Input und ziehe dann eben meine Essenz daraus.

Wie filterst du euer Durcheinander, wie bringst du eure kulturelle Vielfalt unter einen (Musik-) Hut?

Es hängt davon ab, wie groß der Hut ist ... und wem er gehört ...

... und, wem gehört er?

In dem Falle gehört der Hut mir. Das ist eben die Gratwanderung des Band-Leaders - den einzelnen Musikern die bestmöglichste Freiheit für ihre Kreativität lassen, das Beste von ihnen zulassen, gleichzeitig aber die eigene Vision nicht aus den Augen - besser gesagt Ohren - verlieren. Es ist eine ständiges Balancieren zwischen dem Einschränken der unterschiedlichsten Zutaten und des Zulassens der individuellen Freiheit des einzelnen Spielers. Letztere ist wiederum enorm wichtig, damit derjenige sich wohl fühlt und daher seinerseits das Beste hinzufügen kann. Historisch muss ich da an Duke Ellington denken.

Ah, du sprichst von Jazz! Kannst du eure Musik in Worte fassen?

Jazz ist so ein variabel einsetzbarer Begriff. Besser gesagt - er bedeutet für viele Menschen ganz Unterschiedliches. Für mich verkörpert er aber aktuelle Musik, die jetzt entsteht und bei der die Spieler ganz massgeblich an der Entstehung beteiligt sind. Wenn Du jetzt aber etwas Plakatives zu unserer Musik brauchst: "between Modern Jazz & World Music". So steht es zumindest auf der Website von unserem Booker ...

Auf jeden Fall ist es ein ziemlich eigenständiges Etwas. Die Kompositionen stammen größtenteils aus deiner Feder. Von welcher Musik bzw. welchen Musikern fühlst du dich beeinflusst?

Einerseits kann man an dieser Stelle ein paar große Namen aufzählen, andererseits sind die prägenden Musiker die Menschen, mit denen man selber viel gespielt hat und die sich an entscheidenden Momenten als wegweisend gezeigt haben. Aber Du willst wohl Namen hören ... Aus dem bunten Sammelsurium: Oscar Peterson, Chick Corea, Keith Jarrett, John Taylor, Brad Mehldau, Danilo Perez, Bach, Chopin, Schostakowitsch, Prokofiev, Liszt, Brahms, Ligeti ...

... genug ...

... da musst du jetzt durch, du wolltest es schließlich wissen ... Ravel, Debussy, Jaan Rääts, Ari Hoenig, Thomas Morgan, Ben Monder, Daniel Schnyder, Django Bates, Claudio Puntin - ok, ich finde kein Ende und es ist sehr unvollständig.

Ich dachte mir schon, dass das nicht alle sein können. Das wäre etwas eingeschränkt ...

(lacht>)

"Keine Musik ist frei von Klischees."

An Vorbildern mangelt es also nicht. An Komplimenten ebenso wenig. Du wirst mit Chick Corea, Keith Jarrett und neuerdings mit Esbjörn Svensson verglichen. Wird dir das nicht manchmal unheimlich?

Alle kochen nur mit Wasser. Man darf sich von dem Hype um bestimmte Namen nicht blenden lassen - ohne ihre Musik damit herunterspielen zu wollen. Natürlich sind solche Vergleiche eine sehr positive Bestätigung, aber es ist kein Polster, auf dem man sich dann gemütlich ausruhen kann. Letztendlich hat man sich ja mal aus einem anderen Grund auf den Weg gemacht - wegen der Musik selbst.

Wohin hat dich dieser Weg bereits geführt, wo stehst du heute, persönlich und musikalisch?

Ich merke auf beiden Ebenen, dass es wirklich eine Weile dauert, bis die Leute, das Publikum, die Umwelt das wahrnimmt, was man mitteilen möchte. Ich spiele teilweise noch Stücke, die ich vor mehr als zehn Jahren geschrieben habe und langsam kommen die bei den Menschen an - über Konzerte, über Aufnahmen usw.

Auch vor meinem aufmerksamen Ohr hast du dich bisher sehr gut versteckt ...

... (lacht) ... man braucht also einen langen Atem ... oder, die Moral aus der Geschichte - man muss sich seiner Sache sicher sein und einfach dabei bleiben. Ich habe mal ein Zitat von Dave Liebman als Ratschlag gehört: "People die." Es ging da aber mehr um New York und das Musikerdasein. Wenn man also einfach sein Ding weitermacht, dann kommt man auch an seinen Zielen an - weil diejenigen, die es nicht machen, einfach wegfallen.

Im Vergleich zu früher kann ich mich etwas mehr selbst mit Abstand betrachten und die Dinge auch in einem größeren Kontext sehen. Dann beißt man sich auch nicht unnötig in Kleinigkeiten fest.

Du sprichst von Weisheit! Ein tolles Gut.

Eben kein käufliches Gut.

Auf welche Neuigkeiten von Kristjan Randalu dürfen wir uns freuen?

In den nächsten Wochen steht eine Europa-Tour mit dem European Jazz Orchestra unter der Leitung von Peter Herbolzheimer an. Die Tour geht über ein paar Wochen, der einzige Gig in Deutschland ist in der Unterfahrt in München. Danach folgt eine weitere Tour in Italien, dann ein Orchester-Projekt mit dem Tallinner Kammerorchester in Estland und eine Aufnahme in NY. Ich arbeite auch gerade an einem Orchesterprojekt (Klavier und Kammerorchester), das im Sommer aufgenommen wird.

Das hört sich alles sehr spannend an - und zugleich wenig kommerziell. Machst du Kompromisse?

Über den kommerziellen Aspekt habe ich mir bisher immer erst im zweiten Stadium Gedanken gemacht – also nachdem die künstlerischen Entscheidungen bereits getroffen und entschieden waren. Wenn die Musik aber dann existiert, als Konzept für eine Tour oder eine Aufnahme, dann muss sie letztendlich auch kommerziell umgesetzt werden; besser gesagt – unter die Leute gebracht werden. Man sucht doch den Dialog, den Austausch, die Reaktion.

Kompromisse mache ich grundsätzlich ungerne. Ich glaube nicht daran, dass man alle zufrieden stellen kann; das ist ein hoffnungsloses Unterfangen, bei dem man selber am Ende am unglücklichsten dasteht. Wenn ich in Projekten anderer involviert bin, dann ordne ich mich gerne unter und versuche das hinzuzufügen, was die Situation zu brauchen scheint. Ich habe dann auch kein Problem mit Kompromissen, wenn sie auch aus kommerziellen Gründen getroffen worden sind.

Du hast vorhin von David Liebman und "People die" gesprochen. Ich würde "People die" gerne benutzen, um zur nächsten Frage zu gelangen.

Ich hoffe, du hast mich nicht missverstanden ...

... das hoffe ich auch. Deine Haltung zu dem von Samuel Huntington einst beschriebenen "Kampf der Kulturen"?

Das ist ein größeres Thema. Es gibt da einige kontroverse Punkte von ihm, von denen ich manche komplett unterstütze, andere wiederum nur ablehnen kann - z.B. einerseits die Ablehnung des Irakkrieges, andererseits die Befürwortung des Apartheid-Systems in Südafrika. Aber das ist eher der politische Huntington.

Wenn ich jetzt den Bogen von diesen Themen und seinen Aussagen zu meiner Musik schlagen soll, dann geht es wohl um die Wahl zwischen bewusster Abgrenzung und der absoluten Offenheit allen Einflüssen gegenüber. Ich denke, dass die Lösung im bewussten Umgang mit allen möglichen Einflüssen liegt. Wenn diese reflektiert und in Relation zu der eigenen Position und Herkunft gesetzt werden, dann braucht man auch nicht mehr vom "Kampf" zu sprechen. Dann besteht auch keine Gefahr, dass die ursprüngliche Kultur verlorengeht - im Gegenteil, diese kristallisiert sich durch die akute Notwendigkeit der Definition um so stärker heraus.

Definiere "Kultur" bitte.

Ich habe hier an die eigene Herkunft, die persönlichen Wurzeln gedacht. All das, bei dem man sich heimisch fühlt und was einem vertraut ist - also die Rückbesinnung auf ganz ursprüngliche Erfahrungen, Einflüsse, auf das prägende Umfeld.

Welche ursprünglichen Erfahrungen und Einflüsse haben dich geprägt?

Meine Kindheit in Estland, meine Eltern, die beide professionelle klassische Pianisten sind; meine Großmutter, die sehr viel gesungen hat. Irgendwann merkt man, dass da sehr früh viele Sachen ihren Ursprung gehabt haben.

Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass man das deiner Musik anhört. Das meine ich im positivsten Sinne. Kristjan, vielen herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche dir einen "langen Atem" bei allem, was das Leben für dich bereit hält.

Ich danke Dir.

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LAUT.DE-PORTRÄT Kristjan Randalu

Aufgewachsen und sozialisiert in einer Musikerfamilie stellt sich die Welt als musizierende Kugel dar, in der das Erlernen eines Instrumentes als selbstverständlich …

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