laut.de-Kritik

Nostalgie-Lack aus Eimern gesoffen?

Review von

Oh, Savas. Eigentlich ist seine Geschichte ja erzählt. Die Jagd ist gelaufen, die Felle gegerbt und verteilt, sie hängen seit eineinhalb Jahrzehnten in seiner Einsiedlerhütte über dem Kamin und setzen Staub an. Niemand stellt seinen Status in Frage, dafür erwartet aber auch niemand Großtaten, wenn er alle Jahre wieder für das neue Album aus den Wäldern zurückkehrt.

Warum auch Großtaten erwarten, wenn seine modernen Alben dann zumeist wie "Aghori" klingen: Es ist eben der selbe alte Savas, ein fast eremitenhaft zelotischer Spitter an der Spitze des Handwerks, aber auch ein musikalisch halsstarriger Innovationsfeind. Dafür, dass er irgendwann einmal "Pimplegionär" gemacht hat, altert er unproblematisch, fast irgendwie drollig. Aber zu viel mehr als nostalgischem Real-Rap-Comfort Food zum Liebhaben ist er auch nicht mehr zu gebrauchen.

Das große Thema auf "Aghori" ist Savas und seine Nostalgie für Savas. Weil die neuen Rapper doof sind und überhaupt Veränderung blöd. Abgesehen von den zwei, drei Songs über Vaterschaft und Loyalität hält er deshalb treu an seiner Battlerap-Tradition fest. Es gilt immerhin, einen Status zu verteidigen, gegen die Moderne zu fuchteln und den Maßstab im Handwerk oben zu halten. Aber so sehr der Mann das Rappen nicht verlernt hat, stellt "Aghori" eher in Frage, warum seine lange Historie von sperrig konstruierten Pipi-Kacka-Witzen nun die wertvollere Kunst als der Rap von heute sein soll. Was helfen alle Skills der Welt, wenn es auf den meisten Songs der Platte quasi nichts zu erzählen gibt?

Für viele Songs ist das Best-Case-Szenario, dass die One-Liner zünden. Schließlich sollte die ganze Technik-Werkschau nicht nur beeindrucken, sondern bestenfalls auch unterhalten. Und siehe da: Manchmal mischt sich ein "Fühl' mich wie Corona, niemand hat an mich geglaubt" unter - und man grinst. Aber für jedes Mal, das man mit Savas lacht, kommen drei Lines, bei denen man es über ihn tut. Reimtechnik hin oder her, zur Hölle, was ist dieses Vergleichsgame? "Kein Opossum, und trotzdem immun gegen Schlangenbisse", "Nicht zu fassen, glitschig wie Fische, dieser Tapir", "Meine Technik und der Beat, es passt wie Pimmel und Fotze". Ach, ja: Das müssen dieser King of Rap und sein anspruchsvoller Lyricism sein.

Apropos Bienen und Blumen, auch auf "Aghori" erwarten uns natürlich die altbekannten Savas'schen Sex-Raps. "Scheiden werden nass, auch wenn ich Bauchfett hab' / Ich komm' zur Hochzeit und wichs' deiner Frau ins Braut-Make-up", lässt er uns zum Beispiel wissen. Und da gilt es wie meistens in seiner Diskographie: Er beschreibt Sex wie eine klassische männliche Aufopferungstätigkeit. Es klingt bei ihm eben wie Holzfällen. Oder in den Krieg ziehen. Wäre ja auch absurd, wenn all das Gerammele irgendwem Freude machen würde, denn jeder weiß: Sex ist nur dazu da, um auf andere Dudes zu flexen. Es ist beeindruckend, wie seine Attitüde dabei gleichzeitig nach Enthaltsamkeitspriester und ralligem Fetischist klingt, vor allem, während er detailverliebt seinen Rap-Gegnern all die homosexuellen Fantasien vorkaut, die denen seiner Vorstellung nach im Kopf herumspuken. "Kein nekrophiler Fetisch, doch fick' MCs tot", erklärt er zum Beispiel. Also, nur um das einmal klargestellt zu haben

Wir halten also fest: Bei Savas ist eigentlich alles beim Alten. Trotzdem muss man ihm zugute halten, dass er, wenn er sich einmal ein Thema setzt, auch immer noch verdammt atmosphärisch und eindringlich arbeitet: Schlusstrack "Der Stärkste Mann" und der Titeltrack behandeln beide jeweils das Verhältnis zu seinem Vater und seinem Sohn und kommen so emotional und überzeugend, dass man sich erst erinnert, mit was für einem virtuosen MC man es hier eigentlich zu tun hat. "Ein Kind, das sich ständig Paras schiebt, dass sein Vater stirbt / Aber noch nicht weiß, dass sich das ändert, wenn er Vater wird / Denn hier ist kein Platz mehr für Angst, mein Platz ist jetzt hinter ihm wie ein Berg / Er denkt wirklich, ich wäre stark wie ein Bär, drum bin ich stark wie ein Bär" ist ein unglaublicher Vierzeiler, den man so honorieren muss.

Das macht das belanglose Herumgeeier auf dem Rest der Platte im Vergleich aber nur noch anstrengender. Den Rapstil von Savas kann man mögen oder nicht, aber nur auf den Nummern "Wo Wart Ihr?" und "Brachland" klingt er so dominant und brachial wie in seinen besten Songs. Vieles hält die Beat-Auswahl zurück, statt Bangern bekommen wir unbedrohliches Gedudel mit teils sehr fragwürdigen Samples. "Der Stärkste Mann" basiert auf einer Gitarren-Line, die haargenau wie "Incomplete" von den Backstreet Boys klingt, und "Nicht Erinnern" samplet das gottverdammte Tetris-Theme. Ganz schön Hardcore.

Am meisten kratzt am Soundbild aber das nervigste Relikt von schlechtem 2000er-Rap: R'n'B-Hooks. Gottverdammte R'n'B-Hooks auf fast jedem Song. Mit allem gebührenden Respekt an die Jungs und Mädels, die sie singen, aber jede einzelne Gesangshook auf dieser Platte suckt turmhoch, stoppt jedes Momentum der Tracks und macht die Kernmotive der Songs mit dem schwülstigen Pathos eines DSDS-Halbfinales komplett lächerlich.

Nirgends klingt das aber schlimmer als auf dem "AMG"-Chorus: "AMG bedeutet an mich glauben", säuselt Alies da. Der ganze Song ist schlimmster Kitsch zwischen Instagram-Influencer und shady Motivationscoach, was witzig ist, regt sich Savas doch an anderer Stelle genau über diese Leute auf. Dazu kommt, dass diese Konservendosen-Hooks die Songstrukturen so vorhersehbar festfahren, dass in Tandem mit den sehr zahmen Beats gar nicht viel beeindruckender Rap entstehen kann.

Oh, Savas. Da ist er also einmal mehr aus den Wäldern gekommen und hat noch ein Savas-Album gemacht, das halt klingt wie die meisten Savas-Alben. Er rappt verdammt gut, erzählt aber nicht viel von Substanz. Neben zwei inhaltlichen Lichtblicken serviert "Aghori" Nonsense-Punchlines mit einer "I am very smart"-Attitüde, die es ehrlicherweise kaum verdient. Wer mir nämlich erzählen will, Savas inkohärentes Verschrammeln von bizarren Reimwörtern - immer mit genau so viel Sinn, wie das Reimschema gerade Platz hat - hätte inhaltlich mehr Wert als sonst irgendein Pop-Rapper, muss den Nostalgielack schon in Eimern gesoffen haben.

Das Album ist Denkmalpflege nach allen Konventionen des Künstlers und endet als eine grundlegende Geschmacksfrage. Mag man Savas, Battlerap und R'n'B-Hooks, wird man auch hieran helle Freude finden. Wer eh noch nie etwas mit dem Mann am Hut hatte, dem liefert er hier aber keinen Grund, jetzt noch damit anzufangen.

Trackliste

  1. 1. Optik 4 Life
  2. 2. Brachland
  3. 3. Brechen Mich Nicht (feat. MEL)
  4. 4. DRIMB
  5. 5. Spinjitzu (feat. NKSN)
  6. 6. AMG (feat. Alies)
  7. 7. Monolith
  8. 8. Rapkiller (feat. Alies)
  9. 9. Wo Wart Ihr?
  10. 10. Dicka Was (feat. Sido, Nessi)
  11. 11. Aghori (Dunkler Tag) (feat. Laskah, Oxxxymiron)
  12. 12. Nicht Erinnern
  13. 13. AMG Remix (feat. MoTrip, Sierra Kidd, Edo Saiya, Celo & Abdi, Kelvyn Colt)
  14. 14. Der Stärkste Mann (Prelude)
  15. 15. Der Stärkste Mann

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28 Kommentare mit 43 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Habe nach 8 Tracks abgebrochen. Absolut unhörbar. Wer auch immer ihm gesagt hat, dass er auf so gut wie jedem Song eine Gesangshook braucht, gehört gefeuert. 1/5

    • Vor 3 Jahren

      Hart. Ich finde es recht durchwachsen, aber macht mir mehr Spaß als jedes Savas-Album seit "Märtyrer". Wenn man keine Gesangshooks mag, wird es bei Savas ja öfter mal ungemütlich. :D

    • Vor 3 Jahren

      Viel besser als das letzte Album, da hab ich beim Inteo schon kotzend abgeschaltet.

    • Vor 3 Jahren

      Ich will dir da auch nicht groß widersprechen. Vielleicht ist das Album besser als „KKS“. Höchstwahrscheinlich ist es sogar besser als „Essahdamus“ oder das Ding mit Sido. Vielleicht sogar besser als „Aura“ (die 5/5 von laut.de dafür waren für mich so ziemlich die peinlichste Promoaktion der jüngsten Zeit hier). Aber um das zu beurteilen, müsste ich mir den ganzen Kram im direkten Vergleich nochmal geben, worauf ich gerade so gar keine Lust habe.

      Ich habe auch insgesamt, glaube ich, nicht so die innige Fan-Beziehung zum frühen Savas wie du. Klar, das WBM-/MOR-Zeug sind coole Klassiker, und zur Eko-Zeit habe ich mal richtig krass gepersert, aber spätestens mit dem Solodebüt war es bei mir vorbei. „Märtyrer“ war für mich dann vollkommen unerwartet ein Highlight, das mich fast bekehrt hätte, auch wenn außer uns beiden keiner das so zu sehen scheint ;) Übrigens ein Album, auf dem nur ein Track eine Gesangshook hatte. Und es hat mich im Hörfluss überhaupt nicht gestört, diesen zu skippen.

    • Vor 3 Jahren

      Ich hatte schon länger vor, mich nochmal durch alle seine Alben durchzuhören, aber irgendwas hält mich immer davon ab. Trotz Homeoffice gibt es offenbar reizvollere Ablenkungen als "John Bello Story III" im Leben. :D Gleiches gilt für Azad, aber irgendwann mache ich das nochmal.

      Das kann gut sein, Savas habe ich schon einige Jahre sehr intensiv gehört. Meine Lieblingsphase von ihm ist seine von Dipset, Jigga u. a. inspirierte Größenwahn-Phase nach dem Split mit Eko. Die kurze Eko-Zeit ist für mich genauso klassisch wie die Sachen davor. Für WBM und generell die Tape-Zeit war ich auch etwas jung und habe das erst nachtäglich gehört. Bei "Märtyrer" hatte ich auch längst alle Hoffnungen fahren lassen, aber danach gibt es ja relativ enttäuschend weiter... Aber alle 5 bis 10 Jahre ein ordentliches Savas-Album wärmt mein ehemaliges Fanhörnchen-Herz. :D

  • Vor 3 Jahren

    Stabile Rezi Yannik. Musste dezent lachen bei: ""Kein Opossum, und trotzdem immun gegen Schlangenbisse", "Nicht zu fassen, glitschig wie Fische, dieser Tapir", "Meine Technik und der Beat, es passt wie Pimmel und Fotze". Ach, ja: Das müssen dieser King of Rap und sein anspruchsvoller Lyricism sein."

    Album natürlich 1/5, Musik für Typen wie Sodhahn.