laut.de-Kritik

Die gnadenlose Krönung einer Karriere.

Review von

Killing Joke stammen zwar aus Notting Hill. Doch mit "Pylon" öffnen sie uns nicht das Haus mit der blauen Tür, sondern das Tor zur Apokalypse. Die Platte ist weit mehr als lediglich Studioalbum Nummer 15 oder der Abschluss jener Trilogie, die mit den sehr guten "Absolute Dissent"/"MMXII" vielversprechend begann. Sie ist die gnadenlose Krönung ihres künstlerischen Werks. Ein finsterer Gigant: anmutig, brachial und wunderschön.

In 35 Jahren veröffentlichten sie - trotz nahezu durchgängiger Präsenz - nicht ein einziges schlechtes oder auch nur mediokres Album. Sogar ihre Remix-Projekte ergaben ausnahmslos Sinn. "Never stopping until the race is won!" Das macht sie zu den ungekrönten Königen des Postpunk. Doch Coleman, Youth und Co. waren schon immer weit mehr als das. Für "Pylon" gilt es ganz besonders: Alles klingt Post-Everything. Post-Metal, Post-Goth, Post-Punk, Post-Fuck-You-All! Und hier setzen sie die eigene Formel faszinierend meisterhaft in Szene.

Wer meine grenzenlose Begeisterung teilen möchte, der vergegenwärtige sich den perfekten Killing Joke-Bauplan. Denn der grandiose "Pylon" lässt sich mühelos aus vier wichtigen Eckpunkten ihres Schaffens herleiten. Sie nehmen den hypnotischen Gothic Rock von "Night Time" (1985), die melodische Kraft von "Brighter Than A Thousand Suns" (1986) und mischen beides mit der ungeschlachten Schrottpresse "Extremeties, Dirt And Various Repressed Emotions" (1990) sowie der strengen Struktur des Riffmonsters "Pandemonium" (1994). Wie in einem Einwanderungsland wandelt sich der Schmelztiegel aus Gegensätzen zu einem schillernd homogenen Ganzen.

Die Produktion leistet ihr Übriges. Immerhin hat die Band mit Gründungsmitglied Youth einen der vielseitigsten Soundmagier der Welt am Start (u.a. Alien Sex Fiend, Heather Nova, The Verve, Paul McCartney). Als Sahnehäubchen stößt Tom Dalgety hinzu, der bereits die letzte Opeth ("Pale Communion") entscheidend veredelte. Gemeinsam klingen sie so perfekt, als hätte man schon dutzende Platten miteinander fabriziert. Weltklasse, wie filigran und transparent Killing Joke den wuchtigen Presslufthammer mit der ihnen ebenso eigenen schamanischen Eleganz verbinden.

Der Ausbund an Vitalität, absoluter Härte und totaler Unzerstörbarkeit dieser zehn Stücke ist beeindruckend. Keine Sekunde lang hat man auch nur den Anflug des Gefühls, es hier mit älteren Herrschaften zu tun zu haben, die stramm auf die 60 zumarschieren. Obwohl so lange dabei, dass sie bereits Soundgarden, Nine Inch Nails oder Metallica in deren Jugend beeinflussten, räumen sie mit Granaten wie "I Am The Virus" oder "Dawn Of The Hive" einfach ab. Sie könnten jedes Festival von Glastonbury bis Wacken lässig in Schutt und Asche legen, ohne auch nur in Schweiß zu geraten. Vor allem die Herren Hetfield und Ulrich nehmen sich in ihrer gegenwärtigen Verfassung dagegen aus wie verkleidete Bankangestellte.

Das liegt auch an der bestechenden handwerklichen und ästhetischen Form Killing Jokes. Geordie Walkers Gitarre versprüht ein Feuerwerk aus Metal, Goth und Rock, für das andere Combos drei Saitenhexer benötigten. Zünglein an der Waage bleibt dennoch nach wie vor Jaz Colemans Wahnsinnsgesang. Mit hörbarem Spaß pendelt er kraftvoll zwischen beschwörendem Mystiker und brüllender Bestie. Mit "Big Buzz" liefert der alte Charismatiker seine womöglich beste Gesangsleistung überhaupt ab.

Inmitten dieser Flut an Killertracks ragen drei Hits heraus, die ich jedem als unbedingten Anspieltipp ans Herz lege, der sich von der Intensität bloßer Musik berauschen lassen möchte: "Euphoria", "War On Freedom" und das erwähnte "Big Buzz" sind hymnische Übersongs, die jedem "Love Like Blood"-Freund Freudentränen in die Augen treiben sollten.

Trackliste

  1. 1. Autonomous Zone
  2. 2. Dawn Of The Hive
  3. 3. New Cold War
  4. 4. Euphoria
  5. 5. New Jerusalem
  6. 6. War On Freedom
  7. 7. Big Buzz
  8. 8. Delete
  9. 9. I Am The Virus
  10. 10. Into The Unknown

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Killing Joke

Mit Krieg und Verwüstung überziehen deutsche Soldaten Europa. Ihre lüsternen Augen schielen bereits über den Kanal, nehmen die Widerstand leistenden …

10 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Hinter der Rezension steckt auch mehr Wunschdenken als Realität. Bei dem Album wechseln sich wenige große Momente mit langen Passagen der Langeweile ab. 3/5

  • Vor 8 Jahren

    Ich würde sogar so weit gehen, das ich das Album von vorne bis hinten monoton und vorhersehbar finde. Da fehlt es auch an genialen Gitarrenharmonien,verspielten Wendungen in den Songs und das Schlimmste ist fast, das Coleman in jedem Song gleich klingt. So gut wie Night Time ist das schon längst nicht mehr. Auch nicht mal das selbstbetitelte Comeback von 2001 wird hier qualitativ ansatzweise gestreift.

    • Vor 8 Jahren

      Naja, so weit zurück brauchst Du nicht. Die Absolute Dissent war schon ein fetter Brocken.

    • Vor 8 Jahren

      Ja, zum Teil. Hatte auch einige recht durchschnittliche Tracks, aber auch einige fette Keulen, die zum Extremsten gehören, was die je aufgenommen haben und einiges stranges, wie Dubreggaelieder. Schade, das die Produktion da insgesamt so verwaschen war. Insgesamt aber fett.

  • Vor 8 Jahren

    Juhu, ein Neues KJ Album. Erster Durchlauf gefiel mir schonmal sehr gut. Es klingt halt nach Killing Joke :D. Obs bei mir nun die gleiche wertung wie das 2003 Album erhlaten wird... ? Dafür muss ich es noch ein paar mal hören. Letzlich egal persöniche Meinungen halt. Bei Dawn of the Hive musst ich sofort Devin Townsend denken. Das klingt als hätte er die Klampfe da in der Hand. Wie auch immer, schön das es nen neues Album von den Herren gibt. Geil!

  • Vor 8 Jahren

    Ich finde, das Album wäre sehr gut, wenn die Songs irgendjemand singen würde, der dies auch kann. Hier wird nur gekrächzt und ungekonnt herumgebrüllt dass einem die Haare zu Berge stehen.

    • Vor 8 Jahren

      Jaz kann nicht singen? Was bist du denn bitte für ein Troll....???

    • Vor 8 Jahren

      Für mich siehts genau andersrum aus. An Colemans Gesang gibts absolut nix zu mäkeln. Nur wieder mit zuviel Hall abgemischt wie immer bei KJ. Aber leider kommt das Songmaterial bei weitem nicht an Absolute Dissent und schon gar nicht an 2012 ran. Ich kann reinhören wo ich will aber abgesehen von I am the Virus will irgendwie nix im Hirn hängenbleiben. Die Songs sind zu lang und zu gleichförmig.

  • Vor 8 Jahren

    Große Freude. Mal schauen, ob sie das Niveau von Absolute Dissent halten können. Die MMX schaffte das nicht.

  • Vor 8 Jahren

    Dies ist meiner Meinung nach eines der besseren KJ-Alben,ich
    war nach mehrmaligem Hören richtig hin und weg, weil ich mich an Scheiben wie "Night Time" und "Brighter than a 1000 Suns" erinnert fühlte, halt nur um einiges härter.

    Und es sind definitiv Post-Punk-Hymnen drauf, keine Frage.
    (siehe Rezension)

    Was mich allerdings an der Download-Version stört, ist der recht bescheidene Sound. Da klang die letzte Veröffentlichung doch sauberer.