12. Juli 2011

"Digitale Musik ist die Zukunft"

Interview geführt von

Mit einer innovativen Marketing-Strategie haben die Kaiser Chiefs im Vorfeld der Veröffentlichung ihres aktuellen Albums "The Future Is Medieval" für Furore gesorgt. Der "Create-Your-Own-Album-Prozess" ist in aller Munde und sorgt für kontroverse Debatten an den Musik-Stammtischen.Grund genug, den Briten auf den Zahn zu fühlen. Keyboarder Nick "Peanut" Baines nimmt sich am Telefon Zeit für uns und gewährt uns einen Blick hinter die Chiefs-Kulissen. Mit erhobenem Zeigefinger geht es um die Freuden und Vorteile der digitalen Revolution und die Wertschätzung der Vergangenheit. Klingt widersprüchlich? Ist es aber nicht. Zumindest nicht in der Welt der Kaiser Chiefs.

Nick, euer mittlerweile viertes Album ist vor einigen Tagen erschienen. Ihr seid eine Band, die schon mit reichlich Erfolg gesegnet ist. Nutzt sich die ganze Aufregung irgendwann ab, oder schwitzen die Hände immer noch, wenn ein neues Album in den Startlöchern steht?

Nick: Die Aufregung nimmt definitiv noch dieselben Ausmaße an wie zu Zeiten unseres Debüts. Es ist immer wieder aufs Neue spannend zu verfolgen, welche Dynamik so ein Prozess annimmt. Wenn die Leute über uns reden oder wir die CD in den Läden entdecken, ist das schon ein tolles Gefühl. Wir fühlen uns alle sehr wohl mit dem Ergebnis.

Euer letztes Album "Off With Their Heads" erschien im Jahr 2008. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Startest du für uns eine kleine Zeitreise und lässt uns teilhaben an der jüngsten Kaiser Chiefs-Vergangenheit?

Nick: Nun, nach der "Off With Their Heads-Tour" spielten wir noch auf dem Leeds- und dem Reading-Festival. Danach war es einfach an der Zeit eine Pause zu machen. Wir nahmen uns ein gutes Jahr lang eine Auszeit, um den Akku wieder aufzuladen und mit frischen Ideen und Eindrücken wieder an die Arbeit mit der Band zu gehen. Danach entwickelte sich die Vision rund ums neue Album.

"Wir waren alle total aufgeregt"

Eine Vision, die ziemlich intensiv und zeitaufwendig war, richtig?

Nick. Absolut. Eine große Herausforderung für alle Involvierten war zudem die Geheimhaltung des Projektes.

Das dürfte bei einer Band eurer Größenordnung nicht immer einfach gewesen sein, oder?

Nick: Ja, das stimmt. Aber ich denke, wir haben das insgesamt gut hinbekommen.

Da sind wir auch gleich beim Thema. Wie kam es zu der "Create-Your-Own-Album-Idee"?

Nick: Ricky hat das Ganze ins Rollen gebracht. Er hat einen Freund, der für eine Kreativ-Agentur arbeitet. Sein Name ist Oli. Ricky ist schon lange frustriert darüber, wie sich der ganze Musik-Zirkus entwickelt. Es gibt heutzutage so viele Hindernisse beim traditionellen Veröffentlichen einer CD. Digitale Musik ist auf dem Vormarsch, und wir hatten uns überlegt beim neuen Album anders an die Arbeit heranzugehen. Oli hatte irgendwann die Idee, dass man das Internet mehr einbeziehen müsste, und so schlug er vor, die Fans mit ins Boot zunehmen.

Wie ging es dann weiter?

Nick: Wir waren alle begeistert von der Idee. Wir machten uns dann an die Arbeit, schrieben Songs und hatten relativ schnell genug Material zusammen.

Wie lange haben die Aufnahmen gedauert?

Nick: Oh, nicht lange. Wir sind da immer ziemlich schnell bei der Hand. Das eigentliche Problem war die Umsetzung mit der Webseite. Das ganze Prozedere mit der Erstellung der Seite, das Einstellen der Songs, etc., hat letztlich fast 18 Monate gedauert.

Was war das für ein Gefühl, als die Seite endlich online ging?

Nick: Ich kann mich noch sehr gut erinnern. Wir waren alle total aufgeregt. Ich meine, das war schon eine ziemlich verrückte Sache. Plötzlich waren 20 Songs online, von jetzt auf gleich, und wir guckten uns an und sagten: So, bitteschön, hier habt ihr 20 neue Songs, bastelt euch euer eigenes Album.

Die öffentlichen Reaktionen sind bei aller Innovation jedoch geteilt. Nicht jedem gefällt euer Marketing-Schachzug. Ärgern dich die kritischen Stimmen?

Nick: Nein, nicht wirklich. Wir stehen voll und ganz hinter dem ganzen Prozess und bereuen gar nichts; ganz im Gegenteil. Digitale Musik ist die Zukunft, das ist ein Fakt, vor dem man sich heute nicht mehr verschließen kann. Uns war wichtig, herauszufinden, was im Internet-Zeitalter möglich ist; und das ist beileibe noch nicht das Ende der Fahnenstange. Wir haben nur einen winzigen Anstoß gegeben. Wir hatten im Vorfeld etliche Meetings und Diskussionen mit Leuten, in denen es darum ging, was mit dem digitalen Markt alles möglich ist. Letztlich haben wir uns entschieden zu handeln und nicht nur darüber zu reden. Da sind wir auch ein bisschen stolz drauf, keine Frage.

Mittlerweile gibt es etliche Fan-Versionen eures Albums. Verfolgt ihr die Entwicklung?

Nick: Ja, wenn es die Zeit zulässt. Es ist spannend zu beobachten, welche Konstellationen sich teilweise ergeben.

Gab es schon Varianten, die du persönlich nicht nachvollziehen konntest?

Nick: Nein, nicht wirklich. Unserer Meinung nach haben letztlich alle 20 Songs ihre Daseinsberechtigung auf einem Kaiser Chiefs-Album. Insofern war es eher für uns schwer, für die offizielle Version sieben Songs auszusortieren. Das wirklich Spannende daran ist doch einfach, dass die Leute sich völlig verschiedene Stimmungen zusammenbasteln können, und doch hört jedes Album auf den Namen "The Future Is Medieval". Ich bin wirklich mit jeder Konstellation einverstanden, denn jeder Song hätte es verdient, auf dem Album zu landen.

"Zwischendurch ist viel passiert"

So originell wie die Herangehensweise an die Art der Veröffentlichung, stellt sich meiner Meinung nach auch der musikalische Inhalt dar. Ihr habt wieder ziemlich viel experimentiert und verändert im Vergleich zum Vorgänger "Off With Their Heads". Stimmst du mir zu?

Nick: Ja, absolut. Wobei ich persönlich denke, dass wir diesmal sogar noch einen Schritt weitergegangen sind. Der ganze Veröffentlichungs-Prozess hat uns regelrecht befreit von künstlerischen Zwängen. Es sind ganz verschiedene Stimmungen auf dem Album enthalten. Das war uns wichtig. Ich glaube, es gibt kein Kaiser Chiefs-Album, auf dem man so exakt die einzelnen Einflüsse eines jeden in der Band heraushören kann wie auf unserer neuen Scheibe. Songs wie "Heard It Break", "Man On Mars" oder "When All Is Quiet" sind total verschieden und Beleg dafür, wie viel Freiheit wir uns auf diesem Album genommen haben.

Ärgerst du dich über Leute, die immer noch nach Plagiaten von "Ruby" oder "I Predict A Riot" suchen?

Nick: Nein, überhaupt nicht. Es ist doch so: Wenn du dich als Band entwickelst, hast du immer Leute, die dir irgendwann nicht mehr folgen können oder auch wollen und sich beschweren, dass du nicht mehr genau die Songs schreibst, mit denen sie dich kennen- und lieben gelernt haben. Auf der anderen Seite gibt es genauso viele, die dir irgendwann Stagnation vorwerfen, wenn du dich permanent wiederholst. Du kannst es einfach nicht allen Recht machen. Wir lieben es immer noch, die alten Songs live zu spielen; auch weil wir wissen, dass viele diese Lieder hören wollen, aber wir entwickeln uns auch weiter. Besagte Songs wurden vor sieben oder acht Jahren geschrieben. Zwischendurch ist viel passiert.

Wollt ihr die Welt mit dem Album-Titel warnen?

Nick: Oh, nicht direkt, eher vielleicht auf etwas hinweisen. Die Zeile stammt aus einem Gedicht, das Rick irgendwann herauskramte, und wir dachten, das wäre auch hinsichtlich unserer Veröffentlichungs-Herangehensweise der perfekte Titel für das Album. Es geht um Rückbesinnung. Bei aller Freude über die Möglichkeiten, die uns das digitale Zeitalter gibt, sollte man die Vergangenheit und den Ursprung vieler Dinge nicht aus den Augen verlieren.

Geht es etwas konkreter?

Nick: Nun, je mehr Möglichkeiten sich der Gesellschaft bieten, um so habgieriger und maßloser wird der Mensch. Das steckt in seiner Natur. Da hilft es, sich ab und zu vor Augen zu führen, wie es früher war. Letztlich geht es um den Einklang von Visionen und Wurzeln.

Wir müssen leider langsam zum Ende kommen. Die nächsten Monate seit ihr fast durchgehend auf Tour. Freut ihr euch darauf, etwas Abstand von der Album-Veröffentlichung zu bekommen?

Nick: Freuen wäre wohl nicht die richtige Umschreibung. Die Webseite läuft ja weiter, und auch wenn es ganz schön fokussiert gerade zugeht und bisweilen auch etwas stressig ist, ist es dennoch total spannend, die Entwicklung rund um den Album-Prozess zu verfolgen und darüber zu reden. Nichtsdestotrotz genießen wir aber auch jede Sekunde auf der Bühne, ganz klar.

Vielen Dank für das Gespräch.

Nick: Kein Problem, gerne. Ich habe zu danken.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Kaiser Chiefs

"Everyday I love you less and less / It's good to see that you've become obsessed / I got to get this message to the press / That Everyday I love you …

Noch keine Kommentare