14. September 2018

"London ist kaputt"

Interview geführt von

Mit dem Song "Busy Earnin" (18 Mio. Views) ging es für Jungle 2014 durch die Decke. Wie es sich dort so anfühlt, erfahrt ihr hier.

Vier Jahre ließen sich Jungle für ihr neues Album "For Ever" Zeit. Eher unüblich, zumal "Jungle" mit "Busy Earnin" auch noch einen Smash-Hit beinhaltete, der den Ruf der Band großflächig verbreitete. Vier Jahre, in denen die beiden Köpfe der Band, Tom McFarland und Josh Lloyd-Watson, nach eigener Aussage "den Zyklus der Liebe" durchlebten. Was die Staaten damit zu tun haben und wie sie generell zu Interviewterminen stehen, erzählen uns Tom und Josh im Video-Interview. Freunde des geschriebenen Wortes kommen natürlich ebenfalls nicht zu kurz.

Euer neues Album hat viele amerikanische Themen, z.B. die Songtitel "Heavy California" oder "House In LA". Wie kam es dazu?

Josh: Ich glaube es sind weniger Themen als Metaphern. Sie stehen für unsere Reise und die Erlebnisse, die wir hatten. Tom ging zum Beispiel nach L.A. und verliebte sich dort.

Tom: Ich denke der Ort hat uns gewählt. Es hätte überall sein können, aber diese Person war eben in dieser Stadt. Dadurch ergab sich der Kontext.

Aber ihr wohnt immer noch in England?

Josh: Wir ziehen ein wenig herum. Aber unsere Basis ist auf jeden Fall in London. Es ist auch schwierig in den Staaten zu leben, außer man bekommt eine Greencard. Aber gerade ist es überall auf der Welt schwierig zu leben. Es geht wohl darum, in welche Gesellschaft man am besten passt.

Und ihr passt am besten nach London?

Tom: London ist kaputt und war es schon immer. Besonders zu diesen Zeiten sind England und die UK sehr hart, der Brexit und so weiter. Wir wollen die EU nicht verlassen. Jungle glaubt nicht an Grenzen.

Josh: Wir sollten mehr zusammen kommen anstatt noch weiter auseinander zu gehen.

Könnt ihr kurz zusammenfassen, was nach eurem Debütalbum vor vier Jahren passiert ist?

Tom: Wir haben Ende 2016 aufgehört zu touren, nach zwei sehr intensiven Jahren. Wir sind extrem glücklich, dass wir die Möglichkeit hatten, um die Welt zu kommen und so viele Shows vor tollen Menschen zu spielen. 2016 traf ich dann ein Mädchen in L.A. und zog eine Weile dahin. Tom blieb noch etwas in England. Wir haben über unsere Erfahrungen in dieser Zeit geschrieben. Diese Platte ist ein super biographisches Album. Es kommt von einem viel tieferen Ort als das erste. Das Debüt wurde in einem Schlafzimmer geschrieben, Josh spielte GTA. Wir haben uns immer vorgestellt, wie es wäre, an all diesen Orten zu sein. Und jetzt ist es real.

Was ist der größte Unterschied, real an dem Ort zu sein und es sich nur vorzustellen?

Tom: Deine Imagination gibt dir nur einen bestimmten Blickwinkel. Du kannst nur ein Bild oder eine Sache sehen. Wenn du aber wirklich an diesen Ort gehst, sind all deine Sinne involviert. Du nimmst das Physische wahr, den Geruch, deine Interaktion damit. Du kannst auch zu einem Bild eine emotionale Reaktion haben. Aber es ist eine viel stärkere Empfindung wenn du vor Ort bist.

Hattet ihr auch Erwartungen, die enttäuscht wurden?

Josh: Es gibt eine sehr romantisierte Idee davon, wie Kalifornien ist. Gerade bei Europäern und Engländern, durch all die Filme und die Musik darüber. Dadurch hat man auch eher hohe Erwartungen, wenn man da ist. Aber so ist es mit allem: Wenn du Erwartungen hast, wirst du enttäuscht werden. Denn du hast ja bereits eine Entscheidung in deinem Kopf getroffen, wie es sein wird. Wenn wir eines in den letzten Jahren gelernt haben dann, jede Situation ohne Erwartungen anzugehen. Vor allem, was die Musik betrifft. Du kannst nicht davon ausgehen, berühmt zu werden. Du kannst nicht erwarten, dass Leute deine Musik mögen und du gute Kritiken bekommst. Wenn du davon ausgehst wirst du nur in Panik und Schmerz leben.

Ist euch das widerfahren?

Josh: Es war nicht unbedingt Panik. Aber das Schwierigste am neuen Album war, einen Weg zu finden, wie wir uns emotional so ausdrücken können, dass andere Menschen sich damit verbunden fühlen, aber wir dennoch die Geschichte erzählen können, die wir erzählen wollen.

"Beim Debüt ging es darum aufzufallen"

Wie gestaltete sich der Prozess des Songwritings?

Tom: Jedesmal, wenn man eine neue Platte beginnt, muss man die Barrieren einreißen, wie man ein Album macht. Wir brauchten etwas reales und ehrliches, über das wir schreiben konnten. Eine Zeit lang haben wir einfach nur darauf gewartet, dass diese Ereignisse eintreffen. Es war wie einen Drachen zu fangen. Du musst jeden Tag da sitzen und warten, bis der Drache rauskommt. Meistens tut er es nicht, aber wenn er es tut, musst du bereit sein. Der Drache steht jetzt metaphorisch für den Song.

Josh: Oder der Fisch. Wenn du einen Fisch fängst, ist es genauso.

Tom: Für uns geht es auf dem Album vor allem um den Zyklus der Liebe. Im Grunde ist es viel Kummer und Schmerz. Und das macht es so besonders. Es ist ehrlich. Es ist nicht: Hier sind ein paar Songs, können wir das verkaufen.

Gab es auf dem letzten Album keinen Herzschmerz?

Josh: Nein, wir waren ziemlich glücklich.

Tom: Beim Debüt ging es eher darum, aus unserem Käfig zu kommen und anzukündigen, was Jungle ist. Wir mussten die Aufmerksamkeit der Leute kriegen und das ist schwierig in diesem Zeitalter der Massenware. Denn es gibt einfach zu viel. Auf dem ersten Album ging es also darum aufzufallen, auf diesem hier konnten wir tiefer gehen.

Auf der Bühne tretet ihr mit sieben Leuten auf. Waren die auch am Songwriting beteiligt?

Tom: Man kann nicht mit mehr als zwei Leuten Songs schreiben.

Josh: Es ist schon schwierig genug die Emotionen von zwei Leuten in einen Song zu bekommen. Wenn du zu siebt bist ist es einfach verrückt. Die anderen Mitglieder spielen auf jeden Fall eine große Rolle, wenn wir live spielen. Aber die zentrale Idee, der Kern der Musik kommt von uns.

Warum habt ihr mit "Happy Man" und "House in LA" gleich zwei Singles auf einmal veröffentlicht?

Tom: Unser zweites Album klingt recht divers. Es umspannt so viele Genres und Sounds. Für uns war es wichtig, beide Pole dieser Erfahrungen abzubilden. Der Anfang des Albums ist sehr fröhlich, du wirst hineingezogen von der Energie. Die zweite Seite, die mit "House in LA" beginnt, ist nachdenklicher.

Josh: Es ist wie die emotionale Analyse dessen, was in der ersten Albumhälfte passiert ist.

Tom: Uns war es wichtig, den Leuten beides zu geben. Nicht nur "Happy Man, happy man, happy man".

"Möchtest du berühmt sein oder Musik machen?"

Aber "Happy Man" ist ja nicht unbedingt ein fröhlicher Song.

Josh: Ja, es ist komisch, wenn mir Leute sagen, "House in LA" und "Happy Man" seien zwei der fröhlichsten Songs, die wir je komponiert haben. Dann denke ich: Was habt ihr euch angehört? Ihr müsst zwischen den Zeilen lesen. Da ist immer eine zweite Ebene, da ist immer mehr Tiefe. Da sind emotionale Schichten in jedem Song.

Tom: In dem Song geht es um die Suche nach dem Glück. Uns wird so viel Zeug verkauft. Wir sollen schön sein und viele Followers auf Instagram haben, um im Leben anerkannt zu werden. Der Song ist eine Erinnerung daran, dass es nicht das ist, was du suchst. Es ist Liebe. Love is all you need.

Beim ersten Album wurdet ihr noch als mysteriös beschrieben, weil ihr kaum auf Social Media aktiv wart. Das hat sich mittlerweile geändert. Wie beschreibt ihr euch jetzt?

Josh: Wir selbst haben uns nicht als mysteriös beschrieben. Leute werden heutzutage panisch, wenn sie nichts über dich online finden. Wir wollten, dass unsere Musik und unsere Kunst das erste ist, was Leute erleben. Es gibt heute so viele Künstler, die Facebook und Instagram haben, bevor sie überhaupt Musik rausbringen. Da frage ich mich, wo ist der Fokus? Möchtest du berühmt sein oder möchtest du Musik machen?

Tom: Lange Zeit dachten wir, wir bringen einfach unsere Musik raus und der Rest geschieht von selbst. Aber sobald man Fans hat, muss man auch etwas zurück geben. Jetzt müssen wir mit ihnen interagieren und das ist das Wichtigste für uns jetzt.

Dazu gehört ja auch, Interviews zu geben. Wie steht ihr dazu?

Tom: Auf der einen Seite steht die Musik und die Kunst. Auf der anderen Seite Business und der Kommerz. Interviews und all das ist ein Teil davon, Musik zu verkaufen. Es ist schwierig, wenn beide Welten zusammentreffen. Denn an irgendeinem Punkt musst du Geld aus deiner Musik machen, um weiter Musik machen zu können. Sonst könnten wir auch weiter Pizza ausliefern oder was auch immer wir vorher gemacht haben. Du musst den Leuten etwas geben, um etwas zurück erwarten zu können.

Josh: Über meine Kunst zu reden ist schwierig, denn alles was ich sagen will ist schon in meiner Musik. Aber wie Bobby Womack schon sagte: Ein Album zu promoten ist fast genauso wichtig wie es zu machen.

Könnt ihr zum Abschluss noch etwas zur Aufnahme des Albums erzählen?

Tom: Es war, als hätten wir es nochmal neu lernen müssen. Wir hätten auch die gleichen Sachen wie auf dem ersten Album machen können. Aber da war dieses Element, alles an angesammeltem Vorwissen zu überdenken. So kamen wir an einen Punkt, wo wir keine Ahnung mehr hatten, was wir tun. Und dadurch macht man Fehler und dadurch kommt man auf neue Ideen. Es geht darum, Emotionen hineinzulegen. Wir wissen nicht immer, was wir suchen, aber wenn wir es sehen, dann wissen wir es. Es ist wie ein Funke, du musst vorsichtig damit umgehen.

Josh: Es ist wie wenn du beim Feuermachen. Wenn du zu früh zu viel Holz drauf legst geht es aus.

Tom: Du kannst dich entweder zu sehr aufregen oder zu wenig. Es ist wie mit der Liebe. Wenn du jemanden siehst und das Gefühl hast, da gibt es eine Verbindung. So ist es auch mit dem Songwriting. Wenn du es weißt, weißt du es einfach.

Josh: If you know, you know.

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