24. April 2023

Der Endkampf zwischen Gut und Böse

Interview geführt von

Auf dem neuen Jethro-Tull-Album "RökFlöte" widmet sich Ian Anderson der nordischen Mythologie — und nimmt diese als Ausgangspunkt für Verweise auf die Jetztzeit.

Gleich zu Beginn unseres Gesprächs verkündet der bekannteste Querflötist der Rockmusik gleich die nächste frohe Botschaft: Jethro Tull werden 2024 bereits das nächste Album veröffentlichten. Noch gilt es aber, über das brandneue Werk "RökFlöte" zu sprechen, auf dem sich Anderson einmal mehr auch als sehr ambitionierter Texter zeigt.

Mr. Anderson, letztes Jahr unterhielten wir beide uns noch über "The Zealot Gene", jetzt haben Sie bereits das nächste Jethro-Tull-Album in den Startlöchern. Wie kam es so schnell dazu?

Wie schon seit einigen Jahren, habe ich am ersten Januar um neun Uhr morgens ein neues Projekt begonnen. Das habe ich bei "Thick As A Brick 2" gemacht, bei "Homo Erraticus" und bei "The Zealot Gene". Und übrigens für das nächste Album auch bereits! Eigentlich dachte ich ja, ich mache dieses Jahr nichts und bleibe einfach mal im Bett. Aber dann bin ich doch aufgestanden. An diesem ersten Januartag hatte ich eine Idee, die mir relevant erschien und es hat Klick gemacht. Ich habe ein paar Tage damit verbracht, die Grundzüge des Albums zu skizzieren. Die Details, das, um was in den Stücken gehen soll. Ich schrieb ein paar Strophen, aber dann kam mir etwas anderes dazwischen und ich kam erstmal nicht viel weiter. Aber wir haben mit der Plattenfirma schon ausgemacht, dass es 2024 erscheinen wird.

Das geht ja wirklich Schlag auf Schlag bei Jethro Tull.

Ja, das tut es. Das bringt uns in die 1970er-Jahre zurück — eine Zeit, in der Jethro Tull jedes Jahr ein neues Album veröffentlicht haben. Wie auch immer wir das damals geschafft haben. Wir waren ja echt durchgehend auf Tour und ständig unter Druck. Heutzutage ist das deutlich einfacher. Wir können uns aussuchen, an welchen Tagen wir etwas machen wollen. Das nächste Album ist aber von seiner Natur her ganz anders als die letzten, also dürfte auch der weitere Aufnahmeprozess anders werden. Später in diesem Jahr geht es weiter. Wissen Sie, in meinem Alter muss man einfach weiterarbeiten. Ich habe glücklicherweise noch meinen Job. In anderen Berufen bekommt man mit 60 oder 65 gesagt, dass man nicht mehr gebraucht wird und seinen Schreibtisch räumen soll. Wenn ich ein British-Airways-Pilot wäre — etwa der, der mich heute nach diesem Interviewtag nach Hause fliegen wird — wäre mit 65 Schluss, ob ich will oder nicht.

Wie sah denn der Arbeitsprozess aus?

Etwa so wie bei der letzten Platte. Ich erarbeitete Demos, damit meine Bandkollegen wissen, womit sie es zu tun haben. Sie kannten die Form der Songs, die Lyrics und bekamen Notizen von mir, mit denen wir die finale Version des jeweiligen Stückes erarbeiteten. Dann gab es eine Woche Probe und sechs Tage Aufnahme im Studio. Das war ziemlich produktiv. Aber es passierte nicht alles am Stück: Wir probten zwei Tage, nahmen zwei Tage auf — dann gab's ein paar Wochen Pause, ehe es weiterging. Es war sehr effizient und wir arbeiteten auf eine Deadline hin.

"Wladimir Wladimirowitsch betritt den Raum"

Sie setzten sich sehr klare Vorgaben, was die Metrik und Reimform angeht.

Am Anfang jedes Songs standen ein paar kleine Flötenmotive. Kleinere Teile, jeder Song enthielt zu Beginn etwa zwei, drei solcher Motive. Ich begann mit den Texten und mir war von Anfang an klar, in welchem Versmaß die Lieder sein sollen. Ich wollte mit jeweils drei Strophen historischer, nordischer Mythologie beginnen. Sie sollten die Persönlichkeiten und Rollen der nordischen Götter beschreiben. Die jeweils letzten beiden Strophen nahmen sich dann die Freiheit heraus, eine zeitgemäßere Version dieser Charaktere zu beschreiben. Sie sollten sie nicht als Götter darstellen, sondern als zeitgenössische Menschen. In "Hammer on Hammer" geht es etwa zunächst um Gott Thor, aber bei den letzten beiden Strophen — ohne seinen Namen zu nennen — ist es klar, um wen es geht: Wladimir Wladimirowitsch betritt den Raum. Als ein zäher Typ, eine Kriegspersönlichkeit, die aggressiv die Kontrolle an sich reißen möchte. Der Unterschied zwischen ihm und Thor ist aber, dass Thor in der nordischen Mythologie potenziell doch auf der Seite der guten Jungs stand — in Ragnarök — dem finalen Showdown, dem Endkampf zwischen Gut und Böse. Herr Putin steht aber leider auf der anderen Seite, auf der falschen Seite im Kampf zwischen Gut und Böse. Vor einigen Jahren hoffte ich, dass er jemand ist, der vor seinem Tod noch realisieren wird, dass er sich ändern sollte. Aber stattdessen grub er sich sein eigenes Loch — und beerdigte damit die Möglichkeit, dass man sich an ihn jemals als etwas anderes erinnern wird, als an einen unglaublich schlechten Menschen.

Was faszinierte sie an der Poetischen Edda?

Eigentlich nichts — außer, dass sie ein Übergangsdokument ist. Ein Dokument, das die letzten Tage der nordischen Mythologie und der heidnischen Religion vor dem Übergang zum Christentum beschreibt. Nordischen Paganismus gab es bis ins Jahr 800 oder 900, bis die nordischen Invasoren nach Britannien kamen, die Klöster überfielen, die Menschen töteten und alle religiösen Artefakte stahlen. Es war klar, dass das Christentum sehr bald vollständig die Oberhand gewinnen würde. Es ist also ein wichtiger Moment, denn es ist der Wendepunkt zwischen den alten Göttern und dem neuen monotheistischen Glauben an den christlichen Gott, den wir zu kennen glauben. Was die Natur der Götter angeht, ist das sehr interessant — weil sie alle Parallelen zu früheren Versionen aus der griechischen und römischen Mythologie aufweisen, in der es die gleichen Figuren gibt. Fruchtbarkeitsgötter, Kriegsgötter, Götter des Meeres, der Ozeane, der Tiefen und so weiter. Manchmal, besonders in den vom Hinduismus abgeleiteten Religionen gibt es Tiergötter, die auf diese Weise die prähistorischen Perioden des mittleren Paläolithikums nachbilden — als die Nomadenstämme begannen, Höhlenmalereien anzufertigen und Tiere zu zeigen, die scheinbar in einen göttlichen Status erhoben wurden.

Historisch gesehen scheint uns als Spezies die Vorstellung zu gefallen, dass dieser geheimnisvolle Schöpfer keine physische Gestalt hat; dass wir nicht wissen, wie er aussieht. Es ist also einfacher, sich mit etwas zu identifizieren, das ein Gesicht hat, entweder in menschlicher oder in tierischer Form, und das deshalb in der Kunst, in der Bildhauerei dargestellt wird. Das geht dann natürlich weiter, vor allem mit dem Katholizismus, wo Gott und Jesus als sehr reale menschliche Gestalten dargestellt werden. Deshalb kann ich mich leichter mit dem Islam identifizieren — weil man hier das Gesicht Gottes nicht kennt und zeigen darf. Im Judentum gilt dasselbe — es gibt keine Gemälde, keine Skulpturen, die irgendeine Vorstellung von Gott zeigen. Ich selbst sehe mich übrigens als einen Unterstützer des Christentums. Wenn ich über Religion spreche, dann meist eher im Zusammenhang mit dem Christentum. Aber seit meiner Teenagerzeit interessiere ich mich für Religionen anderer Zeiten und anderer Orte. Und ich glaube, ich begegne ihnen allen mit einem gewissen Respekt und einem gewissen Maß an Höflichkeit.

"Ich werde mich nicht als Heide eintragen lassen"

Hier kommt dann wieder die nordische Mythologie ins Spiel.

Die nordische Mythologie ist wie ein sündhaft teures Filmset. Alles ist groß, dramatisch, farbenfroh, es gibt viele Figuren. Sie ist aber auch ein bisschen albern. Aber das hat mich nicht davon abgehalten, sie zu umarmen und zu ihr sagen: "Verbringen wir etwas Zeit miteinander, schauen wir, was wir miteinander machen können." Wissen Sie, ich werde mich wohl nicht offiziell als Heide eintragen lassen. Aber das Heidentum im weitesten Sinne ist etwas, das meiner Meinung nach von uns allen ein wenig Aufmerksamkeit verdient, um unseren Glauben an die übernatürliche Welt und an das Religiöse ein wenig besser zu verstehen.

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