laut.de-Kritik

Summer Of Love, Powerpop und sexuelle Befreiung.

Review von

"One pill makes your larger and one pill makes you small." "Surrealistic Pillow" ist einer dieser seltenen Wegweiser, der musikhistorisch ebenso bedeutend ist, wie als Symbol einer ganzen Bewegung. Keine Platte verkörpert so sehr den Soundtrack zum Summer Of Love und zur Gegenkultur der 60er Jahre. Dope, Love-Ins und politischen Protest schicken Jefferson Airplane von San Francisco aus um die Welt. Nebenbei legen sie hiermit den Grundstein für Psychedelic Rock und Powerpop.

Die komplette Scheibe macht Jefferson (neben den befreundeten Grateful Dead) zur Haus- und Hofband der hippiesken Haight-Ashbury-Szene. Bindeglied zwischen Band und Bewegung ist vor allem eine Person: Frontfrau Grace Slick. Das highe "Hashbury" und Szenegänger Hunter S. Thompson ("Fear And Loathing In Las Vegas", Rolling Stone Magazine) liegen ihr bereits zu Füßen. Von hier ab benötigt Slick lediglich zwei Songs, die sie musikalisch und kulturell für alle Zeiten unsterblich werden lässt: "White Rabbit" und "Somebody To Love".

"Don't you want somebody to love?" So offensiv wie der Song ist auch die Sängerin. Mit treibendem Vorwärtsdrang ist das Lied seiner Zeit ebenso weit voraus wie Slick. Künstlerisch nimmt es den Powerpop vorweg und strahlt auch nach einem halben Jahrhundert noch Frische, Dynamik und Energie aus. Gleichzeitig mutiert es binnen kurzer Zeit zur Hymne der sexuellen Befreiung.

Slick selbst etabliert sich mit diesem Album als erste Alphafrau im Rockbiz und mutige Vorreiterin der Gleichberechtigung. Vollkommen selbstverständlich setzt sie bei Auftritten ihre Sexyness und Cleverness ein. "Es geht immer um die Verteidigung von Liebe und Freiheit!" Trotz ihres femininen Äußeren begibt sich das Ex-Model wie selbstverständlich in die vorgelebte Rolle der männlichen Kollegen. Sie säuft wie ein Loch, erscheint barbusig on stage, zeigt als erster weiblicher Star bei einem Fotoshooting den Stinkefinger, wettert schlagfertig gegen bigotten Puritanismus und agiert selbstbewusst politisch.

Gegen den allgegenwärtigen Rassismus protestierend, singt Slick öffentlich mit schwarz bemaltem Gesicht. "Mit Bildung erreicht man das Universum, mit Musik alle Menschen. Dazwischen musst du selbst unaufhaltsam stehen!" Als Krönung dieser Maxime unternimmt sie einen legendären Versuch, als sie Präsident Richard Nixon LSD in den Nachmittaagstee schütten will, vom Sicherheitspersonal jedoch in letzter Sekunde gehindert und vor die Türe gesetzt wird.

Doch nicht alles in ihrem Leben verläuft so unterhaltend. Ihr Faible für hochtourige Sportwagen und hochprozentige Drinks führt zwischendurch dazu, dass sie die eigene Edelkarosse gegen die Wand fährt. "Mein Auto fährt sehr schnell, aber es rast gegen Mauern." Mehr Rockstar geht kaum.

"And you've just had some kind of mushroom / and your mind is moving low." Als Kontrast zum zupackenden Naturell der Chanteuse verkörpert ausgerechnet das entrückte "White Rabbit" Jefferson Airplanes zweites essentielles Aushängeschild. Das Stück mausert sich – zwischen Roky Ericksons 13th Floor Elevators oder Creams "Disraeli Gears" - zum Eckpfeiler des aufkeimenden Psychedelic Movement. Der Bekanntheitsgrad dieses weißen Kaninchens ist enorm: Es ist quasi das Klang gewordene Synonym für die Begriffe 60er, Drogen-Boheme und Hippies.

Aus Sicht der männlichen Mitglieder, allen voran Giitarrist und Sänger Marty Balin, bedeutet Slicks Charisma simultan Fluch und Segen. Jeder Hörer assoziiert mit Jefferson Airplane sofort und vor allem die graziöse Dame. All der Erfolg von "Surrealistic Pillow" scheint ab 1967 ausschließlich von ihr auszugehen. Dieser als ungerecht empfundene Umstand führt intern zu beträchtlichem Unmut und schmalgeistigen Eifersüchteleien.

Künstlerisch betrachtet hat die Platte indes durchaus noch einiges mehr zu bieten als die genannten Hits. Das Duett "She Has Funny Cars" mit Slick und Balin am Mikro ist ein herrlich scheppernder Bringer. Die von Balin gesungene Ballade "Today" gewinnt besonders durch die prägnante Leadgitarre des Gaststars Jerry Garcia (Grateful Dead). Und das Singer/Songwriter-Glanzstück "Comin’ Back To Me" entführt den Hörer augenblicklich in eine romantische Lavalampenhöhle voller Räucherstäbchen-Duft. Weiterhören mit Slicks hervorragender Solo-LP "Manhole" und Jefferson Airplanes "Long John Silver".

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. She Has Funny Cars
  2. 2. Somebody To Love
  3. 3. My Best Friend
  4. 4. Today
  5. 5. Comin
  6. 6. 3/5 Of A Mile In 10 Seconds
  7. 7. D.C.B.A.–25
  8. 8. How Do You Feel
  9. 9. Embryonic Journey
  10. 10. White Rabbit
  11. 11. Plastic Fantastic Lover

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