laut.de-Kritik

Zwischen Mafia und Melancholie.

Review von

Die Rap-Welt reagierte geschockt, als Gucci Mane beim "Verzus"-Battle seinem ehemaligen Erzfeind Jeezy jenen berüchtigten Vers von "Truth" ins Gesicht spuckte, in dem er frohlockt, wie er Pookie Loc, einen Freund von Jeezy in Notwehr erschießt. Alle hielten damals 2020 auf Insta-Live den Atem an, was würde Jeezy tun? Kann er dem Druck standhalten, nicht als vermeintlich starker Gangsta zurückfeuern und das Battle eskalieren?

Atlantas Finest hielt stand. Er, der 2015 zu Gott gefunden und als erfolgreicher Unternehmer und Immobilienbesitzer seine BMF-Gang und Drogenvergangenheit hinter sich gelassen hatte, reagierte gelassen und erwachsen.

Trotzdem, die Zeile des neuen Doppelalbums "I Might Forgive But I Don't Forget" wirkt wie eine Mahnung an Gucci und alle anderen, die sich - gefüllt mit toxischer Männlichkeit der eigenen Ghetto-Erfahrungen - über ihn lustig gemacht und als Weichei abgestempelt hatten. Doch Jeezy steht auch nach dem Ende seines Def Jam-Deals und dem ersten Album auf dem eigenen Label weiterhin über den Dingen, hat seine Emotionen im Griff und tackert das allen Hatern auch nach 20 Jahren am Mic gnadenlos auf die Stirn.

Dicke Streicher, tiefe Bässe und rollierende High Hats funktionieren gepaart mit seinem Ludacris-meets-Jadakiss-Flow noch im Altenheim beim Eierlikör, auch wenn sein 22er DJ-Drama-Tape "Snowfall" diesem Sound durch Cuts und Backspins noch eine brutalere, dreckigere Note verleiht. Auf der ersten Hälfte "I Might Forgive" markiert er über solch düstere Trap-Beats den abgebrühten OG. Sein Name hat weiter Gewicht im Game ("My Name") und gejammert wird auch nicht ("No Complaining"). Letzteres über einen schweren Beat mit 70er-Filmmusik unterlegt. Jeezy sendet Tipps an die Jugend ("Trust No One") und gibt Beziehungstipps für Alpha-Männer ("Don't Cheat").

Im ersten Teil der Scheibe killt nicht jeder Track, ein paar Bricks sind dabei ("Sad", "Couldn't Lose If I Tried"), doch der selbsternannte Snowman sucht im gesetzten Alter zu Recht seinen Platz an der Tafel der Großen. In "They Don't Love Me" stellt er klar: "If André 3000, call me six stacks / I'm an outcast, guess I'm an outlaw". Atlanta dominiert das Rapgame nun seit mehr als einem Jahrzehnt. Die hungrigen Helden aus den Anfangstagen werden zu Legenden, stehen auf einer Stufe mit Nas, Wu, Snoop oder Pac und teilen ihre Erfahrungen, um die wilden Jünglinge vor den gleichen Fehlern zu bewahren. Niemand ist für diese Bandbreite zwischen Mafia und Melancholie prädestinierter als Jeezy, niemand hat dieses GOAT-Standing aus Atlanta mehr verdient als er.

Zeigt er auf der ersten Hälfte "I Might Forgive But I Don't Forget" noch die harte Seite, so reflektiert er auf der zweiten offen über sein Leben, die Liebe und Familie - kongenial unterlegt von seinen langjährigen Gefährten der J.U.S.T.I.C.E. League, die ihm top-produzierte, soulige Beats mit weiten Klangebenen unter die Geschichten schmieden.

Das tief in 80er-Sounds tauchende "Delusional" markiert direkt den Höhepunkt. Miami Vice-Vibes mashen perfekt mit Jeezys klarer Message: "Man, these niggas is delusional / It is what it is, it's the way it's gotta be / It went how it went but y'all hatin' on me". Jeezy adressiert erneut die Hater, die ihm seine Entwicklung vom Drogendealer über das Rapgame hinein ins legale Unternehmertum vorwerfen.

"What, you wanted me to go to jail, my nigga? / So we can go half on a cell, my nigga?", fragt er zu Recht. Es folgen mit "Since Pac Died", "Sade" und zu guter Letzt "No Choice" weitere Banger: "Meanwhile your boy, New York Times best seller / Greatest story never told, yeah, I had to write a book about it / Told 'em that they snatched my man up, and I was shook about it / And yesterday, I was partyin' with the Vice President / Had a certified real nigga at her residence"

Jeezy hat es geschafft - und während Gucci Mane nach dem Verzus-Battle wütend und beschämt über sich selbst und das Droppen des alten Diss-Tracks im Auto sitzt, wohlwissend, dass er das Battle auch auf musikalischer Ebene verloren hat, baut Jeezy weiter seine Villen und Denkmäler. Denn er weiß: Er hat gewonnen.

Trackliste

  1. 1. I Might Forgive
  2. 2. My Name
  3. 3. No Complaining
  4. 4. They Don't Love Me
  5. 5. Trust No One
  6. 6. Sad
  7. 7. Couldn't Lose If I Tried
  8. 8. Rewrite History
  9. 9. Never Had A Bad Day In My Life
  10. 10. This Too Shall Pass
  11. 11. Don't Deserve Me
  12. 12. If I'm Being Honest
  13. 13. Don't Cheat
  14. 14. Shine On Me
  15. 15. Keep The Change
  16. 16. Delusional
  17. 17. Nothin to Prove
  18. 18. Titanic
  19. 19. Everything About Me Is True
  20. 20. Expectations
  21. 21. Claim to Fame
  22. 22. What I Gotta Do
  23. 23. My Intentions
  24. 24. Never Be a Fan
  25. 25. Sade
  26. 26. Don't Let Up
  27. 27. Since Pac Died
  28. 28. Free Champagne
  29. 29. No Choice

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2 Kommentare

  • Vor 5 Monaten

    Erst einmal Abzüge wegen 29 Tracks, weil wer zur Hölle hat Zeit und Lust, sich anderthalb Stunden Young Jeezy anzuhören? Was denken sich manche Künstler eigentlich, wenn die solch überfüllten Alben droppen? Ich habe noch nie in meinem Leben gedacht, dass bei solchen Projekten kein einziger Song verzichtbar wäre.

    Im Zeitraum von 2009-2014 wäre das wohl in meinen Augen ein Banger-Album mit Banger-Tracks gewesen und ja, Jeezy will das Rad nicht neu erfinden, er tut es definitiv nicht, aber als kleine nostalgische Erinnerung funktioniert es gut. Aber man merkt, er selber wahrscheinlich auch, dass die Zeit von dem Rap- und Beat-Stil, den er bedient hat, wirklich um ist. Ich hätte eigentlich 2,5 Punkte vergeben, aber vom Gefühl ist abrunden die bessere Option.

  • Vor 5 Monaten

    Jeezy? War der werte Name nicht letztens noch Yedolf Yeetler?