laut.de-Kritik

Das perfekte Rap-Album aus dem Reagenzglas.

Review von

Obwohl JID bisher gerade einmal zwei Alben veröffentlichte, hat man das Gefühl, er schulde uns einen Klassiker, oder zumindest ein außergewöhnliches Konzeptalbum. Nahezu niemand seiner Generation kann dem 31-Jährigen handwerklich das Wasser reichen. Trotz der atemberaubenden Technik, die er auf seinen letzten Projekten zur Schau trug, fühlte es sich allerdings stets so an, als müsse dieser Kerl doch zu mehr fähig sein, als zu ordentlichen Tapes, die einem mit Highspeed-Flows und verschachtelten Binnenreimen den Kopf verdrehen. Ein konstanter lyrischer Überbau fehlte bislang ebenso sehr wie eine emotionale Verbindung, die stets inmitten seines Streber-Spittens nach Lehrbuch verloren ging.

"The Forever Story" will dieses Versprechen nun endlich einlösen. Es kommt nicht nur als Fortsetzung seines Debüts daher, es schnürt auch erstmals ein zumindest oberflächlich stringentes lyrisches Korsett, das uns in JIDs Stammbaum entführt und uns biographischen Ereignissen näherbringt, die den Rapper aus Atlanta nachweislich prägten. Hinzu kommt eine Gästeliste voller vielversprechender Namen und ein Cover, das förmlich danach schreit, in wenigen Jahren in einer Reihe mit "Good Kid M.a.a.d City" und "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" die Wände von Hip Hop-Liebhabern zu zieren.

Die Weichen für den großen Wurf stellte JID in akribischer Ruhe und Detailverliebtheit. Im Grunde konnte nichts mehr schief gehen. Doch bevor er überhaupt zum figurativen Slam Dunk ansetzen kann, gerät er erneut ins Straucheln. Noch deutlicher als "DiCaprio 2" leidet auch seine dritte LP an einer gewissen Plastizität. Es fehlt das Herz, die Emotionen, die Ecken und Kanten, die uns Künstler*innen überhaupt erst als Personen greifbar werden lassen. “The Forever Story” klingt wie der gelungene Versuch, ein perfektes Hip Hop-Album im Labor zu züchten.

Als Basis dienen Lil Wayne und Kendrick Lamar, angereichert wird das Ganze dann mit zeitgenössischen Versatzstücken aus Neo-Soul, Trap und Dirty South. Samples von Quincy Jones oder Aretha Franklin dürfen natürlich auch nicht fehlen. Objektiv betrachtet, gibt es an dem Endprodukt nahezu nichts zu beanstanden. Es sieht aus wie ein gutes Album, es klingt größtenteils wie ein gutes Album, es riecht sogar wie ein gutes Album. Doch am Ende der 60 Minuten fällt es schwer, sich auch nur einen einzigen Moment in Erinnerung zu rufen.

Ein Grund dafür findet sich in der Überfrachtung der LP. JID stopft jeden Song so voll mit verschiedenen Flows, Anmutungen und instrumentalen Überraschungsmomenten, dass sich das Hören zunehmend wie eine Pflicht anfühlt. "Crack Sandwich" etwa, oder das überlange "Can’t Make U Change" strapazieren ihre soliden Konzepte so weit über, bis die anfängliche Begeisterung in Verärgerung umschlägt. Es wirkt, als befinde sich das Album auf einer Hetzjagd von einer Idee zur nächsten. Diese klingen zwar alle ausproduziert und hochwertig, verlieren jedoch in dieser Intensität einen Großteil ihrer Reize.

Viele der Songs knacken nicht einmal die vier Minuten-Marke, fühlen sich allerdings an, als dauerten sie zehn. Selbst das als Single starke "Surround Sound" gerät im Album-Kontext erstaunlich zäh. Der Beat-Switch und damit einhergehende dritte Verse berauben den Song mehr seines Impacts, als dass sie ihn bereichern. Auf "Stars" fällt JID heißhungrig über den starken Beat der ersten Hälfte her und lässt Yasiin Bey lediglich die instrumentalen Überreste für die zweite Hälfte übrig. Das soll nicht heißen, dass die Songs als solches per se schlecht daherkommen, nur sorgen ernüchternde Momente wie diese in Kulmination über die Spanne des gesamten Albums dafür, dass es schwieriger wird, das eigene Interesse aufrechtzuerhalten.

Wieder und wieder kaschiert JID die erneut dünnen Inhalte mit musikalischen Zaubertricks, ohne diese mit der nötigen Gravitas zu versehen. Wenn der Beat plötzlich für einen Moment aussetzt oder schlagartig eine völlig neue Marschrichtung einschlägt, dann überrascht das im ersten Moment positiv. Doch mit dem Andauern dieser Momente merkt man, dass JID dies nicht tut, weil es die Songs oder ihre Themen fordern würden, oder weil es ihnen zugute kommt, sondern weil man das eben auf einem guten Hip Hop-Album heutzutage so macht.

Mit diesen Taschenspielertricks geht das lyrische Brachland einher, dass JID über 15 Tracks in Lichtgeschwindigkeit beackert. Der angekündigte introspektive Fokus mag da sein, doch die Geschichten seiner Jugend und Familie, die uns der Rapper aus Atlanta näher bringen will, bleiben in den meisten Fällen nur blasse, schwer greifbare erzählerische Silhouetten. "Crack Sandwich" verbildlicht die innige Beziehung zwischen JID und seinen Geschwistern anhand einer Schlägerei, an der sie gemeinsam beteiligt waren. Am Ende des Songs rinnt einem jedoch jede tiefergehende emotionale Bedeutung dieser Geschichte durch die Finger. Was bleibt, ist ein starker Beat, eine schwache Hook und jede Menge handwerklich hochwertiger lyrischer Fluff.

Auch die Gästeliste bleibt zu großen Teilen hinter den Erwartungen zurück. Gehören die Auftritte von Lil Wayne und 21 Savage noch zu den größten Highlights der LP, so tragen Gastbeiträge von Ari Lennox, Kenny Mason oder Johnta Austin eher noch dazu bei, dass Klangbild unnötig zu überladen. Selbst einem Routinier wie Yasiin Bey, gelingt es aufgrund des erwähnten ungünstigen Beat-Switches nicht, das Ruder wieder herumzurumreißen.

Im Gegensatz zu seinen Vorbildern, mangelt es JID an Qualitäten als Storyteller. Er schafft es einfach nicht, sein Handwerk seinen Inhalten unterzuordnen und verliert wieder und wieder den Fokus, verlässt die Handlung, die er uns näher bringen will, für einen cleveren Reim oder ein witziges Wortspiel, ohne den Kreis anschließend wieder zu schließen. Das führt dazu, dass man auch als Hörer*in immer wieder den Faden verliert und damit hadert eine emotionale Verbindung zu dem aufzubauen, was für JID ohne Frage eine tiefreichende persönliche Bedeutung hat.

In der Folge funktionieren gerade die Songs am besten, denen entweder ein lyrischer Fokus größtenteils abhanden kommt wie beim hypnotischen Banger "Dance Now", oder die ihren emotionalen Kern nicht zugunsten von protziger Technik opfern. Im Falle von "Sistanem" oder "Kody Blue 31" verfrachtet JID uns sogar in das Mindset, das er darauf mit stoischer Ruhe berappt, respektive besingt. Lyrisch schafft er es zwar erneut nur bedingt die holprige Beziehung zu seiner Schwester auf "Sistanem" greifbar zu bebildern, doch den Song durchzieht eine Müdigkeit und Melancholie, die uns der Thematik zumindest auf emotionaler Ebene nahe bringt. Die wunderschöne Hook, Tempowechsel, die mit verschiedenen Lebensabschnitten einhergehen, ein kurzer Gastauftritt von James Blake: Hier geht das Konzept eines verletzlichen Einblicks in das eigene Tagebuch auch musikalisch äußerst stilvoll auf.

Nach dem ebenfalls großartigen (weil reduzierten) "Better Days" befindet sich auch das schließende "Lauder Too" lange auf einem guten Weg, dieses Qualitätslevel aufrechtzuerhalten und das Album mit einem finalen Hurra abzuschließen. Das gehetzte, von James Blake und Thundercat produzierte Instrumental gehört zu den stärksten der gesamten Platte und JID gleitet mit der Grazilität und Geschwindigkeit eines Geparden über die nervös funkelnden Keys. Zuerst nimmt jedoch die Hook das Tempo raus, dann kippt der Song in der zweiten Hälfte wieder einmal in eine völlig entgegenwirkende Richtung. Das langgezogene Soul-Outro verleiht dem Song lediglich auf dem Papier Tiefe, ohne es hätte "The Forever Story" einen deutlich effektiveren Schlusspunkt gefunden.

All das soll nicht heißen, dass uns mit JIDs Zweitling ein schlechtes Album vorliegt. Der Mann hätte kaum auf höherem Niveau scheitern können. Es liefert jedoch möglicherweise den schwer verdaulichen Beweis, dass wir unsere Erwartungen an das rappende Wunderkind neu justieren müssen.

Vielleicht wird aus ihm kein zweiter Kendrick oder Wayne, vielleicht steckt ihn ihm doch nicht der Klassiker, den die Musikwelt von ihm einfordert, vielleicht ist das aber auch ganz gut so. Nach einem Album wie diesem klingt es gar nicht mehr so übel, sich allein von Highspeed-Flows und verschachtelten Binnenreimen den Kopf verdrehen zu lassen.

Trackliste

  1. 1. Galaxy
  2. 2. Raydar
  3. 3. Dance Now (feat. Kenny Mason)
  4. 4. Crack Sandwich
  5. 5. Can't Punk Me (feat. Earthgang)
  6. 6. Surround Sound (feat. 21 Savage & Baby Tate)
  7. 7. Kody Blue 31
  8. 8. Bruddanem (feat. Lil Durk)
  9. 9. Sistanem
  10. 10. Can't Make U Change (feat. Ari Lennox)
  11. 11. Stars (feat. Yasiin Bey)
  12. 12. Just In Time (feat. Lil Wayne & Kenny Mason)
  13. 13. Money
  14. 14. Better Days (feat. Johnta Austin)
  15. 15. Lauder Too (feat. Ravyn Lenae & Eryn Allen Kane)

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