24. März 2018

"Brody Dalle hat für Josh entschieden"

Interview geführt von

Ein Gespräch mit Fotograf Andreas Neumann über die Aufnahmen zum Iggy Pop-Album "Post Pop Depression" mit Josh Homme, QOTSA-Gitarrist Dean Fertita und Arctic Monkeys-Drummer Matt Helders.

Der aus München stammende Andreas Neumann arbeitet seit zehn Jahren in Los Angeles, davor lebte er zehn Jahre in London. 2015 reiste er als Fotograf auf Geheiß von Josh Homme in die Wüste nach Joshua Tree, wo Iggy Pops Album "Post Pop Depression" entstand. Die Zeit während dieser Aufnahmen hielt er in seinem gerade auf DVD erschienenen Film "American Valhalla" fest.

Neumanns Professionalität erkennt man schon an der Terminfindung fürs Interview: Unser Telefonat findet um acht Uhr morgens nach kalifornischer Zeit statt. Später weist er mich freundlich darauf hin, dass er mich im Falle einer Verbindungsstörung gleich wieder zurückrufen würde. Neumann fährt gerade den Laurel Canyon hinunter in Richtung Downtown, wo der nächste Job wartet, ein Shoot mit dem deutschen Schauspieler Torben Liebrecht. Das Gespräch findet auf deutsch statt, Neumann fällt aber hin und wieder ins Englische.

Hallo Herr Neumann, schön, dass Sie sich zu so früher Stunde schon die Zeit nehmen.

Ja ganz klar. Wir können ruhig du sagen. Ich bin jetzt schon so lange in L.A., ich habe vergessen wie man siezt.

Sehr schön. Deine gemeinsame Arbeit mit Josh Homme begann 2015 mit den Visuals zum Album "Post Pop Depression". Wie bist du an den Job gekommen?

Ich habe Josh Homme in Hollywood kennen gelernt und ab und zu sprachen wir schon darüber, einmal etwas zusammen zu machen. Bei einem Mittagessen erwähnte er irgendwann, dass vielleicht eine Kooperation mit Iggy zustande kommt. Danach hörte ich lange nichts, bis plötzlich mein Telefon klingelte und Josh fragt: 'Hey, willst du mit in die Wüste kommen, um uns zu fotografieren? Morgen?' Da habe ich sofort alles stehen und liegen gelassen und bin mit meinem Assistenten hingefahren. Gleich das erste Fotoshooting war dann die Basis für den Look der "Post Pop Depression"-Platte.

Der Look mit den Lederklamotten vom Albumcover stand also schon von Beginn an? Du hast da nichts zusätzlich arrangiert oder so?

Nein, das Covershoot hat dann erst später in Miami stattgefunden, wo wir die Interviews mit Iggy und den Bandmitgliedern gedreht haben. Was die Klamotten angeht, die Jungs haben immer ihre eigenen an, die sind authentisch, da braucht man nichts stylen. Der Iggy kommt mit seinem Rolls Royce Phantom Cabriolet an und zieht dann meistens auch schnell seine Jacke aus. (lacht).

Inwieweit war Iggy in den visuellen Entscheidungsprozess integriert, da du ja von Josh engagiert worden bist?

Iggy hat ihm da schon vertraut, darüber hinaus ist er ja auch ein großer Freund von Deutschland, nicht zuletzt aufgrund seiner Zeit in Berlin. Daher haben wir uns auf Anhieb gut verstanden. Schon beim ersten Shoot hat er mit mir deutsch gesprochen.

Die Aufnahmen waren ein sehr gut gehütetes Geheimnis. Gab es - ähnlich wie bei Bowies letzten zwei Alben - sowas wie Verschwiegenheitserklärungen für alle Beteiligten? Man kann sich so einen bürokratischen Akt bei einer Band wie QOTSA eigentlich nicht vorstellen, aber letztlich postet heute ja jeder irgendwelche Fotos.

Also es wurde nichts unterschrieben, es gab keine Verträge. Aber wenn man es in diesen Kreis rein schafft und die Ansage lautet: 'We don't talk about it', dann redet man auch nicht drüber. Es ist schon schwierig genug, überhaupt in diesen Kreis hineinzukommen. Man wird zwar sicher nicht gleich rausgeworfen, wenn man den Mund zu weit aufmacht, aber wenn einer wie Josh Homme so eine Ansage macht, hält man sich besser dran.

Ihr habt in Joshua Tree in "close units" beieinander gelebt, wie muss man sich das vorstellen?

Das Rancho De La Luna ist das Studio, in dem Josh schon die ersten Alben mit Kyuss und dann eben mit Queens Of The Stone Age produziert hat. Du musst dir das als Serie von kleinen Häuschen mitten in der Wüste vorstellen ...

Ja, ich war auch schon mal dort, stand allerdings natürlich nur davor.

Dann kennst du es ja: Direkt neben dem Studio-Häuschen haben wir alle gewohnt. An so einem Ort verabschiedet man sich für drei Wochen von seinem eigentlichen Leben, man fokussiert sich nur auf dieses Projekt. Wenn man so eng beieinander lebt und gemeinsam schreibt, kommt andere Musik heraus, als wenn du in Hollywood aufnimmst und jeden Abend nach Hause gehst. Dort gibt es keine Ablenkung.

Man kennt das ja auch von anderen Bands, die zum Beispiel nach Südfrankreich fahren: Die Musiker suchen sich gezielt ein neues Environment, um dort inspiriert zu werden. In diesem Fall hat Josh den Iggy in 'sein' Environment eingeladen und der hat sich dann voll committed und gesagt: Okay, ich werde jetzt drei Wochen nicht mit meiner Frau, sondern mit euch zusammen wohnen. Und mit seinen langen Unterhosen (lacht). Wir haben jeden Abend alle zusammen gegessen. Der Hutch, den du auch im Film siehst, hat für uns alle gekocht. Und danach ist der Iggy früh ins Bett und hat seinen Kindle gelesen.

Der Film begeistert durch seine Nähe zu den Protagonisten. Man wird förmlich mit hineingezogen ins enge Verhältnis der Bandmitglieder. Einziges Manko ist, dass der Film nach 80 Minuten schon vorbei ist.

Danke, das ist sehr nett. Es freut mich, weil es ein Dokument wie die Platte ist. Diese Leute werden nie wieder zusammen arbeiten, vielleicht ist es Iggys letztes Album überhaupt. Es war wichtig, dass man das dokumentiert. Obwohl es keinen konkreten Plan für eine Documentary gab. Josh sagt es an einer Stelle ganz schön: Moving at the speed of opportunity. Man lässt sich einfach von einer Situation in die nächste fallen. Das spürt man, weil der Film sehr nah heran kommt.

"Da lässt Iggy alles raus"

Eine Szene am Frühstückstisch ist jedoch nicht dabei, etwa wenn Iggy seinen Jüngern Anekdoten von früher erzählt, was ja sicher stattgefunden hat. Hätte eine Nähe dieser Art den Bogen überspannt?

Nein. Wir haben zwar beim Essen gefilmt, aber ich habe da mehr Fotos gemacht, die demnächst in Buchform veröffentlicht werden. Das wird so ein dickes Coffeetable-Buch mit sehr vielen Bildern, zum Beispiel auch von dem Fedex-Paket, das Iggy Josh geschickt hat.

Josh, Dean Fertita und Matt Helders lesen im Film alle aus Tagebucheinträgen vor - führten das alle freiwillig oder war das eine filmische Anweisung?

Nein, das war Joshs Idee. Und Josh ist als Typ ja durchaus auch mal autoritär, oder anders gesagt: Wenn der etwas anordnet, dann sagt da keiner nein (lacht). Also haben alle schön brav Tagebuch geführt. Für den Flow des Films erwies sich das letztlich als ideale Grundlage. Von diesen Einträgen kommen viele in das erwähnte Buch, das dürfte für einige Fans interessant sein. Auch eine DVD mit Extra-Footage wird in einer Limited Edition dabei sein.

Im Film hast du oft Fotos der Band während der Aufnahmen verwendet, die du mit Tonspuren akustisch untermalst- wie viele Stunden Audio- und Video-Material gab es?

Oh je, unglaublich viel. Vielleicht 20 Terrabyte? Alleine jedes Musiker-Interview übersteigt Spielfilm-Länge. Zusammen mit allen Konzerten, die wir gefilmt haben, kommen da locker 100 Stunden zusammen.

Eine tolle Stelle im Film: Wie Iggy erzählt, dass Josh den Titel "Break Into Your Heart" hatte, der ihm aber zu offensiv erschien, da er sich selbst eher als "Lurker" betrachte und daher die Zeile "I'm gonna crawl under your skin" im Song unterbrachte. Als die Story eigentlich schon erzählt ist, schiebt Iggy nach: "I don't uphold my part of the bargain so well - I'm not a great guy, I'm selfish". Wahnsinn.

Ja, das ist sehr echt, oder? Da lässt er alles raus.

Das meinte ich mit Nähe, diese speziellen Momente, in denen du ihm solche Sätze entlockst.

Ja, wobei ich da auch meinem Co-Regisseur Josh Homme danken muss, der mich ja sozusagen erst zum Familienmitglied gemacht hat. Ich war ja fast schon Bandmember, was ich jetzt auch bei Queens Of The Stone Age bin. Nur bin ich eben der Camera Player.

Du hast den Auftritt von Koch und Studio-Techniker Hutch erwähnt, der im Film die Aufgabe hat, die Atmosphäre des Ortes zu beschreiben. Warum tritt Eagles Of Death Metal-Gitarrist Dave Catching nicht im Film auf, dem das Studio gehört?

Dave Catching war während der Aufnahmen nicht da und es gab auch keine Gelegenheit, ihn zu interviewen, obwohl ich das ursprünglich vorhatte. Er kam natürlich immer wieder vorbei, hätte aber zur Story nicht in dem Maße etwas beitragen können wie Hutch, der wirklich von Anfang bis Ende Teil des Teams gewesen ist. Außerdem gab es für Dave auch nichts zu tun, denn Josh hatte sein Aufnahme-Team für die Platte schon zusammen gestellt.

Auffallend fand ich, dass Josh den jungen Arctic Monkeys-Drummer Matt Helders im Gegensatz zu den anderen immer nur beim Nachnamen ruft. Hatte Matt Probleme damit, so etwas wie der Jungspund unter Rock-Königen zu sein?

Lustigerweise sagt jeder Helders zu ihm, keiner sagt Matt. Sogar seine Frau ruft ihn Helders.

Durfte man Iggy Pop auch mal hochnehmen? Zum Beispiel dass er für Albumaufnahmen nicht mehr die Nächte im Studio durchmachen will? Oder war das ein Tabu?

Der Iggy hat mittlerweile gelernt, sich seine Energien einzuteilen. Der trinkt abends ein paar Gläschen Rotwein und geht dann brav ins Bett. Es herrschte insgesamt eine sehr zivile und disziplinierte Atmosphäre. Der Studiotag begann ja vergleichsweise schon recht früh, so um neun Uhr und endete um 17 Uhr. Danach wurde gegessen und dann ging's ab ins Bett. So viel zu tun gibt es in Joshua Tree ja sowieso nicht. Da warteten abends keine Partys. Davon abgesehen hatten natürlich alle einen irrsinnigen Respekt vor Iggy und es wurde alles dafür getan, dass er es komfortabel hat.

Welche Anekdote von Iggy, die nicht im Film auftaucht, kannst du uns jetzt erzählen?

Da fällt mir sofort eine ein: Nachdem wir uns in der Wüste kennen gelernt und danach bei ihm zuhause in Miami gedreht haben, fand die erste Show der Band im kleinen Teragram Ballroom in L.A. statt. Das macht Josh gerne, um die Stimmung zu testen. Da passen vielleicht 600 Leute rein, das Konzert wird am Konzerttag verkündet und die Tickets sind meistens nach ein paar Minuten weg. Das war mein erster Film- und Fotojob in einer Live-Situation. Dave Grohl, Johnny Depp, die Arctic Monkeys, alle Celebrities aus L.A. waren backstage, es war wirklich viel los. Kurz vor Showtime bin ich einmal richtig nah mit der Kamera an Iggy ran, das sieht man auch im Film, als er gerade sein Wasser trinkt.

Ich habe dann fotografiert ohne Ende, ich war so excited, aber irgendwann stoppte mich Iggy, was er danach nie wieder gemacht hat. Es war in dem Moment ein Signal: Junge, komm mir nicht in die Quere. Das restliche Konzert hatte ich deshalb ein relativ distanziertes Verhältnis zu ihm, da ich ihm natürlich nicht noch mal zu nahe kommen wollte. Ich habe dann auch nie wieder seinen Dressing Room betreten, der auch immer abgeschirmt von der restlichen Band ist. Jetzt kommt ein Bogen zum letzten Konzert in Paris: Meine Frau, die auch meine Galeristin ist, ist mit Iggys Frau befreundet und richtete mir aus, dass Iggy mich in seiner Garderobe sprechen wolle.

Mein spontaner Gedanke war: Oh, was hast du jetzt wieder angestellt? Dann bin ich rein, er saß da und hat zu einer kleinen Rede angesetzt. Er habe mir nur sagen wollen, dass er ein großer Fan meiner Fotos und sehr dankbar für all meine Arbeit sei. Dann ist er aufgestanden, hat mich umarmt und meinte (mit tiefer Stimme): "I was just playing, you know, because I needed my space." Er musste mir also etwas vorspielen, damit ich ihn in seinem Space nicht störe. Das war für mich natürlich ein toller Moment und seitdem sind wir ein Herz und eine Seele. Bei der Filmpremiere hat er uns mit seinem Rolls Royce am Hotel abgeholt, sich den Film nochmal angeschaut und auch bei Q&As mitgemacht.

"Es ist ja auch irgendwo Punkrock"

Wie weit ging deine künstlerische Freiheit? Hätte Iggy oder Josh darauf bestehen können, dass eine Szene aus dem fertigen Film gestrichen wird?

Wie gesagt, es gab keinen Vertrag, nur einen Handschlag und Vertrauen. Aber ich respektiere natürlich die Meinung von Josh und Iggy. Hätte es Szenen gegeben, die einer von ihnen nicht gerne im Film gehabt hätte, wären sie nicht reingekommen. Eine Geschichte, die ich erzählen kann: Die Szene in der Royal Albert Hall nach dem Konzert, wo Josh total fertig und so unglaublich ehrlich ist, und wir beide alleine sind, ausgerechnet diese Szene bereitete ihm Bauchschmerzen.

Ich wollte sie natürlich unbedingt drin haben, denn die ist ja ganz essentiell für den Film. Also habe ich ihm salomonisch vorgeschlagen, er solle einfach seine Frau, Brody Dalle, fragen, was sie zu der Szene sagt. Ich meinte: 'Hey, du bist voreingenommen, aber sie ist dein bester Freund und kann das für dich und in deinem Sinne entscheiden.' Brody hat sich das dann angeschaut und gesagt: 'Yes, let's leave it in there.' So habe ich den Fall gelöst. Brody hat das für ihn entschieden. Es macht Josh für meine Begriffe auch stärker, wenn er solche Schwächen offen zeigt, viel mehr als wenn er sie verbergen würde.

Wo befindet sich der Kinosaal, in dem du Josh und Iggy zusammen interviewt hast?

Das war das Grand Rex in Paris, wo auch das letzte Konzert der Tour war. Das Interview selbst fand aber drei oder vier Monate nach dem Konzert statt, als wir schon im Editing-Prozess des Films waren und gemerkt haben, dass dem Film noch ein gemeinsames Interview fehlt. Und dann sind wir für den Dreh zurück an diesen Ort gegangen. Wobei das nicht ganz stimmt, denn witzigerweise waren wir alle quasi vor Ort. Josh und ich haben uns zu der Zeit gerade Studios in Frankreich angeschaut für die "Villains"-Platte, die letztlich aber doch in Hollywood produziert wurde. Und Iggy hatte ein Konzert in Paris. Das hat also super gepasst.

Du sprachst ja schon von deiner Rolle im aktuellen Queens-Tourtross: Letztes Jahr rastete Josh bei einer Show in L.A. bekanntlich aus und trat nach einer Fotografin. Anschließend entschuldigte er sich per Video. Wie stufst du als Berufskollege diese Geschichte ein?

Bei diesem Konzert war ich selbst nicht dabei, das war ein Radiokonzert mit mehreren Bands. Gut, ich weiß, wie es in Fotogräben zugeht, man darf nur drei Songs lang fotografieren. Da sind so viele Fotografen, dass ich da bei Queens-Konzerten gar nicht mehr reingehe. Das ist ein richtiger Battleground. Ich sage nur: Man muss als Fotograf sehr gut aufpassen. Es kann sein, dass von hinten eine Bierflasche angeflogen kommt oder was von der Decke fällt. Habe ich alles schon erlebt. Man sollte sich auch besser nicht zu weit über den Bühnenrand lehnen. Jeder Fotograf weiß, dass das gefährlich ist. Und es ist ja auch irgendwo Punkrock.

Davon abgesehen hat Josh aber gleich am nächsten Tag ein sehr langes und reumütiges Entschuldigungsvideo via Social Media bezüglich seines Tritts gepostet.

Es tut ihm natürlich leid, dass das passiert ist. Er würde nicht absichtlich jemanden umhauen, wie es viele Leute danach angenommen haben. Ich musste selbst schon einige Male aufpassen, nicht von ihm getroffen zu werden. Er oder der Mikey Shoes [QOTSA-Bassist Michael Shuman] sind wie Pferde, die richtig austreten. Es ist im Graben praktisch wie Wild-Life-Photography auf einer Safari: Man muss aufpassen, wenn der Löwe kommt. Die Musiker stehen außerdem im Scheinwerferlicht und kriegen auch nicht alles mit, was um sie herum passiert.

Hast du denn danach mit ihm darüber gesprochen?

Ja, na klar, das war ein Riesenthema hier. Aber er hat sich entschuldigt und jetzt sollten sich die Wellen auch wieder beruhigen. Ihm tut es natürlich leid, was passiert ist.

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