10. März 2014

"Manche Kritiker würde man am liebsten ..."

Interview geführt von

2010 meldete sich die Hamburger Band Hundreds quasi aus dem Nichts mit einem düster verspielten Elektropop-Debüt zu Wort. Es sagt schon einiges über die Qualität des Erstlings, wie Eva und Philipp Milner seither mit gerade mal zwölf Songs die Herzen von Clubbesuchern, Festivalgängern und japanischen A&Rs eroberten. Für das Geschwisterduo dennoch kein Grund zur Eile.

Ganze vier Jahre haben sich Hundreds Zeit gelassen, ehe sie nun ihr nicht minder berauschendes Zeitwerk "Aftermath" (14. März) nachlegen. Im Telefoninterview erzählt Sängerin Eva Milner vom Finden ihrer Mitte, dem Arbeiten auf dem Land und den organischen Sounds auf der neuen Platte.

Vor knapp vier Jahren habe ich euch auf dem No Stress Festival live erlebt. Wie oft kam es seither vor, dass ihr zu schlecht besuchten Mittagsslots auf Hip Hop-lastigen Festivals spielt?

Eva Milner: Ach, das war Hip Hop-lastig? Das wusste ich gar nicht. Vor oder nach uns hat damals eine Reggae-Band mit Bläsern gespielt. Das war sowieso sehr bunt gemischt, hatte ich den Eindruck. Auf so einem Festival sind wir fast nie wieder aufgetreten. Das ist ja schon relativ wild und naturbelassen, das fand ich sehr schön.

Jetzt sind vier Jahre vergangen, in denen ihr viel auf Tour wart und die neue Platte eingespielt habt. Dennoch eine sehr lange Zeit. Was habt ihr denn abseits der Hundreds so getrieben? Philipp spielt ja bei Clueso, so weit ich weiß.

Das stimmt. Aber eigentlich haben wir gar nicht so viel abseits gemacht. Wir waren fast zwei Jahre lang auf Tour. Natürlich mit Pausen zwischendrin, aber die brauchst du dann auch, um mal klar zu kommen. Oder um mal wieder zu gucken, wo du gerade stehst. Als wir dann zurück waren, haben wir in Hamburg angefangen zu arbeiten.

Das war 2012. Philipp war mit Studio- und Wohnsituation ein bisschen unglücklich und ist aufs Land vor Hamburg gezogen. In sein dortiges Haus haben wir unser Studio gebaut und mit der Arbeit angefangen. Und dann haben wir tatsächlich 18 Monate gebraucht. Das ging bei uns nicht so schnell.

Aber dieser Rückzug raus aufs Land war für euch tatsächlich der Weg zum Erfolg.

Na ja, eben der Weg zum neuen Album, und das ist für uns persönlich natürlich ein sehr großer Erfolg. Jetzt muss man aber erst mal sehen, wie es die Leute aufnehmen, dass wir uns klanglich ein bisschen verändert haben. Ich bin gespannt, die Releasetour ist ja schon ausverkauft. Das ist natürlich noch ein Verdienst des ersten Albums. Die Konzerte waren bereits ausverkauft, ohne dass ein Ton der neuen Platte zu hören war, abgesehen von diesem Teaser. Daher bin ich mal sehr gespannt auf die Resonanzen.

Eine gewisse Aufregung ist also vorhanden.

Auf jeden Fall.

Dass die Songs teilweise deutlich heller klingen, ist laut Promotext auch eurer Lebenssituation geschuldet. Seid ihr denn tatsächlich glücklicher als vor vier Jahren?

Ähm ... ja. Kann ich schon so sagen. Glücklicher in dem Sinne, dass wir beide unsere Mitte gefunden haben, und dass wir im positiven Sinne noch ein bisschen erwachsender geworden sind. Aus anfänglichen Erfahrungen haben wir viel Gutes gezogen und wissen jetzt genauer, was wir nicht wollen. Und das Arbeiten auf dem Land hat, glaube ich, auch seine Farben eingebracht. Weil man da eben wahnsinnig viel Ruhe hat, das Dorf hat irgendwie 40 Einwohner und einen Wald außen rum.

Klingt ja fast spirituell.

(lacht) Keine Ahnung, das kennst du ja selber. Wenn du mal aufs Land rausgehst, macht das einfach was mit einem. Da wirst du nach ein paar Tagen viel freier im Kopf. Die Stadt bietet eben doch viel Lärm und visuelle Reize. Das ist ja ganz klar.

Habt ihr denn Bedenken, dass manch einer dieses hohe Maß an Düsternis vermissen wird?

Ehrlich gesagt nicht, denn ich finde, auch bei den helleren und organischeren Songs ist eine gewisse Melancholie zu spüren. Die lassen wir uns auch nicht austreiben. Wenn etwas melancholisch ist, setze ich das auch nicht mit düster oder unglücklich gleich. Für mich hat das trotzdem eine gewisse Freude. Das ist einfach mein Lebensgefühl.

Die erste Hälfte der Platte geht tatsächlich sehr nach vorne. Das ist wirklich mal ein anderer Blick auf uns, ein anderes Hörerlebnis. Aber der zweite Teil ist ja wieder sehr elektronisch und trägt auch dunklere Farben. So haben wir diesmal beides. Das ist einfach ein Teil, der noch dazukam.

Natürlich haben wir uns am Anfang gefragt: Ist das jetzt Hundreds? Ist "Circus" wirklich die Single, mit der wir nach draußen gehen wollen? Wir haben tatsächlich versucht, das noch mal anders anzugehen, haben dann aber festgestellt: Nee, das ist es jetzt einfach. So soll das gerade klingen, so aufgeräumt, klar und warm. So wollen wir es jetzt gerade haben, warum auch immer.

Hat sich gerade durch dieses Gefühl der vereinzelte Einsatz von Bläsern angeboten? Oder wie kam die Idee?

Unterschiedlich. Die erste Platte war einfach noch viel mehr Spielwiese, an der wir jahrelang gefeilt haben. Als die herauskam, waren einige Songs schon ziemlich alt. Daher gab es jeweils viele Versionen und immer wieder was Neues. Dieses Organische auf der neuen Platte kommt dagegen eher daher, dass sich die Songs irgendwie ihren Weg gesucht haben.

Irgendwann war immer der Punkt da, wo wir gesagt haben: So, jetzt ist es fertig. Jetzt klingt es so, wie wirs wollen. Warum genau das so entstanden ist, kann ich dir auch nicht sagen. Und es ist ja trotz der anderen Klänge alles mit Synthies am Computer entstanden. Die Arbeitsweise war die Gleiche.

Die Bläser sind also auch Samples?

Es gibt ja sehr, sehr gute Bläser-Sample-Bänke. Die kann man nutzen. Aber zwei, drei Songs haben wir tatsächlich noch einen befreundeten Posaunisten einspielen lassen. "Circus" zum Beispiel. Oder am Ende von "Ten Headed Beast" taucht er auch auf.

Sind die Beats auch aus dem Drumcomputer? Mit Tim Neuhaus hattet ihr live ja zumindest immer wieder einen Elektro-Drummer dabei.

Tim Neuhaus war auch bei der Produktion wieder für eine Woche dabei. Er hat Drums eingespielt und wir haben dann seine Sounds verwendet. Er war quasi unsere lebendige Sample-Bank. Tim und Philipp kennen sich bestimmt schon 15 Jahre, die sind sehr gute Freunde. Auf Tour sind wir in Zukunft auch immer zu dritt. Da werden wir immer einen Schlagzeuger dabei haben, der quasi den Laptop als Maschinen-Mensch ersetzt.

"Wir sind jetzt auch Geschäftspartner und Arbeitskollegen"

Wohnst du eigentlich noch in Hamburg? Und gibt es von euch beiden keine Bestrebungen, ganz Musiker-typisch nach Berlin zu ziehen?

Nee, das wird nicht passieren. Vorher ziehe ich auch aufs Land. Ich wohne noch in Hamburg und hab da auch viele Freunde. In Berlin aber auch. Ich bin auch oft genug hier, um was von Berlin abzubekommen.

Eine der Lieblingsfragen bezüglich eurer Band ist natürlich die, wie man als Geschwisterpaar so gut harmoniert. War das denn schon im Jugendalter so oder erst seit ihr erwachsen seid?

Das war tatsächlich auch in der Jugend so. Aber das macht bei uns auch ganz viel der Altersunterschied. Philipp ist mit 16 zuhause ausgezogen, da war ich elf. Das hat vieles entzerrt. Ich glaub, ich hab ihn vorher ganz schön genervt. Aber da war ich wirklich noch ein Kind. Das ist dann ja total klar.

Aber der hat sich davon nie aus der Ruhe bringen lassen. Philipp ist da ein bisschen anders. Er ist dann weggegangen, um Musik zu studieren, und ich hab ihn ganz oft besucht. Ich war da 13, 14 und saß mit großen Augen auf irgendwelchen WG-Partys: Wie cool, mein großer Bruder nimmt mich mit. Er hatte da nie so die Scheu.

Kennst du denn Beispiele, etwa im Freundeskreis, bei denen es ähnlich lief? Oder seid ihr da einzigartig?

Es ist natürlich auch durch Hundreds bedingt, dass es jetzt so eng ist. So eng war es vorher nicht. Da haben sich unsere Rollen zueinander sehr geändert. Wir sind jetzt auch Geschäftspartner, Bandkollegen und Arbeitskollegen. Da durchmischen sich einfach tausend Rollen. So eng kenne ich es echt kein zweites Mal. Außer bei Zwillingen, da habe ich es mal erlebt. Aber ansonsten kenne ich natürlich Leute, die sich mit ihren Geschwister total gut verstehen. Die sehen sich halt nicht so oft, weils eben keinen Grund gibt, wenn man in verschiedenen Städten wohnt.

Was waren denn die Platten, die ihr während der Albumproduktion gehört habt? Oder habt ihr bewusst gar nichts gehört, um euch nicht dem Zeitgeist hinzugeben?

Es gibt jetzt keinen konkreten Künstler, der uns in der Zeit total beeinflusst hat. Aber wir haben das Jahr über schon einige aktuelle Sachen gehört. Alt-J zum Beispiel. Oder Jon Hopkins. Da diskutiert man schon darüber, warum bei denen die Bassdrum jetzt so geil klingt oder welche Filterfahrt der jetzt da gemacht hat. Das ist auch unter einem technischen Aspekt interessant. In unserem Studio kann man natürlich super Musik hören. Und es ist auch immer gut, sich mal was völlig Anderes reinzuziehen, wenn man mitten in der Arbeit steckt und nicht mehr weiterkommt.

Über die Jahre habt ihr sicher einiges gelernt. Was ist euch bei der Produktion der zweiten Platte merklich leichter gefallen?

Das ganze Bedienen von Pro Tools war zum Beispiel viel einfacher. Weil wir jetzt viel mehr Tricks und Kurzbefehle drauf haben. (lacht)

Die Arbeit mit Pro Tools ist für elektronische Musik ja gar nicht mal so typisch.

Das stimmt. Aber Philipp hat vor echt langer Zeit mal damit angefangen und ist dann einfach dabei geblieben. Ich hab auch nie mit einem anderen Programm gearbeitet. Daher hat sich die Frage nie gestellt, ob wir jetzt zu Logic umschwenken. Und live arbeiten wir mit Ableton.

"Manche Kritiker würde man am liebsten anrufen"

Ihr habt die Songs ab einem gewissen Zeitpunkt an den Produzenten David Pye weitergegeben. Eine schwierige Entscheidung? Oder war er euch sowieso vertraut?

Nee, wir kannten den gar nicht und haben ihn auch nie in echt kennengelernt. Wir haben mal mit ihm geskypet. Das war in einer Zeit, in der wir wussten: Okay, wir wollen jetzt mal langsam fertig werden. Wir müssen die Songs jetzt aus der Hand geben, denn wir haben diesmal einfach nicht die Zeit um jahrelang dran herumzufeilen – was wir eigentlich machen würden. Daher haben wir eine Art Vorauswahl getroffen und vier Produzenten angefragt. Die haben alle einen Mix angefertigt und wir haben den genommen, der uns am meisten zugesagt hat.

Aber David Pye hat da jetzt nicht total viele neue Elemente eingebaut. Bei einzelnen Songs schon, aber insgesamt hat er eher arrangiert, manches an andere Stellen gesetzt und den Sound dreidimensionaler gemacht. Der war superschnell. Das lief alles über Dropbox und E-Mail. Philipp hat immer ellenlange Mails geschrieben, wie es denn jetzt klingen soll. Das war auf jeden Fall super. Es war schön, das noch mal aus der Hand zu geben, die Lieder zurückzubekommen und zu merken: Ah, okay, so sieht er das. Das ist interessant. Er hat aber auch nicht alle Songs produziert, sondern nur sieben, glaube ich.

Dafür klingt die Platte erstaunlich homogen.

Ja, stimmt. Das hat uns selbst auch gewundert. Zwischendrin, als erst fünf oder sechs Songs fertig waren, dachten wir: Wie passen denn die ganzen Songs hier zusammen? Was soll das werden? Wie passt denn "Circus" zu "Rabbits On The Roof"? Was sollen die Leute denn bitte damit anfangen? Am Ende, bei der Kompilierung, war es dann so ein Wow-Erlebnis: Das passt ja total. Wie haben wir das denn hingekriegt?

Wie stand denn euer Label Sinnbus zu der langen Entstehungszeit? Musstet ihr über den späten Release-Zeitpunkt diskutieren?

Überhaupt nicht. Wir haben ja Ende 2011 noch dieses Cover- bzw. Remix-Album "Variations" rausgebracht. Sinnbus machen da überhaupt keinen Druck, die stehen zu sehr hinter ihren Künstlern. Und wollen die unterstützen, statt sie zusätzlich unter Druck zu setzen. Den macht man sich schon selbst genug.

Ist eine Forsetzung des "Variations"-Projekts mit "Aftermath" als Vorlage bereits angedacht?

So komplett noch nicht. Aber wir liebäugeln ein bisschen mit ein paar Künstlern, die wir toll finden. Vielleicht wird es ja auch wieder ein Komplett-Ding. Mal gucken. Es gibt jetzt auf der Limited Edition schon wieder ein paar Remixe zum neuen Album. Das mögen wir sehr gerne: Sich ein bisschen gegenseitig befruchten.

Im letzten laut.de-Interview hast du erzählt, dass dich negative Kritik trifft. Seid ihr mittlerweile immun dagegen?

Nein, das ist man nie. Nie! Da muss man schon sehr abgebrüht sein. Oder man liest es einfach nicht. Aber das haut schon sehr rein. Wenn du anderthalb Jahre deines Lebens reinsteckst und dann missversteht dich jemand total, würdest du den natürlich am liebsten anrufen und sagen: Ey, aber hör doch mal hin, so war das jetzt nicht gemeint. Aber das ist natürlich nicht möglich, denn Musikrezensionen sind nach wie vor eine sehr persönliche Sache. Ich würde schon sagen, dass es mich nicht mehr so trifft, aber man denkt schon darüber nach: Wie kam er darauf? Ist das jetzt berechtigt? Ist ja auch okay.

Wobei negative Kritik bei euch ja eher Seltenheitswert hat.

Ja, da sind wir wirklich ein bisschen verwöhnt. Da hast du Recht.

Konstantin Gropper hat mal erzählt, dass er prinzipiell gar nichts mehr liest, weil es ihm teilweise fast schon Angst macht.

Stimmt. Ich glaube, er hat mittlerweile einen gewissen Humor entwickelt, eine gewisse Distanz. Der kriegt das mittlerweile gut hin.

Abschließende Frage: Wie siehts denn mit euren internationalen Tourplanungen aus?

Da muss man einfach ein bisschen Glück haben. Es sind schon einige Daten geplant. Wir spielen zum Beispiel im April auf einer relativ exklusiven Musikmesse in Los Angeles. Mal schauen, was das bringt. Da kommen dann so internationale Leute und gucken sich das an. Es ist ein bisschen krass, dass man für eine halbe Stunde Konzert diese Reise auf sich nimmt, aber wir wollens halt jetzt wirklich international probieren.

Wir haben ein Label in den USA, da werden wir auf jeden Fall touren. Wir haben auch ein Label in Japan, das heißt, dort werden wir auch ein bisschen stattfinden. Dann fahren wir noch nach Tallinn. Und Polen, England und Frankreich sind auch schon geplant. Aber so eine sechswöchige USA-Tour - wann das klappt, steht noch in den Sternen.

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