3. Juni 2016

"Ein dunkles Zeitalter der Popmusik hat begonnen"

Interview geführt von

Zwei Jahre nach ihrem internationalen Debüt tauschen Highasakite auf "Camp Echo" akustische Instrumente gegen Elektronik, Synthesizer und Drumbeats. Alle Zeichen auf Neuanfang?

In Norwegen halten Highasakite einen Rekord: Mit "Silent Treatment" erreichte das Quintett nicht nur die Spitze der Albumcharts, sondern blieb damit auch über 108 Wochen in den Top 40. Das hat zuvor noch kein Landsmann geschafft. Warum "Camp Echo" nach dem Erfolg trotzdem ganz anders klingt, erzählen Ingrid Håvik, Marte Eberson und Trond Bersu am Promo-Tag im Berliner Titanic Hotel.

Ihr steht kurz vor der Veröffentlichung eurer zweiten Platte "Camp Echo". Über das Debüt "Silent Treatment" hat Ingrid in einem Interview gesagt, dass die Aufnahmen ein Prozess mit vielen Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen waren. Beim nächsten Mal sollte es anders laufen. Ist euch das gelungen?

Ingrid: Ja, es lief wirklich viel besser als beim Vorgänger. Damals lief es zwar gut, aber der ganze Prozess war irgendwie seltsam, weil es meine Songs waren und ich nicht wirklich wusste, wie sie klingen sollten. Als ich also ins Studio kam, ging es wie eine Elimination vor sich. Das erzeugt nicht unbedingt eine kreative Stimmung, wenn ich nur sage: "Nein, nicht so, aber ich weiß auch nicht, was wir sonst tun sollen".

Habt ihr die Songs dieses Mal eher zusammen geschrieben?

Ingrid: Nein, ich habe immer noch die Songs geschrieben. Aber wir haben vorher viel darüber gesprochen, wie das Album sein soll.

Trond: Wir verbrachten auch eine Woche in der Hütte des Produzenten und hatten eine lange Jamsession. Letztes Mal hatten wir die Songs nicht einmal gespielt, bevor wir mit den Aufnahmen anfingen. Es war eine gute Entscheidung, es dieses Mal zu tun.

Meiner Meinung nach klingt eure zweite Platte "Camp Echo" ziemlich anders als "Silent Treatment", sowohl musikalisch als auch textlich. Warum habt ihr andere Klänge und Themen gewählt?

Marte: Ich glaube, wir wollten den Sound entwickeln. In der Band gibt es zwei Synthesizer, mich und Øystein, Trond spielt außerdem auch Gitarre. Nachdem wir "Silent Treatment" aufgenommen hatten, dachten wir alle: "Wir müssen auf dem nächsten Album etwas anderes machen". Ich wollte mehr Synths spielen und elektronische Klänge verwenden. Ingrid wollte das auch. Trond programmierte elektronische Drums usw. Es war eine natürliche Entwicklung, die wir alle wollten.

Ingrid: Ja, jeder hat in den letzten Jahren elektronische Musik gehört und den anderen coole Musik gezeigt.

Trond: Ich denke, dass es eine gute Sache ist, dass wir alle als Musiker Fortschritte machen und nicht nur das tun, worauf wir getrimmt sind. Ich habe zum Beispiel abgesehen von den zwei Jahren mit Highasakite und "Silent Treatment" nie akustische Drums gespielt.

Marte: Und ich hatte nie akustisches Piano oder Orgel gespielt. Es ist für uns also sehr natürlich die Dinge, die auf "Camp Echo" zu hören sind, zu spielen.

"Silent Treatment" war viel mehr vom Folk beeinflusst und Künstlern wie Bon Iver. Jetzt höre ich eher The Knife heraus. Gab es spezielle Einflüsse während der Aufnahmen?

Alle: The Knife.

Ingrid: Ich erwähne immer The Knife, aber wir haben viele andere Einflüsse, zum Beispiel die Beastie Boys, The Prodigy oder Fever Ray, die ja gewissermaßen auch The Knife ist.

Marte: Wir haben viel Kendrick Lamar gehört. Ich habe nicht die Synths übernommen, sondern eher die Attitüde, zum Beispiel das Beschleunigen von Worten, und ich mag seine aggressive Art zu rappen und zu singen.

"Es geht um die Dunkelheit der Synthesizer“

Wenn wir schon bei elektronischer Musik sind: Ich habe das Gefühl, dass elektronische Popmusik in den letzten Jahren um einiges ernster geworden ist. "Camp Echo" ist da ein gutes Beispiel dafür.

Ingrid: Ich denke, wir befinden uns gerade in einer dunklen Phase. Es bewegt sich wellenförmig. Plötzlich brauchst du ein Comeback von ABBA und den Spice Girls. Danach geht es zurück in das dunkle Zeitalter. Jetzt ist eine Art dunkles Zeitalter der Popmusik gekommen.

Marte: Es geht um die Sounds. Ich habe tatsächlich vor Kurzem mit einem Produzenten darüber geredet. Wenn Rihanna einen Hit machen will, müssen es dunkle Synthesizer, dunkle Drums sein. Es ging um das Paket, das sie alle nutzen, um aktuell Hits zu produzieren. Es geht um die Dunkelheit der Synthesizer und auch die Art, zu singen. Ich habe noch nicht viel darüber nachgedacht, aber das kann man zur Zeit hören. Fast alle Billboard-Songs basieren auf diesen seltsamen Sounds.

Ingrid: Ich denke, dass viel Popmusik heute innovativer ist. Rihannas neues Album ist ein bisschen weird und das Kanye West Album ist sehr experimentell.

Marte: Es geht auch nicht mehr so sehr darum, Hits zu schaffen. Bei Kanye West passieren zum Beispiel so viele Dinge in jedem Song. Es fühlt sich an wie ein Flashback in die 90er, zum 90er R'n'B. Wir haben darüber geredet, dass Rihannas Platte ein bisschen wie die düsteren Destiny's Child klingt. Wir haben dieselbe Inspiration, ein paar alte Wave/Trance-Synthesizer-Sounds aus den 90ern.

Trond: Gefühlt waren die Billboard-Songs vor zehn Jahren Mist. Aber jetzt sind sie wirklich hip und cool.

In eurem Pressetext habe ich gelesen, dass "Camp Echo" nicht unbedingt ein politisches Album sei, sondern eher ein Blick auf das Leben heutzutage.

Ingrid: Ja, es ist eher eine Beobachtung. Es hat auf gewisse Weise keine Agenda. Aber auf der anderen Seite denke ich, dass wir Menschen sind und nichts anderes tun können, als auf irgendeine Art eine Agenda zu verfolgen.

Ok, ich habe mich nämlich gefragt, wenn "Camp Echo" kein politisches Album sein soll, was ist für euch dann der Unterschied zu einer politischen Platte?

Ingrid: Ich weiß es nicht. Ich denke, es ist doch ein politisches Album.

Marte: Gleichzeitig glaube ich, dass man die Texte oder Lyrics auch als nicht politisch betrachten kann. Man kann sie als Liebesgeschichten sehen oder zwischenmenschliche Situationen im täglichen Leben. Man kann es sich aussuchen, es ist nicht zu offensichtlich.

"Wir sollten verzweifelt sein"

Ihr habt euch zum Beispiel viel mit US-Themen auseinandergesetzt, bezieht euch etwa auf George W. Bush oder kommentiert den Irakkrieg. Warum habt ihr diese Themen gewählt? Ich meine, man kriegt durch die Medien ziemlich viel mit, aber es ist doch irgendwie entfernt vom Leben in Norwegen.

Ingrid: Ich schätze, es ist für uns schon Alltag und eine Art Weltbild. Als beispielsweise 9/11 passierte, waren wir 13 oder 14 Jahre alt. Es war vermutlich das erste Mal, dass mir die Weltpolitik wirklich bewusst wurde. Es war wie eine seltsame Veränderung. Es passierte in den USA, was seltsam war, weil so eine Attacke bis dahin nie geschehen war.

Marte: Ich denke, dass wir zum ersten Mal politisch aktiv wurden. Wenn du ein Teenager bist, ist es sehr einfach, von allem um dich herum beeinflusst zu werden. Das war damit nicht anders. Ich erinnere mich an die Bush-Rede und alles. Es war gewaltig. Wenn so etwas heute passiert, ist es fast alltäglich. Aber damals war es ein Statement.

Ingrid: Leute gingen raus auf die Straße und es gab diese große Demonstration gegen den Irakkrieg. Das ist eine sehr starke Erinnerung für mich.

Trond: Ja, man kann eine Linie dorthin zurückziehen von allem was heute passiert, all die schlimmen Dinge, der Terrorismus.

Ingrid: Es sind offensichtlich schon vorher Dinge passiert. Aber das war unsere erste Begegnung damit. Auch die Terrorattacke in Norwegen 2011 ist verknüpft mit den Attacken von 2001, weil dort der Rassismus angefangen hat aufzublühen. Und der Terrorist aus Norwegen ist offensichtlich ein Rassist.

Marte: Wenn Donald Trump darüber spricht, dass Mexikaner den USA nicht zu nahe kommen sollen und er eine Mauer bauen will, ist das auch damit verbunden. So viele Dinge kommen zurück. Es ist sehr gruselig. Und wir wissen nicht, was wir tun sollen.

Eure Platte klingt aber trotzdem nicht nur nach Dunkelheit oder so, als wärt ihr komplett verzweifelt oder niedergeschlagen.

Ingrid: Nein, wir sind nicht niedergeschlagen. Es ist Alltag geworden und syrische Flüchtlinge sind wie der Rassismus, der mit dem Flüchtlingsstrom kommt, dauernd in den Medien. Ich denke nicht, dass alle Songs von diesen speziellen Themen handeln. Aber alles ist davon inspiriert. Aber nein, wir sind nicht verzweifelt oder niedergeschlagen.

Marte: Aber ich denke, wir sollten verzweifelt sein. Vielleicht klingen unsere Lyrics und unser Sound nicht so verzweifelt, aber gleichzeitig sind sie genau das. Ingrids Gesang ist viel mehr in-your-face als auf "Silent Treatment". Die Drums und Synthesizer sind schwer und könnten verzweifelt klingen.

Ingrid: Ja, ich denke auch, dass es verzweifelter, aggressiver und wütender ist.

"Camp Echo" wirkt auf mich definitiv auch so, als wärt ihr wütend, aber auch so, als wärt ihr auf der Suche nach einem Weg, damit umzugehen. Gibt es da einen für euch?

Ingrid: Nein, es war für mich nicht therapeutisch. Es ging darum, darüber zu schreiben, was uns beschäftigt und das spiegelt sich natürlich in den Lyrics wieder. Ich schreibe alles auf, was ich in diesen Dokumentationen und Interviews sehe. Das taucht dann wieder auf.

In Norwegen war eure letzte Platte ein großer Erfolg. Hat euch das unter Druck gesetzt nach dem Motto: "Wir müssen anders klingen, damit wir nicht diese Popband werden"?

Ingrid: Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir etwas anderes tun müssen. Wir wollten nur unbedingt andere, diese Musik machen.

Marte: Viele Journalisten fragen uns, ob es irgendwelchen Druck deswegen gab. Aber als wir im Studio arbeiteten, gab es kein Gefühl von Druck. Es ging nicht um die Frage: "Können wir das spielen, weil es gut genug für unser Publikum ist?".

Trond: Ich denke, wir hätten mehr Druck gespürt, wenn wir versucht hätten, die selbe Platte noch mal zu machen, im selben Sound und Stil. Das wäre schwerer gewesen.

Wenn ihr jetzt live spielt, wie verbindet ihr "Silent Treatment" und "Camp Echo"?

Marte: Wir haben noch nicht geübt. Wir fangen nächste Woche mit der Vorproduktion an. Dann müssen wir herausfinden, wie wir das machen. Vielleicht ändern wir ein paar Sounds von "Silent Treatment". Wir werden einen netten Mix hinkriegen.

Ingrid: Ich denke auch, dass kein Problem sein, sondern wirklich Spaß machen wird.

Marte: Es wird toll sein, einen Mix aus eher akustischen und elektronischen Sounds zu haben.

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