13. Oktober 2010

"Alles fließt, also auch ich!"

Interview geführt von

Helen Schneider hat sich mal wieder ein ganz spezielles Thema gesucht. Nach dem American Songbook hat es ihr nun die Musik von Easy Listening-King Bert Kaempfert angetan.Im spätsommerlichen Berlin treffe ich die Chanteuse und ihren Mops zum gut aufgelegten Plausch. Dabei plaudert die ehemalige "Rock'n'Roll-Gypsy" gar nicht wie ein "Stranger In The Night", sondern fast wie eine alte Bekannte über die neue CD, ältere Musik, Hilde Knef und den ewigen amerikanischen Rassismus.

Lass uns doch gleich mit deinem neuen Longplayer loslegen. Was ist denn nach deiner Ansicht das Spezielle, das Unverwechselbare an der neuen Scheibe?

Schneider: Eigentlich ist das eine Verbreiterung der letzten CD. Gibt es das Wort überhaupt?

Eigentlich nicht. Klingt aber sehr treffend. Würde jeder verstehen. Du meinst sicherlich eine Vertiefung deiner American Songbook/Tin Pan Alley-CD "Dream A Little Dream"?

Genau. Es geht darum, die Musik der Generation meiner Eltern zu erfahren. Die letzte Platte, die übrigens Till Brönner produziert hat, war über meine Mutter. Das waren einfach ihre Lieder; eigentlich ihre Popmusik. Alle nennen das heute Jazz. Aber dieses American Standard Repertoire war in Wahrheit die Popmusik dieser Generation in den 40er und 50er Jahren. Und so ähnlich ist es auch mit dieser CD. Nur eben verbreitert mit dem Bert Kaempfert-Thema. Das war nun die Musik meines Vaters. Er war sehr in Love mit diesem gesamten Repertoire. Und jetzt habe ich die Chance, mit dieser Platte unter demselben Schirm zu stehen wie er.

Der Unterschied zwischen beiden Platten ist aber schon offensichtlich. Die aktuelle CD ist im Vergleich ja geradezu opulent geworden.

Ja, das war auch eine sehr bewusste Entscheidung. Mit Till haben wir alles sehr intim gehalten. Jetzt sollte es schon richtigen Schmiss bekommen. Deshalb auch die SWR Big Band. Es muss swingen.

Wo du gerade die Mannschaft aufzählst. Sogar den mittlerweile 80-jährigen Modern Jazz Trompeten Giganten Ack van Roojen hast du bekommen ...

Aber der durfte natürlich nicht fehlen. Immerhin hat er ja zeitweilig im Original Bert Kaempfert Orchestra mitgespielt. Da musste man ihn gar nicht groß drängen. Ich bin da auch sehr stolz, dass wir ein Stück dieser echten Authentizität dabei haben. Dieser total echte Klang, verstehst du?

Du sagst selbst, der Zugang zu Bert Kaempfert geht über deinen Vater. Kommt der Bezug denn nun lediglich daher oder hätte dich diese Musik auch ohne die familiäre Anbindung gereizt?

Letzteres, et voila! You know, ich bin doch einfach mit ganzer Seele Interpretin geworden. Und da gibt es wirklich nichts, was ich mehr liebe, als ein Lied zu nehmen und für mich umzuformen.

Aber das Repertoire klingt doch in hohem Maße unverändert. Worin liegt denn dann das Umformen?

Ich versuche schon, mich von dem abzutrennen, was zur Biografie des Songs gehört. Aber klar. Das wäre natürlich super, wenn ich total ignorant sein könnte. Das ist bei solch legendärem Repertoire doch gar nicht möglich. Aber das freie Assoziieren ist mir schon wichtig. Doch du hast schon Recht. In diesem Fall vielleicht nicht ganz so free assoziate, wie es sein könnte. Da ging das nostalgische Konzept einfach vor. Aber es ist doch ich. So wie man es macht in der Schauspielerei. Ich bin da jetzt einfach drin; mit meinen Zellen und meiner Geschichte. Es wird dadurch ein wenig anders. Es ist so. (Lacht) Oh my God, hoffentlich klingt das jetzt überhaupt verständlich.

Nehmen wir mal "Strangers In The Night": Einerseits haben das bis heute gefühlte 3.000 Leute gecovert. Andererseits kommt keine dieser Versionen auch nur entfernt an Sinatra heran. Man läuft doch Gefahr, etwas aus Hörersicht komplett Überflüssiges zu machen. Hast du dich für das Risiko mit so vielen Gassenhauern auf dem Album ganz bewusst entschieden?

Come on, ein paar unbekannte Stücke sind da ja schon.

Ok, das Titelstück und ein paar andere. Aber das ist nicht die Mehrheit.

Hey, warum soll ich vor den langen Schatten weglaufen? Wenn du sagst Sinatra, sage ich: Ich bin ich und er ist er!

"Hey, ich komme aus New York!"

Wie kann man eigentlich nach Jahren freiwillig das schöne französische Domizil aus der Nähe von Avignon aufgeben, um in das dreckige, fucked up Berlin zu ziehen. Deutscher Regen statt südlicher Sonne?

Das kann man aus deiner deutschen Sicht sicherlich nur schwer nachvollziehen. Es war toll dort. Wunderschön! Aber mit der Zeit fühlte ich mich doch zu isoliert. Hey, ich komme aus New York. Ich bin ein Großstadtkind. Das geht nie ganz weg. Ich hatte einfach die Nase voll davon, immer ins Auto zu steigen, um einen Kaffee zu bekommen. Oder einen Supermarkt. Bei jedem Abendessen mit ein paar Gläsern Wein muss man sich überlegen, wer denn nun fahren soll. Und vergiss nicht meine Karriere hier. Die sollte auch wieder richtig angeschoben werden. Das habe ich jahrelang dort nicht so intensiv getan. Also Berlin! Ich habe es auch nicht wirklich bereut.

Du meinst, weil deine Karriere vor allem in Deutschland sehr weit fortgeschritten ist?

Ja klar. Unter diesem Gesichtspunkt war Frankreich schon idiotisch. Aber die Erfahrung war toll. Dieses Laissez-Faire, die Sonne. Wenn man keine Lust hat, den Laden zu öffnen, bleibt er eben zu. Das hat einfach was. Aber nicht für immer. Ich möchte einfach jeden Tag auf dem Markt drei Stunden für den Einkauf brauchen, weil einfach alle mit dem Verkäufer quatschen.

Was ganz anderes: Hildegard Knef scheint deinen künstlerischen Weg treu zu begleiten. Erst spielst du 1987 an ihrer Seite in "Cabaret". Dann schnappst du dir den Till Brönner, der auch mit ihr gearbeitet hat. Und nun Kaempfert, der auch ein Album für Hilde machte. Zufall, Absicht oder Schicksal?

Totaler Zufall. Mir ist das gar nicht bewusst gewesen. Aber Hilde war natürlich enorm wichtig und fantastisch für mich. Einfach auch eine unglaublich freundliche Kollegin. Wir waren ja fast ein Jahr im gleichen Ensemble. Sie war wirklich ein absolut bewundernswerter, hilfsbereiter und netter Mensch. Und von diesem Talent etwas zu lernen, war ein so großes Geschenk für mich. Ich kriege heute noch Gänsehaut.

Hast du denn die Spielfilmbiografie mit Heike Makatsch gesehen? Kommt der Streifen der echten Hilde nah?

Ich habe es nicht gesehen. Das ist emotional sehr schwierig, wenn man selber eine Person so erfahren hat. Dann kommt solch eine Quasi-Fiktion ins Kino. Ich habe das ganz bewusst vermieden. Irgendwann werde ich das wahrscheinlich noch aus reiner Neugier sehen. Aber zur Zeit geht das noch nicht.

Ähnlich wie Hilde bist du ja auch sehr vielseitig. Was aber würde die rebellische junge "Rock'n'Roll-Gypsy" mit ihren "Angry Times" im new wavigen, leicht angepunkten Rock der frühen Jahre zu der Frau sagen, die heute Easy Listening macht?

Wir sind dieselben!

Du siehst da keinen Widerspruch?

Nö! diese Frau, die du meinst, wohnt immer noch in mir. Und die Frau, die diese Platte gemacht hat, wohnte auch schon in der anderen, die übrigens nicht so jung war, wie du denkst. Ich war ja als Gypsy auch schon über 30. Ich habe das damals mit Absicht gemacht. Genau wie heute. Am Anfang habe ich Klassik studiert. Dann in den 70ern Blues gemacht. Aber das ist wirklich alles dieselbe Frau. Neugier ist immer meine Triebfeder. Wenn eine Tür mein Interesse weckt, gehe ich da durch. Aber ich kann nicht bewusst sagen, warum. Das ist nicht kalkuliert sondern intuitiv.

Kann auch riskant sein?

Ja, diese Intuition ist Fluch und Segen - so sagt ihr doch - zugleich. Mal ist die Nase richtig. Dann wieder nicht. Ich bin eben auch ein wenig wie ein Mops; auch ein bisschen stur (zeigt auf den Hund unter dem Tisch). Wenn viele sagen, mach doch das oder sing dies, denke ich oft: Warum? Ich habe auf ganz anderes Lust. Das mache ich dann.

"Die Radikalen demaskieren sich endlich!"

Juckt es dich denn nicht manchmal, wenn du gerade einen Standard bringst und die ganze Pseudo-Bildungsbürgertum-Schickeria dort sitzt, die man auf jeder Krabbencocktailparty trifft? Willst du da nicht einfach mal die verzerrte Gitarre auspacken und sie mit einem alten Hardrockfeger von den Rängen fegen?

(Lächelt diabolisch) Aber ich habe doch diese Möglichkeit, und ich habe das auch schon mal gemacht. Zum Beispiel in einem Stück über Performance Artist Pionierin Anne Sexton. Da fiel es mir ganz leicht, wieder in diese Haut zu schlüpfen. Das hat auch nicht jeder erwartet. Aber trotzdem darfst du nicht vergessen: Ich bin jetzt 57. Natürlich bin ich nicht mehr dieselbe Frau wie vor 30 Jahren. Der Mensch ändert sich; seine Umgebung auch. Manchmal mit Absicht. Manchmal nicht. Sonst hätte ich doch ein totes Leben geführt. Alles was ich mache und singe, muss mich einfach im Herzen berühren. Das ist meine Prämisse. Alles fließt, also auch ich!

Schöne Erkenntnis.

Viele auf der Welt bleiben in ihrer Entwicklung einfach stehen. Manchmal hoffe ich, das ein wenig zu beeinflussen. Da ist halt ein wenig künstlerische Eitelkeit im Spiel. Aber glaube mir, ich weiß auch, dass ich dankbar sein muss, weil ich im Leben das Glück hatte, die Möglichkeiten zu bekommen.

Würde es dich nicht auch reizen, im Rahmen einer solchen Entwicklung die recht sauberen Varianten deiner Standard- oder Weill-Interpretationen mehr gegen den Strich zu bürsten?

Wie meinst du das?

Scott Walker, Lou Reed oder Tom Waits haben knarzige, sehr eigenwillige Variationen solcher Lieder gebracht. Da entdeckt man auch nach so vielen Jahrzehnten noch keine Patina auf Cole Porter oder der West Side Story. Du könntest dich mit deinen Fähigkeiten doch auch mühelos auf einem Level bewegen, der eventuell nicht so viele Leute anspricht, aber der Kunst eine neue Facette verleiht. Kaempfert hingegen hat gesagt: "Ich möchte Musik machen, die nicht stört!" Das kann man schon problematisch finden, wenn man kein reiner Berieselungsnostalgiker ist.

Ich finde es so schade, dass der Kerl das gesagt hat. Und jetzt kann mir das natürlich jeder als Zitat um die Ohren hauen; so wie du jetzt. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Für mich ist diese Musik inklusive meiner vorherigen CD ganz einfach Rotweinmusik. So hätte Bert es auch nennen sollen. Das hätte doch viel besser gepasst. Musik, die ein wenig Ruhe bringt, die auch nachdenklich machen kann. Man kann damit runterkommen und sich auch aufbauen. Und das geht ganz besonders gut in der Art, die wir gewählt haben. Man könnte das natürlich auch ganz anders machen. Und gerade live mit meinem Trio spielen wir die Brecht/Weill-Songs auch anders als auf der CD. Wenn du mal unsere harte Version von der "Seeräuber Jenny" hörst. Das würde dir gefallen.

Man könnte natürlich auch einfach mal wieder eigene Songs bringen, oder?

Das klingt vielleicht very funny für dich, aber ich bin wirklich kein Singer-Songwriter. Ich habe das probiert. Ich habe das nicht genossen! Gut, ein paar Sachen sind eigentlich ok. "Hot Summer Nights" ist, glaube ich, kein schlechtes Ding. Auch die ganze "Exposed". Aber das brachte mir gar nichts. Ich habe immer diese tiefe Befriedigung und den Drang zum Schreiben vermisst, den ich bei anderen sah. Hat nicht wirklich Spaß gemacht. Das war eher harte Arbeit. Also hatte ich keine Lust, so weiter zu gehen. Ich dachte, es gibt so viel brillante Songs da draußen. Millionen mindestens. Warum soll ich sie nicht ergreifen?

Klarer Standpunkt.

Ich glaube auch, dass die 60er/70er da sehr viel verändert haben. Plötzlich gab es Leute wie Dylan oder Waits. Und für die Labels war es finanziell sehr verlockend, weil man nicht mehr gesplitted Interpret und Composer bezahlen musste. Die Plattenfirmen wurden gierig. Also stieg der Druck, alle sollten auf einmal Singer-Songwriter sein und selbst performen. Ich finde das eigentlich sehr schade. Denn es ist nicht immer dasselbe Niveau, wie gut ein Sänger ist und wie gut ein Songwriter ist. Ich bereue diese Entwicklung. Ich weiß, mein Gesangstalent hat ein höheres Niveau als mein Songwritertalent. Wenn man sein Talent kennt, kann man Lieder finden, die es herausfordern.

Dabei entdeckt man dann auch eher exotische Talente, schätze ich. Ich denke da an die für dich eher ungewöhnlichen "Helens Tiergeschichten".

Ja stimmt. Das Kinderbuch zu machen, hat mir sehr gefallen. Es ist auch ein zweiter Teil in Planung. Da möchte ich zusätzlich gern die Illustrationen beisteuern.

Und wie steht es mit Amerika? Ist das noch aktiver Teil deines Lebens? Interessiert dich, was da abgeht?

Oh ja, ich bin eine Bürgerin. Ich habe einen Pass und ich wähle.

Dann hast du sicherlich geholfen, Bush loszuwerden?

Natürlich! Mit dem amerikanischen Botschafter habe ich gefeiert. Oh Mannomann. Das ist emotional ein großer Moment für uns Amerikaner. Viele meiner Landsleute, wie soll ich sagen, die enttäuschen mich einfach. Obama polarisiert eben. Und dieser ganze überwunden geglaubte Rassismus regt sich erneut. Aber was gut ist: Die Radikalen sind so verrückt geworden, dass sie diese konservative Partei jetzt splitten. Mit Bush waren die immer unsichtbar ins System eingebaut und geschützt. Und jetzt sind die so dermaßen radikalisiert und machen absurde Aktionen, dass die ganzen Konservativen gespalten sind. Die demaskieren sich endlich. Das ist eigentlich gut, oder? Aber ich denke immer nur: Mein Gott, das können die doch nicht ernst meinen.

Liebe Helen, ich danke dir für dieses Gespräch

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