22. Oktober 2008

"Voten ist kein deutsches Wort"

Interview geführt von

Freitag Morgen, 10 Uhr. Bei Götz Alsmann in Münster klingelt das Telefon. Einfach so den Hörer abnehmen wird er nicht, teilte die Plattenfirma vorab geheimnisvoll mit.Statt dessen solle man warten, bis der Anrufbeantworter anspringt, sich daraufhin höflich vorstellen und auf die Gnade des Meisters warten. Nach zweimaligem Läuten meldet sich eine müde Stimme.

Alsmann?

Guten Morgen, Herr Alsmann. Michael Schuh von laut.de hier.

Ja, wunderbar.

Bevor ich mit den Fragen beginne, möchte ich mich gleich mal bedanken. Sie gelten ja nicht gerade als internetaffiner Zeitgenosse.

Ich habe auch dazugelernt.

Schön. Nun sind Sie der erste männliche deutsche Musiker, der einen Vertrag mit dem legendären Blue Note-Label ergattert hat. Wundern Sie sich als passionierter Jazzfan mit dem Abstand von einem Jahr noch selbst ein wenig darüber?

Ich habe festgestellt, dass es Musikerkollegen mehr wundert als mich. Ich glaube, wer sich mit der Geschichte des Labels befasst, weiß, dass da vor allen Dingen in den Anfangsjahren einige Jazzkomiker dabei waren. Leute wie Babs Gonzales. Das gerät heutzutage natürlich in Vergessenheit, wenn man bestenfalls glaubt, dass die Geschichte von Blue Note mit der zweiten Donald Byrd-LP anfängt.

Mich hat es natürlich gefreut. Es ist noch immer hoch erotisch, seinen Namen und das Blue Note-Label auf ein und demselben Cover zu erblicken. Ich glaube aber, viele Musiker haben eher fassunglos darauf reagiert und dem Publikum ist es glaube ich egal (lacht).

Können Sie den Punkt mit der Kollegenkritik präzisieren? Haben Sie das persönlich mitbekommen?

Ja natürlich. Aber das ist ja auch kein Wunder, davon träumen schließlich viele. Viele, die sich sicher für ernsthaftigere Jazzmusiker halten als sie mich einschätzen. Es gibt sie halt immer wieder, diese Frage: Warum der und nicht ich?

"Mein Geheimnis" war eines der drei erfolgreichsten Jazz-Alben 2007. Wem mussten Sie sich geschlagen geben?

Ich weiß es gar nicht. Ich vermute mal, etwas von Till Brönner, denn wir sind zusammen nominiert worden.

Inwieweit interessieren Sie sich für den musikalischen Werdegang Ihrer Kollegen, etwa den des erwähnten Till Brönner, von Helge Schneider oder dem aufstrebenden Nils Wülker?

Alle drei Namen sind mir bekannt. Till Brönner kenne ich natürlich schon lange, er spielte ja auch auf einigen meiner Platten mit. Da werde ich schon auf dem Laufenden gehalten.

Sie gelten als energischer Verfechter der Bewahrung der deutschen Sprache und Unterstützer deutschen Liedguts. Was hat Sie in dieser Hinsicht in letzter Zeit am meisten beeindruckt?

(Pause)

(Nach zehn Sekunden:) Sie merken, eine sehr lange Pause. Aber gut, der sehr große Erfolg von Reinhard Mey im letzten Jahr mit dem erfolgreichsten Album seiner Karriere "Bunter Hund" ... das weist schon einige schöne Facetten auf, die immer wieder überraschen. Kitty Hoff gefällt mir sehr gut, die demnächst auch auf Blue Note erscheinen wird.

Finden Sie die Zeit, sich zur Wissens- und Meinungsbildung manchmal auch genrefremde Bands anzuhören, etwa aus dem Hip Hop-Bereich oder auch das Jugendphänomen Tokio Hotel, dank denen sogar ausländische Kinder wieder verstärkt die deutsche Sprache lernen?

Das ist natürlich fein, aber ehrlich gesagt interessiert mich das überhaupt nicht. Hip Hop findet in meinem Leben nicht statt. Wie eigentlich alle Formen zeitgenössischer Popmusik. Daher kann ich mich dazu auch nicht kompetent äußern.

Was finden Sie am Zustand der deutschen oder deutschsprachigen Musik denn beklagenswert?

Ach Gott ... (lacht) Stunden später. Naja, ich finde halt vieles im Schlager sehr lieblos. Ich fand natürlich die Annett Louisan-Texte sehr gut. Die Texte und musikalischen Einfälle im Mainstream-Schlager von heute sind doch weitgehend nach sehr überschaubarem Format gestrickt.

Hier Knopf eins, da Knopf zwei, dann kommt hinten irgendwas raus, darauf noch zwei Kinderzimmer-Reime und fertig is die Laube. Das kann einen auf Dauer nicht befriedigen. Das Genre Schlager, für dessen Erhalt ich ja tapfer und wacker eintrete, ist in seiner derzeitigen Ausformung nicht immer ein Quell der Freude.

"Englische Fachausdrücke sind nicht mein Problem"

Nun wählen Sie für sich ja bewusst die Bezeichnung Unterhaltungskünstler, woran man schon Ihre Abneigung gegen Anglizismen ablesen kann. Das Plattengeschäft, in dem Sie arbeiten, ist allerdings voll von solchen Vokabeln: Man hält Meetings ab, man macht Phoner, man nimmt Awards in Empfang. Wie halten Sie das überhaupt aus?

Also, bestimmte Lehnworte sind eben irgendwann da und werden auch von mir benutzt. Ein Wort wie Meeting hat ja sogar schon in die russische Sprache Eingang gefunden, wird dort sogar lautmalerisch kyrillisch nachgeschrieben. Es ist auch nicht weiter schlimm, dass es englische Lehnwörter gibt. Schlimm ist, wenn es sinnlose Lehnwörter gibt. Wenn nicht mehr abgestimmt, sondern gevotet wird. Das finde ich zum Kotzen. Wir voten heute für ... (lacht laut auf)

Die Leute glauben nach einigen "Deutschland Sucht Den Superstar"-Staffeln ja tatsächlich, dass voten ein deutsches Wort ist. Dabei ist es nicht mal ein Wort, sondern ein Witz.

Würden Sie Worte wie Laptop oder Fast Food als Lehnwörter ansehen?

Ja. Fast Food etwa drückt ja nicht nur das schnelle Essen aus. Ein schnelles Essen ist auch ein Strammer Max und das ist großartig. Fast Food drückt auch etwas Negatives aus. Begriffe, die eine ganze Assoziationswelt mit sich herumtragen, sind sicherlich zulässig.

Dann sagen Sie anstatt Laptop nicht Klapprechner?

(lacht) Also da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Allerdings habe ich keinen, deshalb muss ich das Wort auch nicht benutzen. Es gibt ja auch in der Rockmusik gängige Fachausdrücke wie den Flanger oder den Chorus, um bestimmte Effekte auszudrücken. Was einfach damit zusammenhängt, dass diese Begriffe weltweit auf diesen Apparaten stehen. Die sind gar nicht mein Problem.

Ob sie jetzt aus dem Griechischen oder aus dem Lateinischen stammen, heute stammen sie halt aus dem Englischen. Ich kokettiere ja beispielsweise auch gerne mit altmodischen Fremdwörtern, die aus dem Französischen stammen. Oder im Tourneegeschäft gibt es ja den Rider. Aber da gibts auch den Ablaufplan. Ich benutze also seit langem nicht mehr das Wort Rider. Nein, lächerlich sind Nagelstudios, die "Nails And More" heißen. Oder Potatoe stations. Aber die Welt ist bunt.

"Der Schlager ist oft bemitleidenswert"

Lyrischer Sprachwitz mit Anspruch und der Aussicht auf Nachhaltigkeit findet sich ja nicht in allen deutschsprachigen Produktionen.

Ah, da haben Sie aber tief gewühlt in meinen Zitaten.

Oh. Nein, eigentlich stammt das von mir.

Ah ja, so was habe ich auch mal gesagt.

Meine Frage ist: Nehmen Sie dieses Bauernopfer in Kauf, wenn Sie sich etwa im Kampf gegen die Eintönigkeit der Formatradios plakativ für mehr deutschsprachige Musik einsetzen?

Es ist ja nicht so, dass es keine deutschsprachige Musik im Radio gibt. Es gibt sogar deutschsprachige Formatradios. Nur sind die meistens eher mit der bemitleidenswerten Seite des Schlagers behaftet. Aber nichtsdestoweniger: Es ist erstaunlich, dass ambitionierte deutschsprachige Unterhaltungsmusik eher noch auf Teenagerwellen gespielt wird, denn auf Erwachsenen- und Unterhaltungswellen.

Beim WDR gibt es das Teenagerradio Eins Live, die spielen eine Annett Louisan. Dann gibts das Formatradio für Information, die spielen eben sehr viel Bon Jovi und keine Annett Louisan. Und dann gibts WDR4, das ist der Volksmusik- und Schlagersender, der spielt ganz viel Annett Louisan.

Das ist ja das Verrückte: dass da plötzlich eine Brücke geschlagen wird zwischen den Hausfrauen- und den Teenagersendern. Das Bindeglied ist aber die Sprache, nicht die Musik.

Im letzten Jahr haben Sie ja heftige Kritik am Grand Prix bzw. am Eurovision Song Contest geübt, nannten den früheren Schlagerwettbewerb einen Geschmackskollaps. Abgesehen von Ihrem Wunsch, dass alle Interpreten wieder in der Landessprache singen sollten; was müsste sich am Regelwerk des Vorentscheids ändern, damit heftige Niederlagen wie die der No Angels oder Roger Cicero vermieden werden könnten?

Ich glaube, das hat überhaupt nichts mit den Vorentscheidungen zu tun. Sie können in den 52 Jahren der Geschichte dieses Wettbewerbs ja sämtliche Formen des Vorentscheids durchdeklinieren. Da gab es auch diese Geschichte, dass im Fernsehen ohne Publikum drei Schlager vorgestellt wurden, woraufhin eine Fachjury darüber abgestimmt hat. Es gab wirklich schon die komischsten Sachen.

Roger Cicero, dem ich ja nichts Negatives nachsagen kann, ist durch seinen großen Erfolg auf einer Woge der nationalen Sympathie geritten. Dass aber in Osteuropa ein deutschsingender Schlagersänger, der sich von einer Big Band begleiten lässt, den Geschmack moskovitischer Voter (ironisch) nicht auf Anhieb trifft, das war ja an zwei Fingern abzuzählen. Ich glaube, das ganze Konzept hat sich einfach überlebt.

Sie würden also auch nicht mehr antreten?

Das steht doch überhaupt nicht zur Debatte. Das Ding war ja auch früher mal, müssen Sie wissen, in erster Linie ein Komponistenwettbewerb. Als 1957/58 Margot Hielscher antrat, sang sie Lieder ihres Mannes Friedrich Meyer, der damals ein sehr populärer Komponist war. Die Komponisten dirigierten seinerzeit ja noch selbst das Orchester. Wohingegen wir es heute mit Halbplayback-Veranstaltungen zu tun haben, bei denen einfach die schönsten Titten prämiert werden. Oder andere Dinge, die mit Musik nichts zu tun haben. Ähm, habe ich eben Titten gesagt?

Ich glaube, Sie haben Brüste gesagt.

Brüste, ja natürlich.

Zum Schluss: Sie erreichen auf Ihren Tourneen stetig mehr Zuschauer, Sie sind ein bekanntes TV-Gesicht und haben vielseitige Talente. Wäre es da nicht ein Traum, eine Samstagabendshow im Stile eines Harald Juhnke zu gestalten, in der Sie sowohl die Moderation, die Unterhaltung der Gäste als auch die musikalische Untermalung übernehmen?

Ich mache ja schon die Freitagabendshow im ZDF, "Götz Alsmanns Nachtmusik". Nein, ich habe zu viel zu tun, als mir darüber Gedanken zu machen.

Ich habe immer das Gefühl, Sie würden fürs Fernsehen nie Ihren Konzertmarathon von 100 bis 120 Konzerten im Jahr reduzieren. Sind die unantastbar?

Nein, es dürfen auch gerne ein paar weniger sein. Aber richtig, ich will schon auftreten. Allerdings ... dieses Jahr ist es wieder so ein Irrsinnspensum. Ich wünsche mir schon auch Jahre mit weniger Konzerten, aber eben nicht ohne Konzerte.

Hat die Familie auch ein Votum in dieser Frage?

Die Familie freut sich, dass es ihr gut geht.

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