11. September 2015

"Ich kann jetzt noch nicht den Raab machen"

Interview geführt von

Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol haben das vermeintlich Unmögliche geschafft: trotz unvermeidbarem Promi-Bonus nur von jenen Leuten wahrgenommen zu werden, die einen auch ernst nehmen - und dabei von gar nicht so wenigen. Kurz nach Veröffentlichung des zweiten Albums "Geister" laden uns Gloria zum Gespräch.

Beim Treffen in Berlin-Mitte entpuppen sich die beiden vom ersten Moment an als Sympathen. Nicht, dass einen das ernsthaft überrascht hätte. Aber dass es sich ausgerechnet mit dem TV-Star und dem Ex-Wir Sind Helden-Basser so sehr auf Augenhöhe über Musik sprechen lässt wie selten, war nicht unbedingt vorauszusetzen.

Euer neues Album kam durchaus schneller als erwartet. Zumindest dachte ich, da hört man jetzt erst mal wieder vier Jahre nichts.

Mark: Wir hatten gar nicht so richtig das Gefühl, dass wir uns beeilen müssen. Es heißt immer, dass Platten zwei Jahre brauchen. Das ist aber eine Zeit, die nirgendwo geschrieben steht. Wenn man mit einer Platte ausgiebig auf Tour geht, erscheint einem das vom Bauchgefühl her schon lange. Dieses Musikergefühl: Du gehst auf die Bühne, spielst dieselbe Platte und nochmal dieselbe Platte. Da sagt das Herz irgendwann, dass es schön wäre, wenn es mal weitergeht und mehr gibt. Deswegen war klar, dass wir nach der Tour und dem Festivalsommer einfach weiterarbeiten.

Das klingt logisch. Aber es ist ja nicht so, dass ihr sonst nichts zu tun hättet.

Klaas: Ja, das stimmt. Man muss sich bewusst dafür entscheiden, es jetzt richtig zu machen. Das war bei der ersten Platte aber auch schon so. Die kam nicht in einer Zeit, in der sonst nichts war, sondern wurde mitten rein platziert. Wir wussten schon, dass das mit viel Hängen und Würgen im Vorfeld zu tun hat, dann aber genau der Freiraum geschaffen wird, der entspanntes und freudiges Arbeiten ermöglicht. Dieses ganze Theater davor und danach nervt schon. Aber die Zeit, in der es dann tatsächlich passiert, ist gut. Und dafür tu ich mir den Stress auch gerne an.

Kannst du deine Jahre blockweise planen?

Klaas: In der Sommerpause ist das ein bisschen so, denn da hab ich wenigstens keine wöchentliche Sendung. Aber dadurch, dass wir abseits davon noch viel anderes Zeugs machen, gibt es trotzdem die ganze Zeit etwas zu tun. Dann läuft das schon parallel. Das finde ich aber auch ganz richtig so, weil ich gar nicht das Gefühl haben will: Das ist die eine und das ist die andere Routine. Sondern das ist alles linear, das sind so meine Tage. Es belebt sich gegenseitig ganz gut.

Mark, wie verbringst du die Zeit, in der Klaas anderweitig verplant ist?

Mark: Mit der Platte. Denn klar, ich hab darauf natürlich nochmal eine andere Sichtweise als Klaas.

Klaas: Allein durch das Produzieren.

Mark: Ich hab im Mai 2014 einen Entschluss gefällt. Ich wollte gerade mit der Produktion einer anderen Platte [Tom Klose, d.Verf.] anfangen. Aber Klaas und ich wussten schon, dass wir weitermachen. Wir wussten nur nicht genau wann. Dann haben wir uns gedacht: Eine Platte im Spätsommer 2015 rauszubringen, wäre eigentlich toll. Später würde sich komisch anzufühlen, weil man im Herbst 2015 auch wieder live spielen will. Das hieß für mich: Ich muss mich jetzt darum kümmern, dass das beginnt, sonst werden wir es nie schaffen.

Daher habe ich die andere Produktion abgesagt und mich reingestürzt. So haben wir es irgendwie geschafft. Trotz der vielen Zeit, die Klaas mit seiner TV-Arbeit verbringt – und die auch nicht weniger wurde. Trotzdem finde ich, dass die zweite Platte mehr als genug Luft hatte. Die Songs wurden nicht fertiggestellt und abgehakt, sondern jeweils sechs Mal auf den Kopf gestellt, wie schon bei Wir Sind Helden.

Klaas, kannst du dir denn vorstellen, die TV-Arbeit zugunsten der Musik irgendwann zu reduzieren?

Klaas: Ich kann jetzt nicht sofort den Raab machen. (lacht) Hab ich aber auch gar nicht vor. In meiner Wahrnehmung ist es auch nicht wahnsinnig viel mehr geworden. Dadurch dass man jede Woche zu sehen ist, hat man immer so ein Grundrauschen. Ich mache ja auch nicht mehr als morgens zur Arbeit zu gehen, abends nach Hause zu kommen und zwischendurch mal untypischerweise freizuhaben. Ich war dieses Jahr auch schon im Urlaub, wie man an meiner goldbraunen Hähnchenhaut erkennen kann. Insofern geht das alles. Wir machen beim Fernsehen sowieso nur das, was die Kapazität unserer Firma hergibt. Wir wollen da nicht zum Fließband-Produkt werden.

Ihr habt bezüglich der ersten Platte recht großen Zuspruch bekommen, was nicht unbedingt selbstverständlich ist, wenn TV-Leute plötzlich Musik machen.

Klaas: (lacht) Ja, normal.

Ich nenn jetzt keine Namen. Jedenfalls: Auch aus kommerzieller Sicht lief es gut. Die Konzerte waren bestens besucht. Wirkte das befreiend?

Mark: Es war auf jeden Fall befriedigend. Wir waren vorher aber nicht beklommen. Klaas sagt zwar immer so schön, er starte mit Minus 30 Prozent Kredibilität. Diesen Gedanken hatten wir schon. Wir haben aber nicht zugelassen, dass er unsere Arbeit behindert und uns im Weg steht.

Klaas: Feature mit Reinhold Beckmann noch kurzfristig abgesagt. (lacht)

Mark: Klar, es fällt mir schwer, jetzt noch einzuschätzen, wie es gelaufen wäre, wenn Klaas und ich unbeschriebene Blätter gewesen wären. Dennoch ist ein Debütalbum immer ein ganz entscheidender Moment. Du wirst irgendwo einsortiert, und da bist du erst mal. Und dann musst du ganz schön was anstellen, um wieder eine andere Schublade zu ergattern, wenn du dich in deiner nicht wohlfühlst. Es ist nicht immer gerechtfertigt, das so was passiert. Den Gedanken hatten wir schon.

Aber irgendwie haben wir Ruhe bewahrt. Wir haben ja nicht zigtausend Platten verkauft, um irgendeine Zielsetzung zu erreichen. Sondern diese lautete ganz klar: Wir wollen da landen, wo wir landen wollen. Das ist geglückt und war insofern eine Befreiung. Der Begriff geht eigentlich zu weit. Es war eine Genugtuung. Eine Erleichterung vielleicht. Vor allem aber ein guter und angenehmer Start für eine zweite Platte. Und deswegen – um der Frage zuvorzukommen – war die zweite Platte die leichtere.

Fühlt ihr euch dennoch in eine Schublade gesteckt? Ich bin zumindest ein wenig genervt davon, dass anscheinend keine Gloria-Review ohne das Wort Knyphausen auskommt.

Klaas: Ja, aber daran sind wir auch ein bisschen selbst schuld. Man wird ja auch öfter mal gefragt, was man gerne hört. Und nur um bestimmte Rituale zu brechen, muss man das nicht verheimlichen. Es ist nun mal so: Ich hab diese erste Platte von ihm so oft gehört wie kaum eine andere in der Zeit. Das hatte schon eine Atmosphäre. Dieser merkwürdige Moment, als wir noch bei MTV waren: Da kam Gisbert zu MTV Home und hat "Sommertag" live gespielt. Es war so witzig, wie Gisbert da saß und oben rechts war das MTV-Logo. Das war damals völlig unvereinbar. Und wer ihn kennt, weiß ja auch, dass das nicht der Typ ist, der sich breitbeinig hinstellt und sagt: Wo ist die PA? Sondern ...

Mark: Wo gibt's hier Strom?

Klaas: Genau. Insofern hat das auch was Emotionales. Ich weiß schon, was du meinst. Es gibt aber deutlich schlimmere Vergleiche.

Welche seiner beiden Platten findest du eigentlich stärker?

Klaas: Wahrscheinlich tatsächlich die erste. Allein der Song "Neues Jahr" (singt): "Es ist zwölf, ich bin gespannt, was sich ändert ..."

"Wir schlafen nie im Streit ein"

Zurück zu euch. Mark, du hast wie angesprochen selbst produziert. Stand nie die Idee im Raum, sich einen Namen wie Moses Schneider oder wen auch immer ins Boot zu holen?

Klaas: Bei Moses Schneider war ich mal mit Olli Schulz im Studio.

Mark: Ich war auch schon mal mit Olli bei Moses auf seinem Gymnastikball. Klar, der Gedanke an eine Ko-Produktion war schon da, aber eher bei der ersten Platte. Dass es dazu nicht gekommen ist, war jedoch relativ glücklich, weil unsere Arbeitsweise das überhaupt nicht zulässt. Kein Produzent nimmt sich hier mal drei Tage, und dort nochmal. Das geht nicht. Wir sind außerdem viel zu detailverliebt. Ich würde dem wahrscheinlich ständig reinquatschen. Das ist immer ein interessanter Gedanke, und klar kann es sein, dass jemand anderes das alles zehn mal besser macht. Aber für unsere Befriedigung ist es eine sehr runde Sache, dass die Arbeit im Stall geblieben ist.

Man muss ansonsten wahrscheinlich vor allem loslassen können.

Mark: Ja, du musst loslassen können. Du musst aber auch jemanden finden, der nicht genervt davon ist, dass das alles so gestückelt um die Ecke kommt.

Klaas: Vor allem gehören Auseinandersetzungen bei uns auch dazu. Wenn da noch einer mitmacht – ich weiß nicht. Es ist schon ganz gut so, das auf Grundlage einer Freundschaft zu machen, die seit über zehn Jahren existiert. So was ist immer belastbarer. Gerade in Situationen, die sich nicht in fünf Minuten lösen, sondern in denen man einfach unterschiedlicher Meinung ist.

Mark: Aber wir schlafen nie im Streit ein. (lacht)

Klaas: Nee. Abends wird sich immer vertragen.

Inwiefern erarbeitet ihr die Stücke eigentlich gemeinsam? Sitzt ihr von Anfang an zusammen am Song, oder läuft das eher Dropbox-geprägt?

Klaas: Ja, es ist natürlich etwas Dropbox-mäßiger geworden. Wenn du nicht die Absicht hast, eine Platte zu machen, was bei der ersten ja wirklich so war, benutzt du das Studio eher als Proberaum. Da haben wir einfach Musik gemacht. Ohne irgendwelche Strukturen im Kopf hast du eine ganz andere Muse. Da bietet die Musik dann auch eine Hilfestellung, sich persönlich besser kennenzulernen. Bei der zweiten Platte hat Mark hingegen oft schon für sich in seinem kleinen Raum angefangen. Was aber nur ging, weil wir die DNA von Gloria mittlerweile - mit einigem Abstand - verstanden haben. Ich hör dann was von ihm, und denk mir: So gerne ich würde, ich kann nicht daran rummeckern. (lacht)

Mark: Das ging aber auch nur, weil wir bei der ersten Platte alles zusammengemacht haben. Das war schon so eingebimst. Es sind auch alles keine ganz typischen Pop-Themen, die wir aufspießen. Sondern klassische Klaas-und-Mark-Themen, abseits all der bescheuerten YouTube-Videos, die wir natürlich auch anschauen. Wir sind schließlich keine schwermütigen Menschen, wenn wir uns treffen, sondern auch eher alberne Leute – kompetitiv albern. Aber wenn wir länger über Sachen sprechen, hat das immer eine andere Dimension. Wir sind zum Beispiel beide totale Zeitungsleser. Diese Bruder-im-Geiste-Arbeit der ersten Platte hat jedenfalls erst ermöglicht, dass ich diesmal unbeabsichtigt so viel vorlegen konnte.

Klaas: Vor allen Dingen hab ich mittlerweile auch kapiert, was es bedeutet, was passieren muss und wie viele Phasen es gibt, bis ein Song von der ersten Idee über ein Demo bis hin zum verkauften Stück gewachsen ist. Wie viel kann man in welcher Phase erwarten? Wo ist welche Idee gefragt? Welche Nuss kannst du an dieser Stelle nicht knacken, weil der Sound sowieso noch anders wird? Das muss man einmal ganz intensiv erlebt haben. Da lagen auch viele Streitpunkte. Wir sind beide dickköpfig und selbstbewusst genug, um zu streiten. Wir arbeiten viel mit gegenseitiger Demütigung (lacht). Selbst die gar nicht so schlechten Ideen des anderen stellt man als den letzten Scheiß dar. Man zerreißt sie in der Luft, so dass der andere aus dem Loch der Demütigung gar nicht mehr alleine rauskommt, damit man ein bisschen Platz für seine eigenen Ideen hat.

Mark: Du nimmst den anderen, stellst ihn zwischen Jürgen von der Lippe und Achim Reichel, und sagst: Das ist gerade deine Idee.

Klaas: Ja. Manfred von den Flippers an den Drums.

"Wir haben das Wort PEGIDA aus dem Infotext streichen lassen"

Dass ihr Zeitungsleser seid, überrascht natürlich nicht unbedingt. Wie inspiriert das beim Schreiben?

Klaas: Es ist nicht so, dass wir was lesen und einen Song darüber schreiben. Es ist nicht so, dass wir Kommentare verfassen. Das muss man ein bisschen unterscheiden. Manchmal wird man von der Realität auch ein wenig eingeholt, wenn man Songs bereits vorher geschrieben hat, und etwas dann plötzlich in die Passform dieses Stückes reinrutscht. Ein Song wie "Geister" ist in unserer Wahrnehmung in erster Linie gesellschaftlich angelegt.

Mark: Wir haben aber aus unserem Infotext das Wort PEGIDA bezüglich "Geister" streichen lassen, obwohl es total passt. Weil wir nicht den Eindruck erwecken wollten, dass wir das daraufhin geschrieben hätten. Das ist ein altes Thema, das wir in Deutschland und in anderen Ländern schon immer hatten.

Klaas: Der Text ist sehr bildhaft und assoziativ. Man kann beim Anhören auch voll in die andere Richtung marschieren. Das ist auch in Ordnung. Aber wir wissen natürlich schon, was wir meinen. Beim einen greifen die Bilder stärker, beim anderen schwächer, das ist auch immer Geschmackssache. Das kenne ich auch selber vom Musikhören: Wenn man einmal auf dem falschen Dampfer ist, hört man ja irgendwann weg.

Klar, "Hinterher" von Moritz Krämer habe ich beispielsweise erst beim 30. oder 40. Mal Hören verstanden.

Klaas: Ja, es gibt ja auch Songs von Gisbert, für deren Verständnis man vielleicht erst mal die Familiengeschichte kennen muss. Wenn man es dann versteht, kriegt man es mit der Bratpfanne auf den Kopf. Dieses Gefühl ist aber unschlagbar. Das ist an Intensität nicht zu überbieten. Wenn du ein Lied in- und auswendig kennst, und auf einmal erzählt dir jemand irgendwas, und das ist plötzlich der Schlüssel, um es zu dechiffrieren. Dann hörst du es nochmal von vorne und hast auf einmal das Gefühl, der Song läuft rückwärts.

Mark: Das sind auch Dinge, die Songs in ihrer Halbwertszeit wahnsinnig beflügeln. Das geht schon ganz banal los. Etwa rein phonetisch, wenn man Raps nicht versteht, die aber trotzdem geil findet. Wenn man sie dann irgendwann versteht, hat der Song auf einmal eine ganz andere Tiefe. Und bei inhaltlichen Sachen ist es natürlich nochmal extremer. Diese Renaissance, nochmal Bekanntschaft mit einem Song zu machen, ist ein Grund dafür, warum wir uns so bildhaft ausdrücken. Das ist nicht kalkuliert. Sondern oft kann man einem Thema nur so Größe verleihen: indem man es einem nicht zu sehr auf den Nasenrücken legt oder mit einer Parole versieht.

Klaas: Man verinnerlicht Sachen zudem besser, wenn man selber draufkommt – auch in Diskussionen.

Mark: Vielleicht muss man noch ganz kurz dazusagen: Wir texten nicht deswegen kryptisch, weil wir nicht wissen, was wir sagen wollen. Wir haben hinter jeder Zeile und jedem Song ein ganz konkretes Bild. Das preiszugeben, können wir nur immer anbieten.

Klaas: Das ist das berühmte Hoserunterlassen. Das gehört eben dazu. Das ist dann das B, wenn man vorher A gesagt hat.

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