laut.de-Kritik

Ein Zuckerschock fürs Ohr.

Review von

Mit 77 Jahren tritt George Benson keine Wettrennen mehr an. Er hat den maximalen Bekanntheitsgrad und kommerziellen Erfolg erreicht, der einem Jazzgitarristen vergönnt sein kann. Dieses Glück verdankte er zwischen 1976 und 1980 der Disco-Welle, ebenso erstklassigen Mitmusikern, aber auch seiner ausgefeilten, lebendigen Gesangstechnik. Reichte es in Deutschland nie richtig für die Charts, rissen Fans in vielen unserer Nachbarländer Benson seine Alben aus der Hand.

Für seine Live-CD "Weekend In London" trat der Altmeister 2019 in London auf. Vor nur 250 Leuten, in Ronnie Scott's Jazz Club in Soho, einem Venue, das damals gerade 60 illustre Jahre Jubiläum feierte. Mindestabstand war nicht einzuhalten; trotzdem ließ man zum Zwecke der Exklusivität nur eine handverlesene Zahl an Leuten rein. Auf jener Tour 2019 spielte Benson sein Set auch in Berlin und open air in Erlangen. Denn ein paar Songs wie "Give Me The Night", "Turn Your Love Around" und "Nothing's Gonna Change My Love For You" kennen viele Soul-Fans auch bei uns.

"Give Me The Night" stammt (ebenso wie "Love X Love") aus der Feder von Rod Temperton, der einige der größten Michael Jackson-Hits textete und komponierte. Mit diesem unsterblichen Hit eröffnet Benson seinen Reigen an Wohlfühlnummern und steuert somit frühzeitig auf einen Peak in der Performance. Der Bass fährt unter die Haut. Unbekümmertes Freiheits-Feeling der Disco-Welle macht sich breit. "Give Me The Night" zieht mit seiner eingängigen Melodie in Bann, pflegt aber auch den Jazz in einem Bridge-Abschnitt. Benson klingt so inspiriert, als habe er den Song eben gerade geschrieben. Aber gut, er hat seine Titel zwar selten selbst verfasst, sie sich jedoch zu eigen gemacht, bis sie ihm in Fleisch und Blut übergingen und jede Distanz zu den Fremdkompositionen schwand.

"Nothing's Gonna Change My Love For You" ist ein Song von Carole Kings Ex-Mann Gerry Goffin aus der Zeit seiner dritten Ehe, eine Soul-Schnulze par excellence. Eine sehr gute Figur macht auch "Turn Your Love Around". Dank Steve Lukathers Ko-Komposition kann der Track als Toto-Titel durchgehen, wurde von den Jazzrockern aber nie unter dem Namen Toto eingespielt und strahlt den Vibe dieser Band aus. Ein Chartbreaker gelang Benson damit 1981 - unterstützt von David Paich an den Keyboards und von Jeff Porcaro, dem unvergleichlichen Drummer von Steely Dan und Toto. Porcaro hatte für die Studiofassung lediglich ein paar Takte geloopt. Das damals schicke Programmieren des Drum-Computers ersetzt Benson auf der Bühne mit fettester, analoger Bass Drum.

Ankreiden ließe sich George Bensons Live-Mitschnitt trotz solch energischer Momente, dass die oft schunkelig-intime Schlafzimmer-Atmosphäre wenig Abwechslung zulässt. Die letzten drei, vier Stücke nimmt man kaum noch bewusst wahr, selbst wenn man sich sehr aufs Album konzentriert. Ein Zuckerschock fürs Ohr.

Als Highlights zeichnen sich derweil etliche Tracks aus: "Feel Like Makin' Love" von Rhythm'n'Blues-Legende Eugene McDaniels, im Original von Roberta Flack veredelt, "The Ghetto" aus Robertas unmittelbarem Bekanntenkreis, von Donny Hathaway in dessen eigener Zwölf-Minuten-Konzertfassung unübertroffen.

Bei Benson hypnotisieren die Klaviersynkopen. Seine psychedelischen Gitarrenharmonien, entwickelt in jahrzehntelanger Live-Darbietung der Nummer, erzeugen einen Trance-artigen Effekt. Das stampfende Schlagzeug lenkt uns auf famose Weise ganz authentisch in die Musikwelt um 1971/72, in die afrokubanisch geprägten Soul-Szenen von Chicago und New York.

"Moody's Mood", eine Abwandlung von James Moody's "Moody's Mood For Love" aus Bensons ikonischem Album "Give Me The Night", punktet als energische Jazz-Variation. "I Hear You Knocking", New Orleans-Jukebox-Knaller mit schlurfendem Honky Tonk-Piano, entstand von den 1930er Jahren an als mündlich übermittelte Nummer, die 1955 irgendwann zur geschriebenen Komposition wurde und dank Fats Domino dann ein Riesenpublikum fand. Der unermüdlich nach Perlen der Musikgeschichte diggende Benson hatte sich den Song erst 2019 einverleibt.

Ab "Love Ballad" (1979), einer repetitiven Disco-Explosion mit viel laszivem Bläsersatz und bravem weiblichen Background-Gesang, gerät das Konzert zum Selbstläufer. Das Vibraphon im Closer "Cruise Control" aus Bensons 90er-Repertoire ist zweifellos hörenswert, wobei die Nummer mehr als versöhnlicher Rausschmeißer aus der Setlist einer heilen Welt dient, die man ungern verlässt, wenn sie einmal eingelullt hat.

Dabei begann diese Welt ganz kaputt. Als Kind und Jugendlicher hatte Benson Konflikte mit der Polizei, wenn er illegal nachts als Minderjähriger in Spelunken auftrat, die keine Gast- und Spielstätten-Lizenz hatten. Man steckte ihn in ein Zentrum für jugendliche Straftäter - doch er wollte immer Musik machen. Wohin er es bringen würde, war ihm damals wohl kaum klar. Dass er von den Bühnen auch als Senior nicht lassen kann, tut gut zu hören. George Benson ist wie die meisten großen Disco-Stars einer, der in dieser Modewelle nur Gast war und ihr doch als toller Entertainer seinen Stempel aufdrückte.

Trackliste

  1. 1. Give Me The Night
  2. 2. Turn Your Love Around
  3. 3. Love X Love
  4. 4. In Your Eyes
  5. 5. I Hear You Knocking
  6. 6. Nothing's Gonna Change My Love For You
  7. 7. Feel Like Makin' Love
  8. 8. Don't Let Me Be Lonely Tonight
  9. 9. The Ghetto
  10. 10. Moody's Mood
  11. 11. Love Ballad
  12. 12. Never Give Up On A Good Thing
  13. 13. Affirmation
  14. 14. Cruise Control

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