Langsam, träge und zähflüssig tropft der Sound aus der Box. Die Schlieren, die er hinterlässt, führen vom Gehörgang ohne Umweg übers Gehirn direkt ins vegetative Nervensystem. Willkommen im dreckigen Süden. Willkommen in Houston.

Für die Remix-Technik, die dem Hip Hop der amerikanischen Südstaaten ihren Stempel aufdrückt, kursieren zahlreiche Bezeichnungen. Egal, ob man von Chopped & Screwed (oder Screwed & Chopped), Screw, Slowed, Dragged & Chopped, Houston Music oder SLAB (kurz für "slow, loud and banging") sprechen möchte, gemeint ist das Gleiche: Ein Track - in aller Regel wird es sich dabei um eine Dirty South-Nummer handeln - wird bis an die Schmerzgrenze verlangsamt (Screwed). Einzelne Parts des gleichen Stücks (oder eines anderen, wen interessiert das schon so genau) werden zerhackt, beständig wiederholt, gescratcht oder andersartig manipuliert obendrauf gepackt (Chopped).

"Wir nennen es Screwed & Chopped Music, um unsere Hochachtung für den legendären DJ Screw zum Ausdruck zu bringen", so Paul Wall, in der Mitte der 00er Jahre ein populärer Vertreter des Houston-Sounds. "Man nennt ihn auch The Originator." Selten besteht über die Urheberschaft für ein ganzes Genre vergleichbare Einhelligkeit: DJ Screw, mit bürgerlichem Namen Robert Earl Davis, Jr. aus dem Süden Houstons, hats erfunden.

Bereits um 1990 beginnt er, an der Pitch-Funktion seiner Plattenspieler herumzuspielen. "Eines Tages legte er ein Mantronix-Album auf", erinnert sich Screws Cousin Big Bub, der Boss von Screwed Up Records & Tapes, wo man noch Jahre nach Screws Tod mit dessen Tapes handelt. "Zum ersten Mal hörte ich ein heruntergeschraubtes Stück. Er spielte es langsamer ab als vorgesehen und fuhr total auf den Klang ab. Er probierte immer weiter herum, und ungefähr ein Jahr später hatte er ein ganzes Tape, alles verlangsamt."

Bei einem Band soll es nicht bleiben. Screw produziert zwar nur eine Hand voll Alben, wirft aber Hunderte von Mixtapes auf den Markt. Sein triefender, hypnotischer Sound inspiriert die Rapper in seinem Umfeld. Schon bevor Chopped & Screwed seinem Siegeszug durch den Süden antritt, verwendet Willie D für "Die" (auf "I'm Goin Out Like A Soldier") ein verlangsamtes Scarface-Sample.

Screw lädt die MCs aus seiner Nachbarschaft ein, auf seinen Tapes, die sich häufig um ein Leitmotiv drehen, mitzumischen. Erst einfache Shout-Outs, später ausufernde Freestyles. Zu dieser Zeit spricht allerdings noch keiner von Chopped & Screwed. Eine Tape von Screw ist einfach ein Screw-Tape - oder ein "Grey Tape", der grauen Kassetten wegen, die er zu verwenden pflegt.

Screw unterstützt die lokale Szene. In seinem Umfeld findet sich die Screwed Up Click zusammen. Mitte der 90er schlägt Screw ein lukratives Angebot von Priority Records aus. "Es ging ihm nicht ums Geld. Er ging ihm darum, das zu tun, worauf er Lust hatte - zusammen mit seinen Homeboys." Lil' Flip, Big Pokey, E.S.G., Big Hawk und wie sie alle heißen, wissen genau, was sie Screw zu verdanken haben. Hawk bringt es auf den Punkt: "Er gab uns allen Karrieren."

Handelt es sich bei den ersten Chopped & Screwed-Versionen noch um Instrumentals, über die Rapper ihre Shouts und Freestyles setzen, werden später zunehmend Vocal-Tracks durch die Mangel gedreht, über die gelegentlich getoastet wird. Screw vergreift sich an R. Kellys "I Wish", Bone Thugs-N-Harmonys "Budsmokers Only" und produziert für Lil' Flip "Game Over".

DJ Screw steht für den Süden Houstons. Im Norden der Stadt übernimmt auf Drängen seiner Homies Michael 5000 Watts das Ruder und dreht an den Geschwindigkeitsreglern. Mitte der 90er gründet er Swishahouse, das rasch zu einem der erfolgreichsten Labels am Ort avanciert. Obwohl sich zwischen Nord- und Süd-Houston eine kleine Rivalität entwickelt, zollt Watts seinem Kollegen immensen Respekt: "DJ Screw hat es erschaffen, als erster, das wird immer so bleiben." Michael 5000 Watts verwendet bewusst den Terminus "Chopped & Screwed".

Am 16. November 2000 wird DJ Screw tot in seiner Wohnung aufgefunden. Als Todesursache stellen Mediziner einen Herzanfall fest. Sein Cousin erzählt später im Interview, Ärzte haben bei Screw bereits früher Herzbeschwerden diagnostiziert. In seinem Blut fand sich zudem reichlich Codein, was auf Screws exzessiven Genuss der in der Szene üblichen Droge zurück zu führen ist.

Codeinhaltiger Hustensaft, auch als Syrup, Sizzurp, Drank oder Texas Tea bekannt, wird im Süden bereits seit den 60ern nicht nur zur Behandlung von Halsbeschwerden eingesetzt. Anfang der 90er boomt der Konsum. In gewisser Weise illustriert die Ästhetik von Chopped & Screwed die Wirkung von Codein auf die Wahrnehmung und ist damit eng mit der Droge verbunden. "Sippin' On Some Syrup" tönt es 2000 aus den Reihen der Three 6 Mafia.

Als Screw im November stirbt, hat sich der von ihm kreierte Stil bereits ausgebreitet. In Miami, Atlanta, New Orleans schlürft man seinen Sirup zu Chopped & Screwed-Sound. Screws Tod und die nachfolgenden Gedenk- und Huldigungs-Stürme lenken jedoch die Aufmerksamkeit wieder nach Houston, wo nun Michael 5000 Watts im Amt des prominentesten Slowed-Botschafters Screws Erbe antritt.

David Banners "Mississippi: The Album" von 2003 soll der erste Longplayer auf einem Major-Label sein, der in einer Chopped & Screwed-Version auf den Markt kommt. Für den Remix zeichnet Watts verantwortlich. Banners Label Universal wittert nach diesem Erfolg Morgenluft. Bald wird nahezu jede Southern Hip Hop-Platte auch in einer heruntergeschraubten Version angeboten. Oftmals stellen die Verkaufszahlen der Chopped & Screwed-Fassungen die der Originale weit in den Schatten.

Die Technik geht mit der Zeit. Für das, was einst mit Plattenspielern und Effektgerät bewerkstelligt wurde, wird spezielle Software entwickelt.

Swishahouse etabliert Künstler wie Chamillionaire, Paul Wall, Slim Thug, Mike Jones und die Color Changin' Click und entwickelt sich zur ersten Adresse am Platz. Unter Watts' Regie lässt Chopped & Screwed endgültig die Stadtgrenzen Houstons hinter sich. Anfang 2005 boomt das Genre wie nie zuvor: Der "Whisper Song" der Ying Yang Twins, T.I.s "You Don't Know Me" und vor allem Mike Jones' "Still Tippin'" sind allgegenwärtig. In Deutschland versucht sich unter anderem der Berliner Produzent Frauenarzt am zähen Houston-Sound.

Chopped & Screwed, die Antithese zum irrwitzigen Crunk, streckt bald seine Fühler auch über den Tellerrand des Hip Hop hinaus. In Ciaras "Oh", eigentlich einer R'n'B-Nummer, stecken verlangsamte Passagen. Insbesondere in Australien erfreut sich Screw Rock einiger Beliebtheit. In der Geburtsstadt von Chopped & Screwed macht man sich allerdings keine Sorgen: Egal, wie groß oder international die Sache wird, es wird doch immer ein Teil Houstons sein.