laut.de-Kritik

War ja klar, dass da nur was Irres rauskommen kann.

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Es ist schwer, einen guten Einstieg zu finden, wenn einem die Worte fehlen. Beziehungsweise, die Worte fehlen gar nicht, im Gegenteil, sie sind sogar im Überfluss da. Von Traum-Strand-Szenarien über magische Unterwasserwelten bis hin zu abgefahrenen Weltall-Fantasien inspiriert "Shigeo" zu ziemlich vielem. Blöd nur: Keine dieser Beschreibungen wird dem Album von Galv und S. Fidelity auch nur ansatzweise gerecht.

Dass da nur was Irres rauskommen kann, wenn sich einer der derzeit talentiertesten Wortakrobaten, den Deutsch-Rap zu bieten hat, mit dem Jakarta-Zögling, für dessen Produktionen fünf Schubladen zugleich noch zu eng sind, zusammen tut, war ja vorher schon klar. Dabei machen Galv und S. Fidelity eigentlich nur das, was eh schon alle erwartet haben: Sie übertreffen alle Erwartungen.

Galv zieht den "Perlenvorhang" zurück und bittet herein in die Casa de la Imaginación. Während der Beat einem (in Gedanken) eine Kokosnuss mit süßlich-süffigem Inhalt in die Hand drückt, den man genüsslich schlürft, hat sich Galv schon heiß gelaufen und klatscht einem Zeilen um die Ohren: "Schwertschlucker auf der Suche nach meim Versmuster / Leg ein Mosaik, nehm Stein für Stein / zähl Reim für Reim herunter". Alles klar. Wer sich jetzt den Rhythmus dazu denken will - versucht es gar nicht erst. Galv weiß vermutlich selbst nicht, wie er die Silben in den Takt gefrickelt hat.

"Wasserzeichen" klingt da schon brummender, heißer. Mit dem Energiepegel auf Anschlag und trotzdem slick as fuck rutscht Galv über den Beat. Homie Aréna benennt auch ziemlich genau, woran es liegt, dass alle anderen bei weitem nicht so fresh sind wie er und seine Partners in Crime: "Sie kommen ins Game scheinbar eingespielt, doch sie haben kein Gefühl". Schon nach diesen ersten beiden Songs ist klar, dass das Gefühl genau das ist, was den Unterschied macht.

Es geht bei "Shigeo" nicht darum, dass der eine rappt und der andere den Beat macht, sondern es geht in erster Linie um den Vibe eines Gesamtkunstwerkes. Die Rap-Parts sitzen nicht auf dem Sound, sondern fügen sich ein. Man merkt richtig, wie Galv dem Beat Raum lässt, weil er ihn selbst so feiert. Mehr noch, die Vocals werden derart fließend ins Soundbild eingebunden, dass beide kaum noch voneinander zu trennen sind. Natürlich schafft der Rottweiler das passende Bild dafür selbst: "So echt, ich schreib keine Rhyhmes, ich mal Wasserzeichen".

Auf der "Osloer Straße" wechselt Galv dann den "Stoff wie die Schilddrüse" und fragt ganz nebenbei: "Was ist mit der Euthanasie der Milchkühe?". Fidelity baut rauer, erinnert mit dem Sample fast schon an die G-Funk-Anleihen eines Brenk Sinatras. Wohingegen "Careschaufel" (DIESER TITEL!!) freier klingt, schwerelos und sich ohne große Mühe auf dieselbe Stufe internationaler Querdenker wie beispielsweise Sudan Archives stellt. Während sich der Kopf schon wieder unter Wasser befindet, Korallen und Fischen beim unbeschwerten Treiben-lassen zuschaut, trifft Galv noch mal ganz nebenbei den Nagel auf den Kopf: "Haben Worte die Gabe zu führen durch Orte der Wahrnehmung".

Unmöglich, alle Welten zu beschreiben, die beim Hören von "Shigeo" entstehen, während Verse wie diese den Hörer überrollen: "Donauwelle in der Klosterzelle / einen Dönerteller für Donatella / I ordered a fucking Donut fella!".

Einen kleinen Wermutstropfen gibt es dann allerdings schon. Oder besser gesagt etwas, das den Kopf aus dieser wunderbaren Galaxie der Welten heraus und auf den Schotterboden der Realität zurückholt: "Wenn ich mit der Latte deine Torte umklatsch", "Baby als ich gesehen hab wie du dich zu diesem Beat bewegst dacht ich mir 'Oh, knackiger Hintern' / Lass uns mal pimpern".

Man könnte anmerken, dass Galv, der ja schon als ein eher reflektierender Zeitgenosse auftritt, sich hier vielleicht zu unbedarft zu plumpen Zeilen hinreißen lässt. Dem überragenden Gesamteindruck, den "Shigeo" hinterlässt, können diese kleinen Erschütterungen jedoch nichts anhaben. Zu bildgewaltig ist die Rhythmus-Galaxie, die hinter einem liegt, zu abgefahren die Wortspiele des Extraterrestrischen. Das Zusammenspiel von Galv und S. Fidelity entpuppt sich als Traumkombination, von der man einfach nicht genug kriegen kann.

Trackliste

  1. 1. Perlenvorhang
  2. 2. Wasserzeichen Feat. Aréna
  3. 3. Osloer Straße
  4. 4. Careschaufel
  5. 5. Wieso Gerade Schräg
  6. 6. Like That
  7. 7. Curtains Down Feat. Der Nussigmilde
  8. 8. Mehr Buda Dreieck
  9. 9. Oh No
  10. 10. Shigeo

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8 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Höre ich seit ein paar Wochen immer wieder, einfach nur mega gut! Und durch die Rezension drauf aufmerksam geworden. Danke Laut und danke Anastasia :-)

  • Vor 5 Jahren

    Für 5-Sterne-mäßige Begeisterung bleiben mir von den in der Tat äußerst absurden Raps zu wenig Lines im Gedächtnis kleben. Aber Stimme & Flow schön markant, schräg und eigenwillig, gefällt mir schon gut. Beats wie ja bereits mehrfach geschrieben eh über jeden Zweifel erhaben.

    Ist hier jemand mit dem jeweils restlichen Output der beiden vertraut? Bestimmte Empfehlungen zum weitergraben?

  • Vor 5 Jahren

    Na, wenn sonst keiner mag, muss ich halt selber. Galv ist nämlich meine persönliche Neuentdeckung des letzten Jahres. Übertrieben organischer Flow und mehr Funk in der Stimme gibts auf deutsch nicht.

    Zugegeben, Style & Inhalte äußerst gewöhnungsbedürftig, müsste man nach reiner Westberlin Lehre eigentlich haten. Aber erstens ist harmloser Party- und Spaßrap heutzutage halt kein Stück mehr das angreifbare Establishment von einst und zweitens ist er auch viel zu sehr Vogel um wirklich als Biedermeier-Rapziehbild zu taugen. "Man braucht Eier, um seiner Kunst keinen tieferen Sinn zu geben." Kann man so sagen, Bratha.

    Entsprechend läuft er mit Scout-Rucksack, Discokugel-Kette & Poncho rum und macht Konzept-Platten übers Spaced-Out sein (Of The 3 Moonz, dope!). Falls jemand davon noch keine Aggressionsschübe kriegt, sein mMn stärkster Output soweit sind die Ehrenbürg Sessions, ein Live(!)-Album mit einer Reggae(!!)-Truppe mit echten Instrumenten(!!!) :D und diesem Anspieltipp:
    https://www.youtube.com/watch?v=4LvEGqcSel…

    Ach ja, auch im Konzert absolut überzeugend, trotz anfangs skeptischer, hüftsteifer und unangemessen luftig besetzter Crowd den Wagenbau abgerissen. Schaffen andere bei Hype & voller Hütte nicht *hukeemost*