15. März 2014

"Die Kirche hat Musik kastriert"

Interview geführt von

Als Pionier der elektronischen Musik ist Gabi Delgado 2014 ganz ohne DAF unterwegs. Gerade veröffentlichte er sein Solo-Album "1".

Wir sprachen mit ihm über Romantik, Kulturschocks und warum die Harmonien von Bach eklig sind. Nebenbei zeigt er sich als sehr politischer und empathischer Mensch, der so ganz anders ist als das ihm oft nachhängende Image.

Wir hier in Deutschland wünschen uns, so einen coolen Namen wie Gabriel Delgado Lopez zu haben. Und du nennst dich seit 35 Jahren freiwillig "Gabi". Was ist denn da passiert?

Oh, das ist sogar bei uns in Spanien die ganz normale Koseform von Gabriel. In Deutschland ist das zwar eigentlich weiblich besetzt. Das hat damit bei mir aber nichts zu tun. So hat mich meine Großmutter schon genannt. Aber das hat natürlich gut gepasst, als wir zu Düsseldorfer Zeiten in den 70ern Charleys Girls hatten. (deutsche Urpunkband, Anm. d. Red.) Da haben wir uns ja alle Mädchennamen gegeben. Peter Hein (Mittagspause, Fehlfarben) war zum Beispiel Janey Jones. Da habe ich mich an meinen Kindheitsspitznamen erinnert und den genommen.

Düsseldorf muss damals ja ein extrem energetischer Ort gewesen sein. Du, Jürgen Engler (Male, Krupps), Peter Hein, Tommi Stumpff, Kraftwerk, La Düsseldorf etc.

Absolut. Ich denke, es gibt in jeder Zeitperiode irgendwo Hot Spots. Nimm doch zum Beispiel das Cabaret Voltaire damals in Zürich. Und so war es eben auch mit unserem Ratinger Hof. Krupps, Fehlfarben, DAF und so weiter. Die neuen Wilden damals. Da ist echt viel passiert. Manchmal gibt es auf der Welt einfach Orte, an denen Aufbruchstimmung herrscht und ein reger Austausch stattfindet. In Düsseldorf haben wir uns alle gegenseitig inspiriert.

Du nenntest euch die neuen Wilden. Als du mit Mittagspause und DAF losgelegt hast, waren Kraftwerk bereits auf dem Weg von Krautrock zu Elektropop. Waren die euch Punks damals zu harmlos und etabliert oder besonders spannend?

Nee, für uns waren die damals im Prinzip so was wie Antileute. Die kamen aus dem schickeren Viertel. Das fanden wir schon spießig. Die galten damals als Schickimickis. Wir haben die ausdrücklich nicht gut gefunden.

Und ihr hattet als Kontrast die ganz harten Typen wie Stumpff und seinen KFC.

Oh ja, die gehörten dazu. Wir hatten einige heftige Elemente, die damals sehr wichtig waren. Das waren schon harte Jungs. Manchmal braucht man an den Rändern einer neuen Bewegung genau solche Leute. Wir wurden damals nämlich auch gejagt, meist von Rockern und Bikern. Wir, also die meisten von uns, waren kleine und harmlose Jungs. Zumindest was die Körperlichkeit und Gewaltbereitschaft anbetraf. Aber die Rocker dachten, wir wären so' ne Art Konkurrenz für sie. Da wurden wirklich massiv Punks gejagt. Da war es natürlich gut, Leute wie Stumpff oder andere aus der Hoolszene an der Seite zu haben.

Vor ein paar Tagen habe ich im Netz knuffige Bilder von dir und deinem DAF-Partner Robert Görl gesehen. Da standen DAF zwiebelschneidend und kochend in der Küche von Conny Plank.

(lacht) Ja, das kann gut sein. Der Conny war mein Meister. Alles, was ich über Musik weiß, habe ich von ihm gelernt. Ok, präziser: Weniger über Musik und Text, aber alles, was ich über Produktion weiß. Es durften auch nicht alle Gruppen bei ihm auf dem Bauernhof wohnen. Das hat er nur zugelassen, wenn eine echte Freundschaft entstanden ist. Wir haben da richtig am Plankschen Familienleben teil genommen. So richtig mit dessen Frauen und Kind. Man hat alles zusammen gemacht, auch gekocht.

Ich hab da auch mal den Hof gefegt. Nebenbei hatte Conny die großartigsten und innovativsten Produktionsideen. Ein sehr offener Typ, der nichts dagegen hatte, seine Ideen auch auszutauschen. Man kann Planks Rolle für die deutsche Musik nicht hoch genug bewerten. Kraftwerk, Ideal, DAF und nicht nur die. Auch Ultravox, Devo oder die Eurythmics hätte es doch so gar nicht gegeben. Viele sprechen immer nur von Giorgio Moroder. Aber ich denke, Planks Rolle kann nicht hoch genug bewertet werden.

Ich würde sogar so weit gehen, dass es ohne Plank internationale Ikonen wie etwa Gary Numan oder auch Depeche Mode in dieser Form nie gegeben hätte.

Davon bin ich auch überzeugt. Wir hatten als DAF in den Anfangstagen mit Depeche Mode-Produzent Daniel Miller zu tun. Er hat von Conny auch sehr viel gelernt und das dann umgesetzt. Ich geb dir mal ein Beispiel. Heute posieren viele mit unseren alten Korg-Synthies von damals. Das ist natürlich Quatsch. Denn wirklich gut klingen die echt nicht. Conny hatte also die Idee, die Synthies wie Gitarren und Bässe zu behandeln.

Er hat sie über die Amps in den Raum geschickt und dann mit einem Mikro nochmal aufgenommen. So ist der typische DAF-Sound erst entstanden. Wer sich einfach nen Korg kauft und denkt: So, jetzt klinge ich wie DAF - Neee, mein Freund! Ich empfehle das aber gern vielen Leuten weiter. Wenn ihr denkt, eure Synthies klingen langweilig, dann stimmt das auch. Bloß nicht Hall oder anderen Kram dazu geben. Kauft euch lieber nen Gitarrenamp.

Auf deiner neuen Platte bedienst du dich nun bewusst selbst am großen Clubsound und Elektrobüffet jener musikalischen Enkelgeneration, die du als Einfluss mit geprägt hast.

Genau so ist das. Für mich gibt es drei große prägende musikalische Erlebnisse. Das erste war mit 15 in der Disco Donna Summers "I Feel Love". Da dachte ich gleich: Sex und Elektronik! Das ist es! Das nächste waren die ersten Punk 7-Inches. So frei, so frech und voller Energie. Ganz, ganz toll! Obwohl mir die Musik selbst nicht so gefallen hat. Das war mir zu sehr Rockmusik im konventionellen Sinn. Mensch, da versammelt sich eine so neue und interessante Kraft, um dann doch das Instrumentarium der Väter und Großväter zu nutzen. Obwohl die Energie ganz neu ist, benutzen die Rock'n'Roll-Instrumente aus den Fifties. Das gibt's doch gar nicht!

Und das dritte, was mich umgehauen hat, waren die ersten House-Platten so anno 1985/86. Was viele auch gar nicht wissen: Ich hab ja mit Westbam, der sich damals noch Westfalia Bambaata nannte, auch die erste Houseparty als Event in Deutschland veranstaltet. Das war in Berlin 1986. Ich hab dann auch Leute der ersten Stunde aus Chicago getroffen. Die wollten keine funky Music machen und Bundfaltenhosen tragen. Sie wollten europäisch klingen. In diesem Bestreben haben sie sich Kraftwerk, DAF, Neu! etc. angehört. Und da ist House bei raugekommen. Das ist im Grunde in den Schwulenclubs Chicagos entstanden. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich mag halt wirklich hoch energetische Sachen, die den Körper dazu zwingen, sich zu bewegen.

Okay, aber haben Pioniere wie du neben den ganzen innovativen Nachkommen nicht auch die dunkle Seite des Elektromondes mit verursacht? Sind so gesehen nicht auch schwarze Schafe wie Scooter oder Eurodance deine Kinder?

Im Endeffekt schon. Ja, das kann man so sagen. Alles besteht doch aus Kreisläufen. Oder besser noch: Nehmen wir verdampftes Wasser. Das kommt nicht an genau den gleichen Stellen herunter und muss auch kein Regen sein. Kann auch Hagel oder Schnee sein. Kommt aber dennoch aus derselben Wasserquelle. Nichts kommt in derselben Form zurück.

Ich mag ja besonders dein Soloprojekt mit Wotan Wilke Möhring. Vor allem die DAFDOS-Platte "Allein Zu Zweit Mit Telefon". Dennoch habe ich den Eindruck, dass der Delgado von 2014 mit Songs wie "Nebelmaschine" und überhaupt auf dieser Platte die Musik und die Sounds wesentlich eleganter produziert als ehedem.

Das kann ich nachvollziehen. Nun sind die DAFDOS-Sachen von 1995. Da waren die Sounds auch modern. Ich werde auch live einige von den alten Songs bringen. Aber du hast Recht. Ich bin auf diese Produktion wirklich sehr stolz. Das liegt vor allem daran, dass ich das ganz allein in meinem eigenen Studio produziert habe. (lacht)

Ja, keine Übertreibung. Zuhause in Cordoba habe ich mir mein Wunschstudio eingerichtet. Und dementsprechend klingt das auch. Ich habe zum Beispiel darauf verzichtet, Midi zu benutzen. Das mache ich schon seit 10 Jahren nicht mehr. Ich nutze auch seit der Jahrtausendwende keine Computerprogramme mehr. Das ist für mich alles Oldschool und völlig lustfeindlich. Dieses Geklicke mit der Maus, neee. Ich will soundmäßig immer das große Rad drehen. Ich brauche einfach das lustvolle und haptische Erlebnis. Was du auf dieser Platte hörst, ist alles selbst gemacht. Ich spiele die Sequencer mit dem eigenen Finger. Die besten Stellen loope ich dann und synchronisiere wie ein DJ. Das passiert alles in meinem Vierkatzenstudio.

Du sagst auf der Platte: "Mit Nichttgedichten verhält es sich wie mit Antikunst. Es gibt sie nicht." Alles ist demnach Kunst?

Ja, richtig. Es gibt keine Antikunst. Es gibt auch keine Antikriegsfilme. Das sind alles Kriegsfilme. Neulich habe ich zum Beispiel einen kritischen Bericht über die amerikanische Armee gesehen. Vietnam, Korea, etc. Trotzdem waren die Bilder, die man dazu gesehen hat, absolut verherrlichend. Tolle Paraden, schöne Männer in schicken Outfits. Das Problem: Da kann der Kommentar noch so kritisch sein. Das Auge ist in der Wahrnehmung immer schneller als das Ohr. Die nonverbale Botschaft bedient also immer noch eine Ästhetik, die dem Thema und dem Kommentar eigentlich zuwider läuft. Man sollte auch, wenn man einen Bericht über das Dritte Reich macht, keine imposanten Promobilder wie den Reichstag oder sowas zeigen. Sonst kann auch der kritischste Kommentar nicht helfen, denn die Bilder bleiben im Kopf bestehen und werden nicht aufgelöst.

In diesem Zusammenhang: Salvador Dali, aus deiner Heimat stammend, war immer der Künstler der Rockstars. Mit seinem "Chien Andalou" schockte er Ende der 20er ähnlich, wie du in deiner Laufbahn. Dennoch sagte man ihm eine Nähe zu jenem Franco-Regime nach, vor der deine Familie 1966 nach Deutschland geflüchtet ist. Kannst du mit seinem Werk etwas anfangen und trennst du allgemein zwischen Kunst und Künstler?

Das gilt natürlich für einige Größen der Kunst, die in ihrem Leben dann doch Fehler gemacht haben. Knut Hamsun zum Beispiel. Wir haben uns über dieses Problem zu Hause oft unterhalten. Ich denke mal, dass im Prinzip das Werk autark für sich steht. Man kann ein Knut Hamsun-Buch oder ein Dali-Bild gut finden, selbst wenn man deren Lebensgeschichte kennt. Leben und Werk trennen sich also. Aber: Es spielt doch immer im Unterbewusstsein eine Rolle, weil man die negative Information nun einmal kennt. Das färbt dann schlussendlich die Auffassung zu einem Werk doch ein und trübt sie. Deswegen: Im Grunde schafft man es nicht, komplett zu trennen. es wäre aber schön, wenn man das könnte.

Da man als Fan ja immer projiziert und sich wünscht, dass der Künstler ein netter Typ ist, bliebe wohl kaum jemand übrig, würde man nicht trennen. Liegt die Grenze zur Untrennbarkeit nicht genau da, wo man die eigene Kunst für menschenverachtende und manipulative Zwecke einsetzt?

Ja, das ist ein gutes Kriterium. Wenn man sich und sein Werk in den Dienst der inhumanen Sache stellt, kann es keine Trennung geben. In allen anderen Konstellationen schon. Thomas Mann war auch kein guter Vater, aber ein exzellenter Autor. Oft wird von Künstlern eine positive Radikalität im Leben verlangt. Aber das ist für sensible Menschen - und das sind die meisten Künstler ja nun einmal - oft recht schwierig. Man will seine Bücher veröffentlichen, seine Gemälde zeigen, seine Musik machen. Und wer ins Dritte Reich hineingeboren wurde und in der Hitlerjugend war, der hat eben auch eine ganz andere Programmierung bekommen. Das spielt da alles mit hinein.

Lass mich das gleich als Überleitung nehmen. Über 30 Jahre seit "Der Mussolini" und "Kebabträume" und noch immer verstehen viele nicht den Unterschied zwischen wörtlicher und wirklicher Bedeutung. Noch immer musst du dich gegen Vorwürfe zur Wehr setzen, es seien nationalsozialistische Texte. Ist die Provokation immer noch lustig oder nervt die beschränkte Denkfaulheit von Öffentlichkeit und Medien mitunter gewaltig?

Deshalb sage ich: Neosexy, nicht Neonazi! Deswegen habe ich den Begriff auch erfunden und den gleichnamigen Song gemacht. Aber nein, solche Missverständnisse sind nicht ermüdend. Auch nicht nach so langer Zeit. Zu allem, was man macht, gehört auch Geduld. Zur Kraft gehört immer Geduld. Das Verständnis der Öffentlichkeit kommt doch nicht immer wie ein Ausbruch nach fünf Minuten. Das kann auch mal 30 Jahre dauern, wie man sieht. (Gelächter)

Geduld kommt meist erst mit dem Erwachsenwerden. Ich stelle mir das ja heftig vor, wenn man als Kind den Culture-Clash vom südländisch geprägten Spanien zum unterkühlten Deutschland aufgezwungen bekommt. Verlieren Maßstäbe der jeweiligen Gesellschaftskultur nicht automatisch ihre Gültigkeit durch solche Erfahrungen? Liegen hier eventuell die Wurzeln deines mitunter anarchistischen Rebellentums?

Das hat mich wirklich nachhaltig geprägt. Auch meinen Blick auf die deutsche Sprache. Schon als kleiner Junge musste ich feststellen, dass in Deutschland der Weihnachtsmann kommt und in Spanien die heiligen drei Könige. In Deutschland gibt es das Sprichwort: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. In Spanien heißt es aber: Wenn du dich nach kleiner Münze bückst, kommst du nie zu großem Geld. Es war ein wirklicher Kulturschock.

Aber es ist gut, verschiedene Kulturen kennen zu lernen. Ich bin ja auch bei meiner Großmutter aufgewachsen. Meinen Vater habe ich erst mit acht Jahren kennengelernt. Plötzlich war also alles nicht nur anders, sondern ganz, ganz anders. Das hat mich nachhaltig geprägt. Man lernt: Nichts ist sicher. Das ist aber auch gut so. Denn es gibt eine große Freiheit, wenn nichts sicher ist. Es gibt so viele kulturelle Welten. Es ist gut, zu wissen, dass es diese Welten gibt. Denn keine hat das alleinige Recht für sich gepachtet.

Dein neuer Song "Puppen": Sehnsucht nach dem Schneckenhaus in einer apokalyptischen Welt oder doch Sarkasmus gegen den Abschottungsfetisch europäischer Gesellschaften?

Letzteres. Eine der Haupttendenzen der westlichen Gesellschaften ist das Cocooning. Wir leben in einer Zeit, in der das vorherrschende Gefühl eigentlich Angst ist. Wirtschaftskrise, Terrorismus - man muss Mauern bauen, die auf der einen Seite keinen rein lassen und auf der anderen Seite verhindern, dass der Reichtum abfließt. Menschen und Staaten bauen sich also regelrechte Puppenhäuser, in denen es ignorant heißt: Alles andere in der Welt ist uns auch völlig egal! Dabei muss man doch bedenken, dass die erste Welt einfach auch eine historische Schuld hat. Besonders gegenüber solchen Menschen, die jetzt anklopfen. Allein, weil man die Jahrhunderte lang und bis heute ausbeutet. Unser Reichtum beruht auf der Ausbeutung der dritten Welt.

"Die Kirche hat den Beat vertrieben"

Entsprechend deutlich sagst du auf der Platte: "Friede den Hütten, Krieg den Palästen. Wir tragen euren Krieg zurück in den Westen." Damit holst du dir selbigen ja quasi vor die eigene Haustür, so westlich wie du in Cordoba wohnst.

(lacht) Aber so ist es. Wenn man sich mal außerhalb der ersten Welt bewegt, etwa in Südamerika oder in arabischen Ländern, da merkt man, wie groß der Hass auf die erste Welt ist. Das wird hier nur leider wenig kommuniziert. Als ich in den 80ern in Südamerika war, konnte man durchaus noch sagen, dass man Spanier ist. Heute muss ich da ganz schön aufpassen. Die Spanier haben dort ja auch richtige Scheußlichkeiten veranstaltet. Die ganzen Kirchen hier um mich herum strotzen nur so vor lauter Indiogold, mit dem man sie erbaut hat. Das erste, was ein ernst zu nehmender Papst machen müsste, wäre, die Kirchen leer zu räumen und das ganze Zeug zurück zu geben.

Dann hast du abgesehen von biografischen Aspekten mit dem Katholizismus wohl nicht so viel am Hut?

Überhaupt nicht! Ich bin überzeugter Atheist und glaube wirklich, dass vor dem Leben nichts war und nach dem Leben nichts ist.

Aber du bist ein Romantiker, wie mir anhand der neuen Scheibe auffällt. Ein erotisch aufgeladenes Album zu Ehren der Liebe in diesen kalten Zeiten. Gipfelnd in dem womöglich größten Liebesbeweis-Versprechen von "Strassenloop", im Ernstfall für den Partner im Krankenhaus die Maschinen aus zu schalten?

Ja, ein Romantiker bin ich wirklich. Das ist auch einer meiner Lieblingstexte, muss ich sagen. Bei vielen Leuten stößt das aber auf Unverständnis. Die sagen dann immer: Tabu! Aber der Tod gehört eben auch zum Leben, früher oder später. Das kann also auch schön und romantisch sein, sowas auch mal anzusprechen.

Und dann auf einmal dieser Bach-Diss: "Die Arroganz von Bach liegt in der Sucht nach Harmonie. Liebling, versprich mir, solche Töne benutzt du nie ... diese eklige Harmonie."

Es ging mir dabei darum, folgendes darzustellen und nicht nur für die Musiktheoretiker, sondern für das Leben überhaupt: Harmonie ist überhaupt kein erstrebenswerter Zustand! Weder musikalisch noch im echten Leben.

Aber wäre das Gegenteil, die dauernde Kampfhaltung, nicht auch auszehrend und destruktiv?

So meine ich das auch nicht. Es geht um das Akzeptieren der Zwischentöne. Es gibt so viele Sachen, die auf den ersten Blick für uns schief klingen und gar nicht schief sind. Es ist doch Quatsch, dass ein Mensch daherkommt und erklärt: So, es gibt zwar unendlich viele Töne. Aber ich sage jetzt, dass es die fünf schwarzen Tasten und drum herum die weißen Tasten gibt. Und Schluss! Das ist doch eigentlich eine Unverschämtheit, oder? Eine Selbstbegrenzung.

Und ein Ignorieren anderer Kulturen. Nimm nur indische Musik: Die westliche Harmonielehre ist eben nicht das Maß aller Dinge und im Alltagsgebrauch doch auch längst aufgelöst. Ich bin auch gegen diese ganzen spießigen Begrifflichkeiten wie klassische Musik. Echte klassische Musik waren eben Trommeln mit Gesang. Man muss nämlich auch bedenken, dass die Mächtigen, allen voran die Kirche, den Beat über Jahrhunderte aus der Musik vertrieben haben.

Da ging es um das Verbieten der Köperlichkeit und der Ekstase. Also haben sie perkussive Elemente entfernt und die Musik kastriert. Warum? Wenn man eine Trommel acht Stunden lang hört, gerät man in Trance, lässt sich gehen und viele Regeln können kippen. Damit hat man auch Sexualität aus der Musik entfernt. Die armen Komponisten haben ja früher für eine konkrete Person der herrschenden Klasse komponieren müssen, für den Fürsten oder den Bischof. Dafür gab es dann einen Sack Gold. Das Gute an der Popkultur ist nun aber im Gegensatz dazu: Du kriegst nicht von einem viel Geld, sondern von vielen wenig Geld. Das macht die Kunst erst frei.

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