22. Juni 2021

"Es gibt immer einen Text, der im Hinterkopf arbeitet"

Interview geführt von

Im Interview zu ihrem Solodebüt "Keine Termine" spricht Fritzi Ernst über fehlende prophetische Begabung, Solo-Songwriting und ihre neugefundene Liebe zum Basketball.

Den ersten Interview-Termin hatte Fritzi Ernst krank absagen müssen. Ein paar Tage später meldet sie sich putzmunter zum Zoom-Gespräch. Es gibt so einiges zu bereden. Zweieinhalb Jahre nach der Trennung ihrer alten Band Schnipo Schranke meldet sich die Wahl-Hamburgerin mit ihrem ersten Soloalbum "Keine Termine" zurück. Zwischendurch hat sie eine Ausbildung zur Klavierbauerin absolviert und langsam wieder angefangen, Musik zu machen. Jetzt, im Juni 2021 kann sie sogar Outdoor-Konzerte zum Album spielen (ihre ersten Solokonzerte) und immer wieder betonen, dass die Single "Keine Termine" schon vor Corona geschrieben wurde.

Hallo Fritzi, kannst du mich hören?

Ja, perfekt.

Guten Morgen. Wie geht's?

Joaa, gut.

Das ist schön, dann würde ich gleich anfangen. Wie hast du die letzten anderthalb Jahre verbracht?

Ich habe gearbeitet. Also ich mache gerade eine Ausbildung, in Vollzeit eben, und abends hab ich dann halt das Album gemacht.

Du machst also immer noch die Ausbildung zur Klavierbauerin?

Ja, genau.

Und das Album war dann quasi das Hobby nebenbei, vereinfacht gesagt?

So ein bisschen schon. Aber das Album ist natürlich mehr als nur ein Hobby.

Dann erübrigt sich auch meine Frage, ob du ein seltsames Lockdown-Hobby gefunden hast ...

Basketball!

Geil!

Ja es gibt so ein paar Plätze in meiner Nähe.

Ja, dann liegt es irgendwie nahe. So langsam öffnet sich ja alles wieder und du spielst auch wieder Konzerte. Wie fühlt sich das für dich an?

Das sind ja mal meine ersten Solokonzerte. Das wird natürlich aufregend. Aber ich bin auch nicht alleine auf der Bühne, da sind noch vier Leute dabei. Ich glaub, das wird cool, weil sich ja wahrscheinlich alle einfach mega freuen werden, dass sie sich überhaupt wieder was angucken könnten. Ich glaube, das wird ganz dankbar.

Du spielst ja nicht nur zum ersten Mal eine Konzerte, sondern auf dem Album steht jetzt auch dein Name drauf. Was ist das für ein Gefühl?

Ich hab mich dran gewöhnt.

Du bist jetzt auch die hauptverantwortliche Songwriterin auf dem Album. Hat sich das anders angefühlt als die Schnipo Schranke-Sachen?

Ja, auch daran musste ich mich erstmal gewöhnen. Aber es hat funktioniert. Das hat auch seine Vorteile.

Was war für dich der größte Vorteil?

Ich konnte mir mehr Zeit lassen. Ich musste nicht drüber nachdenken, ob ich gerade zu langsam bin oder so. Das war eigentlich ganz gut.

Ich hab da noch Schnipo Schranke im Kopf. Ihr meintet mal in einem Interview, dass die Texte immer zuerst fertig sind und die Musik dann meistens an einem Nachmittag geschrieben wird. "Keine Termine" fühlt sich da deutlich durchdachter an ...

Das Lied oder das Album?

Das ganze Album.

Unterschiedlich. Bei manchen Liedern ging das mit der Musik auch ziemlich schnell. Aber ich hab auch die Sachen immer bewusst liegen eine Zeitlang lassen und dann wieder drauf geguckt. Ich habe da bewusst Pausen eingebaut.

Im Pressetext steht auch, dass die Songs über einen längeren Zeitraum entstanden sind. Wie hat sich für dich die Bedeutung der Songs währenddessen verändert? Vor allem "Keine Termine" ist da auffällig. Wer den Songs jetzt hört, denkt sofort an Corona. War der von Anfang an so gedacht?

Der ist schon älter. Den habe ich vor der Pandemie geschrieben. Natürlich hat der Song jetzt für mich und alle anderen eine vollkommen andere Bedeutung bekommen. Eigentlich hatte ich den Song aus einer Überforderung heraus geschrieben. Da hatte ich mir gewünscht, dass endlich mal alles aufhört. Das war dann aber auch nicht die Lösung. Und jetzt haben wir alle die Erfahrung gemacht, dass es eben nicht so cool ist, wenn man nichts zu tun hat.

Tocotronic, hatten "Hoffnung", Ja, Panik hatten "Livestream", du hast "Keine Termine". Alles wirkt rückblickend irgendwie prophetisch. Gibt es da eine besondere Qualität in der deutschen Musikszene, dass man Sachen vorhersagen kann?

Ich kenn das Lied "Hoffnung" gar nicht ...

Das kam, glaube ich, letztes Jahr im Mai raus. Dann gab es zwei Wochen Ekstase, dass Dirk Von Lowtzow Corona vorhergesagt hat.

Äh, ich weiß auch nicht, wie es dazu gekommen ist. Es ist wahrscheinlich einfach nur Zufall.

Ich dachte nur, die Zufälle haben sich ein bisschen gehäuft, irgendwas ist hier los.

Ich hab's nicht geahnt.

"Ein Blockflötensolo ist nicht geplant"

Als ich das Album gehört habe, fand ich die Texte im Vergleich mit Schnipo Schranke deutlich reduzierter und weniger obszön. Ich fand das hat geholfen, sich auf den Inhalt der Text zu konzentrieren. War das eine bewusste Entscheidung?

Ich habe einfach versucht, wie schon bei Schnipo, eine möglichst ehrliche Sprache zu finden. Aber natürlich ändert sich auch mein Wortschatz mit der Zeit. Ich denke aber schon, dass ich die Worte jetzt noch bewusster wähle, da wir immer das Gefühl hatten, dass die Worte die Leute, natürlich nicht alle, vom Wesentlichen ablenken. Ich glaube aber nach wie vor, dass das wichtig ist, so eine ehrliche Sprache zu verwenden.

Das Thema psychische Gesundheit ist ja im Pop erst in den letzten Jahren erst so richtig angekommen. Bei Schnipo Schranke wurde es immer so ein bisschen ignoriert, worum es eigentlich ging, wie du meintest. Man hat sich gerne von der Wortwahl ablenken lassen. Auf "Keine Termine" gibt es nichts mehr, wovon man sich dabei ablenken lassen könnte. Ist das ein Versuch von dir, die Rezeption etwas vorwegzunehmen?

Nee, das glaube ich nicht. Ich habe eigentlich versucht, mich beim Schreiben davon unabhängig zumachen, wie das gedeutet wird. Auch früher schon. Aber ich habe auch das Gefühl, dass dieses Thema in den letzten zwei Jahren sehr präsent geworden ist. Bei uns wurde das noch gar nicht so wahrgenommen.

Ist es auch ein Zufall, dass es elf Songs sind und am 11. Juni rauskommt?

(Lacht) Ja, natürlich.

Ich hätte es gut gefunden, wenn du irgendwie so drei Songs verworfen hättest, für so einen Mini-Witz.

Ne, ich hab nur wenig Ausschuss.

Es gibt also nicht irgendwann eine Deluxe Version in zwei Wochen, wo man noch einen Rucksack dazu kaufen kann für 50€?

Wo dann noch drei andere Songs drauf sind?

Genau.

Nee.

Du hast ja Blockflöte studiert. Warum ist auf dem Album kein Blockflötensolo mit drauf?

Naja, ich mach das halt einfach nicht mehr.

Das steht also auch für die Zukunft nicht zur Debatte?

Ich glaube nicht. Ich habe einfach kein Bedürfnis mehr, das zu machen. Ich will aber auch nicht ausschließen, dass das kommt.

Du meintest auch mal in einem Interview mit der Zeit, dass du die Welt der klassischen Musik verlassen hast, weil du nicht für einen kleinen Kreis spielen wolltest. Jetzt machst du Deutsche-Indie-Avantgarde-Musik. Hat sich der Kreis so sehr geweitet?

Naja, das ist halt ein anderer Kreis. Ich kann mich jetzt selber mit meiner Musik identifizieren, und das war mit der klassischen Musik nicht unbedingt der Fall. Und jetzt sind Leute im Publikum, die sich auch mit meiner Musik identifizieren können. Das ist auf jeden Fall eine Verbesserung, finde ich.

Glaubst du, dass auch die alten Schnipo Schranke-Fans, die vor allem "Pisse" gut fanden, sich mit deiner Platte identifizieren können?

Ist wahrscheinlich unterschiedlich, es gibt bestimmt Leute, die damit was anfangen können. Bestimmt auch welche, die damit nichts anfangen können. "Pisse" ist gar nicht von mir, sondern von Daniela. Aber ich mach auch nicht bewusst so viel anders. Ich bin immer noch dieselbe Person und schreibe halt Lieder.

Hat sich auch deine Herangehensweise Songs zu schreiben, vor allem auf der musikalischen Ebene, verändert?

Ich glaube, das Klavier hat vielleicht ein bisschen mehr Raum gekriegt. Ansonsten habe ich die anderen Instrumente auch bewusster gewählt.

"Die Zusammenarbeit mit Ted Gaier ist intensiver geworden"

Du arbeitest ja immer noch mit Ted Gaier zusammen. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit ihm verändert?

(Überlegt) Schwierige Frage. Ich glaube, wir haben ein bisschen mehr inhaltlich geredet über die Lieder und uns mehr ausgetauscht. Er hat sich ganz schön reingedacht in meine Musik.

Also mehr als früher?

Ich weiß nicht. Vielleicht hab ich das früher auch nicht so wahrgenommen.

In "Ich Kann Deine Mutter Sein Oder Deine Schwester" fand ich diese Stimmdopplung so interessant, wie du zwei Strophen auf einmal singst. Wie bist du auf die Idee gekommen?

Das sind sogar drei! Also, ich hab diesen Text geschrieben. Das sind acht Zeilen - wie soll ich das jetzt erklären? Als Beispiel: "Ich kann deine Mutter sein" kommt gleichzeitig zu "Ich halte deinen Kopf". Es gibt also zu jeder Rolle eine Geste. Das überlagert sich dann, sozusagen. Und dann gibt es auch noch eine dritte Stimme, die sich auch nochmal überlagert. Eigentlich geht es ja darum, dass man in einer Beziehung verschiedene Rollen oder Personen füreinander einnehmen kann. Im besten Fall bleibt man nicht zu lange in einer Rollenverteilung. Stattdessen ändert sich das dauernd und überschneidet. Das wollte ich damit zeigen.

Auf "Keine Termine" spielt auch Kiffen eine recht prominente Rolle. Vor allem "Wieder Einen Gebaut", das hat sowas Kammerspielartiges und eine ganz simple Herangehensweise ans Texten.

Was heißt hier kammerspielartig?

Ich hatte das Gefühl, da sitzen sich zwei Personen gegenüber und es ist so ein sehr begrenzter Raum, in dem der Song spielt. Dann spielt eben noch Gras eine Rolle. Wie würdest du sagen wirkt sich Kiffen auf enge zwischenmenschliche Beziehungen aus?

Da muss man ziemlich aufpassen, dass man nicht zusammen in Software versumpft. Dass da keine Koabhängigkeit entsteht. Das wollte ich auch in das Lied mit einbringen, dass eben nicht alles nur cool und easy ist. Man muss da eben auch aufpassen.

Häufig gibt es ja auf Alben eine Zeile, die das Album zusammenfasst. Was ist diese Zeile auf "Keine Termine"

Vielleicht die erste und die letzte Zeile auf dem Album. Also "Alle wollen was erleben / ich könnt mich übergeben" und "Ich glaub ich fühle gerade Glück / und ich weiß nicht mehr den Weg zurück". Es geht irgendwie um die Zeit zwischen den beiden Zeilen.

Hast du den letzten Song auch zuletzt geschrieben?

Äh. Ich weiß nicht, ob ich "Ich Weiß" wirklich zuallerletzt geschrieben, aber ziemlich am Ende auf jeden Fall. "Kein Termine" war auf jeden Fall der erste.

Hast du generell die ganze Zeit über Songideen?

(Lacht) Nö.

Also nicht so Bob Dylan-artig: 'Ich bin ein Medium, durch mich fließen die Songs hindurch'?

Ja doch, aber einfach nicht so besonders oft. Also wie ich vorhin schon meinte, ich hab nicht so viel Abfall. Wie ich vorhin schon meinte, lass ich mir auch immer echt viel Zeit mit dem Schreiben und mach so bewusste Pausen dazwischen. Ich will halt nur was schreiben, wenn mich das echt beschäftigt. Wenn ich das Gefühl habe, dass es sich lohnt, darüber weiter nachzudenken. Ich habe eigentlich immer einen Text, der im Hinterkopf arbeitet. Ich schreib aber nicht den ganzen Tag daran, sondern gehe arbeiten und denke quasi nebenbei daran. Ich kann oder will das nicht den ganzen Tag machen.

Hat sich dein veränderter Tagesrhythmus auf das Schreiben ausgewirkt?

Ich hatte eben nur noch begrenzte Zeitfenster, in denen ich schreiben konnte. Die meisten Sachen sind zwischen Tür und Angel entstanden. Mir kam eine Idee, die musste ich schnell aufschreiben und dann musste ich schon schnell weiter.

Also mehr Zwang, auf den Punkt zu kommen?

Ich hab einfach insgesamt weniger Zeit gehabt, was auch gut war. Wenn ich zu viel Zeit habe, komme ich ins Grübeln, und das ist nicht gut.

Wann hast du generell angefangen, solo Sachen zu schreiben?

Etwa ein Jahr nach der Bandtrennung.

Sind dann die Sachen direkt aus dir rausgesprudelt, oder musstest du dich langsam wieder rantasten?

Beides, so ein bisschen. Ich hab irgendwann angefangen, mich wieder hinzusetzen, um zu schauen, was da so kommt. Ich musste mir auch erst überlegen, ob ich wieder schreiben will. Ich wollte mich nicht dazu zwingen. Ich habe versucht, das so zu gestalten, dass es keinen Schreibdruck gibt. Dann kann ich auch nicht gut arbeiten. Ein paar Sachen sind zwar aus mir rausgesprudelt, aber dieses Hinsetzen und Nachdenken war auch wichtig.

Hast du auch weniger Druck verspürt als früher?

Meinst du mit der Band?

Ja, genau.

Ja, weil ich muss das ja nicht machen, ne (lacht). Mein Problem, wenn ich kein Album fertig kriege. Deswegen habe ich einfach so lange gewartet, bis ich fertig war.

Hat es für dich etwas Poetisches, dass gleichzeitig zu deinem Album auch erste Öffnungen stattfinden?

Ja, das ist ein großes Glück. Da müssen jetzt wahrscheinlich alle wieder warmwerden mit. Ich auch.

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