laut.de-Kritik

Aus dem Schmuddelkind von einst ist ein "Digitaler Bohemian" geworden.

Review von

"Ja, ich hab' mein Schicksal längst beschlossen/Als ich mich zum Widerspruch entschied/ Wenn ich singe, Freunde und Genossen/ Gehen unsere Träume durch mein Lied" singt Franz Josef Degenhardt im wunderbaren "Jeder Traum" auf seinem aktuellen Album "Dreizehnbogen". Für den Widerspruch hatte sich der mittlerweile 77-jährige Liedermacher schon in den 60er-Jahren entschieden, als er als Sprachrohr der Studentenbewegung galt. Seitdem präsentiert er sich mit seinen unzähligen Liedern als feinsinniger Gesellschaftskritiker, der einer sozialeren Lebensform das Wort spricht.

Seine Frische hat er nicht verloren, sein Gesang tönt äußerst lebendig, mit seinen dichten Texten erweist er sich noch immer als detaillierter Beobachter, die dezente Instrumentierung ordnet sich dabei jederzeit seiner Lyrik unter. Degenhardt treibt nach wie vor ein gekonnt ironisches Spiel, wenn er seine bitteren und manchmal grotesken Zustandsbeschreibungen mit zumeist heiter-humorvollen und gar nicht betroffenen Vortragsweisen kombiniert.

Aus dem Schmuddelkind von einst ist im Opener ein "Digitaler Bohemian" geworden, dessen Lifestyle-Dasein Degenhardt mit der Akustischen im ¾-Takt als Hirngespinst entlarvt, begleitet von einer sonnigen E-Gitarrenlinie und der Mundharmonika. Mit "Das Leibregiment" hat er zu einer Militärkappelle einen Tucholsky-Text vertont, Protagonist ist ein seine Erlebnisse verherrlichender Kriegsveteran.

Mit "Das Trauerspiel Von Afghanistan" von Theodor Fontane gelingt Degenhard ein eindringlicher Bezug zu aktuellen Ereignissen. In "Krieg Ist Krieg" legt er einem Soldaten zur gezupften Gitarre einen zynischen Monolog in den Mund. Diesem Szenarium stellt er mit "Die Kartusche" eine Hommage an einen Deserteur gegenüber. Auf Onkel Heinz' Kartusche sind die Zeilen und der Refrain "Nie wieder Krieg/ Und scheiß auf den Sieg" zu lesen. Dezenter Gipsy-Swing umrahmt in dem Song "Die Ernte Droht", in dem der Neoliberalismus karikiert wird.

Der dreizehnminütige Titeltrack "Dreizehnbogen" ist das Herzstück des Albums. Zu Lo Fi-Schlagzeug, Bass, Slide-Gitarre und Harmonika entwickelt Degenhardt ausgehend von der Brücke Dreizehnbogen mittels historischer Episoden und aktueller Alltagsgeschichten eine eindringliche Zustandsbeschreibung der Gesellschaft. Er spricht diesen Text äußerst amüsant, großartig untermalt mit einem süffisanten textlosen Refrain. Man hört ihm gerne zu bei der Intonation seiner detaillierten Sittengemälde.

Melodisch und textlich hört man Degenhardt - wie auch den Kollegen Hannes Wader, Konstantin Wecker oder Reinhard Mey - den Liedermacher der alten Schule an. Den Jüngeren mag das möglicherweise als Anachronismus erscheinen, aber wie es ihm gelingt, mit Fremdtexten älterer Autoren die Brücke zur Gegenwart zu schlagen und mit der ihm eigenen Poesie und seinem Sprachwitz die Unzulänglichkeiten der Welt bloßzulegen, ist bemerkenswert. Die Unaufdringlichkeit der gelassenen Arrangements fügen sich prächtig in dieses Konzept.

Dem dienstältesten Liedermacher dieses Landes ist mit "Dreizehnbogen" ein durchweg sympathisches Album geglückt, das bei aller Kritik immer auch die Hoffnung als Möglichkeit suggeriert.

Trackliste

  1. 1. Digitaler Bohemien
  2. 2. Den Fluss Hinunter
  3. 3. Das Leibregiment
  4. 4. Krieg Ist Krieg
  5. 5. An Der Quelle
  6. 6. Die Ernte Droht
  7. 7. Das Trauerspiel Von Afghanistan
  8. 8. Die Kartusche
  9. 9. Jeder Traum
  10. 10. Dreizehnbogen

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