1. Oktober 2010

"Wir haben wohl nicht genügend Ärsche geküsst"

Interview geführt von

Der Zeitpunkt, an dem das Interview mit Flotsam & Jetsam stattfand, liegt schon ein wenig zurück. Inzwischen haben die Jungs nun aber endlich ihr Album "The Cold" am Start. Das sollte die Nörgler verstummen lassen, die ständig behaupten, seit den beiden ersten Scheiben hörte man nichts Anständiges mehr aus dem Flotsam-Lager.Welche Band verbringt ihren Jahresurlaub schon lieber auf Clubtour durch Europa, als mit der Familie in sonnige Gefilde zu fliegen? Außer Flotsam & Jetsam wohl kaum eine. Über musikalische Hingabe, Söhne, die für Alicia Keys Songs schreiben, und den nach wie vor ausbleibenden Erfolg steht beinahe die komplette Band Rede und Antwort. Zunächst nimmt mich der mittlerweile wieder ausgestiegen Gitarrist Edward Carlson ein paar Meter zur Seite. Doch im Laufe des Gesprächs schauen auch Drummer Craig Nielsen, Sänger Erik A.K. und Basser Jason Ward vorbei. Vor allem letzterer übernimmt den Hauptteil der Konversation, nachdem er mich schließlich wieder erkannt hat.

Jason, wie lief die Show aus deiner Sicht?

Klasse! Keine Frage, das ist ein etwas kleinerer Club und es war nicht wirklich gedrängelt voll. Aber die Leute, die da waren, haben richtig Party gemacht und dann gehen wir natürlich mit. Ich bin jetzt 43, da muss man sich hin und wieder schon quälen. Aber wenn die Fans vor der Bühne ihren Spaß haben und dich anfeuern, dann läuft der Rest meist wie von allein. Allerdings haben wir gestern Abend nach dem Gig in Holland so ziemlich die Bar trocken gelegt. Das hat sich heute ein wenig gerächt (lacht). Wir haben in Europa jedes Mal unseren Spaß. Wir kommen immer wieder gern hierher. Zumindest so lange, bis uns keiner mehr sehen will (lacht).

Freut mich zu hören. Als wir uns das letzte Mal auf dem Bang Your Head Festival 2006 unterhalten haben, war es ganze neun Jahre her, dass ihr Deutschland das letzte Mal besucht habt.

Stimmt, aber seitdem waren wir ja doch ein paar Mal hier. Es lässt sich nicht bestreiten, dass Europa und vor allem Deutschland immer noch ein recht starker Markt für uns sind. In den Staaten ist das immer so 'ne Sache. Okay, momentan ist der Thrash Metal auch da wieder einigermaßen angesagt, aber Europa ist einfach nicht so sehr diesen Trends unterworfen, wie die Staaten. Außerdem werden wir hier immer wieder für richtig große Festivals gebucht, wo du schon mal vor 10.000 Leuten spielen kannst. Das ist großartig und macht die wenigen Shows, die wir überhaupt spielen, für uns gleich doppelt so wertvoll. Mittlerweile müssen wir uns die wenigen Touren sehr genau und mühsam zusammen suchen. Jeder von uns hat Familie und einen Job, das bedarf schon einer sehr genauen Planung. Als wir noch jünger waren, hatten wir kein Problem damit, uns dem Arsch abzutouren. Wenn man älter wird, ist das nicht mehr so leicht (lacht).

Wir touren momentan ja mit sehr vielen alten Songs in unserer Setlist, aber wenn 2010 endlich das neue Album "The Cold" erscheint, werden wir auch ein paar andere Nummern spielen. Wir wissen natürlich genau, welche Songs hier angesagt sind und was die Fans hören wollen. Dennoch hoffen wir, dann endlich auch mal eine neue, aktuellere Setlist spielen zu können. Natürlich werden wir nicht sämtliche Klassiker aus dem Programm kicken, aber ich würde wirklich gern mal ein paar mehr Nummern der letzten drei, vier Alben spielen. Da sind nämlich auch ein paar richtig gute Stücke dabei. Das nächste Album wird jedenfalls echt der Hammer. Hey, A.K.! Komm' mal her und mach' bei dem Interview mit!

Erik: Hi, worum gehts?

Jason: Erzähl' ihm was über das neue Album. Du weißt da mehr drüber als ich.

Erik: Was? Ich weiß gar nichts über das neue Album (lacht). Okay, was soll ich sagen? Die neue Scheibe wird ziemlich heavy ausfallen. Ich denke, es geht ein wenig mehr back to the roots, ohne allerdings alles über den Haufen zu werfen, das wir auf den letzten Alben getan haben. Im Groben haben wir zehn Songs fertig. Ich muss bei ein paar Nummern noch den Gesang aufnehmen, und Soli und solche Sachen stehen noch aus. Willst du noch was dazu sagen, Jason?

Jason: Ich hab' ein paar verdammt geile Bass-Parts eingespielt.

Erik: Stimmt! Er hat genau das gespielt, was ich ihm gesagt habe (alle lachen).

Jason: Exakt. Es hieß immer nur: Spiel leiser! Leiser! Noch leiser! Er bat mich immer um ein Solo. 'Play solo. So low, that I can't hear you!' Aber wenn du mich fragst, wird die neue Scheibe härter als das meiste von dem, das wir bisher gemacht haben. Allein, was die Stimmung der Gitarren angeht, sind viele Songs richtig heavy und düster.

"Mein Sohn schreibt Songs für Alicia Keys oder Rihanna"

Erik: Die Scheibe hat einen etwas moderneren, jüngeren Anstrich als unsere anderen Sachen. Wir versuchen zwar immer noch, unsere Old-Fart-Attitude mit reinzubringen, aber eben eine Spur moderner (lacht). Vielleicht schaffen wir es ja sogar mal ins Radio. Gerade der Titeltrack hat einen verdammt eingängigen Chorus. Mal sehen, was passiert.

Jason: Wir sind recht positiv eingestellt, denn wir sind mittlerweile bei Driven Music gelandet, dem Label von Brian 'Head' Welch [Ex-Korn, d. Verf.] In der Vergangenheit ist eine Menge Müll passiert, wegen dem wir nicht anständig auf Tour gehen konnten. Das hat auch die Arbeiten an dem neuen Album verzögert. Aber gute Dinge brauchen nun mal ihre Zeit, und wir haben keinen Grund zur Eile. Auf "The Cold" soll eben alles stimmen, die Musik, die Texte, die Produktion und das Cover. Für letzeres haben wir wieder mit Travis Smith zusammen gearbeitet. Als wir das letzte Album aufgenommen haben, hatten wir echt nur ein minimales Budget zur Verfügung. Das waren nicht mal 35.000 Dollar, da muss man erst mal arbeiten. Für die neue Scheibe steht uns deutlich mehr zur Verfügung. Was wir bis jetzt haben, fühlt sich verdammt gut an. Unser Produzent Ralph macht einen richtig guten Job. Wie heißt Ralph eigentlich mit Nachnamen?

Erik: Macchio. [Das ist der Typ aus Karate Kid, d. Verf.]

Jason: Ralph Macchio, der … hey! Laber keinen Scheiß (Gelächter). Nein, Ralph [Patlan] ist der Gitarrist von Heads Liveband und ein echt guter Produzent. Und er arbeitet vor allem sehr gut mit Mark [Simpson] zusammen, der dieses Mal den Großteil der Songs geschrieben hat.

Erik: Auf dem Cover wird übrigens meine Tochter zu sehen sein.

Aha, interessant. Ist das dein einziges Kind?

Erik: Nein, ich hab insgesamt drei.

Jason: Ja, drei von denen er weiß! (Gelächter)

Erik: Mein ältester Sohn lebt in New York und schreibt Songs für Künstler wie Alicia Keys oder Rihanna. Damit ist er in Sachen Musik allerdings deutlich erfolgreicher als sein alter Herr (lacht).

Jason: Mein Sprössling hat auch mit dem Bassspielen angefangen, und Graigs Junior ist Drummer in einer Band. Digital Summer heißt die, glaube ich.

Craig: Moment, er ist nicht einfach nur Drummer in einer Band. Er ist ein richtig, richtig GUTER Drummer in einer Band! Und nicht mehr in Digital Summer, sondern in Bionic Jive. Das ist echt verdammt heavy stuff mit zwei schwarzen Sängern. Klingt ziemlich geil, solltest du auf jeden Fall mal anchecken.

Jason: Mann, ich bin echt nicht mehr auf dem Laufenden. Wieso spielt er denn nicht mehr bei Digital Summer?

Craig: War wohl 'ne Ego-Sache (lacht).

Erik, du hattest doch mal deinen Helikopter-Flugschein gemacht, wenn mich nicht alles täuscht. Was ist daraus geworden?

Erik: Ja, den hab' ich noch. Das hatte ich mal als Job neben der Musik geplant, aber das ist schlicht und ergreifend zu teuer. Man braucht eine bestimmte Anzahl an Flugstunden, um den Schein zu behalten und Personen transportieren zu können. Ich bräuchte sowas um die 800 Stunden, wobei jede Stunde 250 Dollar kostet.

Oooh, das ist natürlich sackteuer! Was hast du in der Zeit gemacht, als du keinen Bock mehr auf Touren hattest?

Erik: Es war ja nicht so, dass ich keinen Bock auf Touren hatte. Ich hatte es einfach satt, kein Geld damit zu verdienen. Wir haben uns echt den Arsch mit Flotsam aufgerissen und es so lange versucht, und irgendwann kam einfach der Punkt, an dem ich mich fragte: wozu der ganze Scheiß? Jetzt, da wir das alles nur noch aus Spaß machen und uns sozusagen als Hobby nebenher leisten und machen können, ist das wieder was ganz anderes. Wir müssen damit nicht mehr unserer Rechnungen zahlen, sondern einfach nur Musik spielen und Spaß haben. Der ganze Business-Scheiß hat sich auch erledigt. Wir sind einzig und allein aus demselben Grund hier, wie die Fans auch: Wir wollen Spaß haben und coole Musik spielen - beziehungsweise hören.

"Ja, verdammt! Uns gibt es immer noch!"

Hier in Europa haben wir momentan ein echtes Thrash-Revival und auch aus den Staaten kommen immer wieder Bands auf den Tisch, die sich doch verdammt stark an Bands wie den alten Metallica und Exodus orientieren. Habt ihr da auch einen gewissen Nutzen von?

Jason: Es geht. Wie schon gesagt, ändert sich der Markt in den Staaten oft. Momentan sieht man auch als Thrash-Band ein bisschen Licht. Aber das schwankt nach wie vor. Wir können beispielsweise in L.A. vor 2.000 Leuten spielen und am nächsten Tag in Texas vor gerade mal 300 Nasen. Das ist immer so ein 'hit and miss'-Ding für uns. Hier in Europa merkt man den Enthusiasmus der Fans viel deutlicher. In den US scheint die Aufmerksamkeitsspanne deutlich kürzer zu sein (lacht). Wenn man da nicht ständig mit irgendeiner Band konfrontiert wird, vergessen die Leute sie einfach. Shadows Fall sind beispielsweise eine recht große Nummer in den Staaten und auch In Flames oder Opeth. Bei Dinosauriern wie uns hab' ich immer wieder das Gefühl, dass sich viele gar nicht mehr an den ganzen Scheiß erinnern, den wir früher gemacht haben. Da seh ich echt ein Problem! Jeder ist mittlerweile wieder euphorisch über Testament, Exodus, Death Angel und jetzt auch wieder Forbidden. Warum fragt kein Schwein nach Flotsam?

Erik: Wir haben einfach nicht genügend Ärsche geküsst (lacht). Nein, du hast schon recht. Das ist 'ne verdammt traurige Sache. Wir werden ja nicht mal auf VH-1 bei irgendwelchen Bandhistorys genannt. Also, unser Underground-Status war jedenfalls nie in Gefahr.

Ich glaube, ihr solltet euch vielleicht mal auflösen und dann für viel Geld auf Wacken wieder reformieren. Oder ihr streut Gerüchte, dass einer von euch ein Bein verloren hat. Etwas in der Art.

Jason: Hey, das könnte klappen (lacht). Oder wir machen es wir manch andere Band und behaupten nach jedem Album, dass das unser definitiv letztes ist. Oder unsere letzte Tour. Aber im Ernst, das Gefühl, dass du irgendwann echt Schluss mit dem ganzen Scheiß machst, kommt dir auf Tour immer wieder in den Sinn. Allerdings sind es dann Shows wie gestern oder heute, wenn die Leute richtig gut abgehen und ihren Spaß haben, die dir klar machen, dass du das nicht missen willst. Man kann jedenfalls eins mit Sicherheit sagen: Wir sind nicht wegen des Geldes hier! (lacht).

Erik: Wir bekommen Geld? Warum hat mir das keiner gesagt? (Alle lachen)

Mal im Ernst. Müsst ihr für so eine Tour draufzahlen? (Inzwischen hat sich Ed wieder dazu gesellt.)

Ed: Nein, glücklicherweise nicht. Kosten haben wir keine, wir kommen immer so ziemlich auf Null raus. Wir verkaufen mit unseren Shirts ganz ordentlich. Das holt uns aus dem Gröbsten immer raus. Und selbst wenn. Solche Shows wie gestern in Holland wären es echt wert.

Das muss ja wirklich der Hammer gewesen sein.

Jason: War es, Alter. Glaub mir! Wir wurden schon immer sehr freundlich und enthusiastisch in Holland aufgenommen. Unser Tourmanager ist Holländer und organisiert immer alles für uns, aber gestern war einfach großartig. Die Fans sind mitgegangen wie schon lange nicht mehr, und die Party im Anschluss hat erst geendet, als wir heute Morgen fahren mussten. Deutschland ist auch immer gut zu uns gewesen, aber die nächsten Tage sind wir zum ersten Mal in Tschechien unterwegs. Ich bin echt gespannt, wie es da für uns läuft. Danach geht es wieder nach Polen, wo wir ja schon die "Once In A Deathtime"-DVD geschossen haben. Da haben wir auch jede Menge Fans, die bei den Shows richtig einen drauf machen. Da freuen wir uns bereits wie kleine Kinder drauf. Dann kommen noch ein paar Festivals. Wacken Rocks South, da spielen wir mit Slayer! Ha, das letzte Mal, als ich Kerry King getroffen habe, meinte er nur: "Was? Flotsam & Jetsam? Euch gibts noch?" Danke auch, Kerry (lacht). Und das war, glaub' ich, vor zehn Jahren. Ja, verdammt! Uns gibt es immer noch!

Oh, Mann. Das letzte Mal, als ich Tom Araya auf 'ner Bühne sah, sah er aus wie Saddam Hussein, als sie ihn aus seinem Loch in der Erde gezogen haben (alle lachen). Aber mal was anderes. Vorhin meine ich, gehört zu haben, dass ihr alle Urlaub von euren Jobs nehmen musstet, um hier auf Tour zu gehen. Stimmt das so?

Jason: Auf jeden Fall! Und das müssten wir auch schon tun, um uns überhaupt mal wieder alle zu treffen. Wir leben ja nicht mal mehr im selben Bundesstaat. Von daher macht es auf Tour auch Spaß, die Jungs überhaupt mal wieder zu sehen. Das passiert sonst nur noch, wenn wir eine Scheibe aufnehmen.

Wie ich sehe, hast du auch wieder dein Lieblingsshirt an. [Auf dem steht: 'I Have The Biggest Dick In The Band', d. Verf.] Was aber nach wie vor erst noch bewiesen werden muss.

Jason: Ja, stimmt. Das hatte ich auch schon bei meiner letzten Show hier in Frankfurt an. Die Leute glauben jetzt bestimmt, ich hätte nur ein Shirt auf Tour dabei (lacht). Ich habe also den Biggest Frankfurter in der Band. Aber eigentlich ist das ein Fehldruck, denn da sollte stehen: 'I AM The Biggest Dick In The Band' (brüllendes Gelächter).

Erik: Er hat das Ding eigentlich nur deswegen an, weil er immer noch hofft, dass irgendjemand den Spruch glaubt. Dabei kann er nicht mal sich selbst überzeugen (lacht).

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