laut.de-Kritik

Mensch gegen Maschine, nächste Runde!

Review von

Es ist immer noch immer der gleiche Abgrund zwischen Mensch und Maschine, das selbe futuristische Dystopia, das sich als thematischer Leitfaden durch das Werk von Fear Factory zieht. Dass die Mannschaft rund um das personell übriggebliebene Herz der Maschine, Sänger Burton C. Bell und Gitarrist Dino Cazares, das Rad nicht neu erfinden will, nimmt ihnen wohl keiner übel.

Spätestens mit "Demanufacture" hatten Fear Factory 1995 der Metal-Szene ihren unverwechselbaren Stempel aufgedrückt, eine unverkennbare Gangart gefunden, geprägt von (Raymond Herreras) Schlagzeugmaschinengewehrsalven, Dino Cazares kolossal-präzisen Rasierklingen-Riffs und Burton C. Bells Wechsel zwischen knochentrockenem Schreien und eingängigen, anschmiegsamen Chorus-getränkten gesungenen Refrains. Und mehr noch: Fear Factory, das bewiesen sie beispielsweise mit "Resurrection" (auf "Obsolete") schrieben auch wahrhaftige Sci-Fi-Sinfonien, epische Songmonster ohne Berührungsängste mit opulenter Melodik und Pathos.

Drei Jahre haben sich die Kalifornier nach dem letzten Longplayer "The Industrialist", der gänzlich auf von Menschenhand gespielte Schlagzeugspuren verzichtete, Zeit gelassen für "Genexus". Es sei wieder ein Konzeptalbum geworden, kündigte Cazares im Vorfeld an, wieder zum Thema "Mensch vs. Maschine" – und dass es sich zwischen den Polen "Demanufacture" (die schnelleren Stücke) und "Obsolete" (die Groove-lastigeren Sachen) bewegen würde. Diese Versprechung sollte allen Afficionados die Freudentränen der Antizipation in die Augen treiben, und siehe da: Versprechen eingelöst. Und mehr noch.

Ein Klavierarpeggio, ein paar kurze einleitende Worte, sinfonische Synth- und Gitarren liefern den Prolog zum Opener "Autonomous Combat System", wenige Sekunden darauf zeigt sich die Maschine bereits bestens geölt, tödlich präzise – und ja, es kommt einem durchaus "Demanufacture" in den Sinn. Nur, dass Fear Factory, gemeinsam mit Rhys Fulber, noch ordentlich was drauf gelegt haben. In puncto Melodie und Sphärik nämlich – und in der Gewichtung Maschinelles und Sinfonisches. Die fanfarenartigen Synth-Bögen haben an Gewicht gewonnen, stehen in einer bis dato nicht dagewesenen Balance. Dieser melodiöse Aspekt findet auch in Cazares großartige Gitarrenarbeit Eingang. Für die Drums zeichnen Deen Castronovo, ein alter Weggefährte, und Neuzugang Mike Heller verantwortlich.

Und Burton C. Bell? Bell bleibt in seiner gewohnten stimmlichen Range, schafft hier aber immer wieder ungemein eingängige Refrains, die im Gesamtbild nicht nur völlig homogen erscheinen, sondern auch stante pede im Ohr hängen bleiben. Ein gutes Beispiel hierfür ist der zweite Song des Longplayers, "Anodized". Oft stehen Cazares Riffs mit den Synths beinahe gleichberechtigt da, die Synths sind weit mehr als Atmosphäre stiftendes Beiwerk. Nachdem

Bei "Dielectric" bilden Pizzicatostreicher die Overtüre, ehe Cazares' Riffs die Melodie übernehmen. Auch hier wieder: Präzision, Härte, Melodik und erneut einer dieser großen Refrains. "Soulhacker" kennt man bereits, den Song hatte die Band als Teaser ins Rennen geschickt – der Song bietet nichts Neues und vielleicht am ehesten Angriffsfläche für den mancherorts gehörten Vorwurf, Fear Factory würden mittlerweile sehr generisch vorgehen: ein Mid-Tempo-Groovemonster mit einleitender Catchphrase. Dennoch ein tadelloser Track, auch wenn er das Distinktive von "Genexus" am wenigsten wiederspiegelt.

Bei "Protomech" ist das schon wieder anders, auch hier kommt einem strukturell "Demanufacture" in den Sinn, nur dass auch hier erneut die Melodik eine ganz andere Tragweite bekommt. Das steigert sich sogar noch, wenn im darauffolgenden Titeltrack Gitarre, Synth und Stimme die gleiche Melodiefunktion übernehmen, im Unisono quasi. Hier wächst "Genexus" über sich selbst hinaus. "Church Of Execution" ist dann mit 3 Minuten und 21 Sekunden verhältnismäßig kurz und recht durchwachsen, wummernde Synths, zwischendurch ein Lick, das kurz an die Nu-Metal-Fraktion denken lässt. Es folgt ein furioses und großartiges Albumfinale, bestehend aus drei Songs.

Das letzte Drittel setzt dann nämlich gänzlich auf Melodie. Dass Fear Factory, gerade am Ende ihrer Longplayer, immer ganz gerne diverse Ausreißer liefern, auch mal ausschweifen, die Richtungen umdrehen, ist nichts Neues. Was die Band aber mit den letzten drei Tracks "Regenerate", "Battle For Utopia" und dem Closer "Expiration Date" bietet, überrascht durchaus: ein episches, ungemein eingängiges, ausführliches Finale – eine Kybernetik-Symphonie, die ihren Höhepunkt im finalen, durchwegs gefundenen Song findet ... darf man das eigentlich schon Ballade nennen? "I made my way through the violence / Nobody lives forever", singt Burton C. Bell. Ob am Ende die Maschinen gewonnen haben oder doch die Menschen ist Interpretationssache. Erhebend ist das Finale auf jeden Fall. Es dauert lange, bis "Expiration Date" ausklingt, und weil vielleicht doch nicht alles gut wird, wird die Geräuschkulisse gegen Ende noch kurz in dissonante Melodiebögen getränkt.

Fear Factory legen auf "Genexus" alles auf den Tisch, was ihre Größe ausmacht und packen noch neue Aspekte oben drauf. Grandios.

Trackliste

  1. 1. Autonomous Combat System
  2. 2. Anodized
  3. 3. Dielectric
  4. 4. Soul Hacker
  5. 5. Protomech
  6. 6. Genexus
  7. 7. Church Of Execution
  8. 8. Regenerate
  9. 9. Battle For Utopia
  10. 10. Expiration Date
  11. 11. Mandatory Sacrifice (Genexus Remix) [Bonus Track]
  12. 12. Enhanced Reality (Bonus Track)

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15 Kommentare mit 19 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 8 Jahren

    Habe mich jetzt noch mal mit dem Teil auseinandergesetzt und muss sagen das sie sooo schlecht nicht ist. Auf jeden Fall besser als die beiden Vorgänger. Besonders "The Industrialist" war ja ein totaler Griff ins Klo. Stilistisch orientiert sich die Scheibe stark an "Obsolete" die ich sehr lange nicht mochte. Wahrscheinlich habe ich wohl deshalb (immer noch) meine Probleme mit dem Album. Trotzdem sind mehr als solide 3 Punkte einfach nicht drin, weil sich halt doch zuviel wiederholt und über weite Strecken auch der nötige Biss fehlt.

  • Vor 7 Jahren

    Seit Jahren Ihre beste CD, ich war extrem Positiv überrascht.