23. Oktober 2013

"Die Bibel ist brutal und inhuman"

Interview geführt von

Fates Warning sind nach neunjähriger Auszeit wieder da. Dabei waren die einzelnen Mitglieder nie von der Bildfläche verschwunden. Speziell der Kopf der Band, Jim Matheos, musizierte fleißig auf Projektbasis mit OSI oder dem ehemaligen Fates Warning-Sänger John Arch.

Zudem etablierte sich die Band an der Live-Front und spielte regelmäßig Gigs. Umso gespannter fieberten Fans dem deutschen Tourauftakt in Aschaffenburg entgegen. Auch wenn mit Frank Aresti der etatmäßige Leadgitarrist nicht auf der Tour dabei ist, wirkt die Band gewohnt spielfreudig.

Kleinere Schönheitsfehler wie die nur in Ansätzen variierte Setlist oder der hohe Anteil an austauschbaren kürzeren Songs ("One", "Another Perfect Day") können die Stimmung nicht sonderlich trüben. Ray Alders charismatisches Timbre weiß nach wie vor zu begeistern, auch wenn er gekonnt die stimmlichen Klippen umschifft. Soundtechnisch walzen Fates Warning alles in Grund und Boden. Sowohl das Können der Band als auch ihr mitreißendes Songwriting hätten eigentlich eine größere Plattform verdient.

Doch wie sich schon beim Treffen am Vormittag heraus stellt, spielt Jim Matheos nicht nur die Rolle des Musikers, sondern lebt diesen Beruf mit Leib und Seele. Er weiß sich glücklich zu schätzen, dass die Fans sein Standing im hartmetallischen Universum zu würdigen wissen. Insofern tritt er ganz als freigeistiger Künstler auf, der sich nicht um Konventionen schert und mit seiner Hauptband als Zugpferd die Musik realisieren kann, die ihm vorschwebt. Insofern fungieren er und seine Band als ein Gegenmodell zu einer kommerziell ausgerichteten Musikerkarriere, die nur auf Profit ausgelegt ist und sich durch Trendorientierung auszeichnet.

Mit Ausnahme des Songs "O Chloroform" habt ihr diesmal komplett auf Samples und Sounds verzichtet.

Jim Matheos: Selbst auf diesem Song sind keine Samples drauf. Dieses Sphärische im Klangeindruck stammt von einer digital eingespeisten Gitarre, die entsprechend verändert wurde. Rückblickend muss ich sagen, dass wir es auf unserer letzten Platte "X" ein wenig mit elektronischen Spielereien und Samples übertrieben haben. Seitdem habe ich mich auf anderen Baustellen ausgetobt, um diesem Faible für elektronische Sounds nachzugehen. In Bezug auf Fates Warning gehen wir back to the roots, die Songs fallen wesentlich gitarrenlastiger aus und klingen organischer.

Hast du parallel an den Songs für die neue Fates Warning-Platte und an der Platte mit John Arch gearbeitet? Oder kann man die Songwriting-Phasen voneinander trennen?

Entweder habe ich an den Songs für Fates Warning oder an Songs für "Symphatetic Resonance" gearbeitet. Viele der John Arch-Songs sind wesentlich früher anzusiedeln. John und ich tauschten uns häufig über die Songs aus, er hatte sehr großes Mitspracherecht. Nein, Überschneidungen in dem Sinne gab es nicht.

Würdest du mir zustimmen, dass die Passagen, die modern und industrial-mäßig klingen, von Tool beeinflusst wurden? Oder spielst du einfach die Riffs, die dir in den Sinn kommen?

Ja, es ist in der Tat eine Beeinflussung zu hören, insbesondere im Song "I Am". Aber ich habe das sicher nicht absichtlich getan. Bei "I Am" konzipierte ich die Riffs um ein Schlagzeug-Pattern, das von Bobby stammt. Er wird auch als Co-Writer des Songs geführt. Auf der Suche nach Impulsen und Ideen hat er mir ein paar Loops geschickt und ich habe ausprobiert, was dazu passen könnte. Darauf baut der Song letztendlich auf. Dieses auf einem Loop basierende Riff, das sich stetig entwickelt, ist natürlich ein Trademark, dass man bei Tool häufig findet.

"Ich verstehe Kevins Lyrics nicht"

Am meisten hat mir bei der neuen Platte der hohe Grad an Abwechslung imponiert. Man hört Hits wie "Fireflies", komplexe und epische Stücke wie "And Yet It Moves" sowie die oben schon angesprochene Dynamik und Monothematik eines Stückes wie "Lighthouse".

Insgesamt hat es über ein Jahr gedauert, alle Teile zusammenzubringen. Natürlich reflektiert man nicht immer bewusst über die unterschiedlichen Stile, mit denen man sich umgibt und die durch mehrmaliges Hören einen Einfluss ausüben. So gerne ich die harten Sachen höre, so gerne höre ich auch kommerzielle Musik. Natürlich wollen wir für uns die Musik so abwechslungsreich wie möglich gestalten, weswegen es Songs wie "Lighthouse" gibt, der im Übrigen zu meinen Favoriten zählt.

Stichwort Gitarrenarbeit: Man hört oft ostinate Gitarren. Über diese Riff-Repetitionen legst du dann cleane, mit leichtem Chorus versehene Gitarren, die die Akkorde dazu spielen. Hast du diese Arbeitsweise mit deinem Sidekick Frank Aresti ausgelotet?

Frank spielt nicht wirklich viel Gitarre auf dem neuen Longplayer. Er ist nur für einen Teil der Leads zuständig. Ich bin mir grad noch nicht mal sicher, ob er für einen der Songs Credits bekommen hat (Anm.: doch, für "One Thousand Fires").

Aber der Großteil der Gitarren stammt aus meiner Feder und wurde von mir eingespielt. Die schnellen Lead-Passagen hat Frank übernommen. Was diese Schichtung von Gitarren anbelangt, das habe ich zu Hause ausprobiert. Meistens habe ich als Ausgangsbasis ein Riff oder halt eine Akkordfolge genommen und darüber den entsprechenden Part ausgearbeitet.

Kannst du uns etwas über das sehr künstlerisch anmutende Albumcover verraten? Welchen Zusammenhang zwischen Artwork und Albumtitel gibt es?

Wir arbeiteten diesmal mit einem Künstler namens Conte di San Pietro. Er hat bereits für Kevin Moore gearbeitet, der ihn uns dann auch empfohlen hat. Wir haben ihm eine Auswahl an Titeln gegeben, denn einen festen Titel hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ihn hat jedoch unsere Musik angesprochen, weswegen er sich zu einer Zusammenarbeit bereit erklärte. Allerdings gestaltete sich die Auswahl sehr zäh. Am Ende zirkulierten 25 verschiedene Zeichnungen, mit denen keiner wirklich zufrieden war. Das war für alle Seiten und insbesondere für den Künstler frustrierend.

Die letzte Idee war schließlich der schwarze Schwan. Nachdem einige Wünsche von uns eingearbeitet wurden, stand schließlich das Motiv.
Bezüglich der Bedeutung steckt jetzt nicht unglaublich viel Tiefe dahinter. Man sieht halt einfach den schwarzen Schwan und dessen spiegelbildliche Reflektion, was ja den Albumtitel "Darkness In A Different Light" gut symbolisiert.

Immer wenn ich die Musik auf mich wirken lasse, macht sich eine depressive Grundstimmung breit.

Das macht Fates Warning im Allgemeinen aus ...

Die persönlichen und teils metaphorischen Lyrics handeln von gescheiterten Beziehungen. Liebe ist kein Ausdruck von Hoffnung, sondern nur ein weiteres Leidenskapitel.

Es geht um all die menschlichen Erfahrungen, die jeder von uns teilt und in der einen oder anderen Form erlebt hat. Meistens dreht es sich um Beziehungen, mal auch um welche, die etwas tiefer gehen, aber meistens schauen wir erst auf die Lyrics, wenn sie fertig verfasst sind. Oft schält sich diese alte Weisheit, der Dunkelheit zu entkommen und das Licht zu finden, heraus. Daraufhin suchen wir uns dann einen Titel heraus, der das widerspiegelt, was wir mit den Lyrics empfinden.

Kritisierst du in dem Song "Kneel And Obey" Religion?

Das tue ich in der Tat. Ich habe erst vor kurzem zum ersten Mal in meinem Leben die Bibel gelesen und muss sagen, ich war ziemlich überrascht von der Brutalität und Inhumanität, die mir entgegenschlug. Im speziellen das alte Testament hat mir an manchen Stellen harte Tage bereitet (grinst).

Ist Drogenmissbrauch oder die Flucht in Drogenkonsum Inhalt von "O Chloroform"?

Ich muss gestehen, ich habe keine Ahnung. Kevin Moore hat die Lyrics zu diesem Song geschrieben. Ich mag Kevins Lyrics sehr, aber manchmal, wie in diesem Falle, lassen sie mich eher verwirrt zurück.

"Im Prog habe ich lange nichts Neues gehört"

Die Atmosphäre von Heimatlosigkeit im letzten Track "And Yet It Moves" wird ziemlich abrupt unterbrochen, ihr greift die Fuge aus dem Intro auf und schließt daran eine von Akustik-Gitarren getragene Passage an. Verbindet ihr damit einen Hoffnungsschimmer oder meinst du die Akzeptanz unvermeidlicher Erfahrungen?

Am Ende ist es wohl eher die Akzeptanz des Schicksals, die hier mit reinspielt. In diesem Song passiert so viel und er zeigt im Prinzip all die musikalischen Facetten, an denen ich die letzten 25 Jahre gearbeitet habe. Bildlich geht es um eine Zugfahrt, metaphorisch stehen die Lyrics für eine Reise in die Vergangenheit. Ein wenig Hoffnung schwingt auch mit.

Ist der Titel eine Anspielung auf Galileos berühmten Ausspruch "und sie dreht sich doch".

In der Tat habe ich mir den Titel von diesem Spruch entlehnt. Aber er behandelt nicht die damit verbundene Thematik. Er klingt einfach gut.

Ist die dreistimmig ausgesetzte, kontrapunktische Fuge als Intro für "And Yet It Moves" eine Hommage an Johann Sebastian Bach?

Ich verbinde mit Bach keine Leidenschaft. Klassische Musik höre ich von Zeit zu Zeit sehr gerne, aber es ist jetzt keine Ehrerbietung. Natürlich kann man das Intro mit ihm in Zusammenhang bringen.

Ich habe diese Passage nun schon seit nahezu 10 Jahren in der Schublade. Aber ich fand einfach keine Verwendung bis dato. Nun korrespondieren die Tonart und das Tempo mit den restlichen Songideen und es passt wunderbar zusammen.

Bezogen auf die Musik vermittelt ihr speziell auf der neuen Platte eine kalte und düstere Atmosphäre. Man wähnt sich im luftleeren Raum. Ich musste beim Hören oft an das bekannte Zitat des Physikers Richard Feynman denken: "Ich, ein Universum von Atomen, ein Atom im All." Die einzige Ballade "Falling" ist nur ein kurzes Intermezzo, eingeebnet in monolithische Riffgebirge. Hast du eine Philosophie oder Intention, wenn du deine Riffs schreibst?

Manchmal gehen die Leute ein wenig zu weit, wenn sie denken, dass sich hinter unserer Musik immer ein ganzes Konzept verbergen würde. Hin und wieder haben sie Recht mit ihrer Annahme, wie im Falle von "A Pleasant Shade Of Grey", aber ob man die Platte als eine Art Straßenkarte betrachtet, ist jedem selbst überlassen. Bei uns kommen die Songs von Herzen, so kitschig das auch klingt.

Und wenn man sich der Musik widmet, bekommt man einen kleinen Eindruck davon, wie wir wirklich ticken. Unser Hauptanliegen ist es, Musik zu kreieren, die von Herzen kommt und wenn man sich darauf einlassen kann, dann bekommt man einen Eindruck von meiner Persönlichkeit.

Gab es Filme, die einen Einfluss auf deine Arbeit als Musiker hatten?

Ich schaue fast keine Filme. Fans oder Bekannte sind immer wieder überrascht, wenn ich ihnen eröffne, dass ich noch nie "Star Wars" gesehen habe. Den letzten Film, den ich wirklich mochte, war "A Serious Man" von den Coen-Brüdern. Sonderlich beeinflusst hat er mich allerdings nicht.

Was denkst du über die aktuelle Entwicklung in Amerika: Wenn jemand von seiner Schusswaffe Gebrauch macht, dann wird das als ein Recht auf Freiheit bezeichnet. Wenn hingegen die neue Regierung eine flächendeckende Gesundheitsreform einführen möchte, wird dieser Schritt als Weg in den Kommunismus gedeutet.

Ich rede nicht in der Öffentlichkeit über Politik. Man erwartet von Künstlern, dass sie eine Meinung haben und diese auch vertreten. Ich hingegen spiele meine Musik und möchte keinem meine Meinung aufzwingen. Denn deine Meinung ist in politischer Hinsicht genauso viel wert wie meine. Natürlich habe ich dazu eine Haltung. Mit Freunden oder in der Band sprechen wir auch darüber.

Ihr habt das Genre "Progressive Metal" mitbegründet, leider ist euch der große Durchbruch nicht vergönnt geblieben. Ist es wichtig für dich, ob eure Veröffentlichungen in den Charts landen?

Mittlerweile nicht mehr so sehr. Wir sind jetzt schon sehr lange mit dabei. In unserer Frühphase war es bisweilen wichtig, um an den Punkt zu gelangen, das tun zu können, was uns vorschwebt. Aber heutzutage blicke ich auf eine Karriere als Musiker zurück, die mittlerweile 25 Jahre andauert und es gibt immer noch Leute, die das interessiert. Darüber bin ich sehr glücklich.

Kennst du den Musikkritiker Simon Reynolds?

Der Name sagt mir im Moment nichts.

Er hat die These aufgestellt, dass die gegenwärtige Musik nur noch reproduziert, quasi in der Vergangenheit angesiedelt ist. Was denkst du über das Verhältnis von Tradition und Innovation?

So einfach ist das nicht. Fast die ganze Musik, die uns umgibt, basiert einzig und allein auf 12 Noten. Wie viele Veränderungen und Neuerungen kann man auf der Basis dieses Tonsystem anstreben? Speziell im Prog-Bereich habe zumindest ich schon lange nichts mehr Neues gehört.

Was sagst du zur neuen Dream Theater-Platte?

Habe ich bislang noch nicht gehört.

Viele Bands verbinden im Moment mit dem Begriff "Progressive" eine Rückkehr zu den Siebzigern. Was denkst du über diese Entwicklung, speziell bei Opeth oder Steven Wilson?

Jetzt hast du gerade zwei meiner aktuellen Favoriten erwähnt. Beide Bands mag ich sehr gerne.

Wäre dies nicht auch ein Sound für Fates Warning?

Mit den Keyboards haben wir uns weit genug nach vorne gewagt. Das verbinde ich auch am meisten mit diesem Stil. Aber Fates Warning basieren nun mal auf harten Gitarren. Auch wenn mal ein Part dabei ist, der von den Keyboards übernommen wird, basiert er dennoch auf einem Gitarrenpattern oder dem Zusammenspiel von zwei Gitarren.

Ein paar Schlagworte, die in dieser Diskussion am häufigsten auftauchen. Vielleicht kannst du uns deine Präferenzen verraten?

Ok.

Digital oder analog?

Oh, da fällt es mir schwer, eine Entscheidung zu treffen, aber im Zweifel bin ich für analog.

Live und First Take oder Multitrack und Click Track?

In diesem Fall tendiere ich zum zweiten.

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