13. August 2019

"Dieses Wunderkind-Ding hat genervt!"

Interview geführt von

Vier Jahre klaffte eine Veröffentlichungslücke im Lebenslauf von Fabian Römer. Damals erschien mit "Kalenderblätter" das erste Album unter seinem Klarnamen. An Musik gearbeitet hat der einstige Kinderstar F.R. in der ganzen Zeit dennoch unermüdlich. Nach Songwriting-Sessions für Pop-Künstler fokussiert sich Fabian Römer mit "L_BENSLAUF" nun wieder auf seine ganz persönliche Biografie.

Mit zwölf Jahren sind noch nicht viele bereits die Rap-Karriereleiter empor geklettert. Fabian Römer schon. Der Braunschweiger gewann zwischen 2002 und 2003 alle seine 17 Duelle in der RBA (Reimliga Battle Arena). Ein Jahr später folgte mit 14 Jahren sein Debütalbum "Das Mundwerk", mit 16 trat F.R. das erste Mal auf dem Splash! auf, zwischendrin sicherte er sich Nummer-eins-Platzierungen mit seinen Videos bei MTV TRL. Neben der Schule, versteht sich. "Ganz normaler Wahnsinn", wie er 2011 mit seiner fünften Platte erkennt. Dann folgt der Break. Bis die "Kalenderblätter" vom Releasehimmel regnen, dauert es vier Jahre. Mit im Gepäck ist ein neuer Name: schlicht und einfach Fabian Römer. Damit fällt der Startschuss für eine neue musikalische Ausrichtung: mehr Gesang und Melodien, weniger Rap. Trotzdem dauert es wieder vier Jahre, bis neue Musik des Wahl-Berliners erscheint.

Als ich Fabian Römer zum Interview bei einem Inder im Prenzlauer Berg treffe, wirkt er dynamisch und aufgeschlossen. Bei einem üppigen Mittagsmenü mit Suppe, Brot und Dips sowie einem Hauptgericht spricht er über Altlasten seiner Jugend, Songwriting für andere Künstler, den Stellenwert der Arbeit, AnnenMayKantereit, Bosse und Tua. Im Prinzip alles Dinge, die in seinem Lebenslauf stehen könnten.

Wann hast du eigentlich zuletzt einen richtigen Lebenslauf gebraucht?

Um ehrlich zu sein: noch nie. Ich habe mir nach dem Abi vorgenommen, dass ich irgendwann auch mal studieren muss, weil ich auch so einen konservativen Kern in mir habe, der mir immer wieder gesagt hat, dass ich doch mit dem Abi was machen muss. Aber im Endeffekt habe ich es immer wieder verschoben, von Album zu Album. Es ist dann einfach immer bei der Musik geblieben und ich habe nie was anderes gemacht. Ich hätte tatsächlich auch keinen abgespeicherten Lebenslauf auf meinem PC liegen, wenn ich mich jetzt spontan irgendwo bewerben müsste.

Im Zuge der Vorbereitung auf unser Interview bin ich auf ein Interview von dir mit Backspin zu deinem letzten Album "Kalenderblätter" gestoßen. Da hast du gesagt: "Hätte ich in der Vergangenheit überhaupt nicht gewusst, wo ich hinwollte, hätte ich auch kein Album rausgebracht." Das bezog sich auf die vier Jahre, die zwischen "Ganz normaler Wahnsinn" und "Kalenderblätter" vergangen sind. Jetzt hat es wieder vier Jahre gedauert, bis ein neues Album erscheint. Wusstest du so lang nicht, wo du hinwolltest?

Das scheint der neue Rhythmus zu sein, der sich bei mir einpendelt. Früher war es der Zwei-Jahres-Rhythmus, und jetzt sind es scheinbar die vier Jahre. Ich bin selber auch immer wieder überrascht, wie das dann verfliegt. Ich habe eigentlich direkt nach "Kalenderblätter" immer weiter Ideen gesammelt. Ich habe parallel zu dieser Zeit auch ein bisschen das Schreiben für andere für mich entdeckt, und da habe ich viel Zeit reininvestiert. Ich glaube, dass das ein Grund dafür ist, dass das jetzt so lange gedauert hat. Ich beziehe nicht mehr jede Idee, die ich habe, auf mich selbst, sondern sammele auch einfach mal und merke dann, dass diese oder jene Idee eine ist, die ich vielleicht nicht ganz so für mich fühle. Damals hätte ich daraus auf jeden Fall einen Song für mich selber gemacht. Heute ist es so, dass ich weiß, ich muss nicht all mein kreatives Potenzial nur in meine Künstlerperson projizieren, sondern kann das bisschen entspannter angehen. Das fällt dann natürlich zu Lasten des eigenen Outputs.

Für mich geht es auf "L_BENSLAUF" sehr stark um den inneren Battle des Lebens, also zum Beispiel Selbstliebe, Drucksituationen, Zukunftsängste oder Kommunikationsprobleme. Wenn man sich deine Entwicklung von den RBA-Battles bis heute anschaut: Könnte man sagen du bist vom bloßen äußeren Battle gegen andere MCees beim inneren Battle des Lebens gelandet?

Wow! Das klingt erstmal sehr gut. Ich glaube aber, dass man auch als Zwölfjähriger schon am inneren Battle des Lebens teilnimmt. Deswegen kann man das, glaube ich, gar nicht so trennen. Und ich bin immer noch Battle-Rap-affin, auch wenn ich es selber nicht mehr mache, interessiert mich das immer noch. Ich habe diese ganze Plattform auf jeden Fall auf dem Schirm und tausch' mich dann mit Sipho von den Beatgees darüber aus, was wir gerade geguckt haben.

Ich hatte auch das Gefühl, dass das Album nahezu komplett autobiografisch ist. Zum einen, weil du sehr selbstkritisch und reflektiert über Handlungsweisen sprichst. Zum anderen, weil sich immer wieder Querverweise an dein jüngeres Ich auftauchen. Wie viele persönliche Geschichten des Fabian Römer stecken in diesem Album bzw. wie viel hat sich davon genau so zugetragen?

Es ist schon zum großen Teil selbstreflektierend. Es gibt einen klassischen Storytelling-Song, das ist "Sie Redet Im Schlaf". Da habe ich auch persönliche Erfahrungen verarbeitet, aber das ist jetzt nicht exakt die Story, sondern eher ein Mischmasch aus verschiedenem. Ansonsten hast du es schon richtig beobachtet, dass das sehr nah an mir dran ist. Trotzdem nimmt man sich natürlich voll die Freiheit, in alle möglichen Richtungen zu schießen und zu denken. Also zum Beispiel die drei Interludes, die alle auf demselben Beat sind: Das sind natürlich total die abstrakten Storys, die ja auch was Fantasievolles haben und die ich logischerweise nicht exakt so erlebt habe. Aber alleine dadurch, dass sie aus meinem Gedankenkosmos kommen, hat es natürlich ganz viel mit mir zu tun.

Ist dir eine gewisse Authentizität als Rapper immer noch wichtig?

Die Frage stellt sich gar nicht, weil so abgedroschen es klingt: Die eigene Musik ist immer noch totales Ventil. Man macht einfach das, was kommt und passiert. Ich habe da kein Kalkül. Ich war noch nie gut darin, krasse Konzeptalben zu entwickeln oder mir im Voraus Gedanken zu machen, worüber ich jetzt genau reden will. Das würde mich einschränken. Deswegen mag ich es, dass ich bei meiner Musik keine Kompromisse machen muss und Leute an meiner Seite habe, die das auch fühlen und gemeinsam mit mir umsetzen wollen, was ich eben so machen will.

Das Album handelt von ganz vielen unterschiedlichen Ängsten. Im Song "Keine Antwort" rappst du: "Ich hör mich nicht so gerne reden / Geh' ins nächste Wahllokal um meine Stimme abzugeben" – "Ganz im Ernst, ich muss mich ab und zu verstecken / Vor einer Welt in der es normal ist mit einer Kamera zu sprechen / Lieber schreib' ich im Stillen / Will mit Worten Personen erschaffen, die du heiraten willst." Wie gehst du allgemein mit Ängsten und Drucksituationen um?

Ich versuche erstmal, Drucksituationen zu vermeiden beziehungsweise zu minimieren. Damals habe ich mich selber immer in viele solcher Situationen manövriert, weil ich meinen Alltag einfach sehr krass vollgepackt habe. Ich hatte parallel zur Schule eben noch Touren und Auftritte und ich wollte alles immer perfekt machen. Und alleine sich ein bisschen von diesem Perfektionismus zu lösen und sich selbst nicht immer so ernst zu nehmen beziehungsweise sich spielerischer zu sehen und Sachen auch mal wirken zu lassen und genießen zu lernen – alleine das nimmt schon so ein bisschen Druck aus allem raus. Dass man mit der Zeit auch ein bisschen mehr Dankbarkeit entwickelt für das, was man so macht, und für den Freiraum, den man genießt. Das gibt einem eine Leichtigkeit, um das Ganze nicht so verbissen anzugehen. Damals war ich auf jeden Fall deutlich verkrampfter und habe da teilweise Sachen als Drucksituationen gesehen, wo ich mir heute denke: Boah geil, da habe ich jetzt Bock drauf. Das ist ja alles eine Mindset-Sache. Heute versuche ich, mir auch nicht mehr allzu viel aufzuhalsen, und die Sachen, die ich mache, mit ganz viel Leidenschaft zu anzugehen.

"Infinity Pool" behandelt das Thema Alkoholsucht. Man versucht, die endlosen Fragen im Kopf mit Alkohol zu bekämpfen. Wie kommt man aus so einem Tiefpunkt wieder raus?

Ich glaube, es ist erstmal eine gute Grundlage, ein gesundes Umfeld zu haben, wenn du Tiefpunkte erleben musst. Ich überlege auch grade, um die Frage gut und ehrlich zu beantworten, was wirklich ein ganz klarer Tiefpunkt in meinem Leben war ... Mir fällt aber tatsächlich keiner ein. Es gab natürlich Phasen, in denen das mitschwingende Lebensgefühl nicht so hell war, und das würde ich dann wahrscheinlich eher so als Tiefpunkt vermerken. Aber ich hatte zum Glück noch nie die Situation, dass ich mehrere Schicksalsschläge hintereinander verarbeiten musste. Aber mit düsteren Phasen, die ich natürlich auch kenne, versuche ich so umzugehen, dass ich sie nicht verdränge, sondern zulasse. Also da durchzugehen und auch etwas zu fühlen und eine gesunde Perspektive auf seine eigenen Gefühle zu entwickeln. Ich rede einerseits mit Leuten darüber, andererseits bin ich da aber auch gerne mal für mich selbst, meditiere oder gehe in Parks. Dann sitze ich einfach ohne Handy auf der Bank und beobachte nur. Das hilft mir, glaube ich, vieles direkt zu verarbeiten, sodass sich nicht zu viele Sachen gleichzeitig anstauen.

"Du hast eine wahnsinnige Altlast, wenn du mit zwölf anfängst"

Du sagst, du hattest keine richtigen Tiefpunkte im Leben. Musikalisch hast du dich natürlich schon stark gewandelt und auch für mehrere Jahre zurückgezogen. Gab es einen Punkt, an dem du dachtest, komplett mit der Musik aufzuhören?

Nein, den Gedanken hatte ich nie. Aber ich wusste halt, dass ich mich abgrenzen will von den Sachen, die ich damals gemacht habe. Nicht, weil ich nicht dahinterstehe, aber du hast halt eine wahnsinnige Altlast, wenn du mit elf, zwölf anfängst, Musik zu machen und da schon in die Öffentlichkeit trittst. Allein was du da für Lebensphasen mit in die Musik genommen hast: vor dem Stimmbruch, danach, dann die Pubertät. Mit 18 ist man ja auch ein ganz anderer Mensch als mit 22. Das sind ja Phasen, in denen krass viel passiert. Und das wollte ich mir halt genauso, wie es passiert ist, mit dem Abschlusskonzert in Stuttgart in die Vitrine stellen und dann quasi einfach resetten. Das war für mich tatsächlich eher ein befreiendes Gefühl, als dass es ein Tiefpunkt war oder ich mich gefragt habe, was ich hier jetzt mache.

Konntest du trotz deines Karrierefrühstarts irgendwo Kind/Jugendlicher sein und Sachen wahrnehmen wie andere Kinder? Oder hast du in den letzten Jahren noch Sachen nachgeholt?

Ich war, glaube ich, schon eingespannter, als das normal ist, und ich habe mich auch relativ schnell dadurch von zu Hause abgenabelt. Ich habe schon noch zu Hause gewohnt, aber war viel seltener zu Hause. Ich war dann am Wochenende oft auf Jams unterwegs und war vielleicht mal nicht auf der WG-Party von Klassenkameraden am Wochenende, weil ich da halt gerade einen Auftritt gespielt habe. Das Gefühl, da was nachholen zu müssen, hatte ich aber nicht, in den letzten Jahren. Wie willst du so etwas auch nachholen?

Richtig, du könntest zwar den ein oder anderen Diskoabend nachholen, aber könntest nie mehr in die Zeit zurück, in der du noch ohne Auto und Führerschein gucken musstest, wie du in die Disko kommst.

Genau, das wäre nicht machbar. Deswegen wären es eher verschenkte Gedanken. Aber klar: Ich hatte auf jeden Fall nicht das konventionelle Leben eines Jugendlichen. Aber es hat wie alles im Leben seine Vor- und Nachteile. Ich habe wahnsinnig viele inspirierende Menschen schon unglaublich früh kennengelernt und hatte schon sehr früh Erfolgserlebnisse, die mir gezeigt haben, dass ich einfach nur mit dem, was ich kreiere, Leute ansprechen kann. Das ist auch nicht selbstverständlich, in dem Alter. Auf der anderen Seite hat man sich trotzdem öfter mal wie so ein Alien gefühlt, der in Baggys und Caps durch die Schule läuft und so sein Ding macht.

Wo du gerade von inspirierenden Menschen sprichst: Haben dich die gestandenen Rapper eigentlich damals aufgrund deines Alters ernst genommen?

Dieses Wunderkind-Ding hat mich natürlich schon genervt. Was mir aber jetzt mit Abstand auch völlig klar ist: Es ist natürlich nicht normal, dass da ein 14-Jähriger vor dem Stimmbruch im Internet irgendwie Welle macht. Aber trotzdem habe ich mir damals sehr gewünscht, dass die Leute nicht sagen: Der ist total gut für sein Alter, sondern dass sie sagen: Der ist total gut. Ich wollte nie diesen Bonus, diesen Sonderstatus. Deswegen hat mich das schon teilweise genervt, aber ernst genommen gefühlt habe ich mich schon meistens. Ich kann mich zum Beispiel erinnern, dass mich als 13-Jähriger Samy Deluxe angerufen hat, auf dem Festnetztelefon bei meinen Eltern, weil ein damaliger sehr guter Freund von mir ihm ein Demo gegeben hat. Solche Momente waren halt verrückt, wenn deine Mutter kommt und sagt: Da ist irgendein Samy dran und dann ist es einfach Samy Deluxe. Und das weiß ich bis heute zu schätzen, dass große Leute in dem Geschäft auf mich zugekommen sind und gesagt haben: Das ist krass, was du machst, mach' einfach weiter! Das waren schon fette Motivationsschübe.

In der Hook zu "Keine Antwort" heißt es: "Ich will keine Antwort haben / auf all die schönen Fragen." Welche schönen Fragen beschäftigen dich aktuell?

Ich mache mir grade relativ viel Gedanken über gesellschaftlichen Wandel, was so den Arbeitsbegriff angeht. Da wird ja gerade viel diskutiert über bedingungsloses Grundeinkommen und den ganzen Kram. Das finde ich super spannend, weil das ganz gut mit den Sachen connected, die wir auch grade besprochen haben. Ich habe für mich gemerkt, dass dieses irgendwelchen Dingen Hinterherhetzen, von denen man gar nicht so genau weiß, was diese Dinge sind, einfach sehr ungesund ist und es total befreiend ist, wenn man sich dem Nichtstun öffnet. Dann merkt man in der Regel, dass das mindestens genauso eine hohe Qualität hat wie Dinge zu tun. Und ich habe das Gefühl, dass die Arbeit generell für Menschen gerade so einen unglaublich hohen Stellenwert hat und sich so viele Leute darüber definieren, dass sich das irgendwann auch mal wieder wandeln muss. Das ist ja auch nichts, was der Natur des Menschen entspricht, sondern irgendwie erst seit 200 bis 300 Jahren so weit verbreitet ist. Deswegen beobachte ich die Diskussion gerade mit sehr viel Interesse, weil ich auch sehr vielen Leuten in meinem Umfeld wünschen würde, mehr auf die Bremse zu treten und sich Zeit zu gönnen. Es gibt ja auch diesen Satz: Man kommt gesund auf die Welt, dann arbeitet man sich krank, um das Geld zu verdienen, mit dem man sich später wieder gesund macht. Das sagt ja eigentlich alles.

Im Titeltrack und auch in einigen anderen Songs wie "Anders Schön" oder "Mit Dir Langweilen" machst du aber auch Mut, gesellschaftlichen Zwängen zu entfliehen und einfach mal wieder in den Tag hineinzuleben. Empfindest du ein gewisses Pflichtbewusstsein gegenüber deinen Hörern, sie mit deinen Erfahrungen auf einen guten Weg zu bringen?

Eigentlich sind das Selbstgespräche, weil ich natürlich auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen habe und in solchen Songs nach Antworten oder Wegen suche. Und wie ich vorhin gesagt habe: Es ist immer noch so bei der Musik, die ich für mich selber schreibe, dass ich beim Schreiben jetzt nicht daran denke, wie viele Leute das hören werden. Dadurch fällt eigentlich jegliches Kalkül weg. Wenn ich so einen Song wie "Mit Dir Langweilen" mache, dann mache ich das, weil ich das in dem Moment spannend finde, mich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen und zu merken, Langeweile ist etwas Gutes. Ich freue mich natürlich, wenn Leute durch den Song auch darauf stoßen, aber es ist auf jeden Fall nicht die Motivation dahinter.

In "Bevor Ich Dich Kannte" heißt es: "Ich werd' zum besseren Menschen, seit du meine Motivation bist." Macht einen erst der Partner als Person so richtig vollkommen, als Mensch?

Das glaube ich nicht, weil dieser kitschige Satz "Du musst erst dich selbst lieben, um andere Menschen zu lieben" – da ist schon ziemlich viel dran. Aber ein Partner kann natürlich total helfen, das Gute in dir hervorzubringen und dir auch wieder ein Verantwortungsgefühl zu geben. Wenn du als krasser Zyniker unterwegs bist, dem irgendwie alles scheißegal ist und dementsprechend dich selbst und andere Menschen so behandelst und dann plötzlich jemanden triffst, der dir so richtig wichtig wird und du das auch merkst ... dann kann das, glaube ich, wirklich alles komplett switchen.

"Mr. Wilson" hat mich vom Soundbild an "Hey There Delilah" von den Plain White T's. erinnert. Wenn ich richtig liege: Wie kam es dazu?

Ich schreibe meistens so, dass ich quasi einen A-cappella-Refrain kreiere, der steht dann meistens schon mit Text und Melodie. Ich hatte dieses Mr. Wilson-Bild gefunden und das dann mit meiner Melodie connetced, und dann habe ich das Henrik, der damals mein Mitbewohner war, vorgesungen. Henrik hatte immer sein Keyboard im Wohnzimmer aufgebaut und die Akustikgitarre parat und dann hat er die Gitarre gespielt. Ich glaube, dass die Symbiose aus meiner Melodie und was er dann dazu gefühlt hat, an den Song erinnert hat. Das war nicht bewusst, aber als wir das dann fürs Album eingespielt haben, haben wir das natürlich auch gemerkt, parallel. Wir fanden es dann einfach so geil, dass wir gedacht haben: Ja, lass' uns das so machen.

Welche Gedanken hast du dir generell zum Sound gemacht?

Die Platte knüpft auf jeden Fall soundtechnisch an "Kalenderblätter" an. Ich habe jetzt im Nachhinein festgestellt, dass ich schon Bock hatte, ein Rap-Album zu machen, weil ich eben auf so vielen Pop-Hochzeiten mit Songwriting getanzt habe. Ich hatte scheinbar das Bedürfnis, meinen Rap-Anteil wieder ein bisschen zu steigern. Es ist ein größerer Rap-Anteil auf dem Album und es ist trotzdem komischerweise gleichzeitig poppiger als frühere Alben. Es hat so diese beiden Welten. Ich bin in den Refrains konsequenter poppig und bei den Strophen konsequenter raplastig. Im Vorfeld habe ich mir aber kein wirkliches Soundkonzept zusammengelegt, das kommt bei mir total intuitiv. In "Münztelefon" zum Beispiel habe ich meinen Text A-cappella eingerappt und der Beat wurde um meinen Text herum gebaut, das passiert auch öfter mal.

Die Features beschränken sich fast nur auf die Hooks. Hast du das bewusst so gewählt, um dir für die Strophen selbst genügend Raum zu geben?

Das liegt eher daran, dass ich mir nur Melodien zutraue selber zu singen, die ich auch gut singen kann. Und sobald es dann darum geht, dass ich einen größeren Refrain brauche und eine Stimme da sein muss, die einfach krass diese Melodie trägt, weiß ich, dass ich da nicht der beste Mann für bin. Und dann frage ich einfach jemanden.

"Ich bin schon ganz klar eine Pop-Sau!"

Ich finde, der Kreis zwischen deinem aktuellen State of Mind und deiner Vergangenheit schließt sich sehr schön im Titeltrack "L_BENSLAUF". Dort heißt es unter anderem: "Schreib Songs für andere – bundesweite Trophäen / Schreib Songs für mich – Kunst, die keiner versteht / Und nein, da gibt es kein Umverteilungsproblem / In der zweiten Reihe zu stehen, find' ich unbeschreiblich bequem." Da steckt ja schon sehr viel Aussage drin. Zum einen: Woran liegt es, dass deine kreative Ader bei Songs, die du für andere Künstler schreibst, kommerziell mehr zündet?

Vielleicht hat es was damit zu tun, dass man bei den eigenen Sachen öfter ein bisschen zu verkopft ist und nicht ganz so befreit und auch sehr vorsichtig ist. Ich bin schon ganz klar eine Pop-Sau und ich habe auch nichts gegen eingängige Refrains, aber trotzdem ist das natürlich auch immer ein schmaler Grat. Also zum Beispiel bei einem "Anders Schön" hatte ich einen Refrain, der eine Pop-Größe hat, aber ich wollte es extra brechen, in den Strophen. Das sind jetzt, glaube ich, auch die rappigsten, verzwicktesten und schnellsten Strophen auf dem Album geworden, weil es eben auch zum Titel "Anders Schön" passt. Ich wollte da irgendwie ein bisschen was reinbringen, was sich reibt. Mein Label oder Musiker, mit denen ich arbeite, sagen ganz oft: Jetzt mach doch einfach einmal konsequent Pop oder Rap – und ich sage dann so: Nee, fühle ich nicht. Mein Mehrwert als Künstler ist es dann, dass ich genau diese Sachen breche mit einem krass einfachen Pop-Refrain und anspruchsvollen Rap-Strophen. Das sind zwei Welten, die ich beide liebe. Und auf anderen Baustellen habe ich halt diesen Struggle nicht. Da weiß ich einfach, hier wird jetzt nicht gerappt und ich schreibe dann einfach diesen Popsong. Deswegen ist es wahrscheinlich auch einfacher, Sachen zu schreiben, die die breite Masse ansprechen.

Zum anderen: Du scheinst mit deinem Bekanntheitsgrad beziehungsweise deiner Reichweite als Künstler dennoch durchaus zufrieden zu sein.

Kann ich exakt so unterschreiben. Wenn du mich fragen würdest, möchtest du vor sehr vielen Leuten live spielen und große Hallen füllen, würde ich sagen: Ja! Wenn du mich fragen würdest, willst du ein Star sein, würde ich sagen: Auf gar keinen Fall! Ich genieße die Freiheit einfach sehr, selten erkannt zu werden. Wenn es dann doch mal passiert, reißt mich das immer total aus dem Leben. Man geht ja nicht durch die Straßen und denkt die ganze Zeit, dass man diese Person des öffentlichen Lebens ist, sondern man geht halt einfach durch die Straßen. Ich bin auch wirklich nicht der Mittelpunktmensch. Ich kenne ein paar Leute, die Bock auf rote Teppiche haben, aber das entspricht absolut nicht meinem Naturell. Deswegen nimmt mir das auch total den Druck für meine eigene Musik, dass ich nebenbei noch für andere Künstler arbeiten kann, weil ich dadurch nicht so erfolgsgetrieben sein muss, sondern mein Album als Liebhaberprojekt sehen kann. Das ist für mich ein Liebhaberprojekt und ich kann mit der Gelassenheit rangehen, dass das Album seine Leute finden wird und die Leute dieses Album finden werden. Wie viele das sind, kann ich sowieso nicht beeinflussen.

Deine Musik ist jetzt auch nicht unbedingt darauf ausgelegt, Spotify-Rekorde zu brechen. Aber du kannst dafür andere Erfolge wie deinen ersten Splash!-Auftritt mit 16 Jahren, verschiedene Reimexzess-Songs oder bereits ein zehnjähriges Bühnenjubiläum im Alter von 22 Jahren vorweisen. Zählen solche Erfahrungen für dich mehr als reine Klickzahlen?

Das kann ich natürlich nicht sagen, weil ich nie große Klickzahlen hatte. Aber klar: Die schönsten Feedbacks sind immer die, wo Leute ihre persönliche Geschichte erzählen und sagen, das hat mir geholfen oder sich Leute sogar Songzeilen tätowieren lassen. Dann ist es immer so ein zweischneidiges Gefühl und man denkt: Hoffentlich bereust du das nicht in zehn Jahren und ich bin mit schuld. Auf der anderen Seite ist es natürlich eine wahnsinnige Ehre und man freut sich darüber. Die persönliche Erfüllung, wenn du Musik machst, würde ich aber, glaube ich, noch über alles stellen.

Haben Alben für dich noch denselben Wert wie früher? Oder könntest du dir auch vorstellen, in Zukunft immer mal wieder einzelne Songs herauszubringen?

Ich bin da noch sehr Oldschool-sozialisiert. Ich weiß, dass das Album ausstirbt, aber ich halte noch so am letzten Strohhalm fest, weil ich das so mag, ein Werk zu schaffen. Aber sag' niemals nie und man muss sich dem, glaube ich, irgendwann einfach öffnen. Ich kann auch dieser Leichtigkeit was abgewinnen, dass man mal auf dieses Werk verzichtet und sagt: Ich muss mir das jetzt nicht wieder aufhalsen, sondern hab' jetzt einfach einen Song gemacht, der ist irgendwie gestern fertig geworden und ich lade den jetzt hoch. Das hat auch irgendwie was Nices, aber ich muss mich noch an diesen Gedanken gewöhnen, dass das jetzt möglich ist.

Braucht Rap mittlerweile eigentlich wieder Abitur?

(Lacht): Ich finde, dass es aktuell auch immer wieder gute Sachen gibt, die rauskommen. Im Rap-Bereich gibt es zum Beispiel ein Tua-Album, was man sich anhören kann, oder Fatoni. Ich versuche, meinen Texthunger auch nicht mehr nur von deutschsprachigem Rap zu holen. Also, von deutscher Musik auf jeden Fall, aber es gibt mittlerweile so viel gute deutsche Musik mit guten deutschen Texten. Und wenn man nicht nur Rap-Hörer ist, dann ist man da total befriedigt. Ich bin total begeisterungsfähig in alle Richtungen. Ich feiere einen Maxim, einen Bosse, ich feiere auch das Album von AnnenMayKantereit. Ich mag es, wenn Leute ihre eigene Sprache in der Musik entwickeln. Ich finde das Statement, was ich damals damit rausgehauen habe, nämlich, dass ich mir mehr Gleichgewicht gewünscht hätte, auch heute noch gut, aber ich verstehe auch im Nachhinein, dass sich da Leute irgendwie ein bisschen auf den Schlips getreten gefühlt haben. Denn die eigentliche Aussage wäre wahrscheinlich damals gewesen: Rap braucht auch Abitur, aber das wäre dann nicht so die Punchline gewesen. Deswegen würde ich das heute nicht mehr sagen, auch wenn es wahrscheinlich in die Zeit passen würde. Aber ich kann auch der Strömung, die aktuell im Deutschrap herrscht was abgewinnen, weil es auch was sehr Intuitives hat. Ich finde das gut, wenn Melodie mehr in den Fokus rückt und Sachen weniger verkopft sind. Teilweise hört es sich ja heutzutage schon fast an wie Freestyles, das ist eine ganz andere Herangehensweise. Wenn du inhaltlich abgeholt werden willst, ist das wahrscheinlich weniger was für dich, aber wenn du einfach eine gute Zeit haben willst, dann kann ich schon verstehen, dass gerade auch Jugendliche voll auf die Mucke anspringen.

Die einen vermissen den 'alten F.R.', der wild spittet, andere freuen sich über deine Weiterentwicklung als Künstler. Ist es für dich jetzt mittlerweile vielleicht auch ein Segen, dass die musikalischen Grenzen im Hip Hop so verschwimmen?

Ich finde eigentlich nichts schlimmer, als wenn man versucht, so zu sein wie früher. Ich finde es traurig, wenn man Eminem sieht, wie er einfach versucht, genau wieder die Marshall Mathers LP zu machen, und er nennt die vielleicht sogar auch noch so. Ich finde es viel cooler, wenn er was anderes macht. Ich möchte auf jeden Fall nicht der Mensch sein, der verkrampft versucht, das zu wiederholen, was er früher gemacht hat. Weil dann würde ich es ja auch wieder für andere Leute machen. Ich habe das damals für mich gemacht, weil mich Raptechnik interessiert hat, weil mich Beats interessiert haben. Ich bin immer noch ein harter Technik-Nerd und selbst in Popsongs von mir findest du oft noch Mehrfachreime, weil ich das gar nicht abstellen kann. Aber es ist auf jeden Fall nicht mehr das, was im Vordergrund steht.

Hast du schon mal was von Data Luv gehört?

Sagt mir momentan nichts. Hilf mir auf die Sprünge.

Das ist das neue Signing von Ufo361. Der Junge ist erst 16. Im Moment scheint es wieder Trend zu sein, ganz junge Rapper unter Vertrag zu nehmen. Wie beurteilst du das aufgrund deiner eigenen Erfahrungen?

Ich finde das alles gut, wenn das zu hundert Prozent aus Eigeninitiative und Antrieb entsteht. Das ist das, was man sich die ganze Zeit wünscht, wenn man auf das Schulsystem guckt. Jugendliche sollen auch nebenbei Leidenschaften entwickeln, weil die Schule ihnen nicht sagen wird, was deren Bestimmung ist. Was schwierig ist, ist, wenn du reingedrückt wirst in die Rolle, und da kenne ich die Leute halt nicht. Wenn da irgendwie die großen Brüder sagen: Jetzt mach' das mal, das ist cool, dann filmen wir dich und dann bringen wir das raus und dann macht man es halt und bereut es vielleicht irgendwann. Das ist dann nicht so geil.

Hast du einen Rat für die jungen Rapper?

Ich bin da fast ein bisschen froh, dass ich relativ isoliert war und mir keiner gesagt hat, wie ich etwas machen soll. Ich wurde da zum Glück nie so reingedrückt und das wünsche ich den jungen Dudes auch. Lasst euch nicht von eurem Umfeld zu stark pushen und macht einfach euer Ding.

Dürften deine Kinder auch so früh den Weg in die Öffentlichkeit suchen?

Ich glaube schon, weil ich meinen Eltern das schon hoch anrechne, dass sie mich das haben machen lassen. Aber was hätten sie auch sagen sollen? Ich glaube, sie haben es nicht mal mitbekommen, am Anfang. Ich würde natürlich versuchen, nah an meinen Kindern zu sein und versuchen, das alles ein bisschen mitzuerleben. Aber verbieten könnte ich das nicht, sowas ist selten ein guter Hebel.

Was deinen persönlichen Background angeht, weiß man nicht zuletzt durch den Track "Son Of A Preacherman", dass du Sohn eines Pastors bist. Welche Verbindung hast du selbst zu Gott, Glauben und Religion?

Das hat bei uns zu Hause nie eine wirkliche Rolle gespielt. Das war immer nur der Beruf von meinem Vater. Das ist dann eben auch das Klischee, dass viele Leute denken, dass man Tischgebete spricht oder Kreuze in der Wohnung hängen hat. Das war eigentlich gar nicht der Fall, vielleicht auch, weil meine Mutter da immer so ein bisschen anti war. Zu Religion habe ich nie den Anschluss gefunden, zur Spiritualität aber schon, gerade in den letzten Jahren.

Bei "Wohnort" würde in deinem nicht vorhandenen Lebenslauf jetzt Berlin stehen, früher war es Braunschweig. Welche Veränderungen hat der Umzug in die Hauptstadt für deine Entwicklung gebracht?

Wahrscheinlich sehr viele. Man kommt natürlich automatisch aus seiner Komfortzone heraus, wenn man rund 20 Jahre in Braunschweig gelebt hat. Ich sage es ja auch im Song "32. Dezember" auf meinem neuen Album, dass ich "die Menschen, die Läden, die Luft satt hatte". Ich kann mir aber auch vorstellen, dass ich noch länger dageblieben wäre, wenn ich nicht meinen guten Freund und damaligen Manager Chris gehabt hätte, der mich so ein bisschen nach Berlin getreten hat. Damals war gerade ein Zimmer bei Tim Bendzko in der WG frei. Chris meinte, ich solle da mal hinfahren, am besten direkt morgen. Ich hatte erst nicht so den Turn darauf, aber im Nachhinein bin ich sehr dankbar, sonst wäre ich wahrscheinlich noch drei bis vier Jahre in Braunschweig geblieben. Manchmal braucht man einfach einen Tritt in den Hintern. Und alleine dadurch, dass dann hier die Beatgees um die Ecke waren und ich richtig in die Musikszene eintauchen konnte und in dieser Stadt an jeder Ecke neue Erfahrungen sammeln konnte, habe ich mich, denke ich, gut weiterentwickeln können.

Welche Ereignisse willst du in Zukunft noch in deinen Lebenslauf schreiben?

Vielleicht das Ereignis, dass ich nie einen Lebenslauf gebraucht habe.

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