laut.de-Kritik

In Oberflächlichkeit verliebter Wohlklang.

Review von

Als "An aggressive Afro-Cuban-salsa-jazz-afrobeat smash-up" bezeichnet Femi Koleoso den Zuschnitt von "Where I'm Meant To Be". Wo die Jazzfunk-Band ihre Bestimmung sieht, scheint im diasporischen Szene-Gebiet des westafrikanisch geprägten London zu liegen. Dort gibt zwei sehr große Afro-Szenen: das Afrobeat- und das Afrobeats-Milieu.

Der Unterschied liegt im kleinen 's', musikalisch aber eine Riesenspanne zwischen Bläsersatz-Funk mit Fela Kuti-Einschlag und digitalem Dancehall-Hip Hop-Afropop-Bashment (Anne-Marie, Stormzy, Mabel, Rudimental, Mr. Eazi, Alicai Harley etc.). Das Ezra Collective macht diesen Spagat zwischen '70er-Retro-Tradition echter Instrumente und heutiger Club-Szene schon aus der Not heraus: Die Band hat keinen Sänger. Bei den Gaststimmen greift sie beispielsweise mit Kojey Radical auf einen der ikonischen Protagonisten der digitalen Szene zurück.

"Ich spiele Jazz auf meine Art", raunt einer der Musiker im Studiodialog mit Kojey. Diese Art solle nichts damit zu tun haben, wie "die Amerikaner" ihn spielen. Wenn dann "No Confusion ft. Kojey Radical" ziemlich genauso klingt wie die Robert Glasper-Rap-meets-Percussion-Tonstudien, landet das Ensemble aber unweigerlich im texanischen Ideen-Umfeld. Und wenn der alte Slogan 'The Revolution Won't Be Televised' aufs Tapet kommt, kann man sich auch gleich noch mal Gil Scott-Heron oder Sly And The Family Stone im Original anhören, dort kann man was lernen. Hier weniger, denn das Gros der Platte schwankt zwischen gefällig plätschernden Tanztee-Etüden und einer 1:1-Kopie des Afrofunk-Revival-Trends, der schon vor knapp zehn Jahren sang- und klanglos abebbte.

Zu den Nebenbei-Sounds für die Bar zählt "Live Strong", auch als funktionale Titelmelodie eines öffentlich-rechtlichen Kultur- oder Büchermagazins könnte man es sich vorstellen. Allzu lieblich mäandert "Smile" im konventionellen Trio. Im ersten Moment wirkt das cool und smooth. Nach mehreren Hördurchläufen sucht man aber vergeblich den Clou: Repetitives Schlagzeug paart sich mit Piano und Bass. Okay, tausendfach auf konservativeren Jazz-Festivals vertreten - auf den progressiveren wie in Montreux hat man sich von diesem Purismus längst verabschiedet. Jazz soll ja 'improvisierte Musik' sein, das Collective wirkt dagegen eher wie auswändig gelernt für den Elternabend mit der Schul-Big Band.

Auch die fortlaufenden Afrika-Zitate aus den Siebzigern erscheinen manieriert, abgenutzt und langweilig. Gewiss war es eine kurze Zeit über Kult, dass etliche Labels, allen voran Honest Jon's, Soundway, Strut, Analog Africa und Soul Jazz Records, zahlreiche Compilations mit längst vergessenen Perlen lieferten. "Where I'm Meant To Be" hört sich aber wie ein reaktionärer Abklatsch auf die plakativsten Stücke damaliger Ghana-Sampler an.

Die Palette reichte damals von ghanaischem Highlife und kongolesischer Rumba über veritablen Disco-Funk aus Kenia über traditionellere Fundstücke aus dem Benin, Ethio(pian)-Jazz, bewegte und bissige Bürgerrechts-Musik aus Nigeria, bis hin zu psychedelischem Soul diverser Länder. Leider nahm keine Plattenfirma mit gleicher Akribie Afrohouse, Azonto, Gqom, Moombahton oder Naija-Hip Hop ins Visier, sodass es verpennt wurde, aus afrikanischen Trends etwas vergleichbar Weltumspannendes und viral Gehendes wie K-Pop aufzubauen, das Potenzial wäre da, nur nicht die Investoren. Und auch das Ezra Collective lässt diese Chance verstreichen.

Zu der Zeit, als der Retro-Afro-Hype in seinem Zenit stand, traf ich Ebo Taylor (Fela Kuti-Gitarrist), damals schon ein Greis mit wachsweichem Händedruck, der stolz von den Akan erzählte, seiner Ethnie. Wie sie sich gegen die Kolonialherrschaft zur Wehr gesetzt und früh die Unabhängigkeit zurück erlangt hätten. Mit keiner Silbe erwähnte er, wie die Akan in ihrem Ashanti-Reich zuvor der englischen und portugiesischen Krone zuarbeiteten und mit Sklaven jahrhundertelang Handel trieben.

Und so ähnlich fühlt es sich jetzt mit dem Ezra Collective an. Da malt die Gruppe nur das, was man in Europa halt wahrnehmen will: Idyllisches, Einlullendes, Undifferenziertes. "Welcome To My World" posaunen die Ezras, wobei sich deren Welt nur durch den nostalgischen Flashback in eine längst vergangene Epoche der 70er auszeichnet. Mit dem Überschwappen des US-Black Power Movements mag sie sich auch in dunkelsten Phasen anderer Staaten (die es weit schlechter hatten als Ghana) euphorisch befeuert angefühlt haben. Vom Struggle erzählt die leere Ästhetik der Londoner Newcomer jedoch nichts. Alles klingt glatt, manches seicht.

Ohne Worte eine Geschichte zu erzählen, gelingt dennoch einmal - in "Never The Same Again" klappts. In einem langen Bogen, von der Trompete geführt, von Snare Drums unterstützt, machen sich mehr Dampf und Antrieb breit. Eingängig und angenehm eignet sich der Tune schon für mehr als die Bar. "Ego Killah" reicht am nächsten ans Feeling der goldenen Afrofunk-Ära heran, ohne komplett in die Höhentöne abzurauschen, die sonst auf dem Album penetrant vorherrschen. "Ego Killah" klingt ebenfalls ein klein wenig mehr als nur nachgespielt. Die Hammond-artigen Orgel-Momente und Dub-Reverbs sind derweil recht schön gestaltet. "Togetherness" strickt eine ganz witzige Version aus Ini Kamozes jamaikanischer Roots-Rawness von 1984 und interpoliert seinen Klassiker "World A Music" auf Highspeed.

Was die weiteren Vocals betrifft, machen die Interludes ("Words by Steve", "Words by TJ") mit zufällig aufgenommenen Randnotizen einen so lieblosen wie überflüssigen Eindruck. Als Gesangsgast anästhesiert R'n'B-Künstlerin Nao mit "Love In Outerspace", indem sie alten Acidjazz der '90er mit Schlafzimmer-Stimme nachahmt. Einzig der stringente Neo-Soul Emeli Sandés vermag etwas mitzureißen. Sie steigert sich während des langen "Siesta" in Tonhöhe, -volumen und Intensität des persönlichen Anliegens. Subtile Underwater-Jazz-Impro (diesmal wirklich spontaner im Sound) untermalt Emelis Liebes- und Lebenstipps. Doch die Resonanz-Fülle einer Mariah Carey oder Jill Scott fehlt ihr leider.

Der handwerklich sehr präzisen Leistung des Ezra Collective und seiner Gäste steht ein braves und biederes Produkt, ein banales und beiläufiges Hörerlebnis gegenüber. Nächstes Mal bitte mehr Abenteuerlust!

Trackliste

  1. 1. Life Goes On ft. Sampa the Great
  2. 2. Victory Dance
  3. 3. No Confusion ft. Kojey Radical
  4. 4. Welcome To My World
  5. 5. Togetherness
  6. 6. Ego Killah
  7. 7. Smile
  8. 8. Live Strong
  9. 9. Siesta ft. Emeli Sandé
  10. 10. Words by Steve
  11. 11. Belonging
  12. 12. Never The Same Again
  13. 13. Words by TJ
  14. 14. Love In Outer Space ft. Nao

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