laut.de-Kritik

Rohe Gewalt trifft auf Raffinesse.

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Zwei Männer, ein Umlaut und jede Menge Krach: Auf "Widergeburt" feiern DŸSE die Auferstehung ihres Noise-Dadaismus', der nach dem Vorgänger "Das Nation" von 2014 viel zu lange ruhen musste. Noiserock bleibt für Jarii van Gohl und Andrej Dietrich nach wie vor ein zu aussageschwaches Label. Die beiden DIY-Verfechter verschmolzen schon immer Lautstärke, Dissonanz und Urschreie mit Stoner-Grooves und Punk-Attitüde, ohne sich dabei in allzu wirren Songstrukturen zu verheddern.

In gleicher Manier blicken DŸSE im stoischen Opener "Laicos Neidem" mit dem Gitarren-Sägewerk von Dietrich und van Gohls treibender Schlagzeugkraft auf den Tian'anmen-Platz in Peking. Sie besingen dort den "Tank Man", den unbekannten Demonstranten, der sich 1989 furchtlos den Panzern des chinesischen Militärs entgegenstellte.

So direkt wie in dieser mächtigen Verbeugung vor diesem Mann haben DŸSE ihre Texte bisher nur selten verfasst. In früheren Titeln wie "Zebramann" oder "Spinne" hatte wohl eher die phonetische Kraft der Worte Priorität über dem Storytelling. Das Duo witzelte schon darüber, ein Reclam-Heft mit Erläuterungen herausbringen zu wollen.

Bei Textinterpretationen hätten Abiturienten mit "Widergeburt" jedenfalls eine wesentlich dankbarere Aufgabe. "Der Haifisch Die Zähne", das mit hibbeligen Riffs und pointierten Breaks mehr oder weniger schlüssige Kausalitäten aneinanderreiht, stellt da schon eine größere Herausforderung dar. Die riesige Explosivität und der technische Anspruch der Band sollten hier aber niemandem entgehen.

"Höllenjunge" setzt im Anschluss auf klassische Stoner-Vibes, wobei die Gitarre Genre-untypisch etwas zu ungebremst auf den lässigen Rhythmus trifft. Das entpuppt sich als angenehmer Twist, die Welt braucht nicht unbedingt noch mehr gleichklingende Derivate aus dieser Ecke. Dafür wühlen die Riffs standesgemäß in der Magengrube herum, was auch an der erstmaligen Verstärkung am Bass liegt.

DŸSE schaffen auf "Widergeburt" eine Zäsur in der Bandgeschichte, schließlich war das Duo bisher immer glücklich ohne die ganz tiefen Frequenzen unterwegs. "Zeit für etwas Noise", haben sich die beiden dann wohl auch gedacht und die Position am Bass für jeden Song neu an befreundete Musiker vergeben. Unter anderem sorgen Torsten Scholz von den Beatsteaks und Alexander Dietz von Heaven Shall Burn für mehr Klangraum. Der fehlte bei DŸSE zwar nicht schmerzlich, die neue Ebene sorgt dann aber doch für mehr Durchschlagskraft.

Auch Farin Urlaub, der DŸSE schon vor Jahren zu einer seiner Lieblingsbands ausrief, tauscht auf "Alles Ist Meins" ausnahmsweise die Gitarre gegen den Bass und steuert als Dreingabe noch ein paar sanfte Gesangskontraste im Refrain bei. Der Song führt so rohe Noise-Gewalt à la Lightning Bolt mit Deutschpunk-Ästhetik zusammen und verbeißt sich mit narrensicherer Message in die Waden des Kapitalismus': "Fick dich, alles ist meins."

Im direkten Vergleich zum Vorgänger wirkt "Widergeburt" noch druckvoller, bietet kompaktere Songs, ohne aber auf die typischen Sperenzchen zu verzichten. DŸSE beweisen außerdem mehr Mut zu klaren Ansagen, wie etwa in "89/90", wo sie die Wirren und die gespaltene Gesellschaft in der Zeit der Wende thematisieren. Ihre Botschaft verpacken sie in eine wütende Sounderuption, die ordentlich den Kopf durchbläst.

Mit "Widergeburt" liefern DŸSE ihr wohl bisher reifstes Werk ab, das mit mit einer Mischung aus roher Gewalt, Raffinesse, Systemkritik und Humor zu den frischesten Outputs in der deutschen Punklandschaft zählt. "Ich will einfach, dass du aufhörst, mir ständig in die Fresse zu treten", heißt es im Intro von "Ameisenhandschuh". Das kann und will "Widergeburt" partout nicht, und das bereitet große Freude.

Trackliste

  1. 1. Laicos Neidem
  2. 2. Der Haifisch Die Zähne
  3. 3. Höllenjunge
  4. 4. Kuttenwurz
  5. 5. Alles Ist Meins
  6. 6. Prärieauster
  7. 7. Hudabb
  8. 8. Ameisenhandschuh
  9. 9. 89/90
  10. 10. Ich Allein Gegen Euch Alle

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7 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Hört sich an wie kluge Beatsteaks. nice

  • Vor 2 Jahren

    Bis vor einem Jahr oder sowas sah's stark danach aus, als gäb's die Band nicht mehr, zumindest konnte ich nichts finden.
    Zum Glück ist das nicht so. Mann ist das Album gut geworden...

  • Vor einem Jahr

    Heute morgen im Zuge der neuen Platte von "Die Nerven" nochmal "gegengehört", so fern sich diese Bands und Platten halt vergleichen lassen. Klar sind Dÿse nochmal nischiger und kantiger als das die Nerven auf ihren letzten beiden Longplayern noch sein wollten, aber erstere haben auf "Wiedergeburt" wirklich alles richtig gemacht. Synchroner wippten Druck und peitschende Aggression aus dem Bauch, kopfgeschwängerte technische Finesse, nuancierte und dennoch mächtig walzende Produktion sowie deutsche Gesangssprache in trauter, organisch wirkender Eintracht selten geneigte Hörer*innen in Trance im Hartwurstsegment.

    Schneidet ins Fleisch wo Bands wie Messer und eben die Nerven heute lieber vermehrt anschmiegsameren Plüsch-Pop auftragen.