21. Oktober 2004

"Britpop war ja nicht wirklich toll"

Interview geführt von

Hotel Adlon, Unter den Linden. Vor der Herberge am Brandenburger Tor, die 1997 von Bundespräsident a.D. Roman Herzog auf dem Platz des legendären alten Hotel Adlon neu eröffnet wurde, stehen zwei uniformierte Pagen. Man sei von der Presse und habe ein Interview, darf gerade noch als Losungswort genügen, dass zwei krawattenlose Journalisten unter missmutigem Blick passieren dürfen. In der Lobby eine Atmosphäre aristokratischer Noblesse, Geschäftsleute und betuchte Senioren huschen durch den weiten Raum, und im ersten Stock gibt der Franzose Pierre Brice Auskunft darüber, wie es war, das Leben als Indianerhäuptling.

Auch die beiden Briten Nick Rhodes und Roger Taylor könnten Einiges über ihre Vergangenheit erzählen. Als Duran Duran feierten sie vor rund zwanzig Jahren zahlreiche Charterfolge und erwarben sich einen Ruf als exzessive Pop-Dandys. Nun erscheint mit "Astronaut" das erste gemeinsame Album des Original-Quintetts seit 1983. In ihrer geräumigen Suite empfangen uns die beiden Musiker mit freundlichem Lächeln. Obwohl der Popkomm-Auftritt noch fünf Stunden entfernt liegt, sind die beiden Popstars bereits absolut fernsehgerecht und sicher ganz im Sinne der Hotelleitung hergerichtet.

Das von der Plattenfirma zuvor auferlegte Fotoverbot könnte sich höchstens auf fehlende Kosmetik beziehen. Doch Taylor und Rhodes sehen unverbraucht aus und wirken vielmehr wie vornehme Gentleman. "Hier hat doch Michael Jackson sein Baby aus dem Fenster baumeln lassen", gibt sich Schlagzeuger Taylor gleich zu Beginn scherzend. Meine Güte, die sind ja richtig nett.

Euer letztes Album "Pop Trash" entstand vor vier Jahren in der Trio-Besetzung Rhodes/Le Bon/Cucurullo und klang wesentlich gitarriger als "Astronaut".

Rhodes: Oh ja, das war ein ganz anderer Sound damals. Die Duran Duran von heute haben eben einen ganz speziellen, sofort identifizierbaren Sound. (überlegt) Ich glaube, die "Pop Trash"-Platte von Simon, Warren und mir war weitaus experimenteller, abstrakter. "Astronaut" hingegen geht viel mehr in Richtung Songs, holt die ganze Energie zurück, die unsere Musik früher einmal auszeichnete und versucht, Leute mit Texten zu berühren, die sich um Dinge drehen, die in der heutigen Welt eine Rolle spielen.

Also war es ein glücklicher Zufall, dass Warren die Band verließ und gleichzeitig alle alten Bandmitglieder wieder Lust auf eine Reunion hatten?

Taylor: Zumindest hat es uns in gewisser Weise die Tür geöffnet, ja. Die Drei kamen irgendwann an den Punkt, von dem aus es nicht mehr weiter ging, so dass die Frage nach der alten Fünfer-Besetzung wieder aufkam. Glücklicherweise waren alle von uns in der richtigen Stimmung dazu.

Rhodes: Es war die perfekte Sternenkonstellation. Es hätte einfach früher nicht stattfinden können. Wir kamen alle super miteinander aus, aber ich bin mir nicht sicher, ob es vor fünf Jahren auch so geworden wäre.

Taylor: Ich bin mir vor allem nicht sicher, ob die Welt damals für uns bereit gewesen wäre. Erst in den letzten Jahren hat sich doch im Denkprozess einiges zu unseren Gunsten verändert. Ich meine, heute gibt es Bands wie beispielsweise die Dandy Warhols, die ja sehr von Duran Duran inspiriert wurden und die uns auf eine Art den Weg zur Rückkehr geebnet haben.

Im Zusammenhang mit euch fallen auch immer wieder Bandnamen wie Zoot Woman oder die Scissor Sisters ...

Rhodes: Ja, es hat tatsächlich eine Weile gedauert bis die Leute, die in den 80er Jahren aufgewachsen sind, ihre ersten Platten veröffentlichten und damit erfolgreich wurden. Langsam kann man ja schon auf die 90er zurück blicken und ich glaube, die Leute merken jetzt, dass es musikalisch nicht gerade das spannendste Jahrzehnt war, von Hip Hop mal abgesehen. Vieles wurde wieder aufgewärmt: Britpop war ja nicht wirklich toll. Aber schau dir mal an, was die 80er hervor gebracht haben: Bands wie The Cure, The Smiths, Depeche Mode, U2, INXS, was war noch, Madonna, Prince ... und allmählich ergibt sich ein Bild dieser einmaligen Künstler, und ob du sie nun magst oder nicht, sie hatten alle ihren Sound. In den 90ern kam da nicht mehr viel, finde ich. Nachdem Nirvana gingen, war da nichts mehr Spezielles oder Besonderes.

Würdest du in diesem Fall auch eure letzte Platte "Pop Trash", die ja doch die Britpop-Schiene fuhr, im Nachhinein als weniger gelungen bezeichnen?

Rhodes: Hey, I love this record! Es war die richtige Platte zur richtigen Zeit. Ich schrieb damals mehr Texte als heute und spielte mehr mit ihnen, wollte sie in verschiedene Richtungen lenken. Die neuen Texte stehen direkter mit Dingen in Bezug. Aber man kann diese Platten nicht vergleichen, denn die Bands sind soo verschieden. Wenn wir fünf heute zusammen in einem Raum sind und an Songs arbeiten, spielen wir alle gemeinsam herum und erarbeiten alles von Beginn an gemeinsam. Als wir mit Warren arbeiteten, hatten wir keinen Drummer und keinen Bassisten, also kamen Maschinen hinzu und Warren kompensierte die Freiräume mit massig Gitarrensound. Das ist mit heute nicht zu vergleichen.

Mögt ihr denn einige der Bands, die euch auf die Landkarte des Pop zurück gebracht haben?

Taylor: Yeah. Als wir uns am Anfang im Studio gegenseitig Musik vorspielten, merkten wir immer wieder, dass einiges frühen Duran-Songs ziemlich ähnlich war. Natürlich meinte die Plattenfirma gleich "Hey, ihr mögt Zoot Woman? Super, ihr solltet genau so klingen". Zum Glück haben wir uns geweigert, auf diesen 80er Revival-Zug aufzuspringen. Andererseits wollten wir uns auch nicht parodieren, und einige der ersten Demos klangen dann tatsächlich zu sehr nach frühen Duran-Sachen. Aber es sollte eben nach vorne gehen.

Roger, du warst ja eine Weile nicht in der Band. Was hast du denn all die Jahre gemacht?

Taylor: Oh, das ist eine lange Geschichte ...

Rhodes: Noch länger als unsere Bandgeschichte! (allgemeines Lachen)

Taylor: Ich erzähle immer, ich bin Zigaretten holen gegangen und eben erst nach 15 Jahren wieder zurück gekommen. Nein, ich habe mich einige Jahre vom Musikbusiness fern gehalten und bin auf eine Farm auf dem Land gezogen, die ich gekauft habe. In den 90ern hat es mich irgendwann wieder gekribbelt und ich habe mich ein bisschen an Dance Music versucht. Bis John wegen der Reunion anrief.

Also darf John als Comeback-Initiator gelten?

Rhodes: Auf eine Art schon. Als Simon und ich die letzten Gigs mit Warren spielten, besuchten wir John zu Hause in L.A. und kamen eben auch auf dieses Thema zu sprechen. John war begeistert und hat das dann sofort an sich gerissen. Er rief Roger an und auch Andy, mit dem er im Gegensatz zu mir und Simon noch Kontakt hatte. Als schließlich jeder zugesagt hatte - das alles lief innerhalb von 24 Stunden ab - waren wir natürlich sofort heiß darauf, loszulegen. Es war kein Bremser dabei, so nach dem Motto "Ähm, naja, nee, also ich weiß nicht ..." Wir waren alle frei, keine Plattenfirma, aber total Lust. Es war der richtige Zeitpunkt.

Fühlt man sich nun mit dem ganzen wieder erwachten Presserummel - Simon, Andy und John hängen ja im Augenblick gerade zwischen Paris und hier mit Verspätung in der Luft - ein wenig an die Anfangstage von Duran Duran erinnert?

Taylor: An die alten Zeiten? Ein wenig vielleicht, ja. Wir denken, dass wir mit "Astronaut" etwas besonderes geschaffen haben, und das wollen wir der Welt präsentieren. Dazu benötigen wir die Medien und es ist alles sehr aufregend. Wir erleben viel positives Feedback und bekommen gute Album-Reviews.

Schmerzen schlechte Kritiken eigentlich noch?

Taylor: Ach, es ist schön, gute Kritiken zu bekommen, aber von schlechten geht die Welt auch nicht unter. In unseren Anfangstagen haben wir gelernt, wie man zum Erfolg kommt, unabhängig davon, was die Presse schreibt. Damit muss man leben.

Trotz vieler Top Ten-Singles und teurer Videos ist die Geschichte von Duran Duran ja auch die von Mädchen, Parties, Champagner, Kokain, ...

Rhodes: Klingt sehr glamourös.

Ist es nicht so? Ihr geltet doch als die Kult-Hedonisten im ganzen Popzirkus.

Rhodes: Ach ja. Ist schon okay. Sollte ich jemals eine zweite Band gründen, werde ich sie The Cult Hedonists nennen.

Taylor: Echt? Wow! (Lachen)

Rhodes: Nun, diese Dinge scheinen eben Teil des Mythos zu sein und niemand von uns bestreitet, dass wir damals eine tolle Zeit hatten. Andererseits haben wir fünf Jahre am Stück gearbeitet, was letztendlich zu einem Burn Out führte. Es passierte zu viel in zu schnellen Abschnitten, in sämtlichen Bereichen. Ich meine, wir lebten nicht eine Minute damals. Alles drehte sich nur um Publicity. Das ging dann ungefähr so: Um 14 Uhr habt ihr einen Fototermin auf dem und dem Schiff, um 15 Uhr geht ihr dorthin, um 16 Uhr ist dieses Interview und um 18 Uhr müsst ihr natürlich den Flieger dorthin kriegen.

Taylor: Neulich habe ich in einem Artikel über uns gelesen, dass wir damals Playboys waren, die nebenher ein paar Hits geschrieben haben. Was soll ich dazu sagen? Das genaue Gegenteil war der Fall: Wir haben hart gearbeitet.

Nächstes Jahr plant ihr eine Welttournee. Wird da genug Energie für ein weiteres Album bleiben?

Rhodes: Zumindest hätten wir jetzt schon Material für zwei weitere Alben beisammen. Ich persönlich bin der Meinung, dass mindestens dreiviertel davon fertig gestellt werden muss. Aber wir werden natürlich weiter neue Songs schreiben. Es ist heute ein ganz neues Gefühl, gemeinsam Songs zu erarbeiten, mit all der Energie, die im Studio entfacht wird. Das Gefühl, nach zwölf Stunden Arbeit rauszukommen und etwas zustande gebracht zu haben, ist wundervoll. Im Laufe der Pressekampagne haben wir schon so oft darüber gesprochen, aber mit 17 merkten wir nicht wirklich, wie gut unsere Bandchemie, oder wie gut unsere Platten waren. Wir mussten uns erst trennen und mit anderen Leuten zusammen arbeiten, bis es uns auffiel. Dieser Drummer mag gut sein, aber er ist nicht so gut wie Roger.

Und ich habe mit einigen der besten Drummer der Welt gespielt, seit dieser Typ hier die Band verließ. Steve Ferrone ist ein Monster, das kann ich dir sagen, oder nimm Sterling Campbell, der heute für Bowie trommelt, großartig, genau wie Vinnie Colaiuta, der jetzt bei Sting in der Band ist. Aber für diese Band hier, ist keiner auch nur annähernd so gut wie Roger. Und das meine ich so, wie ich es sage. Jeder von uns kann zwar für sich Platten aufnehmen, aber dann kommt eben was ganz anderes raus.

Klingt ja, als hättest du hart gearbeitet auf deiner Farm, Roger.

Taylor: Ein Drum-Kit hatte ich natürlich all die Jahre auch bei mir stehen, klar. Es ist nunmal wie mit dem Fahrrad fahren, du verlernst es nie, musst aber nach einer längeren Pause den Rost abschütteln. Bis zur ersten gemeinsamen Show in Japan haben wir auch einen Monat lang täglich miteinander geprobt. Sechs Stunden täglich.

Wie soll man "Astronaut" in zehn Jahren beurteilen?

Rhodes: Als klassisches Duran Duran-Album. Wir wussten, dass wir mit etwas zurück kommen müssen, was so gut ist, wie unsere alten Sachen. Sonst hätten wir uns zum Gespött der Leute gemacht. Nun freuen wir uns über das Ergebnis. Die Platte klingt rund. Und zum ersten Mal, das meine ich wirklich, obwohl erst wenige Monate seit der Fertigstellung vergangen sind, habe ich an keiner Stelle etwas zu bemängeln. Die Platte ist so perfekt, wie wir sie machen konnten.

Vor etwa einem Jahr stand auf eurer Homepage zu lesen, dass ihr Leute wie Bryan Ferry und Felix Da Housecat zu euch ins Studio eingeladen habt.

Taylor: Bryan Ferry?

Rhodes: Aaah, ich erinnere mich. Wir waren gerade in London im Studio und Felix kam mit Tiga vorbei, um Hallo zu sagen. Ein anderes Mal schaute auch Bryan rein, aber das war nur ein einfacher Besuch unter Freunden. Mit Felix sprachen wir noch über einen Remix, mal sehen, was passiert.

Taylor: An einem bestimmten Punkt dachten wir über Kollaborationen nach, mit Gwen Stefani zum Beispiel, aber es hat dann aus verschiedenen Gründen doch nicht geklappt. Jetzt ist es eben ein Album von uns fünfen geworden, nur einen Percussionisten haben wir noch in unsere Mitte gelassen.

Das Interview führte Michael Schuh.

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