9. September 2002

"Deutsche Radiohörer werden für dumm verkauft ..."

Interview geführt von

Interviewstress auf Festivals: Man stolpert in der prallen Sonne über Bierleichen und küsst den Ordnern die Füße, um in den Backstage-Bereich zu gelangen. Aber was nimmt man nicht alles in Kauf, um mit einer Toten Hose zu quatschen. Nach anfänglichen Technikproblemen, die wir nur dank Breitis Beobachtungsgabe lösen konnten, plauderte der Hosen-Gitarrist locker-flockig über Fußballspiele mit New Model Army, Stefan Effenberg sowie die Bundestagswahl im allgemeinen und die Asylpolitik im speziellen.

Ihr habt vor 13 Jahren, 1989, zum ersten Mal beim Rock am See-Festival in Konstanz gespielt. Was hat sich bis heute hin verändert? Und habt ihr eine besondere Beziehung zu diesem Open-Air?

Es war damals genau das selbe kleine Stadion wie heute. Man konnte auch damals schon aus dem Backstage-Bereich direkt an den Bodenseestrand zum Schwimmen. Zudem gibt es auf dem Weg dorthin einen netten kleinen Fußballplatz. Dort haben wir beim letzten Mal mit New Model Army um ein Uhr nachts im Dunklen gebolzt. Es fing mit dem Spiel Mädchen gegen die Jungs an, aber nachdem das nicht besonders gut lief, wurde einfach wild durchgemischt. Hat einen Heidenspaß gemacht.

Apropos Heidenspaß: Die Suchaktion nach dem "Mädchen von Rottweil" war bestimmt auch recht lustig. Wie zockt es sich denn vor einem ausschließlich weiblichen Publikum?

Wir haben zwar das eine Mädchen nicht getroffen, aber die Erfahrung war schon einzigartig. Die Mädels gaben sich alle völlig relaxt. Bei einer gemischten Zuschauerschar treten wesentlich mehr Stressfaktoren auf. Anscheinend fallen diese jedoch völlig weg, wenn keine Typen am Start sind. Zudem stieg die Lautstärke logischerweise um einige Oktaven. Wenn ich diese hohen Töne jeden Abend ertragen müsste, würde ich mir etwas in die Ohren stopfen. Aber im Endeffekt war es ein sehr lustiger Abend. Wie überhaupt die ganze Runde, die wir da mit den Konzerten auf Sylt, Helgoland und der Zugspitze gedreht haben.

Ja, ich erinnere mich an die Plakate. Wie lief denn das Konzert bei der Schickeria in Westerland? Immerhin gilt dieser Ort ja als Farin Urlaub- und Bela B.-Bastion.

Auf Sylt haben bislang nur die Ärzte gespielt, das stimmt. Die Konzerte fanden ja stilecht in einer alten Flughafenhalle statt, die man vielleicht in einem Industriegebiet in Bottrop, jedoch nicht auf Sylt vermuten würde. Das Gebäude wird aber jetzt wohl abgerissen. Nach dem gelungenen Konzert haben wir dann noch eine Party am Strand gefeiert, da für unsere Fans alle Übernachtungsmöglichkeiten ausgebucht und alle Züge bereits abgefahren waren. Aber trotz der geilen Stimmung, die während der ganzen Zeit herrschte, sehe ich die Urlauber auf Sylt als einen sehr seltsamen Schlag Mensch an. Vorsichtig ausgedrückt.

Wo wir schon bei den Live-Auftritten sind: Wie lange wollt ihr noch auf der Bühne stehen bzw. aktiv zusammen musizieren? Wird es später Dimensionen à la Rolling Stones annehmen oder verkündet ihr rechtzeitig euren Rücktritt?

Na, die Rolling Stones haben ja noch ein paar Jahrzehnte Vorsprung. Ich bin jetzt 38, Campino und Andy 40. Ich fühle mich so fit wie lange nicht mehr, was die Kondition auf der Bühne angeht. Und die Konzerte und die Tourneen machen uns einfach immer noch am meisten Spaß, da wir, die Roadies und Tourbegleiter eben ein eingespieltes Team sind. Wenn du mich aber jetzt fragst, dann glaube ich nicht, dass ich in zehn Jahren noch auf der Bühne stehen werde. Aber so lange wir unsere jetzige Form und Freude in nächster Zeit nicht verlieren, gibt es eigentlich keinen Grund aufzuhören.

Hast du keine Angst den richtigen Zeitpunkt des Abgangs zu verpassen wie das bei den Herren Fußballern gang und gäbe ist?

Wenn man Spaß an seinem Job hat, warum soll man nicht noch ein paar Jahre in der zweiten Liga spielen, oder wie Stefan Effenberg noch ein, zwei Jahre beim VFL Wolfsburg dranhängen? Wenn du mit 33 schon deinen Beruf an den Nagel hängen musst, und du dir etwas Neues suchen sollst, dann ist das ganz schön hart. Deswegen bin natürlich neben einigen anderen Gründen froh, in der Musikbranche gelandet zu sein. Dort kann man auch noch mit 40 locker seiner Passion frönen und damit Geld verdienen. Und so eine tolle Sache wie die Toten Hosen hat man halt nur einmal im Leben.

Themenwechsel: Auf eurer Homepage kritisiert ihr die deutsche Asylpolitik und das Zuwanderungsgesetz. Wie kam es zur dieser sehr erfreulichen Aktion?

Das hat folgende Bewandtnis: Es gibt den Verein Pro Asyl, der sich um die Belange von Asylbewerbern kümmert. Diesen Menschen werden ja in unserem Staat wichtige Menschenrechte vorenthalten. Pro Asyl betreiben deswegen Öffentlichkeitsarbeit, damit die Bürger auf die beschissene Lage der Asylsuchenden aufmerksam werden, denn leider findet das Thema so gut wie gar nicht in den Medien statt. Zudem versuchen sie, auf Politiker einzuwirken und Lobbyarbeit zu leisten.

Zudem stellen sie Rechtsanwälte bei konkreten Fällen. Wir haben denen nun die Möglichkeit gegeben, sich auf unserer Internetseite vorzustellen, da viele unserer User eine Menge Zeit mitbringen. Wenn sich dann die Fans, und seien es nur einige wenige, mit der Problematik beschäftigen, hat sich die Aktion schon gelohnt.

Ich frage, weil bald die Bundestagswahl ansteht, und Pro Asyl politisch am ehesten auf Seiten der Grünen oder der PDS steht. Eure Kollegen wie die No Angels oder Miss Biedermann fordern dagegen ja unparteiisch zum Urnengang auf.

Von diesem Aufruf halte ich überhaupt nichts, denn wer zur Wahl geht und für Stoiber stimmt, sollte lieber gleich zu Hause bleiben. Bei mir lief es wie immer. Vor ein paar Wochen hatte ich noch überhaupt keine Lust wählen zu gehen, aber wenn ich mich zwischen Stoiber und Westerwelle oder Rot-Grün entscheiden müsste, dann stimme ich natürlich für die Grünen. Denn diese Leute sind die Einzigen, die in den wirklich wichtigen Fragen noch mit ein paar guten Ideen an den Start gehen. Ich kann nur jedem raten, das gleiche zu tun. Wenn Stoiber und sein Innenminister Beckstein erst regieren, werden sich einige ganz schön umgucken, wie schnell die Grundrechte schwinden. Selbst unter Schily hat sich die Situation eher verschlimmert als verbessert.

Ja, und besonders für die Asylbewerber.

So etwas wie das Zuwanderungsgesetz der SPD ist natürlich weit davon entfernt, ein menschliches, gutes Gesetz zu sein. Es ist aber immerhin ein kleiner Anfang. Wenn ich mir jedoch die Aussagen von Möllemann und Westerwelle so reinziehe und den Stoiber betrachte, dann kann das nur in der totalen Vollkatastrophe enden.

Was mich auch immer wieder überrascht, ist, dass ihr als alte Punkrocker regelmäßig auf der biederen, systemkonformen Popkomm-Gala spielt und ständig einen Cometen mit nach Hause schleppt.

Erstens gewinnen wir nicht immer einen Cometen, es sei denn wir haben gerade 'ne Platte draußen und 'ne Tour hinter uns. Zweitens ist es eine Party von Viva, mit denen wir übers Jahr verteilt sehr viel machen. Die Preisverleihung sollte man indes nicht zu ernst nehmen, da die sowieso eher nach dubiosen Gesichtspunkten abläuft. Obwohl es bei Preisen aller Art immer nett ist, wenn man an uns denkt. Deshalb holen wir die Teile auch ab.

Wer so lange im Musikgeschäft tätig ist wie wir, steckt eh schon zu tief in der gesamten Geschichte drin. Du hast deine Videos auf dem Kanal laufen usw. Wenn man dann die Veranstaltung abbläst, nur weil einem einige anwesende Künstler nicht passen, dann fände ich das albern. Wir gehen lieber dahin, sagen "Guten Abend" oder spielen ein Lied und dann gehts auf die After-Show-Party. Die Feier nach der Echo-Verleihung war zum Beispiel richtig gut.

Auf der diesjährigen Popkomm kam ja auch wieder die Frage nach einer Quotenregelung für deutschsprachige Musik im Radio hoch. Früher ging dafür Kunze auf die Barrikaden, heute ist es Wolf Maahn. Was hältst du als Mitglied einer Band, die deutsche Rocklyrik entscheidend mitgeprägt hat, von dieser Idee?

Für mich ist das totaler Quatsch. Wenn ich mir schlechte, amerikanische Popmusik im Radio nicht mehr anhören möchte, dann wird das Programm nicht dadurch besser, dass ich dafür schlechte deutsche Popmusik vorgesetzt bekomme. Was vielleicht eine vielversprechende Idee wäre, wenn man die Radiofrequenzen nicht mehr ausschließlich an die großen Verlage vergeben würde. Die machen ja eh nur kommerzielles Radio für eine bestimmte Zielgruppe, damit sie die Werbezeit möglichst teuer verkaufen können. Dabei gibt es zum Beispiel in Brasilien, Australien oder auch Amerika richtige Rock- oder Hip Hop-Stationen als Alternativen. Nur bei uns wirst du für doof verkauft, und es wird den Musikfans vorgeschrieben, was sie gut zu finden haben. Wenn du Glück hast, findest du bei den Öffentlich-Rechtlichen im Nachtprogramm ein paar brauchbare Sendungen.

Die Quotenregelung gilt ja als Mittel zur Bekämpfung der Absatzkrise. Ihr seid nun ein etablierter, großer Act und habt eine eingefleischte Fanschar. Spürt auch ihr die Krise anhand eurer Plattenverkäufe?

Ja, klar. Alle merken das. In Italien ist das sogar noch extremer als bei uns. In England und Amerika dagegen hält sich das Downloaden und die CD-Brennerei noch in Grenzen. Die haben dort einfach eine andere Mentalität, was die Popkultur angeht. Wenn sie ein Album haben wollen, dann kaufen sie es. Generell zu dem Thema: Ich finde, die CDs sind zu teuer. Ein Preis von 12,50 Euro wäre angemessen. Aber natürlich bin ich mir der Nachteile auch bewusst, denn kleinere Independent-Läden kommen damit nicht klar. Die müssen leider mehr nehmen. Bei den großen Ketten wie Karstadt würde es wohl funktionieren.

Wir haben ja auch schon billige Sonderaktionen in Verbindung mit größeren Geschäften durchgeführt. Das war immer ein Erfolg. Was mich nur stört an der Sache, ist, dass viele Leute meinen, Musik müsse umsonst sein. Jemand der Musik macht, muss genauso dafür bezahlt werden, wie bei allen anderen Berufen auch. Uns geht es zwar immer noch gut, aber gerade für junge Bands mit einem geringen Bekanntheitsgrad ist es dadurch heutzutage viel schwieriger voran zu kommen. Wenn ich Fan einer solchen Gruppe wäre, würde ich doch wollen, dass sie ohne Einschränkung ihre Musik machen können, und nicht von irgendwelchen Nebenjobs leben müssen, um am Wochenende als Hobbyband auftreten zu können. Vielleicht sollte man, wie es früher bei Kassetten war, eine kleine Gebühr auf CD-Rohlinge erheben, die dann unter allen von der Gema anteilig verteilt wird. Die Situation ist zwar momentan denkbar schlecht, aber da musst du halt mal kreativ werden.

Da wir vorhin die Politik angesprochen hatten, meinst du, dass die Parteien da irgendwie eingreifen sollten? Diverse Label-Bosse haben dies ja schon einmal gefordert.

Das sind alles ganz schwierige Fragen. So lange die Leute sich alles aus dem Internet holen können, werden sie dies auch tun. Ich meine, so ein Gesetzesentwurf dauert ja einige Jahre und ist megakompliziert. Aber ein paar grundsätzliche Sachen sollten schon geklärt werden. Zum Beispiel die Frage des Urheberrechts. Doch das sollte nicht davon ablenken, dass nur die großen Plattenfirmen entscheidend zur Verbesserung der Lage beitragen können. Aber bis jetzt sitzen alle nur da und jammern.

Zum Schluss muss ich natürlich noch die ewige Frage nach der Situation mit den Böhsen Onkelz stellen. Ihr seid euch ja bekanntlich nicht grün. Wie ist da der Stand der Dinge?

Eines vorweg: Die Böhsen Onkelz waren früher 'ne Fascho-Band. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Als sie dann bekannter und gesellschaftsfähiger wurden, haben sie sich nie eindeutig von ihrer Vergangenheit distanziert, sondern immer nur diffus von der "Wahrheit" geredet, ohne zu sagen, was sie darunter verstehen. Erst in letzter Zeit hat sich das geändert. Mehr muss ich zu dem Thema eigentlich nicht sagen.

Trotzdem würde ich noch gerne wissen, warum ihr das Angebot von Götz Kühnemund (Chefredakteur von Rock Hard) für eine öffentliche Diskussion zwischen Campino und Weidner nicht angenommen habt?

Götz Kühnemund wollte ein offizielles Streitgespräch führen, um seine Auflage zu steigern. Das ist natürlich aus seiner Sicht völlig legitim. Von unserer Seite aus besteht aber kein Anlass für ein solches Gespräch. Und wenn wir irgendwas mit den Böhsen Onkelz zu bereden haben, dann machen wir das privat und treten das nicht in irgendeiner Zeitung breit.

Cool, so gehört sich das ja auch. Dann danke ich dir für das interessante Interview und wünsche euch noch viel Spaß beim Rock am See.

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