26. August 2016

"Wen sollen wir denn dissen?"

Interview geführt von

"Ich weiß nicht, wie oft Tränen bei der ersten Platte - geht fast auf Kommando", pries der Singer/Songwriter Tim Neuhaus Die Höchste Eisenbahn kürzlich auf Facebook an, und sprach damit manch geneigtem Indie-Pop-Hörer aus der Seele. Nach knapp dreijähriger Wartezeit veröffentlichen die Berliner dieser Tage "Wer Bringt Mich Jetzt Zu Den Anderen", ein Zweitwerk am Rande der Perfektion.

Es ist Mittagszeit, als Moritz Krämer und Francesco Wilking sich per Skype aus Berlin melden. Bevor es losgehen kann, gilt es die Essensbestellung zu diskutieren. Schnell einigen sie sich auf vietnamesisch. Die beiden haben Hunger.

Demnächst erscheint eure neue Platte, für die man euch höchstwahrscheinlich wieder mit Lob überschütten wird. Was wäre das schlimmste Lob, das man euch geben könnte?

Moritz Krämer: Das ist wirklich eine komplizierte Frage. Denn wir versuchen uns alle davon abzukoppeln, dass jemand was dazu sagt, und man davon getroffen wird. Wir schwimmen die ganze Zeit in unserer Suppe rum und machen unseren Kram, bis wir das Gefühl haben: So soll's jetzt sein. Wenn man was an sich ranlässt, das einem wichtig ist, das einen zerstören oder aufbauen kann - so was meinst du, oder?

Franceso Wilking: Ich glaub, das funktioniert bei uns nicht so gut, weil wir nicht so im Abgrenzungsmodus sind. Wenn jemand schreiben würde, "Wer Bringt Mich Jetzt Zu Den Anderen" sei die beste Platte seit "Hey" von Andreas Bourani, dann würde ich sagen: interessant. Aber ich würde nicht sagen: Au, scheiße, wir haben Die Höchste Eisenbahn doch extra gegründet, um Andreas Bourani was entgegenzustellen. Wenn das so wäre, dann wäre ich natürlich beleidigt.

Das dachte ich mir letztens auch beim Campus Festival Konstanz, wo der SWR3-DJ vor eurem Auftritt Radiohits aufgelegt, euch dann eher ungelenk anmoderiert hat und ihr dem Publikum offensichtlich kaum bekannt wart. Trotzdem hat es sich nicht angefühlt, als gehörtet ihr nicht dort hin.

FW: Wie hast du das vorher bei Isolation Berlin wahrgenommen?

Die hab ich nicht gesehen. Ihr schon?

FW: Ja, die waren sehr damit beschäftigt, sich am Publikum abzuarbeiten.

Abarbeiten im Sinne von Erobern?

FW: Nee, eher Verweigerung, von wegen: Ihr seid nicht unsere Leute. Wir sollen hier nicht sein. Ihr sollt uns nicht hören. Ich fand das sehr interessant.

Ich hab nur gesehen, dass ihr Bassist abends während der Olli Schulz-Show eher wackelig auf den Beinen war.

MK: Ja, der hat ein bisschen Alkohol getrunken, glaube ich.

FW: (lacht) Der hat den restlichen Abend nur runtergebetet, wen er alles mit jeder Faser seines Körpers hasst.

Diese ablehnende Haltung, die ja viele Bands an den Tag legen, nehmt ihr nie ein. Liegt das nur an euch als Personen oder ist es eine gewisse Entscheidung, wie ihr als Band auftreten wollt?

FW: Ich bin schon pathologisch kumpelmäßig unterwegs. Ich hab dieses Abgrenzungsding nicht. Ich hab das genauso extrem in die andere Richtung. Das ist ja hier so eine Art Öffentlichkeit, die wir haben. Also könnte ich jetzt irgendwas Fieses über jemanden sagen. Aber dann hätte ich mir mit demjenigen die Kumpelmöglichkeit genommen, und deswegen würde ich das halt nicht machen. Weil ich immer mit allen gerne klarkommen möchte (lacht). Das haben Isolation Berlin zum Beispiel nicht, und das haben Rapper auch nicht. Rapper, die dissen halt. Das ist Teil von deren Welt. Ich find das ja eigentlich geil, aber ich könnte das überhaupt nicht.

Stimmt, einen inszenierten Beef oder so was wie Isolation Berlin vs. Drangsal oder Wanda vs. AnnenMayKantereit würde man dir vermutlich nicht abnehmen.

FW: Wen sollen wir denn dissen? Schlag mal was vor. Oder sagen wir mal: Gisbert. Wir könnten jetzt Gisbert anrufen und sagen: Wir haben uns da mal was überlegt. Wir machen jetzt einen Diss. Nur dass du nicht erschrickst, wenn du was liest.

MK: (lacht laut) So funktioniert das nicht. Das ist ja wie wenn ich meinen besten Freund anrufe. Oder meinst du AnnenMayKantereit haben Wanda angerufen?

FW: Nee, die nicht. Aber bei Rappern ist es so.

MK: Die rufen sich davor an?

Kommt drauf an. Ich glaub, da gibt’s solche und solche Fälle.

FW: (gleichzeitig) Bei Böhmermann und Erdogan war's sicher so.

MK: Böhmermann hat Erdogan angerufen!

Bei Bushido und Kay One war's ernst.

FW: Ja, aber ey, Bushido hat Kay One wirklich alles gegeben, ja? Kay One hat bei Bushido gewohnt, hat bei ihm gegessen und dann ist er so undankbar hinterher. Das versteh ich auch.

Der hat ihn wie einen Bruder behandelt.

FW: Du warst wie ein Bruder für mich!

"Aber nicht wie ein Schwuler ein' anderen Mann."

FW: (lacht) Ich muss immer daran denken, wie Bushido über Sido geredet hat, als die Beef hatten. Das ist schon lange her. Kennt ihr diese Backstage-Geschichte?

Mit dem Backup der Vorgruppe?

FW: Genau. Da hat Bushido Sido ewig lange einfach so gedisst: Alles an ihm sei scheiße, die Bodyguards und so weiter. Aber das Ekligste war für Bushido am Ende, dass er dabei war, als Sido mit dem Backuprapper der Vorgruppe im Backstage geknutscht hat. Das fand ich krass: Der schlimmste Diss, den er sich vorstellen kann, ist, dass der andere schwul ist. Aber richtig schwul. Nicht schwul, von wegen, er kann nicht rappen. Sondern halt richtig schwul.

Wenn wir gerade beim Dissen sind: Nachdem ich eure neue Platte gehört hab, ist mir Moritz Krämer im Traum erschienen. Auf einer Hausparty saßt du mit einem alten Schulfreund von mir auf einem Bett ...

FW: ... und hast geknutscht. Ha!

MK: Geil!

Nee, nicht geknutscht. Aber irgendwann habt ihr angefangen, mich mit Feuerzeugen zu bewerfen. Und ich hab das sehr persönlich genommen.

FW: Das macht Moritz wirklich manchmal. Aber du hast dich einfach gefragt, was das soll?

MK: Eigentlich hab ich nie Feuerzeuge in der Tasche, weil Francesco immer alle mitgehen lässt. Somit war das wahrscheinlich er. Du meinst, das hat was mit den Songtexten zu tun?

FW: Waren die Feuerzeuge aus?

MK: Was war das denn für eine Party?

Eine eher langweilige WG-Party.

MK: Und dann schaust du durch die Tür und da sitzen zwei Leute auf dem Bett und unterhalten sich.

FW: Wahrscheinlich wolltest du dazugehören.

MK: Tut mir jedenfalls leid. Ich weiß nicht, warum ich das gemacht hab.

"Facebook-Kommentare sind keine Literaturgattung"

Mal wieder was anderes: Was glaubt ihr, ist die größte Fehleinschätzung euch gegenüber, von Leuten, die euch nicht besonders gut kennen?

MK: Das hieße ja, dass wir wissen, wie man die Musik einzuschätzen hat. Das wissen wir eigentlich nicht. Trotz "Alles sollte gehen/Kein Dogma/Keine Verbote" ist dieser Gedanke fast wie was Verbotenes. Man verbietet sich selbst, sich darüber Gedanken zu machen, was andere über einen denken. Wenn du die Straße runterläufst, verbietest du dir auf irgendeine Art und Weise, damit du überhaupt überleben kannst, dauernd daran zu denken. Da wird man ja wahnsinnig. Findet der gerade cool, wie weit meine Schritte sind, wie schnell ich laufe, dass ich hinke, meine Frisur, mein T-Shirt, meine Fresse ... was weiß ich. Das blendet man eigentlich aus. Aber natürlich passiert es trotzdem. Da haben wir vorhin erst drüber geredet. Ich hab neulich Facebook-Kommentare gelesen.

FW: Jetzt fängst du schon wieder damit an.

MK: Ja, das passt zum Thema. Da gab's diesen Post zum YouTube-Link von "Lisbeth", und einer hat geschrieben, das sei mega langweilig.

FW: Und dass wir das besser können.

MK: (lacht) Ja, ich weiß es sogar genauer. Ich tu gerade, als wüsste ich's nicht so genau, weil ich's so verletzend fand.

FW: Ihr erlebt gerade den Moment, in dem Moritz aus irgendwas, das ihm peinlich ist, was macht, worauf er stolz ist.

MK: Dass ich Facebook-Kommentare lese? Nee, das ist mir nicht peinlich und ich bin auch nicht stolz drauf.

FW: Aber du denkst dir jetzt: Wenn ich sie lese, kann ich's auch einfach sagen.

MK: Ja, sonst hätte man ja gar nicht gewusst, dass ich sie lese.

FW: Aber du hast es doch jetzt gesagt.

MK: Ja, genau. Ich wollte genau von dem Moment erzählen, auf den die Frage wahrscheinlich abzielt: Man macht sich darüber Gedanken, wie jemand anderes etwas findet, das man gerade produziert oder gesagt hat. Genau das macht man ja, wenn man Facebook-Kommentare liest. Und dann sagt jemand: "Ich freu mich auf die Platte, aber das Lied ist eine ziemlich langweilige Enttäuschung." Das fand ich verletzend. Und dann meinte Francesco sofort, ich solle aufhören, Facebook-Kommentare zu lesen, obwohl ich genau weiß, dass du auch Facebook-Kommentare liest, weil man das einfach ab und zu macht.

FW: Ich les aber nur die auf meiner Facebook-Seite. Da weiß ich, es geht um mich.

MK: Ja, gut. Bei der Eisenbahn geht's auch um dich.

FW: Okay, ich les überhaupt keine Facebook-Kommentare. Ich les nicht mal Mails.

MK: SMS auch nicht, das ist ein bisschen stressig. Naja, jedenfalls guckt man sich da beim Lesen ja irgendwie von außen an.

Facebook-Kommentare zu lesen und sich nicht darüber aufzuregen wäre ja eigentlich das Erstrebenswerte, oder?

MK: Facebook-Kommentare zu lesen, macht irgendwie nicht so richtig Sinn. Es ist wieder irgendwas passiert - dann man sieht diese Zahl der Kommentare und kann sich überlegen, ob man jetzt Bock hat, 45 Minuten lang Facebook-Kommentare zu lesen oder nicht. Man kann diese Diskussionen wirklich wie ein Buch lesen, aber am Schluss denkt man auch: Hätte ich jetzt ein gutes Theaterstück gelesen, hätte ich vielleicht sogar mehr über die Welt erfahren. Manchmal gibt es diesen Effekt eines Dokumentarfilm: dass man irgendwas entdeckt, was einem jetzt nicht der beste Freund erzählt hätte, irgendeine Meinung oder so. Aber sonst ist es eigentlich nicht so spannend. Man kann's auch ganz lassen, finde ich. Das ist jetzt keine Literaturgattung.

FW: Das war aber nicht die Frage, oder?

Du bist sehr diszipliniert, Francesco. Andere sind froh, wenn sie sich aus einer Frage rausgewunden haben.

FW: Sag sie noch mal bitte.

Was, glaubt ihr, ist die größte Fehleinschätzung, die Leute, die euch nicht besonders gut kennen, über euch haben?

FW: Als Menschen oder als Musikstil?

Ist egal.

MK: Ich kenn ja gar keine Einschätzungen. Hast du eine parat?

Dass Francesco im Prenzlauer Berg wohnt. Steht im Musikexpress.

MK: Stimmt.

FW: Nee, stimmt nicht. In Mitte.

MK: Aber gefühlt schon, denn es ist schon auf'm Berg. Aber halt vor der Grenze.

FW: Stimmt, ich wohne auf dem Prenzlauer Berg, aber nicht im Bezirk Prenzlauer Berg. Ich wohne in Mitte. In der Straße, in der auch de Maizière wohnt. Deswegen kannst du auch locker dein Fahrrad draußen rumstehen lassen, ohne dass es geklaut wird. Überall Bullen (lacht). Klar, wenn jetzt jemand schreiben würde, "Die Höchste Eisenbahn ist die Prenzlberg-Biomarkt-irgendwas-Band", dann würde ich denken: Scheiße, das ist irgendwie ...

MK: Scheiße, das stimmt (lacht). Scheiße, es ist wahr, es war mir nur noch nicht bewusst.

FW: Nee, ich würd mich nicht gerne als Teil von irgendwas sehen. Es gibt diesen schönen Satz von Stephen Malkmus: "I hate my generation." Das ist bei mir schon auch ein bisschen so. Wenn ich diese Stempel sehe, die eine gewisse Art von Leuten abbekommt, dann will ich den Stempel nicht auch haben. Und musikmäßig - klar, jede Klassifikation tut einem natürlich weh. Außer es ist ein Wort, das es noch nicht gibt. Wenn jetzt irgendjemand ein Wort baut aus Wolke, Pop und weiß ich nicht ...

Cloudrap.

FW: Cloudrap fänd ich geil. Das erste wichtige Cloudrap-Album in Deutschland ist von der Höchsten Eisenbahn (lacht).

Welches Genre würde denn am meisten wehtun?

FW: Weiß ich nicht. Ich find die irgendwie tatsächlich blöd. Ich hab letztens ein Interview mit MC Bomber gesehen, da ging's die ganze Zeit nur darum: "Ja, aber du machst schon Battlerap. - Nee, ich mach kein' Battlerap. - Aber Straßenrap. - Nee, kein Straßenrap. - Aber Gangstarap - Nee, kein Gangstarap. - Studentenrap - Nee, kein Studentenrap. - Machst du Trap? - Nee, kein Trap ..." Das ging die ganze Zeit nur so. Und am Ende kamen sie dabei raus, dass er Berlinrap macht. Weil er halt in Berlin wohnt. Könnten wir auch sagen. Nee, aber Berlinpop machen wir ja auch nicht, oder?

MK: Nee, das ist ja furchtbar.

FW: Das machen Isolation Berlin (lacht).

Dürfen wir das eigentlich alles transkribieren?

FW: Ja, klar. Wir sind Freunde.

MK: Nachher ist alles was ihr aufschreibt über Isolation Berlin (lacht).

FW: Ich hab noch mal richtig überlegt. Das Schlimmste, was jemand über unsere Musik sagen könnte, ist dass sie nice ist.

MK: Das Wort nice meinst du? Aber nice ist das neue sweet.

FW: Gefällt mir nicht. Ich mag's nicht. Einfach so.

Ich dachte, nice sei sowieso over.

FW: Over ist besser. Ich fänd's geil, wenn jemand sagen würde, dass die Eisenbahn over ist.

MK: Over the top?

FW: Overnice.

Beim Heimspiel Knyphausen vor einem Jahr meinte euer Booker Mario, das neue Eisenbahn-Album sei im Grunde fertig, ihr müsstet es nur noch aufnehmen. Warum hat es doch so lange gedauert?

MK: Wir wären auch gerne früher fertig gewesen. Aber wir haben uns in dieses Experiment begeben, zu viert Lieder beim Aufnehmen zu schreiben. Das war wie eine Versuchsanordnung. Es wurde gejammt, aufgenommen, daraus entstanden Lieder mit Fantasietexten. Und der Prozess ging so lange. Wir hätten auch noch weitermachen können. Natürlich hätten wir auch letzten September, Oktober sagen können: Jetzt schreiben wir diese elf Handyskizzen fertig, und dann stellen wir uns alle in einen Raum, nehmen vier Tage auf, und die Platte ist fertig. Das wäre eine andere Variante. Vielleicht machen wir das das nächste Mal so.

FW: Das Interessante ist, dass es andere Lieder gewesen wären. Andere Musik. Die Lieder haben sich in der Zeitspanne verändert. Hätten wir es schneller gemacht, wär's nicht schlechter, sondern einfach anders gewesen.

MK: Vielleicht nicht so wirr.

Wirr finde ich es nicht, aber man merkt den Songs an, dass es kein Livealbum ist. Es klingt schon nach Overdubs und monatelanger Frickelei.

MK: Ja, aber das ist auch bei jedem Lied anders. Bei "Gierig" ist es eigentlich eher so Livealbum-mäßig.

FW: Die letzten Songs, die wir aufgenommen haben, gingen schnell. "Nicht Atmen" zum Beispiel.

MK: Andersrum war "Lisbeth" ganz am Anfang fertig - und dann haben wir's nie wieder angefasst. Das merkt man auch daran, dass es ein anderer Style ist.

Eine langweilige Enttäuschung.

MK: Ach, du warst das! Ich wusste es (lacht).

Nee, tatsächlich hat mich gerade "Lisbeth" als erstes gecatcht.

FW: Ja, "Lisbeth" ist halt die alte Eisenbahn.

"Das ist nicht Cloudrap, sondern iCloudrap"

Apropos alte Eisenbahn. Der Vergleich der neuen Platte mit eurem Debüt "Schau In Den Lauf Hase" erweckt den Eindruck, dass ihr zunächst, mit einer Sammlung von Experimenten, eure DNA definiert habt, um nun darauf aufbauen zu können. Hat sich das so angefühlt?

FW: Für mich eher so, dass die erste Platte leicht war. Aber das verklärt man vielleicht auch ein bisschen im Rückblick. Alles, was drei Jahre her ist, fühlt sich irgendwie leicht an. Die neue war jetzt sehr viel Arbeit. Weil wir gesucht haben. Weil wir nicht gedacht haben, wir könnten uns auf irgendwas ausruhen. Denn immer wenn es in eine Richtung ging, bei der ich gedacht hab, das fällt mir leicht, hab ich gesagt: Lass es uns anders machen. Lass uns nicht für jedes Lied der ersten Platte ein Pendant auf der zweiten suchen. Das wollten wir alle nicht. Deswegen haben wir sehr viel gesucht. Die Spielwiese war sehr groß und wurde dauernd benutzt.

MK: Die Aussage war, dass die neue Platte ähnlich klingt wie die erste?

FW: Nee, sondern dass wir mit der ersten etwas gefunden haben, auf das wir jetzt aufbauen. So als hätten wir mit der ersten Platte Cloudrap definiert und ...

MK: Was ist denn Cloudrap?

FW: Crack Ignaz, Yung Hurn und so. Egal.

MK: Ich rap was, leg's in die Cloud und der andere rappt drüber. Oder was?

Nee.

MK: Aber wir sind Cloudrapper. Wenn wir einen Text als Notiz geschrieben haben, poppt sie beim anderen auf.

FW: Das ist nicht Cloudrap, sondern iCloudrap (lacht). Jedenfalls haben wir uns das Gegenteil von ausgeruht. Wir haben uns krass abgearbeitet.

MK: Aber nicht bei allen Liedern. Wenn du jetzt sagen würdest, dass das genau gleich klingt wie die erste Platte, könnte ich gar nicht sagen, ob das stimmt. Denn ich weiß es gar nicht. Es hat erneut Peter Schmidt gemischt, dadurch ist der Sound schon mal ähnlich. Zudem sind es dieselben Stimmen und wir können immer noch nur die gleichen Instrumente spielen.

FW: Aber die Auflösung ist ein bisschen besser. Mit größerem Speicher. Bisschen schneller. Es war vorher nicht Full-HD.

MK: Nee, war eher so 8bit.

Und wann kommt 4k?

FW: Was sagt Felix immer? Wir wollen Funkstrom.

Wenn ihr gerade die Stimmen ansprecht: Ich hab jetzt nicht mitgezählt, aber hatte den Eindruck, das Moritz bei den Songs, in denen ihr euch abwechselt, tendenziell die erste Strophe singt. Ein geheimes Konzept, damit die streamenden Kids nicht weiterskippen, weil der Song sie nicht nach 30 Sekunden erobert?

FW: Bei uns ist es ehrlich gesagt noch ein bisschen fieser: Bei vielen Sachen, bei denen du Moritz zuerst hörst, war ich zuerst dran. Ich bin dann einfach irgendwann nach Hause gegangen und Moritz hat nochmal drüber gesungen.

MK: Es gibt auch Lieder, die hab eigentlich ich geschrieben, dann hat Francesco sie neu geschrieben, und nochmal eingesungen, und jetzt bin ich gar nicht mehr drin (lacht). Nee, es gibt diese Gedanken schon, aber am Ende ist es Zufall. Es gibt ein paar Songs, in denen wir uns abwechseln: "Gierig", da fang ich an. "Blume", da fängst du an. In "Wir Haben So Lange Nachgedacht" fang ich an.

FW: Nee, da fangen wir zusammen an. Nur hört man meine Stimme nicht (lacht). Darauf haben wir tatsächlich im Mix geachtet. Welche Sachen singen wir zusammen? Was soll wirklich unisono sein? Bei "Wir Haben So Lange Nachgedacht" singen wir eigentlich beide, aber Moritz ist in seiner Strophe ein bisschen lauter - und andersrum.

Diese Chöre bzw. Duostimmen klingen sowieso durchdachter als zuvor, finde ich. Früher klang es so, als singe einer ein Lied und der andere begleite ihn dabei. Heute hat man den Eindruck, dass sich da durchaus Gedanken gemacht wurden. Habt ihr mehr Zeit aufs Arrangement verwendet?

FW: Ich glaub, wir haben allgemein mehr Zeit auf's Singen verwendet.

MK: Glaub ich nicht. Das kommt einem nur so vor, weil das andere Album so weit weg ist. Da haben wir auch Sachen öfter probiert. Es gibt so was wie bei "Erobert & Geklaut" - da singen wir zweistimmig. Das singen wir auch gemeinsam ein, als würden wir für ein Konzert proben, nur in getrennten Räumen. Irgendwann findet jeder seine Stimme, und die nimmt er sich dann. Das ist also nicht super ausgecheckt, sondern genauso wie wenn wir bei "Pullover" [von 2013, d.Red.] am Ende zusammen singen. Generell sind auf der neuen Platte mehr Doppler drin. Ich weiß auch nicht wieso, das ist irgendwie entstanden, da steckt kein Plan dahinter. Die Gesangsspuren lagen halt noch da, als Peter gemischt hat. Die hätte man auch vorher wieder rauswerfen können.

FW: Das haben wir gelernt: Nächstes Mal räumen wir ein bisschen unsere Spuren auf, bevor wir es zum Mischen geben.

MK: Ja. Man muss beachten: Das ist eben irgendein Arbeitsstand, in dem man seine Spuren zum Mischen gibt. Das hätte auch einen Monat früher oder später sein können. Aus jetziger Sicht würde ich es auch eher noch ein bisschen aufräumen, oder sagen: Jetzt haben wir alles aufgenommen - jetzt nehmen wir's noch mal live auf. Aber das sagt wahrscheinlich jeder über jede Platte.

FW: Nee nee, eigentlich sollte man das auch nicht sagen. Eigentlich sollten wir sagen, wir haben uns das alles genauso gedacht. Aber jetzt fangen wir auf einmal so ganz ehrlich an (lacht).

MK: Na, haben wir auch. Ich find alles gut, so wie es ist. Aber jetzt bin ich auch schon wieder woanders.

FW: Ja, stimmt. Das ist genau das Ding, dass Bands sagen müssen: Wir sind schon wieder bei der nächsten (lacht).

Das hat auch Tom Liwa gesagt: dass man eigentlich zu jedem Song ein wöchentliches Update rausbringen müsste. Weil er sich, etwa im Rahmen von Konzerten, laufend weiterentwickelt.

FW: Ja, das ist normal. Man verlangt nur ein bisschen viel von den Leuten, wenn man ihnen jede Woche ein Update liefert.

Stichwort Cloud.

FW: Stimmt, beim iCloudrap geht das.

Hier noch eine Frage an Moritz: Wo ist der Song "Alter Mann" abgeblieben?

FW: Hat er vergessen.

MK: Den hab ich nie aufgenommen, nur früher alleine live gespielt. Das gibt's ja oft. Wir haben gerade auch Songs geschrieben, die es nicht auf die Platte geschafft haben. Vielleicht entsteht daraus einer, den man mal live spielt. Den werden wir aber nie aufnehmen. Oder andersrum: Man hat einen aufgenommen und spielt ihn dann nie. Wie zum Beispiel "Tschernobyl", den spielen wir auch nie. Das gibt's in beide Richtungen.

FW: Man sollte herausfinden, was eine gute Technik ist. Man schreibt ja oft Lieder, die man irgendwann nicht mehr gut findet. Die haben bei einem selbst dann eine derartige Halbwertszeit, dass man sich denkt: Nee, das würde ich jetzt nicht mehr sagen oder machen. Und dann ist es zu spät, sie aufzunehmen. Das ist ein bisschen schade. Wenn man Lieder schreibt, sollte man die ...

MK: ... eigentlich gleich aufnehmen. Und "Alter Mann"?

FW: Nee, das könntest du jetzt auch nicht mehr machen. Ist das das mit dem Husten? Hustet da jemand?

MK: Hustet da jemand? Nee, da hustet niemand.

Wäre das denn ein potenzieller Eisenbahn-Song oder ein Moritz Krämer-Song? Gibt es diese Unterscheidung überhaupt?

MK: Das ist eine interessante Frage.

FW: War mir klar, dass du das denkst (lacht).

MK: Ich denke, diese Unterscheidung gibt es nicht. Wir schleppen irgendwelche Sachen an, spielen die zusammen, und manchmal hat man das Gefühl, da ergibt sich nichts Neues draus. Auf der "Unzufrieden"-EP waren wiederum noch Sachen, die genau so auf einer Soloplatte sein könnten. Diesmal haben wir hingegen versucht, zusammen Musik zu schreiben. Deswegen gibt's da vielleicht nur den einen Unterschied, dass wir eine andere Gruppe von Leuten sind. Wenn man gemeinsam Musik macht, spielt man auch andere Musik.

FW: Ein Song, den man von vorne bis hinten oder zumindest weitgehend alleine schreibt, wie auf dieser Platte zum Beispiel "Lisbeth" von Moritz oder "Timmy" von mir, klingt anders als ein Song, den man gemeinsam schreibt. Weil es irgendeinen roten Faden gibt, den es in diesem Stimmengewirr gemeinsamer Lieder nicht gibt. Die haben ganz viele verschiedene Blickwinkel, sich abwechselnde Teile, mehr Bewegung, und andere Qualitäten. Ich finde nicht eins besser als das andere.

Francesco, was zahlt die ARD für eine Tatort-Musik?

FW: Unterschiedlich. Kommt drauf an ob du Doldinger mit Nachnamen heißt oder eher einen normalen Nachnamen hast ... Ich schätz mal, Minimum 8.000, Maximum 50.000, wenn du einen ganzen Score machst. Hab ich aber noch nie gemacht. Ich hab keinen Insight. Ich hab nur Songs gemacht. Das ist ja was anderes.

MK: Dann kommt ja noch die GEMA dazu, oder?

FW: Genau. That's what they say.

MK: Stimmt ja auch.

FW: Ja, aber ist doch scheiße. Du arbeitest für jemanden, der gibt dir Kohle und sagt so: Ja, ist nicht so viel, aber ihr kriegt ja nachher noch GEMA.

MK: Aber ist trotzdem so. Bei drei Ausstrahlungen in der ARD kannst du genau sagen, wie viel Geld es für den Score gibt.

Zum Abschluss ein Ausblick in die Zukunft: Stellt euch mal vor, wir sind 40 Jahre in der Zukunft, eure Enkel oder Großneffen drücken euch das neueste Gadget in die Hand und ihr ruft Wikipedia auf. Was steht da wünschenswerter Weise unter Die Höchste Eisenbahn?

MK: Die Höchste Eisenbahn, Band, unten die Alben. "Schau In Den Lauf Hase", "Wer Bringt Mich Jetzt Zu Den Anderen", "Funkstrom" ...

FW: ... "Denn Sie Wissen Nicht Was Sie Tun Sollen."

MK: Genau. Vier Platten. Dann gibt's rechts doch immer diese Charts-Dinger, die aussehen wie Excel-Tabellen. Da fänd ich's ganz geil, wenn was drinsteht (lacht). Eine #16 oder so was.

FW: Dann gibt's Gründungsmitglieder.

MK: Wilking, Krämer, Schröder, Weigt.

FW: Krämer, Schröder und Weigt sind rot. Nur Francesco Wilking ist blau geschrieben.

MK: (lacht laut) Und unter aktuelle Mitglieder stehen dann ganz andere Namen.

FW: Unsere Kinder! Weiß nicht, ich würde mir wünschen ... (pathetisch) dass die Menschen uns nicht vergessen.

MK: "Die Höchste Eisenbahn ist eine deutsche Cloudrap-Band."

"War" oder "ist"?

MK: Ich glaub, "war". Oder eben komplett andere Leute als aktuelle Mitglieder. Das fänd ich schön.

FW: Ich denke, Rap wird einfach nicht sterben, weißt du?

Mit Die Höchste Eisenbahn sprachen Dominik Hochwald und Simon Langemann.

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1 Kommentar

  • Vor 7 Jahren

    Es fehlt die Kritik vom aktuellen Album! Bitte zersägt dass nicht. Es ist super. Gute Musik und gute Texte. Herrlich unaufgeregt und stimmig.
    Die Herbstsonne ist der perfekte Begleiter für dieses Album.
    Wie mit Socken aufm Teppich laufen oder heiß duschen nachdem man völlig durchgefroren vom Fußballplatz kommt.
    Oder draußen im Garten sitzen mit lecker Pils und Grill..
    Richtig gutes Gefühl macht das..