3. Dezember 2020

"Manche sind peinlich, manche nicht"

Interview geführt von

Als "Yung Boomer" bezeichnet sich Dexter aus Stuttgart auf seinem neuen, gleichnamigen Album, und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Der Produzent und Rapper Dexter verbindet er die (ehemalige) Subkultur Hip Hop mit einem Medizinstudium, kennt sich in der Szene seit Jahren aus und kann doch vielem nur wenig abgewinnen. Wir haben uns mit ihm über seinen neuen Job als Vollzeitmusiker, Hip Hop-Opas und persönliche Tracks unterhalten.

Du hast letztes Jahr deinen Job gekündigt, um dich ganz der Musik zu widmen. Auf "Yung Boomer" feierst du das ziemlich, zum Beispiel auf "Holiday". Wie hat sich dein Leben durch diese Entscheidung verändert?

Naja es ist schon alles ein bisschen überspitzt formuliert, diese Abgefeiere. In Wirklichkeit war es jetzt nicht so ein harter Cut, ich hatte mir davor schon Elternzeit genommen, um mal auszuprobieren wie das so ist, nur Musik zu machen. Und auch ob das finanziell und wirtschaftlich überhaupt hinhaut. Ich habe mich an diesen Holiday-Lifestyle also ein bisschen rangetastet. Ich merke auch ganz krass, dass es sehr viel Arbeit ist, vor allem auch so zu Hustlen, dass im Monat genug reinkommt, und es ist natürlich nicht nur alles Holiday aber es ist schon deutlich freier. Nicht in diesem Hamsterrad mit festen Arbeitszeiten zu sein, fühlt sich für mich gerade schon sehr gut an, auch für sich zu arbeiten, alles was man tut macht man eigentlich für sich, das soll dieses Holiday halt auch mit ausdrücken. Dass ich dann auch einfach tun kann was ich will, ist auch so eine Art Freiheit. Fühle mich dabei auch echt gut, ich glaube was sich auch ein bisschen verändert hat ist, dass ich noch ein bisschen entspannter geworden bin. Die letzten Jahre waren voll mit Schichtarbeit und Familie und Musik, jetzt hat sich das alles so ein bisschen aufgelöst.

Ich finde auch in neue Arbeitsfelder rein, weil ich ja auch kein Management und kein Label mehr habe, ich mach das alles selbst. Es fühlt sich einfach gut an neue Tätigkeitsfelder zu haben und Sachen zu verhandeln, selber sein eigener Produktmanager zu sein und alles selber entscheiden bei der Kampagne. Keiner quatscht dir rein, wie man sein Album promoten will und wie nicht, und ich bin da schon so ein bisschen eigen, und hab auch kein Bock da alles mitzumachen und so, ja, von daher, es hat sich schon was verändert, aber es war nicht plötzlich sondern es hat sich so nach und nach eben so ergeben. Da ich nicht mehr im Krankenhaus arbeite, habe ich eben auch Zeit mich um all die ganzen anderen Sachen zu kümmern. Es war jetzt nicht der Grund, dass ich mich mit meinem Label und Management zerstritten habe, überhaupt nicht, aber ich kann einfach alles jetzt selber machen und ja, das ist meine Art von Holiday (lacht). In Holiday, also in Urlaub gehen, kann ich aber gerade nicht, nicht nur wegen Corona. Aber sonst passt's schon.

Du hast es gerade schon angesprochen, du hast jetzt dein eigenes Label. Kam das im Zuge dessen dass du jetzt wirklich alles komplett selber machen willst, oder waren das zwei verschiedene Geschichten?

Das eine hat das andere so ein bisschen bedingt, weil dieses "prodbydexter" ist ja einfach nur der Name von meinem YouTube-Kanal und da gibt's jetzt noch ein kleines Logo dazu. Vielleicht entwickelt sich da auch mal mehr draus, aber im Endeffekt ist es jetzt einfach nur ein kleines Logo unter dem ich erscheine, ich bin aber als Einzelkünstler bei einem Vertrieb. Das Label das früher dazwischengeschaltet war, WSP, gibt's da jetzt nicht mehr. Und da ich erstens mehr Zeit habe, dadurch dass ich nicht mehr im Krankenhaus bin, und zweitens mehr Geld brauche, kann ich keine Anteile mehr irgendwie irgendjemandem abgeben. So gerechtfertigt die Anteile auch waren, in meinem Fall. Es war alles immer korrekt und cool, aber ich dachte einfach jetzt habe ich Zeit diesen Label- und Management-Teil selber zu übernehmen und habe mittlerweile auch genug Erfahrung. Mein Netzwerk ist groß genug im ganzen Musikbereich, ich kenn genug Leute, mit denen ich zusammenarbeiten kann, von denen ich Grafiken bekomme oder Videos oder was auch immer, das ich einfach gedacht habe ich mach das selber, dann muss ich auch kein Geld mehr abgeben. Probiere das jetzt einfach mal.

Merkst du schon, dass du jetzt auch Sachen machen musst, die du sonst nicht gemacht hättest, als du noch ein geregeltes Einkommen hattest? Also hast du Ziele wie "Jedes Jahr muss ein Album kommen sonst reicht's nicht?" oder schaust du einfach mal wie es sich entwickelt?

Naja also ich merk's schon, die ganzen Livegeschichten, das war schon eine sehr große Einnahmequelle von mir. Ich hab ja aufgelegt, Beatsets gemacht und auch noch Rapshows, da kam im Monat immer genug zusammen, dass man da ganz gut mit verdient hat. Das fällt natürlich weg, das merk ich jetzt schon. Was ich jetzt mehr mache, sind viele Dienstleistungen, jetzt gerade zu Corona-Zeit. Dienstleister-Tätigkeit wie abmischen, mastern und so weiter. Ich habe mich da glaube auch stark drin verbessert, weil ich das jetzt so viel mache, und es kommen viele Leute zu mir, die ihre Singles und Alben rausbringen und mich danach fragen. Auch weil die wissen wie mein Sound ist und die das gern so ähnlich hätten.

Ich hab halt das Glück, dass ich viele Anfragen habe, die mich ganz gut über Wasser halten. Und auch andere Sachen, so Werbejobs und sowas, was ich jetzt vielleicht eher mache weil ich einerseits Zeit hab und andererseits das Geld halt auch brauche. So die ein oder andere Sache ist bestimmt dabei, die ich früher jetzt nicht gemacht hätte. Nicht, weil ich keine Lust drauf gehabt hätte oder weil ich's blöd fand, sondern einfach weil ich nicht drauf angewiesen war - und auch gar keine Zeit hatte.

Fehlt dir die Arbeit im Krankenhaus manchmal?

Ich denk schon oft zurück und vergesse dabei auch gerne wie stressig das teilweise, wie blöd der Schichtdienst war. Ich denke eigentlich nur an die positiven Sachen, es ist nicht so, dass ich da gegangen bin und dachte "Scheiß-Job, da hab ich kein Bock mehr drauf, ich schmeiß alles hin", das war ja überhaupt nicht so. Ich hab meinen Job ja total gerne gemacht. Aber die Musik hat mir einfach einen Ticken mehr Spaß gemacht und von diesen drei Sachen, Familie, Beruf und Musik war mir klar von was ich mich trennen muss. Da ging halt nur die Arbeit, von der Familie will ich mich natürlich nicht trennen und von der Musik genau so wenig. Und ich kann ja jederzeit in den Beruf zurückkehren, ich bin ja Facharzt mittlerweile, und kann auch in eine Praxis gehen und da ein bisschen familienfreundlicher arbeiten als Schichtarbeit im Krankenhaus, ich hab ja keine Existenzbedrohung oder so, nur weil ich jetzt ja Musik mache, ist ja schon so eine safe Nummer eigentlich. Wenn es mich juckt kann ich jederzeit in den Beruf zurückgehen, ich kann mir auch vorstellen, dass ich das früher oder später mache, zumindest Teilzeit, oder zweimal die Woche oder so. Der Gegenpol ist eigentlich auch ganz gut ist. Bisschen vermisse ich es schon, aber ich genieße gerade die Freiheit auch sehr.

Wenn überhaupt!

Ja, wenn die überhaupt stattfinden! Aber ich will das doch mal noch hoffen. Wie verbringst du die Tage bis dahin?

Ich hab genug zu tun, obwohl ich die Bühne vermisse. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, weil ich als ich mit der Rapsache mehr angefangen habe, auch immer sehr aufgeregt war. Hinterm DJ-Pult gar nicht, davor schon. Also als DJ war das alles cool aber mit Mikrofon alleine schon sehr, ich bin ja auch immer ohne Backup unterwegs.

Am Anfang von Corona dachte ich, das passt und ich werde das schon aushalten. Mittlerweile merke ich aber, dass ich so Lust hab auch mit dem Album auf Tour zu gehen, ich sehe halt dass sich jetzt schon Tickets verkaufen für in einem Jahr obwohl es gerade eine Zeit ist in der sich wahrscheinlich keiner Tickets kauft, und schon gar nicht für in einem Jahr. Aber da freue ich mich umso mehr dass die Leute da schon Bock drauf haben, obwohl das Album noch gar nicht da ist. Und ja ich vermisse es schon und ich werde bis dahin weiter einfach Musik machen und Musik rausbringen. Ich werde mich auch so ein bisschen von diesem Album-Konzept verabschieden und vermehrt Tracks rausbringen. Jetzt habe ich natürlich viel Zeit ins Studio zu gehen das werde ich auch nutzen, das nächste Jahr wird viel Musik gemacht.

Das heißt es kommen noch mehr Remixe von amerikanischen TV-Predigerinnen?

(Lacht) Das war nur so ne spontane Sache. Normalerweise bin ich nicht so der Meme-Musiker, aber in einer WhatsApp-Gruppe von Freunden wurde das rumgeschickt, vormittags, und ich dachte mir schon "Oh das ist eigentlich ganz geil, klingt so bescheuert, und ist auch schon so rhythmisch, da könnte man was Cooles draus machen". Dann hab ich das halt gemacht am Nachmittag schnell und am frühen Abend rausgehauen, und ich dachte halt das finden bestimmt ein paar Leute cool. Aber das es so gut ankam - war ja schon so bisschen semi-viral - war dann schon eher überraschend, wurde auch in irgendwelchen US-Podcasts und so gespielt.

Mich hat's auf jeden Fall abgeholt.

Ich hatte auch voll Bock, das gleich im Club zu spielen, aber ist ja leider nicht möglich.

"Ich weiß safe dass dieser Song jetzt scheiße ist den ich mir anhöre, aber ich muss es mir anhören."

Du hast auf "Yung Boomer" schon mehr Trap gemacht als früher und nicht mehr so diese souligen Samples benutzt. Was inspiriert dich?

Das mit trappig - ja ich finde es zeitgemäßer, sag ich mal, aber trotzdem ist es noch warm und soulig. Klar nicht auf Samplebasis, aber das liegt auch daran, dass ich in den letzten zwei Jahren auch versucht habe, mir Piano-Skills anzueignen und auch ganz viel selber zu spielen. Auch so Jazz-Sachen - ich mein das ganze Album sind eigentlich Jazz-Akkorde und Akkordfolgen und Jazz-Tonarten - auch wenn es halt teilweise mit Synthies und so Sachen verpackt ist. Aber du hörst an den Outros und an den Interludes, dass das auch sehr jazzig wird, auch wenn's zeitgemäß trappig ist. Es sind so zwei drei Tracks so entstanden, dass ich alles selbst komponiert habe, und dann dachte ich, das ist ein gutes Soundbild, das wollte ich beibehalten und nicht so durchmischen wie ich das vielleicht sonst öfter gemacht habe. Ich wollte, dass das Album eher einen Vibe hat von vorne bis hinten. Und dadurch ist das jetzt so geworden. Es stimmt schon vom Tempo ist vieles in einer gewissen Temporange drin. Das liegt aber auch daran das ich das aus einer Rapperspektive sehr mag, diese ganzen Trap-Patterns und Rhythmen sind halt tausendmal interessanter als über 92 BPM Beat immer gleich zu rappen. Klar da kann man auch unterschiedlich rangehen, aber das jetzt lässt einem so viele Freiheiten bei Geschwindigkeit, triolisch und gegen den Takt und was auch immer, das wird ganz schnell sehr nerdig aber das macht mir halt sehr viel Spaß. Auch mit Pausen und Adlibs, deswegen hat sich das auch mehr in diese Richtung entwickelt. Es sind auch andere Sachen entstanden, andere Tempo-Dinger, die kommen jetzt halt so nach und nach raus, die haben nicht so aufs Album gepasst, da hab ich auch sehr viel gesampled. Aber jetzt das Album war schon so bisschen der Sound.

Aber ich glaube ich hab schon drauf geachtet, dass es nicht irgendwelche Vier-Ton-Trapmelodien sind, die jeder macht, sondern dass es halt trotzdem noch organisch und jazzig rüberkommt. Eigen zumindest. Aber ich hab mich schon auch am Zeitgeist orientiert, deine Frage war ja was das inspiriert: Ich hör sehr viel zeitgeistigen Rap, bin auch Fan von BHZ und Lugatti und 9ine, die mag ich genauso gerne wie irgendwelches altes Zeug, mein Ziel ist halt immer so bisschen mein eigenes Ding zu machen, so bisschen alt und neu, um halt nicht so auf einen Zug aufzuspringen sondern was eigenes, zeitloses draus zu machen. Aber ich bin einfach auch immer an neuen Sounds und neuen Sachen interessiert, das läuft immer zwangsläufig mit ein. Wenn du dir die Alben anhörst, auch die Instrumentaldinger, das war ja immer auch irgendwie einen Entwicklung, würde ich zumindest behaupten. Und ich würde heute auch gar kein zweites Jazz Files oder Trip mehr so hinkriegen, weil ich einfach weiter gehe, klar nicht alle Künstler, aber bei mir ist das so. Ich hab ja auch irgendwelche House-Sachen gemacht, oder Technosongs, alles halt immer so mit meinem Stempel, und so würde ich das auch bezeichnen. Zu der Phase: Jetzt habe ich sehr viel kontemporären Rap gehört, aber auch ganz viel Jazz. Jazz deswegen, um mir die ganzen Chords beizubringen und Akkordfolgen und Piano spielen und so. Das waren so die beiden Hauptdinger, die zu dem geführt haben wie das halt klingt.

Du meintest gerade BHZ, Lugatti, 9ine findest du spannend, die beiden letzten sind ja auch auf deinem Album. Irgendwo rappst du "Ich steh auf Symba und auf Lakmann". Das sind ja schon die großen neuen Namen, die gerade auch viel Aufmerksamkeit bekommen. Gleichzeitig hast du auch so Tracks wie "Freitag", auf dem du schon ein bisschen resignierst angesichts einer Szene, die sich auch super krass zerfasert. Es gibt diesen endlosen Output, der immer wieder kommt. Was stört dich denn, was sind Entwicklungen die du nicht nachvollziehen kannst?

Also ich finde, klar wenn man sich Rap von 1995 anhört und du streng bist, dann würdest du auch sagen, es hört sich alles irgendwie ähnlich an, die haben auch alle ähnliche Drumbreaks benutzt und so weiter, es klingt aktuell halt alles noch gleicher. Dadurch dass bestimmte Drumsounds für jeden locker verfügbar sind durch Splice und was es für Anbieter halt gibt, wo du dir Drumsounds runterladen kannst und du übers Internet sofort rausfinden kannst, welche Snare hat der benutzt, gut die besorg ich mir auch und benutz die auch, und dadurch sind die Sounds so krass ähnlich. Was mich dann immer so verdutzt ist, dass ich überhaupt nicht mehr unterscheiden kann, welcher Produzent welchen Beat gemacht hat, es könnte alles der eine gemacht haben und es könnte aber auch alles der andere gemacht haben, die Machart der Beats ist so krass vorhersehbar und so gleich. Alles hat plötzlich ne Flöte oder klingt so und so. Spannend wird's dann immer wenn es Leute gibt die da so bisschen rausbrechen und die sich zwar dieser Sachen bedienen - wie Lugatti und 9ine - aber die dann trotzdem noch ihr eigenes Ding da mit rein bringen. Ihren eigenen Charme, wie BHZ auch, oder Kwam.E find ich ganz cool und Naru und so weiter, ist natürlich auch sehr aktuell, aber hebt sich trotzdem ab von diesem ganzen Modus Mio Einheitsding.

Ich bin halt so jemand den das alles interessiert, ich weiß safe dass dieser Song jetzt scheiße ist, den ich mir anhöre, aber ich muss es mir anhören. An Freitagen, an denen ich bisschen mehr Zeit habe, hör ich mir auch die Release Radar Sachen an und die ganzen Neuheiten wie Deutschrap Brandneu. Ich hör mal so rein, was geht denn gerade so, und dann denke ich mir, das hätte ich mir so krass sparen können. Ich hätte einfach darauf warten können, was meine Bubble durch Instagram Stories oder so mit vorschlägt.

Aber ja es ist halt immer diese Masse, die an diesen Freitagen kommt, da kommen dann so hundert, hundertzwanzig Songs jeden Freitag, allein Deutschrap, und du denkst es ist eine Wand an Informationen, und da frag ich mich auch, wieso beschäftigst du dich damit überhaupt, du findest eh das meiste nicht so prickelnd aber ich weiß auch nicht woher das kommt, das versuche ich auch in diesem Song so auszudrücken, dass ich halt immer noch interessiert bin was passiert denn gerade, und dass ich halt auch mitreden kann, im Positiven wie im Negativen, aber zumindest dass ich recherchiert habe, was es überhaupt ist. Ich möchte keiner dieser Hip Hop-Opas werden, die nur auf die Jugend schimpfen und überhaupt nicht wissen was so abgeht. Ich versuch mich da so bisschen zu informieren, und das ist halt manchmal schmerzhaft an Freitagen.

Beim Thema Hip Hop-Opa: Bis zu welchem Alter kann man noch unpeinlich Rapper sein?

Hmm. Ich glaub das lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Es gibt viele alte Hasen, die noch ihre Musik machen und nicht peinlich sind, aber es gibt auch genau das Gegenteil. Ich glaub halt wenn Leute den Bezug dazu verlieren, was sich gut anhört und was unpeinlich ist - manche haben halt das Gespür dafür und können das, manche nicht. Beispiel Toni L, der macht halt genau das, was er immer gemacht hat und er macht das mit so einem Charme, ich mag das, weil der ist kein Typ, der auf die Jugend schimpft, der bringt dann halt einfach auf Spotify noch Instrumental und Acapella mit seinen letzten Singles raus, und das ist halt so krass sympathisch. Er ist halt was er ist, und das finde ich halt unpeinlich. Ich persönlich, andere denken das vielleicht anders, aber er macht das auf seine Art. Da gibt es andere alte Hasen, ich will jetzt da keine Namen nennen, die mal richtig hype waren und jetzt auch so seltsame Musik machen und auch auf so seltsamen Ideologien aufspringen wo du dich dann einfach fragst: Hast du früher auch schon so ein Mindset gehabt und ich hab dich als Kind so krass gefeiert und jetzt das? So Sachen halt. Wenn Leute betonen sie sind jetzt erwachsen und machen erwachsene Musik und machen dann ganz komische Musik.

Manche sind peinlich und manche nicht, aber viele aus der goldenen Deutschrap-Ära sind halt einfach nur noch peinlich. Was mich stört ist, dass die oft auf die Jugend schimpfen, das klingt halt wie so ein peinlicher Opa der halt einfach draußen ist und der aufhören sollte Musik zu machen. Und das merken viele nicht, wann es Zeit ist aufzuhören. Ich würde mich so einschätzen, dass mir das auffallen würde. Wenn ich merke, es ist so ein bisschen cringiger Rapsong den ich da gemacht habe, oder ich würde mich so entwickeln, dass ich dann einfach mehr Instrumentalsachen mache, oder für andere produziere, oder als Labeltyp ein Label gründe, also dass ich halt in einer anderen Art und Weise mitmische bei dem Ganzen, aber nicht als Protagonist. Jetzt fühlt es sich noch nicht so an, aber wer weiß.

Also auf Tiktok sind schon so Sachen, die peil ich nicht mehr so ganz und find ich komisch, diese ganz krasse Selbstdarstellung bei Tiktok, was bei Instagram ja auch schon hart ist, aber Tiktok ist noch ne Nummer weiter. Ich glaube da kommen halt auch noch Sachen, die man einfach nicht mehr rafft wenn man noch älter wird, und das ist einfach normal auch. Aber es ist wichtig, das zu erkennen und damit auch cool zu sein und seinen Fokus halt ein bisschen anders auszurichten. Ich bin jetzt auch schon 37 - ne 36 - ne wie alt bin ich? 37! Es ist aber ja nicht mehr so wie früher, als Hip-Hop so ne Nischenkultur war, sondern es ist jetzt einfach ein Mainstream Ding, und wenn du in die USA schaust da gibt es trotzdem noch Fünfzigjährige, Sechzigjährige die auf Hip Hop-Konzerte gehen, und das ist einfach eine normale Musikrichtung. So wird das hier auch immer mehr sein, da wird es einfach in der Gesellschaft drin sein und so wie damals irgendwelche Eltern "Sweet Home Alabama" oder was weiß ich was gepumpt haben, gibt's bestimmt dann safe irgendwelche Eltern die halt zum Sechzigsten noch nen schönen alten Fler-Song anmachen (lacht). Das wächst ja auch mit, von daher wächst auch der Punkt ab, dem er so richtig peinlich wird, auch mit.

Okay, ja. Ich bin auf jeden Fall auf die goldene Hochzeit mit Fler gespannt.

"Mitleid-Songs finde ich schwierig."

Noch ein ernsthafteres Thema: Du öffnest dich mit "Apoplex", dem letzten Track auf "Yung Boomer", deutlich mehr als man das aus deiner Musik bisher kannte. Du beschreibst einen Schlaganfall den du während eines Auftritts mit Torky Tork hattest. Hast du noch Nachwirkungen?

Nein, also bisschen Migräneattacken, was ich vorher nicht in der Form hatte, aber sonst ist alles soweit im Lot, und das Wiederholungsrisiko ist auch extrem gering. Wahrscheinlich war es was Angeborenes und hatte nichts damit zu tun, dass irgendwie meine Gefäße kaputt waren oder aus Lifestyle-Gründen oder so. Ich nehme an, dass Stress schon ein bisschen beigetragen hat, aber im Grunde ist alles cool. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Ich glaube daher habe ich diesen Track auch überhaupt gemacht. Ich war mir bis zum Schluss unsicher, ob ich den aufs Album packe, wie du sagst ist der schon sehr persönlich, aber dadurch dass ich den glaube so angepackt habe, dass es jetzt kein so ein krasser "Ich drücke auf die Tränendrüse"-Song ist, sondern so bisschen mit meinem Humor und auch eher positiv und hoffnungsvoll. Vielleicht sogar partymäßig, da kann man ja auch ganz gut Moshpit machen wahrscheinlich, und deswegen habe ich mich entschieden den draufzupacken, und auch als letzten Song. So Sachen finde ich echt immer schwierig, aber es ist ja kein Song wo man Mitleid erzeugen will, so Songs wo man so auf die Tränendrüse drückt, finde ich immer schwierig. Bei dem Song, ich glaube der hat bei ein paar Leuten denen ich den gezeigt habe schon Gänsehaut ausgelöst, aber auf eine positive Art.

Für mich ist das auch eher so ein Storyteller der halt eine Geschichte erzählt, die jetzt deine ist. Aber kein so sehr gefühliger Track.

Genau.

Ich weiß nicht genau wann das war, aber hast du seither bei Auftritten ein mulmiges Gefühl gehabt?

Ich hab mich schon eine ganze Weile geschont und nichts gemacht und war da auch ständig in Kontrolle. Ich merke überhaupt nichts so richtig davon, aber meine Angst davor ist da, wenn Kopfschmerzen oder Nackenschmerzen auftreten, dann denke ich schon immer dran, das ist schon so ein Film der da immer abgeht. Da kommt das schon immer mal hoch, aber das geht auch vorbei und diese Momente werden auch seltener. Man lässt das so langsam hinter sich.

Willst du in Zukunft mehr so bisschen persönliche Tracks machen?

Ich glaub das war tatsächlich nur so ein Fragment, ich glaub ich hab sonst in meinem Leben keine größeren Probleme, und dafür bin ich auch sehr dankbar. Ich hab mit keinen Depressionen zu kämpfen oder mit irgendwelchen anderen Sachen, womit halt viele Leute auch wirklich zu kämpfen haben, was auch deren Tracks dann wirklich erklärt, warum die vielleicht persönlicher sind, oder mit dem sie sich dann auch was von der Seele schreiben wollen. Ich wollte das einfach mal so runterschreiben und dachte auch der Song ist cool, den hau ich aufs Album, aber seither habe ich nichts mehr in der Art geschrieben. Ich hab auf dem letzten Eloquent-Album so ein Feature, der Song heißt "Schaffe Schaffe" und da hab ich mich zumindest mal mit gesellschaftskritischen Sachen auseinandergesetzt, weil Eloquent halt auch so vorgelegt hat.

Mir macht’s aber einfach am meisten Spaß einfach noch ein Instrument auf dem Beat zu sein. Weißt du ich sehe Musik machen als ich bin auch nur eins der vielen Instrumente mit meiner Stimme auf dem Track und insgesamt ist mir der Vibe viel wichtiger, nicht jedes Wort hat so krass Gewicht. Sondern dass so dieses Gesamtding gut wird, ich glaube, das ist auch der Grund, dass sich viele Leute damit auch identifizieren können oder es ihnen dann ein gutes Gefühl verpasst. Ich bin jetzt auch nicht der Typ der die ganzen politischen Themen so krass anspricht, aber nur aus dem Grund, dass ich es nicht so gut kann, das auf einen Song dann zu verpacken. Das können andere einfach viel besser. Ich versuch meine Reichweite dann eher in den sozialen Medien auf irgendwelche politischen Themen aufmerksam zu machen, und dann nutze ich eher diese Kanäle. Deshalb bleibe ich glaube weiter bei meinem Ding, ich mache auch meistens Musik wenn ich mich gut fühle, und dann kommen halt Gut-Fühl-Songs bei raus. Wenn ich schlecht gelaunt bin, dann mache ich meistens keine Musik. Das geht gar nicht.

Du hast ja am Anfang schon gesagt, dass du bei Auftritten als Rapper früher zumindest sehr aufgeregt warst. Hast du ne Präferenz, was macht dir am meisten Spaß auf der Bühne?

Ich meine Rappen hat schon seine Vorzüge, jetzt auf der letzten Tour wenn du da vor 700 Leuten im Uebel & Gefährlich, oder in Köln ausverkauft und so weiter, das ist schon auch geil. Aber ich glaube, ich mag es am meisten aufzulegen. Also viele Aufleggigs mag ich gar nicht (lacht), aber wenn es mal richtig gut funktioniert und die Leute sich auf mich einlassen und nicht zu viele Wünsche haben, sondern mich machen lassen und offen sind für verschiedene Musikrichtungen. Wenn ich auflege, kommt dann ein 70er Jahre Brasil-Song und dann kommt ne Trap-Nummer und dann was Oldschooliges und dann ne House-Nummer und ich mix das dann alles, so dass das miteinander verschmilzt. Wenn ich es halt schaffe, so durch diese verschiedene Musikstile durchzugehen, ohne dass es zu abgehackt ist und die Leute auch noch mitgehen und das verstehen, das ist das Allergeilste. Aber diese Momente gibt's nicht so oft. Manchmal lege ich irgendwo auf, wo die Leute einfach nur Partyhits nach ihren Spotifylisten hören wollen, und da wiederum macht es mir nicht so Spaß, wie wenn ich jetzt in Locations auflege, wo die Leute eher Bock haben, so wo alles bisschen nischiger ist. Da finde ich es aber so perfekt, dass ich fast nichts geiler finde als so ne Art von Auflegen.

Du bist ja auch einer der Weininfluencer im deutschen Rapgame. Welchen Wein kannst du für triste Lockdown-Abende empfehlen?

Also wenn es um triste Abende geht dann ist wahrscheinlich eher Rotwein gut, Weißwein ist ja immer dieses fröhlichere Getränk. Ich finde mit einem Primitivo allgemein von egal welcher Firma kann man nicht so viel falsch machen, Primitivos schmecken meistens ganz gut, das sind so sehr volle Rotweine, schwer, trocken. Wenn du ne spezielle Firma willst, kann ich auch immer den guten Moritz Haidle, also Weingut Haidle empfehlen, mit dem ich ja auch so bisschen ne Kooperation hab. Da gibt's den Zweigelt vom Haidle, der ist top. Den kann ich für triste Lockdown-Abende empfehlen, aber auch sonst.

Schön, vielen Dank für den Tipp und das Interview.

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