laut.de-Kritik

So konzentriert, so kurz und so gut wie lange nicht mehr.

Review von

30 Jahre Deftones. Ein guter Anlass, um mal einen Blick auf eine lange Karriere zu werfen. Das Kultur-Mag Uproxx nahm dies zum Anlass und ließ Chino Moreno noch einmal alle Alben in ein paar Sätzen zusammenzufassen. Heraus kam überraschend viel Selbstkritik und wenig Zufriedenheit über das bisherige Schaffen. Das Debüt "Adrenaline" sei unreif, die Aufnahmen zum selbstbetitelten Album stammten von einem dunklen Ort, an den er sich nie wieder zurück wünscht. Die Aufnahmen zu "Saturday Night Wrist" und "Gore": kompliziert und leidenschaftslos.

Sogar Gitarrist Stephen Carpenter gab schließlich zerknirscht zu, dass er während der Aufnahmen zu "Gore" einfach nicht komplett bei der Sache war. Moreno beschrieb das Album im Nachhinein als "zu gehetzt". Immerhin auf "White Pony" - heute längst als Klassiker des modernen Metal anerkannt - sei die ganze Band immer noch stolz, wobei man damals unter der mangelnden Anerkennung der überforderten Fan-Base gelitten habe.

Also die bekannte Schwarzmalerei, wie das Goth-Cover von "Ohms", das an das Konterfei der 80er-Wave-Ikone Siouxsie Sioux und ihr markantes Kajal-Make-Up erinnert. Die verstärkte "Präsenz" aller Bandmitglieder, so Chino im erwähnten Artikel, soll auf "Ohms" endlich wieder zu voller Konzentration und - Achtung - "Spaß" geführt haben.

Spaß, das bisher große Fremd- und Reizwort im Deftones-Kosmos, genau wie überbordende Harmonie. Die sonst nach außen dysfunktional wirkende Band als quietschvergnügte Kumpel-Vergnügungsfahrt ist jedenfalls ein Gedanke, den man als Fan erst mal sacken lassen muss, zumal der Disput 2006 sogar noch offen und für alle hörbar im Song "Hole In The Earth" ausgetragen wurde: "I hate all of my friends / I'm out" gab der Sänger seinen Kollegen damals als Mittelfinger-Gruß mit auf den Weg.

Die Reibung zwischen den so unterschiedlichen Charakteren erzeugt allerdings neben Fast-Auflösung noch immer den Energie-Impuls für diese spezielle Band. Wie in "Pompeji", das mit Chinos Begeisterung für sphärische 80er-Sounds und Carpenters präziser Gitarren-Arbeit einfach eine großartige Dynamik erzeugt. Ohm(s), die elektrische Einheit, passt somit als Symbol perfekt zu dem knisternden Spannungsfeld.

Kurzschlussgefahr herrscht auch auf dem brachialen "Uratia", dass mit seinen "Creeping Death"-Riffs an die rohe Trash-Metal-Phase von Metallica erinnert. Bevor es aber zu breitbeinig klingt, setzt Moreno wieder seinen schwelgenden-sehnsüchtigen Gesang ein, den er schon selbst mit dem seines Idols Morrissey verglich. Die große Besonderheit der Deftones bleibt schließlich auch die Verletzlichkeit, die sie stets vom Machismo der Metal-Konkurrenz unterschied.

Das Songwriting der Band klang schon lange nicht mehr so druckvoll wie auf "Ohms". Vielleicht liegt es auch an Carpenters neuestem Baby: Eine neunsaitige (!) ESP-Gitarre. Dieses Kunstwerk, wie er es bezeichnet, präsentierte er schon vor zwei Jahren stolz auf Instagram und ist auch im Video zu "Ohms" zu sehen. Es mag daher Einbildung sein, aber so wuchtig klang bisher nur der Erdbeben-Sound von Korn oder die Dampfwalzen-Wand von Slipknot, die dafür aber mehr als einen Gitarristen benötigen.

Auch Soundtüftler Frank Delgado bringt wieder verstärkt Sound-Experimente ein. Verfremdete Vogel-Klänge, trippige Hip Hop-Sounds, perlende Electro-Geräusche oder eben in "Genesis" ein analoger Vangelis-Sound, der bedrohlich und unheilvoll wabert und genau zum Einstieg von Chinos markerschütternderem "I reeeeejeeect"-Shout so weit in Sirenen-Gefilde vordringt, dass es physisch und mental angenehm weh tut. Ein bisschen Selbstverletzung-Atmosphäre wie zu Teenager-Zeiten tut schließlich jedem Deftones-Album gut. Auch klar: Wenig Fans befinden sich aktuell noch in dieser jugendlichen Phase zwischen Selbsthass und Tränen, aber "Ohms" lässt einen herrlich in dieser Erinnerung schwelgen. Das ist Emo-Musik in ihrer brutalsten Form.

Ein Song wie "Error" klingt so entschlossen, als ob die Deftones gerade im Reset-Modus wieder irgendwo zwischen dem Debüt und "Around The Fur" neu anfangen. Eine beeindruckende Selbstsicherheit zeichnet den Song und genau genommen das ganze Album aus. Eine wundersame Wechselstrom-Erfahrung zwischen aufjaulenden Feedback-Noise-Attacken und einem Chino Moreno in Topform, der so vital klingt, als ob er wieder als Skater-Kid jede Pipe im Sturm erobert. Die nuancierte Gesangsleistung auf diesem Album gehört zu seinen besten Leistungen. "This is our time" stand in einem der ersten Teaser zum Album, also wir zusammen gegen die Welt. So kann es (wieder) funktionieren, vor allem mit Terry Date an der Seite, der schon bis 2003 die prägendste Phase der Band als Produzent begleitete.

Es gibt kaum Leerlauf, keine auf halbem Wege zerfaserte Idee, dafür fast im Übermaß: Energie und Emotionen, die man den Deftones auch endlich wieder abnimmt. Klar im Kopf, aber dennoch unverkrampft blenden die Kalifornier sämtliche Ego-Störgeräusche aus. Ihr kürzestes Album gehört gleichzeitig zu ihren Meisterwerken. Ob dieses Level bei so einem komplexen und stark individuellen Band-Konstrukt gehalten werden kann, erscheint fraglich. Für den Moment ist dieser Gedanke aber einfach völlig egal.

Trackliste

  1. 1. Genesis
  2. 2. Ceremony
  3. 3. Urantia
  4. 4. Error
  5. 5. The Spell of Mathematics
  6. 6. Pompeji
  7. 7. This Link Is Dead
  8. 8. Radiant City
  9. 9. Headless
  10. 10. Ohms

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