laut.de-Kritik
Furchtbarer Lärm. Stellt das ab!
Review von Manuel BergerDie Rolling Stones? Sex, Drugs and Rock'n'Roll. Metallica? Metal up your ass. Death? Na, ratet mal. Man kann wohl guten Gewissens behaupten, dass keine andere Band ihr namenverwandtes Genre derart geprägt hat wie das stetig wechselnde Kollektiv rund um Chuck Schuldiner. Im Grunde ist es wie bei Huhn und Ei: Ob nun Band oder Genre zuerst da war, spielt eigentlich gar keine Rolle.
Letztendlich machte Death vor allem die konstante Entwicklung so einflussreich, die Chuck Schuldiner zeitlebens vorantrieb. Nicht ein einziger Abschnitt sorgte für Legendenstatus, sondern mehrere. Es ist ein bisschen wie bei Metallica: "Kill 'Em All", der ungestüme Erstling, als kompromissloses Thrash-Referenzwerk. "Master Of Puppets" als erwachsen gewordenes Herzstück der Diskographie. Das schwarze Album, das das Metal-Genre nachhaltig revolutionierte. Meilensteintauglich sind alle drei, "Ride The Lightning" obendrein. Die berühmte Qual der Wahl. So auch bei Death: "Leprosy", "Spiritual Healing" oder am Ende doch "Scream Bloody Gore"?
Das Debüt, gerne als das erste "echte" Death Metal-Album überhaupt bezeichnet, besticht mit roher Knüppelei, das abstoßende Gore-Konzept spiegelt nicht nur die Musik hervorragend wider, sondern inspiriert auch noch eine ganze Menge Peers. Songschreiberisch offenbaren sich im Vergleich zu den Nachfolgern allerdings doch Defizite. Gegen die technische Komplexität, die besonders ab "Spiritual Healing", Deaths "Master Of Puppets", Einzug in die Kompositionen hält, kommt "Scream Bloody Gore" nicht an.
Doch warum nun "Leprosy"? Als Bindeglied zwischen der Grundsteinlegung mit "Scream Bloody Gore" und dem köpflerischen "Spiritual Healing" qualifiziert sich das Album zum Schlüsselelement der Diskographie. Es hievt den Gräueltatensound des Debüts auf ein neues Level und überbietet dieses in quasi allen Punkten: Die Vocals sind kraftvoller, die Riffs schneidender, die Strukturen ausgefeilter, das Instrumentalbett anspruchsvoller. Exemplarisch dafür steht "Pull The Plug", dessen Main-Riff ankommt wie eine monströse Mutation des "Scream Bloody Gore"-Stücks "Sacrificial". Gerade diese Optimierung der Brutalität ebnete den Weg für den progressiveren Ansatz der Folgescheibe. Erbarmungsloser ging es schlichtweg nicht mehr. Neues musste her.
Stürzen wir uns also endlich ins Verderben. Bereits während der aufsteigenden Dreitonleads des einleitenden Titeltracks spürt man förmlich, wie die Krankheit langsam den Körper entlang kriecht. Ein Stilmittel, das im Verlauf des Albums noch häufiger auftauchen wird. Genau wie die pythongleich umschlingenden Palm-Mute-Sechzehntel und hämmernden Doublebass-Salven, das Slayer-Kreischen an der Gitarre und reingrätschende Tempowechsel. Beständig wandeln Death auf ihrem Grat zwischen Schleudertrauma, Groove und Melodik.
Statt stumpf draufloszuprügeln schlägt man Haken. Ewig sprunghaft verfolgt Chuck Schuldiner das Konzept seiner Texte auch in der Musik. Mal droht alles ins Chaos abzurutschen, in anderen Momenten versucht das kranke Hirn, im Angesicht des Todes krampfhaft die Kontrolle über seinen Körper zurückzugewinnen. Schuldiner röchelt von gesellschaftsisolierten, titelspendenden Lepraopfern, Totgeburten und erflehter Sterbehilfe, er pendelt zwischen Hoffnungsaufgabe, Trotz, Verzweiflung und Wahnsinn, während er als omnipotenter, aber teilnahmsloser Beobachter seine Marionetten dirigiert. "There is no hope – why don't you / Pull the plug?"
Wie immens Schuldiners Rolle innerhalb der Band ausfällt zeigt nicht nur das über die Jahre massiv rotierende Line-Up mit ihm als einzige Konstante. Auf "Leprosy" soll der Leader neben seinen Gitarren-, Vocal- und zu gewissem Grad mit Rick Rozz geteilten Songwriting-Duties außerdem die ursprünglich Terry Butler angerechneten Bassspuren übernommen haben, da dieser damit wohl technische Probleme hatte. Dasselbe Spiel setzte sich später bei "Spiritual Healing" fort.
Der wegweisende Anspruch Deaths ist untrennbar an die Vision Chuck Schuldiners gekoppelt. Der setzt sie um, komme, was wolle, und die Leute folgen ihm. Jedenfalls bis er sie feuert oder Zerwürfnisse oder anderweitige Verpflichtungen den Ausstieg provozieren. 1987 reißt er drei Viertel der Massacre-Besetzung an sich (die auf "Leprosy" aktiven Rick Rozz, Bill Andrews und Terry Butler), nur um sie im Lauf der nächsten drei Jahre wieder loszuwerden.
Trotzdem zerbrechen Death daran nicht, sondern liefern, im Gegenteil, kontinuierlich Qualität ab, bis sich Schuldiner entscheidet, die Band aus künstlerischen Gründen zugunsten seines Control Denied-Projekts hintenanzustellen. "Leprosy" markiert den Moment, der früh alle Fäden dieser beispiellosen Karriere verknüpft. Manche führt das Album fort, manche entspringen hier, manche sind im Enden begriffen. Das liefert auch den Grund, warum wir in diesem Rahmen vom Zweitling, nicht von "Spiritual Healing" sprechen. Darauf mag Schuldiner zwar einige dieser Fäden noch dicker gesponnen haben, andere hat er aber schon wieder gekappt.
Auf "Leprosy" darf zwischendurch das Hirn auch einfach nur Matsch sein und in seiner Suppe rotieren. Etwa, wenn in schnörkelloser Thrash-Tradition "Born Dead" hereinmäht, die Tachonadel testet und dabei die rar gesäten Melodieeinsprengsel beinahe überrollt. Technischer Anspruch beschränkt sich hier einzig auf die Speed-Seite. "Left To Die" dagegen geht selbst in den Riffs melodisch vor und schaltet im Mittelteil zurück, um das dort gebettete Solo nicht nur dem Timecode nach als Herz und Zentrum des Songs zu etablieren. Dessen pulsierende Bögen wiederum ebnen den Boden für ein furioses Palm Mute-Finale, das nicht zuletzt wegen Chucks höchst anmutigem Klageseufzer im Gedächtnis bleibt.
Seinen solistischen Höhepunkt erreicht "Leprosy" kurz vor Schluss in "Primitive Ways". Hier verknüpft die Gitarre sozusagen the best of both worlds: Während die erste Hälfte auf Harmonie bedachte Tapping-Salven loslässt und mit prägnantem Orient-Einsprengsel unterfüttert (das auch die Herren von Nile recht gelungen fanden), würgt und quält man im Nachhinein den Tremolohebel, als müsse man im Text thematisierte Kannibalenpraktiken in Dissonanzen übersetzen. Funktioniert prächtig.
"Freedom is just a breath away", meint Chuck im abschließenden "Choke On It". Nur, um dann selbige Illusion zu vernichten und stattdessen ein auswegloses Folterszenario zu zeichnen. Der Bass knattert unter langsamen Leads hindurch, Bill Andrews dirigiert am Schlagzeug durch das tödliche Gewinde. Bedrohliche Tom-Fills lauern in den Low-Tempo-Parts, Doublebass-Gruppen legen die Basis für erstaunlich eingängige Vocalpassagen. Noch einmal führen Death vor, warum bis heute, fast 30 Jahre später, keine andere Band den Status als Galionsfigur des Death Metal übernommen hat.
Es mag seitdem und auch parallel weitere Acts gegeben haben, die die Entwicklung der jeweils unterschiedlichen Ausprägungen des Genres stärker beeinflusst haben, etwa Opeth und Meshuggah im Progressiven oder Cannibal Corpse im Horror/Gore. Doch kaum jemand führte im Lauf seiner Karriere mehrere dieser Stränge zusammen, wie Chuck Schuldiner und Death es taten. "Leprosy" steht dafür exemplarisch. Um auf die anfängliche Huhn/Ei-Plattitüde zurückzukommen: Völlig egal, ob nun Death oder Death Metal zuerst existierte: Für die weitere Entwicklung brauchte es beide.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
11 Kommentare mit 20 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
schwer. sehr schwer.die ersten 3 alben sind alle steinwürdig und dürfen eigentlich in keiner gescheiten dm sammlung fehlen.
kann mich da wirklich nicht entscheiden.
wenn ich allerdings nen musikabend mache und irgendwan anständig aufgetankt bin, ist es am ende dann halt doch immer die "scream bloody gore"
Dann vertraue ich Dir da mal und führe mir das heute Abend zu Gemüte, scream bloody gore, bin eh in Death-Stimmung.
gibt ja alle 3 bei yt im stream, wird schon was für dich dabei sein.
whut, habe apple Abo und bereits geloadet.
Yo, mittlerweile gehört. Gefällt mir gut, aber nicht hervorragend. Habe danach direkt eine meiner damaligen Lieblingsplatten aus dem Genre gehört, Morbid Angel mit "Altars of Madness", geiles Album.
Bzgl. Death werde ich jetzt mal mit TSOP weitermachen.
Sodi, Du bist hier genrefremd, wat geierst Du rum?
morbid angel, der war echt nicht schlecht hörst du dann zwischendurch auch burzum oder wexelst du wieder das genre und pumpst progressive-rock?
generell kann man nie genug (frühe) burzum hören. progressive-rock hingegen
Verstehe Deinen Punkt immernoch nicht, Sodi. Wat ist mit Morbid Angel?
Burzum klingt nach der Beschreibung nicht so passend für mich.
Prog-Rock ist insgesamt auch nicht meins, außer einige ATDI-Sachen.
lass es lieber
Ne, Sodi soll sich mal erklären und nicht so wirr rumschnattern.
ich nehm dir deine plötzlich auftretende metal-affinität nichtmal ansatzweise ab. du bist hier doch noch genrefremder als im hh
Ach so, darum geht es Dir. Ob Du mir das abnimmst, oder nicht ist doch völlig wumpe. Und jetzt zieh Leine, dahin wo Du etwas beitragen kannst. Hier störst Du nur.
lauti, der musikalische Weltbürger...überall und nirgendwo zu Hause.
War ja klar, dass unser Craze hier auch noch rumochsen muss.
Naja, durch deine tolle Mail hast du mich natürlich erstmal hellhörig gemacht. Bin da natürlich beim Sodi, du bist genrefremd hoch 10.
Haha, ja, das war ein Fauxpas. Bzgl. genrefremdheit ist mein Name halt Programm, ihr Überchecker.
Habe das Ding hier auch schon im Kindergarden gerockt, als meine peers gerade Mal die gemeine Rassel harmonisch für sich erschlossen hatten.
Von Herr Death kam zu Lebzeiten daher auch die ein oder andere Würdigung meiner gebildeten Meinung zu seinem Schaffen. Sollte klar sein, hm.
Death-Meilenstein war echt lange überfällig. Bemerkenswert auch, dass Chuck nie auch nur Durchschnittsalben geschaffen hat. Mein Favorit bleibt aber TSOP.
Welches Album letzten Endes zum Meilenstein erhoben wurde, ist mir eigentlich auch wurscht. Death sind eine der wenigen Bands, bei denen kein einziges Album enttäuscht hat. Gerade dies macht Schuldiners frühen Tod auch umso tragischer - welche phantastischen Kreativergüsse er wohl noch in petto gehabt hätte, steht leider in den Sternen (Besten Dank ans US-"Gesundheitssystem"...). Gelungene Rezi übrigens...werd mir die Tage nochmal schön die Ohren verprügeln lassen.
Richtig gute Band!
Die Symbolic ist ganz cool. Ist leider auch die erinzige mit Gene Hoglan
https://de.wikipedia.org/wiki/Individual_T…
oh, sieh mal an. danke für den hinweis.