laut.de-Kritik

Konfrontation mit dem Ekel dieses übersättigenden Zeitalters.

Review von

In einer kurzen Erzählung von Horror-Altmeister Junji Ito bringt eine Schallplatte mit besonderen B-Seiten Hörer aufgrund ihres eigenwilligen Klangs gänzlich um den Verstand. Sammler und Plattenhändler steigern sich im Laufe der Geschichte in eine blutrünstige Raserei, um besagte Platte in die Hände zu bekommen, einfach nur, da diese so vollkommen außerirdisch, so vollkommen vereinnahmend anders klingt.

Suchte man nach einer Band, die man für eine Realverfilmung auf diese Platte pressen wollte, dann wären es die Death Grips. Seit 2011 das Mixtape "Exmilitary" den ersten Hype in der Untergrund-Szene auslöste, wurden die radikal experimentellen Projekte des kalifornischen Trios Synonym zur musikalischen Grenzerfahrung, zur Suche nach dem nächsten Extrem. Der unkategorisierbare Wahnsinn, der ekstatische Horror ist nun seit fast einem Jahrzehnt Kern und Markenzeichen des Trios aus Sacramento.

Nach dem bahnbrechenden Erfolg von "The Money Store", "The Powers That B" oder "No Love Deep Web" könnte der neueste Wurf dahingehend nun der Moment der Ermüdungserscheinung sein. Der Moment, an dem die Mischung aus HipHop, Industrial und Punk, von experimentellem Rock und Electro, sich endgültig als Gimmick entpuppt und der Schockwert das Chaos nicht mehr zu einer stimmigen Erfahrung trägt. Doch wie jedes neue Album der Band klingt auch "Year Of The Snitch" nach Neuland. Death Grips haben eine ganze Salve neuer Ideen im Köcher.

Ein sinnvoller erster Anhaltspunkt ist bereits das surreale Cover-Artwork, das ein Gefühl von Ekel und ungestümer, körperlicher Klaustrophobie impliziert. Als verbinde die Platte die Ästhetik von nacktem Brutalismus mit der Absurdität des Internet-Zeitalters und den ungeschönten Abgründen des Menschen. Dieser Vibe findet genau so auch in der Musik statt. Grundlage dafür sind beschwingte, teils unerwartet spielfreudige Rock-Grooves, die auf Tracks wie "Death Grips Is Online" oder "Little Richard" mit synkopierten, dissonanten Elektro-Arpeggios zu bedrängenden Sound-Wällen angereichert werden. Variationen im frenetischen Drumming von Zach Hill und den maximalistischen Soundkulissen von Flatlander beherrschen so große Fragmente der Platte, dass sich zu keinem Moment ein Gefühl wirklicher Stetigkeit einstellen will.

Eine Überforderung, die auf Titeln wie "Flies" klar als Treibstoff für die emotionale Dichte genutzt wird. Reizüberflutung, irgendwo zwischen kalifornischer Metro und Glasfaserleitung, dazwischen der menschliche Ekel. MC Ride brüllt und zetert und poltert und wütet seine Rapparts und Hooks, ohne dass jemand verstünde, was er da eigentlich kommunizieren möchte.

"I'm at Glow Bowl, in a wet fuck hole / Where the 1994 hobos throw / 69's and the bitches shout", heißt es auf "Hahaha", oder "Like scream of a haunted jetty / Let me be a haunted jetty / Cross I cry banshee like manic falcon / Shrill like losing time on Shasta Mountain" auf "Dilemma". Temporeich und extrem rhythmisiert pulsieren diese irgendwo im Mix vergrabenen Vocals zwischen den sich wieder und wieder abwechselnden Beatbreaks. Die Dichte ist kaum zu fassen, aber in ihrer Intensität beeindruckend.

Zwischendrin taucht dann auch mal ein Vocalsample unbekannter Herkunft auf, in dem ein Typ "I don't know, dude, I just drink blood, dude" zu Protokoll gibt. "Year Of The Snitch" macht klar: Es geht nicht um Verständnis, schon gar nicht um Verarbeitung. Es geht um die Konfrontation. Mit dem Ekel, mit dem Unvermögen, mit der bedrängenden Überwältigung dieses völlig übersättigenden Zeitalters.

In einem der zahlreichen dynamischen Songübergänge zitiert "Flies" mit "I've Seen Footage" und "System Blower" gleich zwei klassische Tracks aus dem Katalog, entrückt sie aber ihrem Pop-Appeal zugunsten eines ungreifbaren Soundwalls. Auch Charles Manson – der bereits im Intro von "Exmilitary" gesamplet wurde – taucht vor allem in Form von Linda Casabian auf, die im Track "Linda's In Costudy" vermutlich Pate für die namensgebende "Snitch" steht. Casabian wurde als Mitglied der Manson Family im Prozess gegen Manson als Kronzeugin verwendet. Im späteren Verlauf stellt "Shitshow" geradezu die Kernthese auf. Programmatisch wie kaum eine andere Nummer komprimiert sie verzerrte Gitarren, flüchtige, aber starke Eindrücke und Elektro-Glitches zu einem erschlagenden, aber eingängigen Rhythmus.

"Year Of The Snitch" ist organischer, vielseitiger, nutzt Genre-Vielseitigkeit mehr als je zuvor, um eine exzentrische Dramaturgie zu schaffen. Die Platte greift trotz vermehrter Scratches weniger auf Hip Hop zurück als das Gros ihrer früheren Platten. Vielmehr scheinen Zach Hills Math-Rock-Wurzeln oder Flirts mit experimentellem Psychedelic Rock einen Vordersitz einzunehmen. Mit "Death Grips Is Online", "Hahaha" oder "Little Richard" sind natürlich auch wieder ein paar absolute Banger in der Tracklist.

Das Phänomen Death Grips bleibt auf "Year Of The Snitch" so undurchschaubar wie faszinierend – und dürfte in dieser Hinsicht weiterhin Inspiration für die Horrorgeschichten in einem Zeitalter nach Junji Ito oder Charles Manson bieten.

Trackliste

  1. 1. Death Grips Is Online
  2. 2. Flies
  3. 3. Black Paint
  4. 4. Linda's In Custody
  5. 5. The Horn Section
  6. 6. Hahaha
  7. 7. Shitshow
  8. 8. Streaky
  9. 9. Dilemma
  10. 10. Little Richard
  11. 11. The Fear
  12. 12. Outro
  13. 13. Disappointed

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1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 5 Jahren

    yots ist verdammt schwer zu bewerten. längst nicht so "edgy" wie ihre anderen werke, dafür ist der sound noch mehr wacked out. es gibt krasse highlights wie black paint, aber trotzdem bekommt man das gefühl nicht los, dass das album zu gimmicky ist. musik muss immer noch spass machen und ins ohr gehen. mir ist das alles zu "noisy", zu chaotisch, zu zerfahren. yots ist ihr "weissestes" album. aber okay, mein lieblings dg album ist eh das minimalistische und düstere no love deep web. verursacht keine grossen kopfschmerzen und man versteht mc ride besser. ich tendiere bei yots eher bei einer 3/5

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