laut.de-Kritik

Raus aus der Komfortzone, hin zu neuen stilistischen Horizonten.

Review von

Bei Deaf Havana hat sich seit ihrem letzten Longplayer "Rituals" aus dem Jahre 2018 einiges getan. 2019 erschien mit "Live At Brixton Academy" ein Live-Album. Ein Jahr danach entschlossen sich die Bandmitglieder, getrennte Wege zu gehen. Kurz darauf schlug Corona zu - die Briten hatten keine andere Wahl, als das Musikmachen kurzzeitig ganz an den Nagel zu hängen.

Doch Matty Veck-Gilodi gab nicht auf und schrieb weiter an neuen Songs, so dass er und sein Bruder James nach einigen chaotischen Monaten wieder aufeinander zukamen. Die beiden trafen den Entschluss, als Deaf Havana weiterzumachen und begaben sich in ein Studio in Hastings, um zusammen mit Hot Chip-Produzent Mike Horner an einem neuen Album zu arbeiten. Das trägt den Titel "The Present Is A Foreign Land" und kommt nun auf den Markt.

Textlich geht es auf dem Werk recht ernst, aber auch recht abwechslungsreich zur Sache. In "19dreams" wagt James einen Rückblick auf seine von Alkohol geprägte Teenager-Zeit, in "Going Clear" geht es um die Abhängigkeit von dieser Droge. "Trying/Falling" handelt dagegen vom Kampf mit der Liebe und von scheinbar verlorener Zeit. In "Nevermind" singt James über den eigenen Selbstwert, gibt sich aber auch tieftraurig dem Liebeskummer hin.

Mit "Pocari Sweat" beginnt die Scheibe mit viel Piano und R'n'B-mäßigem Gesang recht ruhig. Mit "19dreams" und "I Put You Through Hell" gibt es dann zwei poprockige Nummern, wobei der Fokus glücklicherweise mehr auf rockigen Tönen liegt. Der erstgenannte Track besticht mit einem stürmischen, jugendlichen Refrain. Im zweitgenannten Stück kommt durch postpunkige Gitarreneinschübe und düstere Klavier-Klänge gar ein wenig Gothic-Flair auf, was den Briten gut zu Gesicht steht. Noch dunkler fällt "Nevermind" aus, das mit Akustikgitarren-Sounds und zurückhaltendem Gesang sparsam beginnt, nach und nach jedoch in immer orchestralere und emotionalere Gefilde vordringt und sich gegen Ende zu einem finsteren Trauermarsch entwickelt. Keine leichte Kost, die die Briten hier kredenzen.

Dafür wartet danach mit "On The Wire" eine beschwingte Formatradionummer mitsamt souligen Chören im Refrain. Massentaugliche Momente bleiben aber im Gegensatz zum Vorgänger, der zu viel gefälligen Einheitsbrei zu bieten hatte, eher die Ausnahme denn die Regel. Nur "Help" schießt mit euphorischen "Oh-oh-oh"-Chören im Refrain etwas zu sehr über das Ziel hinaus.

Die größte Überraschung stellt wohl "Someone/Somewhere" dar, bekommt man es doch mit einer lupenreinen Elektro-Pop-Nummer zu tun, für die sich Deaf Havana das Londoner Singer/Songwriter-Duo IDER ins Studio geholt haben, was wunderbar funktioniert, wenn man dem tollen Wechselspiel aus männlichen und weiblichen Vocals lauscht.

Als Höhepunkt des Albums erweist sich das treibende, an frühe Arcade Fire erinnernde Titelstück, das von einem grandiosen Spannungsaufbau lebt und in einem stürmischen Finale mit majestätischen Bläsertönen mündet. Danach hört man zwar mit "Kids" und "Going Clear" zwei recht mediokre Nummern, die, wenn man die textliche Ebene ausblendet, kaum bleibenden Eindruck hinterlassen, aber dafür macht der soulige und unheimlich schmissige Abschlusstrack "Remember Me" diesen kurzen Anflug von Langeweile fast wieder vergessen.

Letzten Endes bewegen sich die Gebrüder Veck-Gilodi raus aus ihrer poprockigen Komfortzone, in der sie es sich auf "Rituals" all zu bequem gemacht haben, um ihren stilistischen Horizont gelungen zu erweitern. Zwar wird sich zeigen müssen, inwieweit das Album den Test der Zeit besteht. Jedoch darf man gespannt sein, wohin die musikalische Reise auf den nächsten Platten geht.

Trackliste

  1. 1. Pocari Sweat
  2. 2. 19dreams
  3. 3. I Put You Through Hell
  4. 4. Nevermind
  5. 5. On The Wire
  6. 6. Trying/Falling
  7. 7. Someone/Somewhere
  8. 8. Help
  9. 9. The Present Is A Foreign Land
  10. 10. Kids
  11. 11. Going Clear
  12. 12. Remember Me

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