22. November 2013

"Du musst böse schauen!"

Interview geführt von

Ein gut gelaunter Bandleader erzählt über Konzeptkunst, Maschinenmusik, den Tod des Rock'n'Roll-Lifestyles, Maipulation und Spaß dabei und, warum er seine Musik lieber selbst bei YouTube hochlädt, bevor es andere machen.

Ziemlich kaltes Wetter herrscht in Oberhausen. Im Walzenlagerkino haben sie bereits die Sitze rausgerissen. Sammeln sie da Feuerholz für den Winter? Aber nein, es sollen nur De Staat auftreten. Die Zuschauer stehen auf abschüssigem Hang in einem kleinen Raum. Eine merkwürdige Atmosphäre, die dem später stattfindenden Konzert aber sehr gut tun wird.

Wer jemals einen Auftritt der Niederländer gesehen hat, weiß: Diese fünf Verrückten kredenzen Erlebnisse der ganz besonderen Art. Mitte September haben sie ihr drittes Album "I_Con" veröffentlicht und befinden sich nun auf Deutschlandtournee. Als ich eintreffe, sind De Staat schon eine Weile im Haus und lärmen fröhlich ein paar Soundcheck-Songs runter. In ihrer Heimat gut im Geschäft, kamen sie bei uns bisher nicht über den Geheimtipp-Status hinaus. Der gut gelaunte Bandleader Torre Florim nimmt sich trotzdem reichlich Zeit für laut.de

Ihr habt eine interessante Entwicklung hinter euch. Du hast das erste Album im Alleingang eingespielt und dann erst weitere Musiker dazugeholt?

Ja, das erste Album hab' ich komplett zu Hause aufgenommen. Zwei Mikrofone, ein Laptop, das wars. Während der Aufnahmen habe ich festgestellt, dass ich den Kram wohl auch mal auf die Bühne bringen wollte. Ich hatte vorher schon mit einigen Musikern live gespielt, die hab' ich dann dazu geholt. Seit diesem Zeitpunkt sind wir eine Band. Das zweite Album haben wir schon zu fünft aufgenommen.

Und mit einer Maschine.

Ja, das sollte das Konzept der Platte sein. Wir als Band hatten und haben diesen Maschinensound, viele kleine Komponenten, die einen Gesamtsound ergeben. Es sollte wie ein großer Motor klingen. Und ich wollte gerne als Symbol eine große Maschine mit auf der Bühne haben, mit sich bewegenden Teilen, die einen Beat vorgeben. Ein großes Rad hab' ich mir vorgestellt. Dann bin ich auf die Suche nach Künstlern gegangen, die so etwas machen und habe Geert Jonkers gefunden. Er war von der Idee mit dem Rad nicht so angetan, fand das zu klischeehaft. Dann haben wir uns etwas Neues überlegt und heraus kam diese Maschine. Er hat sie gebaut.

Auf dem neuen Album "I_Con" habt ihr euch wieder etwas verändert und mehr mit Keyboards gearbeitet als vorher. Hat sich das so entwickelt oder war das geplant?

Ich finde, man sollte immer versuchen, etwas anders zu machen als auf dem jeweiligen Vorgängeralbum. Mit "Machinery" hatten wir unseren Sound grundsätzlich festgezurrt. So klingen De Staat. Also lag es nahe, neue Einflüsse und Klänge hinzuzufügen. Wir hatten vorher auch schon Synthesizer, aber dezenter und mehr, um Basslinien zu spielen.

Jetzt ist alles voll mit Keyboardflächen.

Ja. Ich hab' mich von Science Fiction-Filmen inspirieren lassen, so wie dem Soundtrack zu "Blade Runner". Und von den Titelmusiken all dieser alten Fernsehserien, die ich gerne gesehen habe. "Knight Rider", "Airwolf" oder die animierte "X-Men"-Version. Die haben alle diese coolen kitschigen Sounds drin und gefallen mir inzwischen wieder. Tja, und da dachte ich, es wäre eine gute Idee, mal damit rumzuspielen. Außerdem wollte ich mehr afrikanische Rhythmen und die Gitarre anders verwenden als vorher. Daraus sind die ersten Demos entstanden, und den Rest haben wir bei den Proben zusammengesetzt. Irgendwann hast du dann Songs, von denen du sagst: Okay, das sind sie jetzt, die nehmen wir fürs Album auf. Und dann ging es schnell, wir haben nur zehn Studiotage gebraucht.

Dieses Mal seid ihr nach Frankreich zum Aufnehmen gefahren. Ist das dort billiger?

Es war ein echt gutes Studio und hat nicht viel gekostet, ja. Außerdem lag es in einem abgeschiedenen Dorf. Man konnte da nicht viel machen als sich auf die Musik zu konzentrieren. Aufnehmen, schlafen, frühstücken, wieder aufnehmen.

Wie, frühstücken? Was ist denn aus dem Rock'n'Roll-Lifestyle geworden? Gibts den nicht mehr?

Ich befürchte, der Rock'n'Roll-Lifestyle ist genau das: harte Arbeit. Das haben wir getan, schnelle Entscheidungen gefällt und direkt umgesetzt. Nach den zehn Tagen hatte ich noch eine Woche zu Hause, um die Vocals aufzunehmen. Ich war ein bisschen in Panik, weil wir das Mixing schon gebucht hatten, und ich dachte: Was, wenn ich jetzt eine Erkältung kriege? Hat im Endeffekt gut funktioniert, war aber wirklich kein Spaß.

"Mit kleinem Publikum kannst du Schabernack treiben"

Jetzt seid ihr wieder auf Tour. Gibt es einen Unterschied, in den Niederlanden oder in Deutschland zu touren, mal abgesehen von der Größe des Publikums?

Die Menge der Leute ist der große Unterschied. Zu Hause kommen zwischen 500 und 1500 Zuschauern, hier würden wir uns schon über 100 Leute freuen.

Ich mag eure Einstellung, was das angeht. Vor zwei Jahren hab' ich euch in Frankfurt vor 40 Gestalten gesehen, aber ihr habt alles gegeben.

Insgeheim mag ich es, vor wenigen Leuten zu spielen. Jedenfalls, wenn der Club nicht riesengroß ist, denn dann fühlt es sich sehr seltsam an. Aber sonst ist das cool. Du kannst jedes Gesicht sehen und jede Reaktion und gezielt Schabernack mit den Leuten treiben. Wenn man es richtig macht, entwickelt sich sofort eine Intimität. Uns hat es bisher immer Spaß gemacht.

Reden wir noch ein bisschen übers aktuelle Album. Ist "I_Con" ein Wortspiel? Aus "I" und "to con" (betrügen, übers Ohr hauen)?

Genauso siehts aus. Ich, der Täuscher und die Ikone. Es geht um Menschen, die als Ikonen gehandelt werden, aber auch nur mit Wasser kochen. Sie erzählen dir nicht die volle Wahrheit, sondern nur den Teil, der funktioniert. So ist es auch mit den meisten Bands. Du bekommst nur zu sehen und zu hören, was Sinn macht. Auch auf der Bühne. Wenn bei einer Metalband der Gitarrist grinst, während er ein fieses Riff spielt, schadet das der Musik. Du musst böse schauen. Ich hab' das mal bei einem Konzert gesehen. Einer der Musiker winkte jemandem im Publikum, danach fiel die Musik auseinander.

Über solche Dinge hab' ich mir Gedanken gemacht. Über Manipulation und wie sie funktioniert. Und heutzutage hat auch jeder eine kleine Ikone von sich im Internet, einen Avatar. Das Bild, das du von dir aussuchst, ist genau das, das du der Öffentlichkeit von dir zeigen möchtest. Es ist deine Entscheidung. Früher waren diese Selbstpräsentationen auf den engsten Freundeskreis beschränkt, heute sind sie überall. Jeder hat einen Marketingplan oder weiß zumindest, sich selbst zu verkaufen. Aber ich meine das nicht negativ, für mich ist das ein Riesenspaß.

Was mir an De Staat besonders gefällt, ist diese Portion Wahnsinn, die ihr mitbringt. In einem Song wie "Witch Doctor" beispielsweise. Was habt ihr euch denn dabei gedacht, wolltet ihr Jumpstyle-Techno und Rockmusik mischen?

So in der Art. Bei uns in Holland war eine Zeitlang Gabber sehr angesagt. Als ich das mal wieder gehört habe, dachte ich: Wäre es nicht lustig, all diese Elemente zu benutzen, aber mit einer Band zu spielen? Die elektronischen Sachen mit Gitarre und Schlagzeug zu imitieren? Das macht irre viel Spaß. Sowas probieren wir gerne aus, und wir spielen gerne mit merkwürdigen Samples rum - da kommen dann diese etwas durchgeknallteren Songs bei raus. So wie auch "Refugee", da haben wir ein paar Trap-Einflüsse verarbeitet. Manche dieser Dinge passieren bei uns bewusst, andere unbewusst.

Was ist dieser Hin-und-her-Gesang in "Down Town"? Hab' ich noch nie irgendwo anders gehört?

Das haben wir auf der letzten Platte auch schon gehabt - allerdings nur mit Gitarren. Ich fragte mich: Warum versucht sowas eigentlich keiner mit Stimmen? Super, damit machen wir die nächste Platte voll, dann wird es zu einem unserer Merkmale.

Am Ende des Albums befindet sich ein Stück namens "The Inevitable End", das du doch wieder alleine aufgenommen hast, unterstützt nur von ein wenig Schlagzeug - und mit dem Cinebrass Orchestra. Was ist das, ein Computerprogamm?

Richtig. Wenn ich es schon benutze, kann ich es auch auflisten. Dann glauben die Leute, es sei ein echtes Orchester. (lacht)

Auflistungen magst du gerne, oder? Im Booklet der CD wird echt jedes verwendete Element aufgeführt, vom Teekessel bis hin zum Händeklatschen.

Ich mag diesen Kram einfach. Wer hat was gespielt und in welchem Song, sowas lese ich total gerne in Booklets. Ist halt was für Nerds. Wie du gesehen hast, haben wir alle Synthesizer aufgelistet. Dasselbe wollten wir mit den Gitarren machen, aber dann konnte sich keiner mehr erinnern, welche wir benutzt hatten. Auf der nächsten Platte dann! Aber das ist eh nur Spielerei. Wichtig ist nicht, welches Gerät man benutzt, sondern wie man es benutzt. Es gibt Gitarristen, die wollen unbedingt vermeiden, dass du siehst, welche Fußtasten sie benutzen. Damit niemand ihren Sound klauen kann. Das ist mir echt egal.

"Ich achte selten auf Text, außer er ist extrem schlecht"

Beim Design der letzten beiden Alben habt ihr euch sehr viel Mühe gegeben und schöne Gesamtkunstwerke abgeliefert.

Wir legen da viel Wert drauf. Entweder ein Design unterstützt deine musikalischen Ideen, oder das Gegenteil tritt ein. Man kann die Musik mit dem passenden Beiwerk um ein Vielfaches stärker machen. Wir wollten von vornherein ein farbenprächtiges Album machen, mit vielen Facetten. Das geht dann weiter über die Beleuchtung bis hin zu den Klamotten, die wir tragen. Letzteres zwar unbewusst, aber ich habe festgestellt, dass ich gerade lieber Kleidung mit vielen Farben trage.

Würdest du dich gegen die Bezeichung Konzeptkünstler wehren?

Ich verstehe, was du meinst, aber das klingt so ... unehrlich. Als würde ich mich verstellen. Wenn du damit meinst, dass jedem Album ein anderes Konzept zugrunde liegt, dann hab' ich damit keine Probleme. Und wenn wir das so weiterbetreiben, werden die Leute irgendwann superneugierig auf die neuen Alben werden. Jede Platte sollte ihren eigenen Charakter haben. Für mich muss Musik so sein: Dieses Album ist ein Apfel, jenes eine Banane und ein drittes vielleicht ein Broccoli. Unterschiedlich farbige Äpfel gibt es schon genug. Aber unterm Strich muss es sich immer um Lebensmittel handeln.

Ein interessanter Ansatz. Wie wichtig sind dabei die Texte?

Bei der eigenen Musik sind sie mir sehr wichtig, aber bei anderer Leute Songs achte ich selten auf den Text, um ehrlich zu sein. Es sei denn, der ist extrem schlecht. Ich persönlich möchte aber cooles Zeug singen, deshalb gebe ich mir Mühe damit. Und klar, da versteckt sich auch die eine oder andere Message drin. In "Witch Doctor" geht es um Quacksalber, "Make Way For The Passenger" handelt von Drogen. Ich kenne ein paar Leute, die sich in ihnen verloren haben und dann mit diesem selbstbetrügerischen Argument ankommen, es sei das, was sie wirklich wollten. Dieses Gefasel vom freien Willen - und letztlich bist du doch bloß ein Abhängiger.

Glaubst du, der Typ aus dem Video zu "Make Way For The Passenger" war auf Drogen?

Nein, aber da steckt dieselbe Einstellung dahinter. Mir ist alles scheißegal, geht aus dem Weg und lasst mich mein Ding machen, ich will doch nur Spaß haben. Das funktioniert so lange, bis du umgefahren wirst. Irgendwann rächt sich dieses Verhalten einfach. Deswegen haben wir dieses Amateurvideo genommen, es ist ein guter Vergleich zum Thema des Songs.

Ich frage dich jetzt mal nicht, wer dich im Video zu "Devil's Blood" erschießt. Aber ich will wissen, was in dem Koffer ist, ich kann es nicht erkennen.

Es ist eine Pfeife. Es geht um einen Whistleblower. Wir wollten es aussehen lassen wie eine klassische Filmszene mit heftigem Regen und so. Der ältere Herr im Video hat den gleichen Anzug an wie ich. Die Idee war, dass er ein Whisteblower auf der Flucht ist. Und ich bin der Typ von der Regierung oder der Firma, der ihm auf der Spur ist. Am Schluss versuche ich ihn zu erschießen und werde selbst getroffen. Man kann den Whistleblower nicht erschießen, weil die Informationen, die er gesammelt hat, schon längst da draußen sind und man sie nicht mehr zurückholen kann. Ich glaube, das haben nicht viele Zuschauer verstanden. Macht aber nichts. Es ist wichtiger, dass die Bilder zur Atmosphäre des Songs passen.

Zum Schluss: Ihr habt euer komplettes Album auf YouTube hochgeladen. Warum?

Weil ich es lieber selbst mache, als dass es jemand anderes tut. Es landet da sowieso, man kann nichts dagegen machen. So landen die Leute wenigstens bei unserem YouTube-Account. Früher oder später werden die Inhalte eh von YouTube gescannt und Tantiemen an die Rechteinhaber ausgezahlt. Dasselbe mit Spotify. Ich werde mich dem nicht entgegen stellen. Ich benutze es selbst ja auch gerne, aber es ist noch sehr optimierbar. Da fließt zu wenig Geld bisher. Wir können als Künstler nur versuchen, darauf einzuwirken, dass wir von denen zukünftig besser bezahlt werden. Jedenfalls werden wir auch weiterhin Vinyl und CDs für die Leute herstellen, die etwas in der Hand haben möchten.

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