laut.de-Kritik

Pflichtkauf für Klezmer-Sympathisanten.

Review von

Mit unkonventionellen Besetzungen gewinnt man meine Aufmerksamkeit. Und natürlich mit außergewöhnlich guter Musik. Beides vereint David Orlowskys Klezmorim auf "Noema" und sichert sich damit meine gespitzten Ohren. Deren Ansprüche werden vollauf befriedigt, so viel sei vorweg genommen.

Der extrem gefühlvolle Opener "Philomelos" entführt aus dem Stand in die Welt des Klezmer. Das von Per Arne Glorvigen hervorragend gespielte Bandoneon erobert mit seinem wehmütigen Charme mein Herz ebenso wie die nicht minder herzzerreißende Klarinette, das Instrument des Protagonisten.

Ein seelenvolles und facettenreiches Bild eines modernen Klezmer-Verständnisses malen sowohl die Stammbesetzung, die neben Orlowsky aus Florian Dohrmann (Kontrabass) und Jens-Uwe Popp (Gitarre) besteht, als auch die Special Guests, die außer dem erwähnten Bandoneonisten mit Avi Avital an der Mandoline und Iveta Apakalna (Orgel) besetzt sind.

Im Anschluss an "Philomelos" lässt es das Klezmorim herzhaft krachen. Nahe an die Klezmer-Klischees in unseren Köpfen arbeitet sich "Anderland" heran, und Orlowskys Klarinette spielt ihr jauchzendes Potential zum ersten Mal voll aus. Fast wie eine Oud klingt Avitals Mandoline im ostinaten Intro zu "Mazeltov". Die erzeugte Spannung entlädt sich auch hier in heiterer Unbeschwertheit, und das gegen Ende einsetzende Accelerando erfüllt seinen Steigerungseffekt perfekt.

Mir persönlich gefallen die melancholischen Nummern ja besser. Dazu gehört das titelgebende "Noema", das Interlude "Feather", das sich im 3/4 Takt drehende "Hora", das sakral eingeleitete "Luná", das sich im weiteren Verlauf als wunderschöne World-Pop-Jazz-Ballade entpuppt, das ambiente "Lácrima" und der elegische Rausschmeißer "Kelim Zemer".

Irgendwie fühle ich mich an die Seine entführt, wenn "Mexico" als langsamer Walzer durchs Zimmer chansoniert. Dass Mexico sehr weit von Paris entfernt liegt, stört mich dabei nur marginal, ich lasse meinem Kopfkino einfach freien Lauf. Unüberhörbar östlich wird es im Anschluss. Zu "The Ultimate Bulgar" tanzen in meiner Phantasie traditionell gekleidete Paare einen ausgelassenen Reigen.

Ebensolche Bilder lösen der polkaeske "Schelm", "Szep No" und "Balkanplatte" aus. Die klassisch anmutende Orgel, das jazzige Intro und all die anderen Komponenten offenbaren "Lehavi Barosh" als komplexe, fast schon pop-affine Komposition, die Orlowskys Stärke abermals beweist: Mit leichter Hand verbindet er musikalische Traditionen, als habe es nie etwas anderes als 'Eine Welt' gegeben.

"Noema" bedeutet Grundgedanke. Der Klezmer zieht sich als roter Faden durch das gesamte Album und bildet den musikalischen Ausgangspunkt, von dem aus das Klezmorim in See sticht. Souverän steuern Kapitän und Crew die stilistischen Häfen der Weltmeere an, ohne jemals die Orientierung, die "Noema", der Grundgedanke, liefert, zu verlieren. "Unsere Musik könnte man als Kammerweltmusik beschreiben", füllt Orlowsky die Stilschublade des Klezmorim.

Im Gesamteindruck mag der staccative Sechzehntel-Charme, der die schnelleren Stücke ziert und zum Klezmer nun mal dazu gehört, unterschiedlich goutiert werden. Die stilistische Vielseitigkeit und die Souveränität, mit der Orlowsky die eingearbeiteten Traditionen verschmilzt, sind jedoch einzigartig und machen "Noema" zu einem Pflichtkauf für Klezmer-Sympathisanten. Die Virtuosität, die in Komposition, Arrangement und spielerischer Umsetzung aus jeder Note quillt, überzeugt auf ganzer Linie.

Trackliste

  1. 1. Philomelos
  2. 2. Anderland
  3. 3. Noema
  4. 4. Balkanplatte
  5. 5. Mexico
  6. 6. The ultimate Bulgar
  7. 7. Feather
  8. 8. Mazeltov
  9. 9. Der Schelm
  10. 10. Hora
  11. 11. Szep No
  12. 12. Lehavi Barosh
  13. 13. Luná
  14. 14. Lácrima
  15. 15. Kelim Zemer

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