laut.de-Kritik

Ein versöhnlicher Abgesang? Nicht mit Swizz Beatz.

Review von

Auf dem Papier wirkt "Exodus" wie jedes andere schnell nach dem Ableben des Künstlers zusammengeschusterte, posthume Album: Zahllose wild zusammengewürfelte, hochkarätige Features, ausgegrabene Archivaufnahmen als Füllmaterial, und alles einzig und allein aus dem Grund veröffentlicht, die Legacy seines Namensträgers zu barer Münze umzuwandeln. Tatsache ist jedoch, dass DMX sein achtes Studioalbum schon zu Lebzeiten fertig stellte. Es sollte sein großes Comeback werden, seine fast vollständig zum Stillstand gekommenen Karriere neu beleben. Nun ist es sein Vermächtnis. Ein Memorial für einen der exzentrischsten Rapper der 90er und ein Mahnmal dafür, was Drogen und Krankheit aus ihm machten.

Dabei hört man ihm das auf "Exodus" nicht einmal allzu sehr an. Trotz seiner stattlichen 50 Jahre auf dem Buckel klingt DMX immer noch respektive wieder fast so hungrig wie einst. Es wird gebellt, es werden die Zähne gebleckt und es wird geschrien: Der beste technische Rapper war er nie - und daran hat sich auch nichts geändert - sein Charisma hat er über all die Jahre mitsamt ihren Höhen und Tiefen jedoch nie verloren. Inmitten einer Generation von Rappern, die nachhaltig von X's animiertem und überdrehtem Stil geprägt sind, tut es gut, das Original wieder in vorzeigbarer Form zu hören.

Was diese Erkenntnis jedoch deutlich schmälert, ist die Zeit, die X sich selbst gibt, um dies auch zu beweisen. Über weite Strecken von "Exodus" sucht man ihn nämlich vergebens. Auf gerade einmal drei Songs gibt er mehr als einen 16er zum Besten, den Rest der Laufzeit verbringt er weitestgehend damit, sich als Feature auf seinem eigenen Album zu verstecken. Würde er nicht manchmal im Hintergrund sein ikonisches Hundegebell zum besten geben, könnte man fast vergessen, dass er überhaupt da ist. Das die Gäste fast allesamt ihre Arbeit großartig machen, verkommt dadurch fast schon zum Trostpflaster.

Doch Ehre wem Ehre gebührt: Nas liefert mit seinen beiden Beiträgen sein bestes Material seit einer halben Dekade, Wayne flowt fernab des Beats wieder mal in eine andere Dimension, Usher sorgt für einen der emotionalsten Momente der LP, und selbst Trap-Rapper Moneybagg Yo, das einzige postum hinzugefügte Feature, rettet fast im Alleingang einen der schwächsten Songs der LP. Dem gegenüber stehen zwar auch etwas vergessenswertere Gastauftritte wie etwa der von Snoop Dogg oder, allen voran, Bono, aber der Schwachpunkt von "Exodus" liegt an anderer Stelle.

Es fühlt sich fast falsch an, gerade Swizz Beatz, dessen Handschrift sich in DMX' gesamtem Frühwerk findet und dessen Beats Songs wie "Ruff Ryders' Anthem" oder "Party Up (In Here)" zu zeitlosen Klassikern machten, die Schuld für das Misslingen "Exodus" zu geben. Hört man jedoch, wie unbeholfen, gelangweilt und unambitioniert er Track für Track seine Drummachine misshandelt, fällt es schwer, dies nicht zu tun. "Bath Salts" und "That's My Dog" sind vielleicht die gravierendsten Beispiele für seinen eingerosteten Produktions-Stil, der in Tandem mit einer verwaschenen und unsauberen Abmischung eingesessene Rap-Ikonen wie Jay-Z, Styles P, Nas und nicht zuletzt auch DMX selbst wie deplatzierte Freshmen klingen lässt.

An anderer Stelle recycelt er mit überschaubarem Effekt Waynes "Uproar"-Beat ("Dogs Out"), oder bastelt eine schmalzige 2000er Plastik-Pop Zeitkapsel als Fundament für Bonos Altherren-Gesülze ("Skyscrapers"). Nochmal: Wüsste man es nicht besser, müsste man meinen, dass dies nicht mit Einwilligung von DMX geschah. Wenn Swizz dann allerdings mal ein Glücksgriff gelingt wie mit den gehetzten Halloween-Keys auf "Money Money Money", zeigt sich im Umkehrschluss DMX von seiner repetitivsten und nervtötendsten Seite.

Und trotz all dem gibt es sie doch, die wenigen Momente, in denen Produzenten und MCs sich nicht gegenseitig im Weg stehen. Auf dem Griselda Posse-Cut "Hood Blues" harmonieren sie sogar ganz prächtig miteinander. Das namensgebende Lee Mason-Sample liefert die perfekte Grundlage für den Trash-Talk der Raubeine im Geiste von der Griselda-Crew, zu deren Roster sich DMX am Ende mit Recht dazu zählt. ("It's Westside, Conway, X, and Benny the Butcher"). Ein ähnlich stimmungsvolles Miteinander ist auch auf dem souligen "Walking In The Rain" und mit kleineren Abstrichen auf "Hold Me Down" zu beobachten.

Und dann ist da noch "Letter To My Son (Call Your Father)", der emotionale Schlag in die Magengrube, der das Album abschließt. Mit Exodus meint Earl Simmons nämlich nicht nur den Aufbruch im biblischen Sinne, er widmet sein letztes musikalisches Lebenszeichen auch seinem ältesten danach benannten Sohn. "And I don't know what you thought about my use of drugs / But it taught you enough to not use them drugs", rappt er da und plötzlich liegt der Kampf mit der Abhängigkeit, den DMX seit seiner Jugend vergebens führte, schwer auf der Seele. "I love you boy", seine letzten Worte, ehe ihn Ushers Wehklagen und weinende Violinen gen Himmel tragen.

Während DMX mit "Exodus" über weite Strecken genau das kanalisiert, was ihn als Künstler ausmacht, produziert sich Kurator Swizz Beatz selbst ins Abseits und tritt damit unweigerlich auch ein Stück weit das Erbe, das dieses Album darstellt, mit Füßen. Es hätte wirklich versöhnlich enden können, stattdessen bestätigt einen das letzte Unterfangen des Dark Man X in dem Gedanken, einen der ganz Großen verloren zu haben, und bringt die ernüchternde Gewissheit, dass der zweite Frühling, den er damit anstrebte, wohl ausgeblieben wäre. Aber das ist irgendwo auch in Ordnung, schließlich hat Earl Simmons in den 90ern und frühen 2000ern so viel für Hip Hop getan, dass es für zwei Lebzeiten reicht.

Trackliste

  1. 1. That's My Dog (feat. The LOX & Swizz Beatz)
  2. 2. Bath Salts (feat. Jay-Z & Nas)
  3. 3. Dogs Out (feat. Lil Wayne & Swizz Beatz)
  4. 4. Money Money Money (feat. Moneybagg Yo)
  5. 5. Hold Me Down (feat. Alicia Keys)
  6. 6. Skyscrapers (feat. Bono)
  7. 7. Stick Up Skit (feat. Cross, Infrared & Icepick)
  8. 8. Hood Blues (feat. Conway, Westside Gunn & Benny The Butcher)
  9. 9. Take Control (feat. Snoop Dogg)
  10. 10. Walking In The Rain (feat. Nas, Denaun & Exodus Simmons)
  11. 11. Exodus Skit
  12. 12. Letter To My Son (Call Your Father) (feat. Usher & Brian Joseph King)
  13. 13. Prayer

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4 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 2 Jahren

    Wirklich grausam wird dann das nächste posthume Album auf dem nur noch Archivmaterial mit 30 Features garniert wird

  • Vor 2 Jahren

    Puh, "hold me down" ist ja schonmal recht blass, leider. Alicias Part beschränkt sich auf reingeworfene Halbsätze, schade.

  • Vor 2 Jahren

    Sehr selten, dass ich mit einer Review hier übereinstimme, aber die Schwächen des Albums sind hier wirklich gut herausgearbeitet. Das Mixing ist wirklich unterirdisch und klingt nach einem DatPiff Underground Tape. Ist das Kunst oder Gleichgültigkeit? Und ich kann mich einfach nicht mit dieser besonderen Sorte Araabmuzik Beat anfreunden, diesem gerade noch am Arrhythmischen verbeischrammenden MPC Geklöppel. Das sagt mir weder im Original zu, noch in der Imitation durch Swizz Beatz.
    Es ist natürlich immer noch eine Freude, X zuzuhören, aber das Album braucht schon sehr viel Nostalgie, um eine Daseinsberechtigung zu haben.

  • Vor einem Jahr

    eine reine Unverschämtheit seitens Swizz Beatz und Verantwortliche. Die Diskographie von Earl "DMX" Simmons steht für sich. Doch dieses "Album" fungiert als das genaue Gegenteil: im Sinne der Beats, der Gesamtproduktion und vor allem im Sinne des Mixings. Ich bin Fan seit Tag 1 und dieses Album schmerzt und verletzt...einfach weil es dem Schaffenswerk und Qualitätsanspruch von DMX nicht gerecht wird. Da helfen auch keine (hingerotzten) Feature-Parts namhafter Künstler. Das einzige schöne an dem Album ist das Cover-Foto und einige intime Momente von X, die sich in den (wie gewohnt) ehrlichen und authentischen Texten von ihm zeigen. Möge er in Frieden ruhen.