laut.de-Kritik

Tod durch Überdosis Tee? Von wegen.

Review von

Es gab Zeiten, in denen hätte ich einiges darauf gesetzt, dass ein neues Album von Curse genau die Platte ist, die ich in diesem Moment gebraucht habe. Sie liegen lange zurück. Die Jahre zogen ins Land, "Uns" und "Die Farbe Von Wasser" kamen und gingen wieder, ohne arg sauer aufzustoßen, aber auch ohne mir besonders viel gegeben zu haben.

"Jetzt hörst du wieder diese Stimme." Sie beschert mir instant Flashbacks und, huch!? Auch nach inzwischen mehreren Tagen intensiven Nachdenkens darüber krieg' ich noch immer nicht so recht zu fassen, warum sich vieles, das mich an Rapper-Comebacks normalerweise des Todes nervt, hier so durch und durch richtig anfühlt. Technischer Stillstand, Selbstzitate, öffentlich seelische Wunden lecken, "erwachsen werden", zum Teufel, nostalgische Rückgriffe auf (vermeintlich) bessere Tage, dabei trotzdem Kalendersprüche des Kalibers "Schau nach vorne, nicht zurück" droppen ... ehrlich?

All das hätte ich jeder anderen Rap-Mumie um die Ohren genauen. Mit Schmackes. Warum, bitte, sitz' ich jetzt hier und grinse unentwegt? Ich versteh', wie gesagt, nicht so richtig, warum, fühle mich aber angemessen abgeholt. Von der ersten Sekunde an klingt Curse wie zu seinen - für mich - besten Zeiten. Nach sechs Jahren Pause steht er wieder am Mic (respektive sitzt er da, wie er unlängst im Interview erzählte), als wäre seit "Von Innen Nach Aussen" kein Tag vergangen.

"Wenn du traurig bist, weil die Frau, die du liebst, dich verlässt und weg ist", recyclet er in "Sonne" sogar seinen eigenen, inzwischen verdammte 23 Jahre alten Einstieg, zu allem Überfluss verbrämt mit einem Udo Jürgens-Sample und Cuts, so oldschool, als kämen sie ebenfalls aus dem letzten Jahrtausend ... Frechheit! Dass das alles nicht vollkommen hängengeblieben wirkt, muss wohl daran liegen, wie meilenweit dieser Mann schon seinerzeit dem Feld voraus war. Wer flowt, als sei die deutsche Sprache eigens dafür ersonnen worden, in Form verschachtelter Reime über Beats zu perlen, rennt damit halt heute immer noch in der Spitzengruppe mit, auch wenn er den gleichen Scheiß wie damals macht.

Oberflächlich betrachtet, wirkt vieles wirklich so, als täte Curse genau das. Allein schon seine Featuregäste: Patrice war um die Jahrtausendwende schon am Start, Moses Pelham sowieso, und wie anno dunnemals kooperiert Curse mit Italo Reno & Germany. Dass sich da mit Shogoon noch ein vierter Mindener reingeschummelt hat: nur konsequent, wenn das Thema "Zuhause" heißt, auch wenn auch er das seine längst anderswo gefunden hat. "Zu groß für meine kleine Stadt", ja, wir Provinzkinder fühlen das, "zu klein für meine großen Ambitionen".

Die Hooks, die auch der letzten vernagelten Dumpfbirne klarmachten, dass Rap Soulmusik ist (oder zumindest sein kann), in besonders beseelten Momenten sogar Gospel, diese Hooks sang seinerzeit Xavier Naidoo. Den lässt Curse glücklicherweise in der Versenkung, in der er verschwunden ist, seine Präsenz bisse sich auch erheblich mit den unmissverständlichen politischen Statements aus "Anunnaki Flow". Mannheims durchgeschossener Sohn fehlt aber gar nicht: Seven und Fayan erledigen seinen Job mit genauso viel Hingabe und ganz ohne das Geschwurbel.

Um zu ahnen, dass Curse' "Unzerstörbarer Sommer" ein Trip die Memory Lane hinunter wird, hätte man aber gar nicht so genau auf die Gästeliste gucken müssen. Die Tracktitel hätten gereicht. "1994" entpuppt sich, wenig überraschend, als Rücksturz in genau jenes Jahr, "bevor der ganze Scheiß passiert ist". Als junge, dumme Jungs, die Köpfe voller Bullshit, mit Wu-Tang im CD-Player und Masta Ace auf Repeat, den Sommer ihres Lebens hatten. Allzu leicht hätte das wie ein halb verklärtes, halb weinerliches, vergreistes Früher-war-alles-besser-Lamento klingen können. Curse kriegt aber so mühelos wie elegant die Kurve nach 2024, "nachdem der ganze Scheiß passiert ist".

Statt in Bedauern darüber, etwas in den Nebeln der Zeit verloren zu haben, lässt er in dem vagen, aber erfreulichen Gefühl zurück, dass jedes Jahr, jeder Lebensabschnitt, seine denkwürdigen Momente hat, die verdienen, als "Snapshots" ins Langzeitgedächtnis zu wandern, zum ewigen Gedenken und zur künftigen Erbauung. So wie "1994" der funky Bass, geben hier nach einem A-cappella-Einstieg Klavier und blecherne Drums den nostalgischen Ton vor. Curse lässt Erinnerungsfetzen aufblitzen, angenehme wie dunkle. Bilder, Szenen, Sounds, Gerüche fügen sich wie Mosaiksteinchen zu der gar nicht so wahnsinnig neuen, deswegen nicht weniger richtigen Erkenntnis: Die Summe seiner Erfahrungen, guter wie schlechter, definiert einen Menschen.

Erfahrung hat Curse zweifellos eine ganze Menge, und in der Vergangenheit ja auch hin und wieder dazu tendiert, die durchaus zeigefingerig weiterzugeben. Das unterschwellig Belehrende, Moralisierende, das mir auf seinen letzten Alben immer leise auf die Nerven ging: Auf "Unzerstörbarer Sommer" fehlt diese Attitüde komplett. Curse lässt zwar immer noch an seiner Entwicklung und den Erkenntnissen, die er unterwegs gewonnen hat, teilhaben. Man fühlt sich aber nicht mehr ungefragt gecoacht dabei, sondern unverbindlich eingeladen, eigene Schlüsse zu ziehen. Oder auch nicht.

Bestes Beispiel hierfür liefert die Zweieinigkeit aus "Overdrive" und "Slow Down". Curse beschreibt da schmerzhaft offen, wie sich das Leben auf der metaphorischen Überholspur für ihn angefühlt hat: ein atemloser Trip Richtung Burnout. Inzwischen gereift und in jeder Hinsicht weiter, rät er im zweiten Teil seinem getriebenen jüngeren Ich: "Lern' einfach, langsamer zu laufen." Auch wenn er damals wahrscheinlich zu gehetzt gewesen wäre, um dem weisen Onkel überhaupt zuzuhören.

Indem er sich selbst adressiert, vermeidet Curse geschickt, ungefragt an sein Publikum hinzuklugscheißern, und weil so der Laber-mich-nicht-voll-Abwehrreflex wegfällt, kriegt er seine Message auf diese Tour wahrscheinlich sogar effektiver in die Köpfe seiner Zuhörer*innen: Entspann' dich, wird schon alles. Respektive: "Ich bin hier, den Rest finden wir schon."

Ein ähnlicher Grundton herrscht in "AVCL", kurz für "a vibe called love", oder in "Alles Wird Sich Lohnen", letzteres ein Plädoyer dafür, auch negative Erfahrungen zu umarmen, weil: Wer weiß schon, wofür die irgendwann noch gut sind? Eine solche Haltung könnte man ihm leicht als blauäugige Hippiescheiße ankreiden, lieferte Curse die knallharten Inhalte nicht mit.

An manchen Stellen merkt man, dass sich die Entstehungszeit des Albums über mehrere Jahre gezogen hat: "Mir fallen tausend Sachen ein, die deinen Widerstand viel dringender benötigen als eine kleine Maske", thematisiert er in "Anunnaki Flow" etwa den überzogenen Protest gegen Coronamaßnahmen. "Dann gib doch mal ein Beispiel", fordert er sich dort selbst heraus, quittiert diese Aufforderung mit einem trockenen "Danke" und ledert los: Pflegenotstand, (Kinder)Armut, Polizeigewalt, Alltagsrassismus, Egoismus, Mietwucher, Menschenrechtsverletzungen ... es mangelt in diesem Land ja wahrlich nicht an Problemen, über die zu echauffieren sich lohnte.

"Null Komma Eins" dreht sich um das Überstehen selbstzerstörerischer Gedanken und dunkler Lebensphasen. Das Fazit hier klänge auch ein bisschen nach Wandtattoo-Text, flössen da nicht Curse' eigene Erfahrungen ein. Seiner Betrachtung über den Wandel im Umgang mit Themen wie Depressionen oder allgemein mentaler Gesundheit kann man letzten Endes auch nur zustimmen: Gut, dass sich dahingehend allerhand getan hat.

Bei "Erinnern Wer Ich Bin" wiegt die Schräglage der musikalischen Ausgestaltung den etwas pastoralen Auftritt wieder auf. An anderen Stellen sorgt dafür Curse' allgegenwärtige Selbstironie. Den Huss & Hodn-Diss vom Tod durch "Überdosis Tee" nicht nur zu einer Hook, sondern gleich zu einem Tracktitel zu flippen: Da muss eine*r erst einmal draufkommen. Wie sollte man das hassen? Was sollte man gegen einen Beat mit so viel Shaolin-Vibe einwenden, oder gegen das Tupac-Feeling in ... nun, ja ... "Feeling"?

Wer um Himmels Willen könnte irgendetwas gegen eine Liebeserklärung an einen der ganz Großen haben, oder gegen das absolut perfekte Rezept zur Weltflucht, an Tagen wie diesen? "Ganz egal, wie die Welt spinnt, ich hab' Kopfhörer drin, und es läuft immer noch Rakim." Guck an, und es läuft auch wieder Curse. Noch vor ein paar Wochen hätte ich bedenkenlos meinen Arsch drauf verwettet, dass mir sein neues Album berührungslos an selbigem vorbeizieht. Zum Glück hab' ich das nicht gemacht. Ich hätte jetzt ein echtes Problem mit dem Sitzen.

Trackliste

  1. 1. Die Stimme
  2. 2. Rakim
  3. 3. Snapshots
  4. 4. 1994
  5. 5. AVCL
  6. 6. Feeling
  7. 7. Anunnaki Flow
  8. 8. Überdosis Tee
  9. 9. Teil 1: Overdrive
  10. 10. Teil 2: Slow Down
  11. 11. Sonne feat. Patrice
  12. 12. Firmament feat. Moses Pelham
  13. 13. Zuhause feat. Shogoon, Italo Reno & Germany
  14. 14. Erinnern Wer Ich Bin
  15. 15. Null Komma Eins feat. Jan SEVEN Dettwyler
  16. 16. Alles Wird Sich Lohnen feat. Fayan
  17. 17. Avocado Toast

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8 Kommentare mit 16 Antworten

  • Vor 21 Tagen

    schon ziemlich gut. Damn, sagte ich schon 2018, Curse is der einzige würdige Grown man rapper. War er schon 2001.
    Es toucht mich auch dani

  • Vor 17 Tagen

    Nach Innere Sicherheit hatte Curse mich ein wenig verloren. Da waren immer wieder gute Tracks, aber nie wieder dieses eine Album (Feuerwasser), für das ich Curse so geliebt habe.
    Als ich vom anstehenden "Comeback" mitbekam, hatte ich erste Zweifel und war mir ziemlich sicher, dass Curse nochmal auf einen kommerziellen Erfolg erzielen könnte. Features mit Johannes Oerding oder Nina Chuba kamen mir da direkt in den Sinn. Zum Glück ist es dazu nicht gekommen und ich habe wieder dieses eine Album. Nicht DAS Album, aber eben ein sehr gutes, ein Feuerwasser 2.0.
    Danke Curse!