laut.de-Kritik

Macabre Rock zwischen Totentanz und Trauermarsch.

Review von

Crippled Black Phoenix, bekannt für Stimmungsschwankungen zwischen todtraurig und zum Sterben schön, sahen sich erheblichen Vakanzen im Bandgefüge ausgesetzt. Kaum ist die Tour zu "Great Escape" vorüber, steht Bandkopf Justin Greaves ohne Keyboarder und Sänger da.

Das verbliebene Quartett macht aus der Not eine Tugend und akquiriert einfach eine Schar an Gastsängern. Der Kollektiv-Gedanke wohnt der Formation von Anfang an inne. Zudem mündet der vielfältige Background der "Hired Singers" in einen musikalischen Kontext, der deren Variabilität aufgreift. Von stilistischer Eindimensionalität kann keine Rede sein.

"Ellengæst" lautet der Titel, und der bedeutet "starker Geist", wobei die Schaffenskraft sowohl von Musen wie auch Dämonen bestimmt sein kann. Niemand weiß das besser als Greaves, der seine Depressionen vor dem Release von "Bronze" öffentlich gemacht hat.

Die mit dem Jenseits verbandelte Trompete zu Beginn von "House Of Fools" bekommt in der Folge einen Knick verpasst. Ein Noise-Gewitter zerstört die verträumte Melodie. Anathemas Vincent Cavanagh lässt seinem Ausdruck freien Lauf. Der derzeit auf Eis liegenden Artrock-Formation huldigen Greaves und er im letzten Drittel des Songs, dessen erhabene Emphase auch von den britischen Kollegen stammen könnte.

Den Wechsel zwischen der inneren Verzweiflung und den äußeren Verwüstungen vollzieht das Kollektiv mit teils stufenlosen Blenden. Entsprechend bewegt sich die musikalische Gestaltung zwischen Totentanz und Trauermarsch. "Lost" wirft einen verächtlichen Blick auf das von Menschen verursachte Leid, sei es in Form von Massentierhaltung, Obdachlosigkeit oder Hungersnöten. Jeder ist seines Glückes eigener Schmied? Am Arsch die Räuber! Wir schaffen uns das Unglück und suhlen uns darin, nur damit es der eigenen verkümmerten Seele besser geht. Das Label führt auf seiner Webseite die Band unter der Bezeichnung "Macabre Rock". Passt!

"The dangereous nature of an ignorant mind, the final fall for mankind", singt Belinda Korsic mit ihrer ambivalenten Stimme, die, entspräche sie den Beinen eines Fußballers, sowohl das feine Füßchen eines Maradonna als auch das Raubein von Katsche Schwarzenbeck sein könnte. Die zentrale Lyric-Zeile knüpft an ein Album-übergreifendes Thema an, man denke nur an "Human Nature Dictates The Downfall Of Humans". Donnernde Toms künden von der Apokalypse. Postrockige Soundscapes geben den Ton an, die artrockige Grundierung im Stile von Pink Floyd bleibt allenfalls zu erahnen. "Dark Floyd" trifft es als Einflusssphäre ziemlich genau.

"In The Night" beschreibt den Weg von Liebesentzug über Aufmerksamkeitsdefizit und Egoismus bis hin zu Gleichgültigkeit und beginnt mit einem Zitat aus dem Dokumentarfilm "The Faces Of Depression" aus dem Jahr 1959. Der Film zeigt Interviews des Psychiaters Heinz Lehmann mit Patienten. Lehmann nimmt in der Doku Bezug auf ein Porträt des Malers Hans Baldung Grien, der im 16. Jahrhundert den Pinsel schwang und dem psychischen Abgrund ein Antlitz verliehen hat.

Kristian Espedal (Gaahls Wyrd), gerne auf Black Metal-Raserei reduziert, mimt hier den Storyteller und grummelt sich mit Grabesstimme durch den Track, der in der Zeile gipfelt: "Live to fight another day." Polarisierend zum Reibeisenorgan von Espedal gerät hier der Einsatz von Korsic' ätherischer Stimme. Im treibenden "Everything I Say" schlüpft sie in die Rolle der unheilverkünden Furie.

"The worst thing about hell is not the flames, it's the hopelessness, that's how a depression tastes, everything is black", heißt es im schlicht "(-)" betitelten Intro zum elf-minütigen Epos "The Invisible Past", das Jonathan Hultén gesanglich vertont. Vom Bariton bis zum Falsett zieht der Tribulation-Fronter alle Register und kleidet den monothematischen Monolith in ein passendes Gewand. Beim beständigen Oszillieren über dem Abgrund besteht das Gleichgewicht darin, seinen Ängsten, wenn nicht zu entsagen, dann ihnen entgegen zu treten, sie zu- und vorbeiziehen zu lassen. Ein demütiger Blick ins Firmament, der mehr das Licht als die Schwärze fokussiert.

Dieses Licht flimmert im abschließenden Bauhaus-Cover "She's In Parties" Stroboskop-artig nach. Darin beschwört Kordic die Macht des Moments, der sich angesichts der Unendlichkeit verschwindend gering ausnimmt, aber sich ereignet und auf seine Art ewig währt. Carpe Disco unterm Vollmond. Keine Schwärze, ein tiefes Dunkelblau, das gleichzeitig ein heimliches Licht erleuchtet, weil die Sonne noch nicht da ist, aber bereits über die Erdkrümmung flüstert, dass sie unterwegs sei.

Die Gothic-Stimmung tritt außer im Bauhaus-Cover am deutlichsten auf "Cry Of Love" in die Schwärze der Nacht. Das treibende Stück, das zu gleichen Teilen Postpunk- und Dark Wave-Elemente vermengt, tragen Ryan Pattinson und Suzie Stapleton. Die Kollaboration beweist, dass Vampire durchaus Straight Edge können, sind doch die Lebensstile von Greaves und seiner Protagonistinnen vegan. Auch die Ästhetik präferiert Katzen statt Kajal.

Wir haben vergessen, zu teilen. Oder, um im Band-Kontext zu bleiben: "We Forgotten Who We Are". Die Mammut-Metapher besagt, dass frühere Gesellschaften ihre Jagd-Erzeugnisse geteilt haben, da nur Kooperation zum Leben befähigt. Stellt man sich das heutige Wirtschaftsdenken, angewendet auf die früheren Verhältnisse vor, dann hieße das: Von 100 Mitgliedern jagen 98, und zwei dürfen das meiste vertilgen. Die Großzügigkeit der Minorität bemisst sich darin, dem Rest ein paar Knochen und Hautfetzen zuzugestehen und sich dafür auch noch feiern zu lassen. Willkommen im Hier und Jetzt.

Trackliste

  1. 1. House Of Fools
  2. 2. Lost
  3. 3. In The Night
  4. 4. Cry For Love
  5. 5. Everything I Say
  6. 6. (-)
  7. 7. The Invisible Past
  8. 8. She's In Parties

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5 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    kann man sich das als normaler mensch unbesorgt anhören? oder werde ich dann zum prog-spasten?

    • Vor 3 Jahren

      Unter Prog würde ich die gar nicht zählen. Eher eine Mischung aus Post-Rock und Artrock mit viel Weltschmerzstimmung.

    • Vor 3 Jahren

      ich habe die smashing pumpkins gehört. die wurden als "gloomy artrock" gelabelt :uiui: die pumpkins waren ok. aber das verheimliche den meisten meiner natur sekt black metal kameraden

    • Vor 3 Jahren

      Als überzeugter Natursektblackmetalkamerad bin ich empört.

    • Vor 3 Jahren

      Geht schon. Gerade sowas wie der Bastogne Blues sollte dir eigentlich zusagen.

      Zum neuen Album kann ich noch nicht viel sagen. Habe nur Lost gehört und der kann schon was.

    • Vor 3 Jahren

      Boah, bei den letzten Worten im gesprochenen Intro vom Bastogne Blues, die dann wie von magischer (Producer-)Hand perfekt auf den einsetzenden Takt passen und der Sänger dann so ganz zaghaft und doch bestimmt mit den Zeilen "Men would fall on both sides / the attacks did surprise" für die Hörer*innen die gerade gehörte Geschichte aus der Vergangenheit zu einer atmosphärisch spürbaren Gegenwart in irgendeinem französischen Schützengraben destilliert... Hey, ich glaub schon fest daran, dass die spontan bei Menschen hervorrufbaren neurochemischen Reaktionen auf solche Klänge überhaupt erst zur Erfindung von Musik geführt haben.

      Aber wenn Mensch will, kann er sicher auch in deren Backkatalog einiges finden, was ausreicht, um sie für sich als Prog-Spasten zu labeln. Ich persönlich finde ja, dass die zumeist echt nicht anspruchslose Musik von denen viel zu häufig viel zu dicht in 3km (Endzeit-)Atmosphäre eingewickelt ist, um sie insgesamt als Technik-Poser oder Instrument-Masturbatoren zu brandmarken.

  • Vor 3 Jahren

    Gutes Album, aber "leider etwas zu untraurig für CBP geworden", wie meine nicht in Deutschland geborene und aufgewachsene Ex-Freundin vor paar Tagen perfekt treffend anmerkte.

  • Vor 3 Jahren

    Starkes Album. "Lost" ist mein Lieblings-Song. Genau das richtige Album für den Herbst/Winter.

    • Vor 3 Jahren

      Ja, ich tendiere inzwischen auch deutlich zu soliden 4 Sternen, weiß aber meiner auf den 3 Sternen beharrenden Ex-Freundin ehrlich gesagt auch nicht viel mehr als Begründung zu liefern außer, dass halt in deren Nische aktuell sonst nicht so viel stattfindet außer CBP selbst...

  • Vor 3 Jahren

    Habe die Band ca. 2006 in Köln oder Umgebung gehört und danach noch häufiger,leider nicht mehr in den vergangenen 5 Jahren,aber ihre Stilwechsel sind innerhalb Post-Floydesker Mucke schon beeindruckend.Höre die neue Scheibe als herrliches rotes Vinyl zum 2.Male und bin entsetzt wie höchst erfreut.Das Album lässt sich stilistisch ins depressive etwas einordnen,ist ungeheuer intensiv und traumatisch,passend zum tiefen Herbst.Die Rezension (s.o.) trifft es detailliert auf den Punkt(danke).Das war es- ach ja, unbedingt kaufen

  • Vor 3 Jahren

    Habe die Band ca. 2006 in Köln oder Umgebung gehört und danach noch häufiger,leider nicht mehr in den vergangenen 5 Jahren,aber ihre Stilwechsel sind innerhalb Post-Floydesker Mucke schon beeindruckend.Höre die neue Scheibe als herrliches rotes Vinyl zum 2.Male und bin entsetzt wie höchst erfreut.Das Album lässt sich stilistisch ins depressive etwas einordnen,ist ungeheuer intensiv und traumatisch,passend zum tiefen Herbst.Die Rezension (s.o.) trifft es detailliert auf den Punkt(danke).Das war es- ach ja, unbedingt kaufen