21. Februar 2014

"In Rapdeutschland ist vieles so stumpf!"

Interview geführt von

Wenn einen der King of Rap zum Ritter schlägt, sollte man sich eigentlich nicht darüber wundern, dass die Karriere einen Boost erlebt. Cr7z schüttelt dennoch ungläubig den Kopf. Er begreift noch nicht ganz, warum sich die Mädchen nun seinen Namen in die Leistengegend und seine Lyrics über den ganzen Rücken tätowieren lassen.

Selbst kurz nach seinem Auftritt noch wartet Cr7z höflich, geduldig und auch ein wenig fasziniert, als ein betrunkenes Mädchen ihm aus Dank für seine CD unbedingt einen Papier-Kranich falten möchte – eine äußerst harte Geduldsprobe, wie sich herausstellt. Überwältigt von dem Zuspruch, der ihm plötzlich zuteil wird, bewegt er sich darin wie ein Träumer, der Angst hat, vorzeitig zu erwachen. Vorsichtig, freundlich und sich selbst allzeit im Blick begegnet er der neu gewonnenen Aufmerksamkeit. Dabei trägt er die Waffe stets mit sich, die mächtig genug ist, ihr standzuhalten: Vergiss nie, woher du kommst und was du kannst. Denn eines ist für ihn klar wie Supernova: "Alles, was ich kann, ist rappen."

Tapefabrik 2014, Wiesbaden, Samstagnachmittag gegen halb vier. Der Backstagebereich im Schlachthof füllt sich langsam aber stetig mit Musikern, Presse und Entourage. Der ein oder andere wartet nervös auf seinen Soundcheck oder schimpft, weil nicht jeder einen machen kann. In anderen Ecken werden die ersten Biere geköpft und enthusiastisch alte Freunde begrüßt. Zusammen mit DJ Eule von 58 Muzik, Absztrakkt und Cr7z schnappen wir uns einen der noch leerstehenden Räume. Schrullige Sixties-Tapete ziert die Wand, die Couch ist weich und dicke Vorhänge verdunkeln das Zimmer - der passende Ort also, um sich über Hip Hop, Drogen und Supernova-Styles zu unterhalten:

Hast du dich inzwischen an Interviews gewöhnt?

Ja! Mittlerweile fühle ich mich wohl in Interviews.

Noch nicht genervt von den immer gleichen Fragen, die so kommen?

Nee - dafür sind's noch zu wenige. Ich hab zum Glück auch immer Interviewer, die mir selten die gleichen Fragen stellen.

Die Frage zur 7 stelle ich daher bewusst nicht.

Schmunzelt. Das wäre zum Beispiel eine davon.

Du bist recht bescheiden in deiner Selbstinszenierung und deinem Habitus, transportierst aber ein großes Sendungsbewusstsein. Wie passt das zusammen?

Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ich so viel aus meiner Umwelt aufnehme. Das macht mich eben zu diesem konzentrierten, zurückhaltenden Menschen. Ich bin überwältigt von dem, was da draußen passiert. Übertrieben ausgedrückt: Diese Göttlichkeit, die um mich rum ist, ist sehr beeindruckend und überwältigend. Das macht mich so ehrfürchtig. Daraus resultiert dann auch dieses Reflektierende, Ängstliche, Sentimentale und auch Melancholische in meiner Persönlichkeit, weil es auch so viel Trauriges da draußen gibt. Das alles bündele ich auf einen Punkt, und wenn das zusammengeschrumpft ist, dann explodiert das in Tracks. So Supernova-Style, quasi.

Wie du gerade gesagt hast, bist du auch sehr melancholisch, machst dabei auf "An7ma" aber deutlich, man solle dich nicht mit einem Pessimisten verwechseln. Zitat: "Ich rette dich, wenn du am Ende bist." Siehst du dich tatsächlich als Retter der verdorbenen Menschheit?

Dr. Jotta streckt den Kopf zur Tür herein und fällt Absztrakkt kurz in die Arme.

Retter der Menschheit ist natürlich übertrieben ausgedrückt. Dazu gehört mehr als Musik. Aber ich sag' mal so: Viele Menschen können nicht aussprechen, wie es ihnen geht. Ihnen gehts nicht gut, es gehen viele komplexe Gedanken in ihnen vor und sie wissen nicht, wie sie das ihren Eltern, ihrer Schwester, ihrer Oma, ihrem Opa erzählen sollen. Ich hab mal eine Email bekommen von einem Mädchen, dem es psychisch nicht gut ging, weil vieles in ihrem Leben schief gelaufen ist. Die hat nur ihre Oma - und hat meine ganzen Tracks und CDs. Die geht mit meiner Musik und dem jeweiligen Track immer zu ihrer Oma, um sich ihr mitzuteilen, und sagt der: "Hör mal das und das an - so gehts mir. Der Junge beschreibt das besser, als ich es dir mit Worten ausdrücken könnte." Die Leute freuen sich eben, dass jemand ausspricht, was für komplexe und teilweise schlimme Gedanken in ihnen vorgehen. Das finden die toll und sagen, sie spiegeln sich darin wieder. Und dadurch gehts ihnen dann gut.

Du kuckst kein Fernsehen, stimmt das?

Nee. Außer WM! Aus - wie sagt man? Lacht. Gruppenzwang!

Es gibt die Line von dir: "Vielleicht erreicht dich einer meiner Reime durch all den Schrott an deinem Ort." Wie kann man denn aus all der Flut an Informationen und Reizen heutzutage deiner Meinung nach überhaupt selektieren und filtern?

Das ist schwer. Man braucht schon einen gewissen Grips dafür, sag' ich immer. Man muss wissen, was Verblendung und Schauspielerei ist. Die Leute wissen: Wir gehen ins Kino, das ist ein Film, der wurde gedreht, das sind Schauspieler, das sind Statisten, da ist was aufgebaut, etc. Das wissen die Leute, wenn sie da reingehen. Aber wenn sie dann zu Hause vorm Internet sitzen oder vor der Glotze, ist das anders. Was als "echt" suggeriert wird, ist in Wahrheit gar nicht echt. Und man muss eben wissen, wenn man sich tiefer in die Materie gräbt, dass das, was den Menschen vermittelt wird über das Fernsehen, nur das ist, was ihnen vermittelt werden soll, was sie zu glauben haben. In Wirklichkeit stimmt das gar nicht. Das ist genauso inszeniert und geschauspielert wie im Kino. Man fährt in ein Krisengebiet, filmt dort irgendwelche Sachen - Giftgasanschlag oder was weiß ich - filmt da drei, vier, fünf, sechs oder zehn Tote und erklärt dann: Das sind Tausende. In Wirklichkeit sind es aber vielleicht nur diese zehn, die gefilmt wurden. Kann ja sein, nä? Aber hinter den Kulissen wird das so gedreht, dass die Leute das glauben sollen. Wenn man sich aber tiefer in die Materie gräbt, bei solchen Vorfällen, dann erkennt man schnell, dass das im Endeffekt eigentlich gar nicht wahr ist, sondern dass da noch eine Wahrheit dahinter ist. Aber man muss sich eben damit beschäftigen! Viele Leute lassen sich davon aber wie von einem Actionfilm berieseln und meinen dann: Haste gehört? Da und da ist das und das Krasse passiert!

Ich bin neulich zum Beispiel zu einem Auftritt nach Leer gefahren, zusammen mit Eule hier, und da war gerade in den Medien ganz groß das Thema Sturm. Wie hieß der noch mal? Xaver, oder?

Allgemeine Zustimmung.

Da sind wir genau in dieses Krisengebiet gefahren, und weißt du, wie wir da hingefahren sind? Ey, mit strahlendem Sonnenschein und ein bisschen Wind!

Gelächter.

Eule: Auf dem Weg lag so hoch Schnee, wir fahren da, der Himmel reißt auf und wir fahren der Sonne entgegen!

Cr7z: Und in den Nachrichten voll Sturm! Eltern rufen an, Freunde rufen an: Oh mein Gott! Oh mein Gott! Und in Wirklichkeit war gar nichts!

Eule: Meine Mum auch so: "Ey, fahrt vorsichtig!" Ich so: "Mum, ey es regnet nicht, die Sonne scheint, als wenn wir nach Malle fahren würden!

Cr7z: Genau!

Gelächter.

Eule: Das war echt geil!

Cr7z: Oben war schon bisschen Wind und auch bisschen trüb, und ich hab' auch gehört, dass in Bremen und in der Richtung alle Angst hatten, dass die Dämme brechen, und so weiter. Aber uns wurde vor Ort dann erzählt, dass eine Woche vorher auch ein krasser Sturm war, über den nichts in den Medien berichtet wurde. Das ist jetzt vielleicht nicht das beste Beispiel, aber man sieht schon: Die Medien bauschen einfach ziemlich viel auf. Und alles, was gut ist, um Angst zu vermitteln, ist natürlich ganz großgeschrieben.

Beschäftigst du dich viel mit den Hintergründen, wenn du etwas in den Medien hörst?

Klar. Jeder Mensch ist ja neugierig oder giert zumindest nach irgendwelchen Besonderheiten. So, wie viele Leute sich eben schon von dieser Schauspielerei beeinflussen lassen und das cool finden, obwohl das nicht immer unbedingt wahr ist, so bin ich halt interessiert daran, dahinter zu kucken, zu recherchieren und mich zu informieren, vielleicht auch mit Leuten zu sprechen, die an der Quelle sind und so. Das ist so meins.

Das Wort "Instinkt" taucht in deinen Texten immer wieder auf. Wie wichtig ist er deiner Meinung nach heutzutage noch? Und wie wichtig ist er für dich?

Also, ich sag' statt "Instinkt" auch gerne "mein Bauchgefühl". Das hat mich bisher selten enttäuscht. Ab und zu höre ich auch auf meinen Kopf, aber der enttäuscht mich öfters. Wenn ich mir Gedanken um etwas mache und Entscheidungen abwäge, dann war, wenn ich auf die Schnauze gefallen bin, mit einer bestimmten Entscheidung, mein Bauchgefühl, das ich am Anfang hatte, letztendlich immer richtig. Ich sag' auch immer "meine weibliche Intuition". Lacht. Jeder Mann hat ja auch ein bisschen 'ne weibliche Seite in sich. Das leugne ich nicht.

Damit bin ich gut gefahren, in Bezug auf so ziemlich alles im Leben. In Bezug auf Menschen, aber auch auf Arbeit. Wenn mir mein Bauchgefühl sagt, das ist eigentlich nichts Gutes und ich mach' das dann aber, um Kohle zu kriegen, dann dauert das keine zwei Monate und ich flieg' da aus der Arbeit raus. Einfach nur, weil das im Unterbewusstsein so sitzt. Naja, oder in Bezug auf Musik. Ich steck' mir keine Grenzen. Andere Musiker fahren ja zum Beispiel immer nur eine einzige Linie. Oder maximal zwei, von den Beats her. Bei mir kann es sein, dass mein nächstes Album zum Beispiel komplett auf Klavierbeats ist, oder was weiß ich! Ohne Beat! Ich mach' einfach, worauf ich Lust hab', so wie mein Bauchgefühl mir das sagt. Wenn ich ein gutes Bauchgefühl hab', dann mach' ich das auch, unabhängig davon, was mir sonst geraten wird.

Du verteufelst in deinen Tracks immer wieder die fortschreitende Technisierung unserer Umwelt. Inwiefern meinst du, dass diese tatsächlich auch unsere Gefühlswelt beeinflusst?

Irgendwie gehört es ja auch zum Leben dazu, dass eine gewisse Bewegung da ist. Diese ganze Technisierung engt aber halt den Radius ein. Leute hören auf zu denken, weil es ihnen einfach schon vorgesetzt wird. Heute gibts die Wii, mit der man Basketball bei sich im Wohnzimmer spielen kann. Man geht nicht mehr bei Wind und Wetter raus und spielt Basketball mit Homies auf dem Platz. Und die Jugend übernimmt das. Klar gibt es jetzt noch Leute, die Basketball auf dem Platz spielen, aber kuck' mal ein, zwei Generationen weiter: Irgendwann wird das dann so automatisiert, indem die Leute einfach alles von zu Hause aus machen können und immer fauler werden. Aber das ist nur ein Aspekt. Diese ganze Technisierung hat ja tausend verschiedene Aspekte. Ich muss jetzt nur einen rausgreifen, sonst sitzen wir noch in zwei Stunden hier. Es wird alles immer einfacher, so dass die Menschen aufhören, auf ihr eigenes Wesen zu vertrauen und ihr Wesen der Maschine anvertrauen.

Wenn du sagst: "Das Menschsein gefressen vom Biest", meinst du genau das?

Das ist genau das, was ich meine! Ich sehs immer so ein bisschen übertrieben: dass die Seelen als Antriebsstoff für die Maschine funktionieren. Aber ich verteufele die Technologien nicht generell.

Aber bist sehr nostalgisch.

Ja, sehr!

Du hängst der alten Welt nach, oder?

Ja, nicht nur das! Auch der Kindheit.

Du bist jetzt wie alt?

29.

Also auch noch Generation 'vor Internet und vor Handy'. Was vermisst du aus der alten Welt besonders?

Hmm. Das ist eine ganz schwierige Frage. Ein bestimmtes Gefühl, das ich damals hatte. Damals gab es außerdem noch keine Handys, sondern nur Festnetztelefone. Da hat man sich angerufen, gesagt, wir treffen uns übermorgen, dort und dort, um die und die Zeit. Und dann hieß das "ja" und dann war das auch "ja". Man hat sich dann auch übermorgen dort getroffen. Heute wird telefoniert und ausgemacht, was eigentlich auch "ja" heißt, aber dann kriegst du eine Viertelstunde vorher eine SMS, in der es heißt: Ich muss dies und das noch machen. Dadurch, dass heute alles so ineinander greift, hast du viel mehr Freiraum. Damals wusstest du: Der ist dir sauer, wenn du nicht kommst. Da setzt du vielleicht eine Freundschaft aufs Spiel. Und heute heißt es: Ich hab' dir doch eine SMS geschrieben, haste die nicht gelesen? Das finde ich richtig pervers, so was, um ehrlich zu sein. Es ist zwar irgendwie ganz toll, dass es so etwas gibt, aber für mich nicht. Vielleicht, weil ich aus dieser Generation komme. Heute ist das wahrscheinlich normal. Daher entfernt man sich heute auch immer weiter voneinander, obwohl man eigentlich mehr miteinander verbunden ist. Das ist eine ganz abstrakte Geschichte. Schmunzelt.

"Dieser Dämon ist schwer zu besiegen"

Du machst keinen Hehl aus deiner Drogenvergangenheit. Deine Interviews und Tracks machen manchmal den Eindruck, als verarbeitest du da etwas, das bereits abgeschlossen ist. Bist du vollkommen geläutert, was Drogen und Alkohol angeht?

Nee. Mich reißt es immer noch zurück. Das ist diese dunkle Seite an mir. Mir ist auch erst im Nachhinein aufgefallen, dass das ein etwas komplexeres Thema bei mir ist. Ich hab' es mir einfacher vorgestellt, diesen Dämon zu besiegen, als es eigentlich ist. Denn es gibt einem auch eine gewisse Kreativität. Ich muss dazu sagen: Ich schreib' immer nüchtern meine Texte, ich nehme nüchtern auf, ich trete nüchtern auf. Ich bin jetzt nicht voll verklatscht oder so, trink' vor dem Auftritt vielleicht mal ein Bier oder sowas. Aber was mein Privatleben betrifft: Das hat auch viel mit meiner Stadt zu tun. Eule kann dir davon ein Liedchen singen, nä? Lacht. Ich hab' ab und zu noch meine zwei, drei Tage Aussetzer, aber das wird immer weniger. Ist kaum mehr da. Wenn es aber da ist, dann ist es sehr schlimm. Drogen usw. ist nicht mehr das Thema, aber Alkohol. Da muss ich ehrlich sagen: Das ist wie eine Art Krankheit. Ab und zu juckts mich so in den Fingern! In meiner Stadt hab' ich niemanden mehr. Ich hab' mich so abgespalten von allen Leuten, mit denen ich damals zu tun hatte, und dann bleiben eben nur noch ein, zwei Leute übrig, die, in Anführungsstrichen, "normal" sind. Aber die haben auch schon Freundin, Kind und was weiß ich. Die haben ihr eigenes Leben - etwas, das an mir ein paar Jahre vorbeigegangen ist. Ich steh' da halt ziemlich allein da. Und dann kommt das auch oft aus Einsamkeit. Ich will dann Gesellschaft haben und denke mir: Okay, jetzt hast du zwei Wochen nicht getrunken, trink' ich mal zwei Bierchen heute Abend, setz' mich vor den Computer, mach' ein bisschen Beats und so ... Und dann werden aus den zwei Bierchen eben fünf und dann geh' ich um zwölf doch noch raus und dann treff' ich wieder zwei von früher und dann wirds drei und dann bleibt vielleicht noch einer die Nacht da und dann wirds noch den ganzen Samstag ... Und Sonntag bin ich dann erstmal zwei Tage Game Over.

Eule: Und dann steht er auf, macht sich erstmal frisch, geht baden und dann macht er 'nen Killertrack.

Gelächter.

Cr7z: Nicht nur einen! Ja, genau: Dieses Mich-im-Leid-Suhlen gibt mir Power. Wenn ich dann wieder klar komm' und clean und reuig bin – was mein Leben betrifft – bin ich richtig rein und sage mir: Ich mach' das nie mehr wieder. Und gehe so ins Licht. Und dann kommen unter anderem auch diese krassen Tracks aus mir raus. Die Waage zu halten fällt mir immer sehr schwer. Das muss ich irgendwann mal lernen. Aber man muss auch sagen: Es ist in den letzten zwei Jahren viel besser geworden. Früher, so vor vier, fünf Jahren, war das tatsächlich alle zwei Tage so. Richtig übel, so. Heute geht das echt. Ich bin 80 Prozent meiner Zeit klar im Kopf, und 20 Prozent hab' ich halt so meine dunklen Phasen. Wird immer weniger. Und dadurch, dass nun diese Aufmerksamkeit auf mir liegt, möchte ich auch niemanden enttäuschen. Weder meine Mutter noch meine Freunde oder Bekanntschaften noch meine Fans. Von daher kann ich mir das gar nicht mehr erlauben. Da bin ich schon so weitsichtig, um zu wissen, dass das Blödsinn ist, was ich da mache. Alles wird gut. Lacht.

Du sagst, du bist der am meisten schreibende Rapper der Szene.

Auf jeden Fall!

80 Prozent deiner Tracks werden an nur einem Tag geschrieben und aufgenommen?!

Genau.

Ist das auch eine Art von Sucht?

Weiß nicht, ob das eine Sucht ist. So hab ichs noch nicht bezeichnet. Das Schreiben ist bei mir schon eher chronisch. Das ist irgendwie wie Essen und Trinken ... Ja, doch: Es ist 'ne Sucht! Ich krieg' dann so ein warmes Gefühl im Bauch – das ist echt so! Auch mitten in der Nacht wach' ich manchmal auf und krieg' so ein Gefühl und dann juckts mich in den Fingern. Dann muss ich einfach schreiben. Das ist, als würde etwas durch mich durchströmen, und das muss dann entweder aufs Blatt, oder ich tippe das in den Rechner. Das mache ich jetzt seit 15 Jahren, das kann ich mir nicht mehr anders vorstellen. Wie andere Leute viel Liebe für Sport oder Motorradfahren oder schnelle Autos haben, so ist das bei mir mit dem Schreiben. Ich bin da Profi-Sportler. Profi-Schreiber. Hehe. Lacht.

Ich hab ein Interview mit dir gesehen, in dem ging es um das Thema 100 Prozent Menschsein in deinem Track "Weißer Sand". Da hast du gesagt, dass man 100 Prozent Mensch nie unter Drogen sein könne, sondern nur, wenn man klar und geistig gefestigt mit beiden Beinen im Leben steht.

Ja.

Meinst du denn nicht, dass der Rausch und das Bedürfnis danach auch 100 Prozent menschlich sind?

Nee, das glaub' ich nicht. Alles, was die Drogen und so weiter in dir freisetzen, hast du ja schon in dir. Die triggern ja nur, was in deinem Körper schon drin ist. Wenn du dir zum Beispiel ein Teil klatschst, dann triggert das ja in deinem Körper auch nur einen Endorphinausstoß, aber die Endorphine sind ja in dir drin. Das merkt man dann ja auch gut am nächsten Tag, wenn sie dir fehlen. Dann bist du richtig mies drauf. Das ist also irgendwas, das nicht normal ist - und das braucht man eigentlich nicht. Das einzige, was ich mir vorstellen könnte – das ist aber jetzt jenseits von diesem 100 Prozent Mensch-Thema, weil es schon darüber hinausgeht – ist vielleicht, wenn du irgendwelche bewusstseinserweiternden Substanzen zu dir nimmst, wie LSD oder so. Dass du hier dann irgendwie channelst und - was weiß ich! - Astralreisen versuchst oder sowas. Da kenn' ich mich allerdings nicht aus. Das ist nicht mein Steckenpferd. Aber allgemein hier Saufen, Pep, Koks, Hero und all diese Sachen sind ja sehr zerstörerisch. Klar, hier in der westlichen Welt und unter den Jugendlichen kann man das schon so sehen, dass das dazugehört, aber im Endeffekt braucht man das nicht. Man kann dieselben Gefühle auch in sich hervorrufen, indem man eben 100 Prozent ist. Vielleicht bin ich dann aber doch nicht so der hundertprozentige Mensch ... Aber mit 100 Prozent Mensch meine ich auch, bezogen auf den "Weißen Sand"-Track, dass ich, wenn man in nüchternem Zustand mit mir redet, immer versuche, 100 Prozent ehrlich zu sein und die Wahrheit zu sagen, also 100 Prozent wahrhaftig zu sein, so wie ich jetzt zum Beispiel auch mit dir rede. Ich versuche, dir die bestmöglichen und ehrlichen Antworten zu geben, so dass mein Opa daneben sitzen könnte und sagen würde: Mein Junge hat keinen Scheiß geredet. So meine ich das.

Du sagst, du verstehst deine Texte manchmal selbst nicht ganz. Wie meinst du das?

Also, das, was ich selber schreibe, weiß ich schon, sprich: Was ich wann und wo und wieso aufgeschrieben habe. Was ich damit meine, dass ich meine Texte teilweise selbst nicht verstehe, ist dieses Gefühl, das ich bekomme und von dem ich vorhin gesprochen habe. Ich muss dann schreiben! Und das geht dann teilweise so automatisch, dass ich drei, vier Zeilen wie in Trance schreibe. Das kommt ganz von allein. Ich habe ein, zwei Zeilen, bei denen ich mir denke: So möchte ich den Track anfangen, und dann auf einmal strömt das so durch mich durch, diese ganzen Bilder, die sich dann einfach weiter ergeben. Das ist, glaube ich, bei jedem, der Musik macht und Texte schreibt, ähnlich, bloß bei mir ist das teilweise so, dass ich zurückkucken muss, wenn es nach acht Bars wieder blockt, und dann denke: Hä? Was hab' ich denn da die letzten vier Zeilen aufgeschrieben?! Das ist so krass! Ich bin dann selbst von mir beeindruckt, dass mir sowas eingefallen ist, und bin mir hundertprozentig sicher, dass das nicht auf meinem Mist gewachsen ist. Auch, weil da Gedanken stehen, die ich mir noch gar nicht gemacht hab'. Das ist was ganz was Komisches. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass ich das teilweise selbst nicht verstehe, was ich da manchmal aufschreibe.

Hört sich an, als würdest du davon ausgehen, da würde von außen etwas in dich reinkommen, dem du dann eine Form gibst.

Ich weiß es nicht. Das fühlt sich so an. Ob das jetzt von außen kommt oder ich das bin, soweit hab' ich noch gar nicht gedacht. Wahrscheinlich ist es deshalb auch so viel. Wäre es nur das, was ich mir in meinem Kopf so zurechtlege, hätte ich wahrscheinlich gar nicht so viel Output. Also, wenn das jetzt nur die ersten zwei Zeilen wären, von denen ich gesprochen habe, und nicht noch die anderen vier, die von irgendwo kommen.

"Wenn ich oben stehe, hole ich mir neue Zähne"

Dass du Talent hast, sieht auch Savas so. Er hat dich letztes Jahr geadelt, indem er öffentlich äußerte, du seist der einzige deutsche Rapper, den er momentan hört. Warum, meinst du, dass der King of Rap gerade dich zum Deutschrap-Ritter schlägt?

Ja, weil vieles so stumpf ist in Rapdeutschland! Ich weiß nicht, wie tief er im Untergrund buddelt ...

Naja, aber es gibt ja nicht nur stumpfen Deutschrap.

Nein, nein, das mein' ich ja. Es gibt viele, viele gute Rapper in Deutschland, aber die sind meistens halt nicht oben. Oder zumindest nicht so auf dem Schirm von den Massen. Savas hätte wahrscheinlich auch nie von mir gehört, hätte dieser Crazy ihm nicht meine CD in die Hand gedrückt. Und den hat das dann einfach so beeindruckt, was ich mache. Du kannst das ja mit den anderen abgleichen, das ist ja größtenteils schon seichte Musik. Ich bin kein Fan von Namedropping, aber wenn man sich umkuckt, was die letzten zehn Jahre so gefeiert wurde oder eben auch jetzt gerade auf der neuen deutschen Welle gefeiert wird ... Es entwickeln sich ja gerade wieder neue Richtungen im Hip Hop und es geht wieder vorwärts. Psaiko.Dino hat ja gerade erst dieses "#hangster" gemacht, auf dem die Hipster mit den Gangstern zusammen Musik machen. Aber ich befinde mich auf keiner dieser beiden Seiten. Und die fusionierte Seite bin ich auch nicht. Das ist halt das Spezielle. Das ist unique, weil es wieder Inhalt hat. Da steckt einfach Substanz drin und ist nicht so platter Scheiß. Ich weiß nicht, was in den Köpfen der Leute vorgeht, so stumpfsinnige Mukke zu machen. Mein Ding ist: Okay, die haben einfach Spaß daran, Musik zu machen. Aber in erster Linie zielt das wohl doch aufs Kohlemachen ab. Und darauf, ein möglichst gutes Klangbild zu haben. Die Producer, die die haben, sind echt cool. Viele haben super geile Beatproduzenten und das Klangbild ist einwandfrei, aber was dann auf den Beats drauf ist, ist für mich einfach Käse. Und Savas sieht das ähnlich, wenn nicht sogar genauso. Der Inhalt fehlt den meisten. Das ist alles so Gewäsch! Die reden von Liebe, und das kannst du in jedem Kinderbuch lesen, was die da für Worte für verwenden. "Und ich bin der Engel und brech' mir die Flügel" und so'n Scheiß! Lacht.

Feierst du denn Savas umgekehrt auch so - mal abgesehen davon, dass du dich geschmeichelt fühlst, diesen Ritterschlag erhalten zu haben? Ist inhaltlich sehr tiefschürfend, was Savas macht?

Nein! Allgemeines Gelächter. Das nicht! Das weiß ja jeder! Aber was bei ihm halt echt heftig ist, ist die Energie, die er hat. Er hat eine unheimliche Power. Das bewundere ich.

Ja, live auch, vor allem.

Ja, live ist der übelst krass. Und als Mensch ist der auch wirklich am Boden geblieben. Bushido und Sido, das sind ja auch eigene Persönlichkeiten, aber da wird halt durch vieles auf sich aufmerksam gemacht, zum Beispiel damit, was bei denen im Privatleben so passiert. Da ist Sido wieder in den Medien, dann Bushido wieder wegen diesem und jenem, etc. Bei Savas ist das nicht so. Savas überzeugt tatsächlich noch musikalisch oder eben live. Die Energie und die Power: Das find' ich an ihm krass. Inhaltlich hat er auch ein paar deepe Tracks, zum Beispiel auf dem Xavas-Album ist er mal ein bisschen tiefer gegangen, hat mal was Persönliches erzählt. Ich kann mir darüber jetzt aber noch kein Urteil erlauben, in welche Richtung das bei ihm nun weitergeht. Er ist ja momentan wieder an was Neuem dran, soweit ich das mitbekommen hab'. Das wird man sehen. Wir setzen uns mit Sicherheit auch mal zusammen und kucken, was da so zustande kommt.

Ja? Da ist also wirklich eine Zusammenarbeit geplant, zwischen euch beiden?

Naja, ich sag' mal so: Wir stehen in Verbindung miteinander. Alles andere steht noch in den Sternen. Schmunzelt. Wir sind auf jeden Fall connected, das ist ja auch öffentlich bekannt. Und das Weitere wird man dann sehen.

Du gehst im Mai auf Tour mit Greeen und hast auch ein weiteres Album für dieses Jahr angekündigt. Plus zwei weitere ominöse Projekte, über die du bisher noch nicht reden wolltest. Kannst du dazu inzwischen schon ein bisschen mehr sagen?

Dazu kann ich noch gar nichts sagen. Mein Album steckt noch in den Kinderschuhen. Da sammle ich momentan noch Beats für. Ein paar Sachen sind schon abgesteckt, aber das meiste steht noch am Anfang. An einem Album arbeite ich schon konzeptionell, sprich: Da müssen einige Sachen vorher erstmal erledigt sein, damit sich das dann voll entfalten kann. Diese zwei Projekte, von denen ich geredet hab', sind immer noch top secret, aber schon seit längerer Zeit auf bestem Wege.

Mit den Antilopen ist aber nichts im Busch?

Meinst du wegen dem neuen Exklusive von mir? (Anm. d. Red.: "Scythe") Das nicht, aber ich bin da prinzipiell auch nicht abgeneigt. Aber da müsste man sich wirklich mal privat zusammensetzen, um einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Gelächter.

Eule: Die Jungs saufen viel - ey!

Cr7z: Ja, ja, deswegen! Bei mir ist das ja ein bisschen komplizierter. Dann machen die drei Tracks, und ich schlaf' zwei Tage oder so ...

Wie kam es dann eigentlich zu der Zusammenarbeit mit Koljah?

Mit dem Koljah bin ich schon so seit zwei Jahren connected. Wie das gekommen ist, weiß ich gar nicht mehr. Aber dieser Beat von dem Exklusive von mir, ist ja eigentlich von einem Solotrack von ihm, "Monotonie". Ich hatte den Beat schon über ein Jahr bei mir rumliegen. Ich hatte Koljah damals angeschrieben und ihm gesagt: Ich find' den Track "Monotonie" geil, aber der Beat! Ich liebe den Beat! Nichts gegen deinen Track (wir sind ja auch kumpelhaft miteinander), aber meinste nicht, ich könnte mal nur die Instrumentals verwenden? Und dann meinte er gleich so: "Ja klar, mach' doch! Wieso nich'? So remixmäßig, mach' doch dein Ding drauf." Ursprünglich war geplant, dass ich einen zusätzlichen Vers zu "Monotonie" mache, aber ich bin dann auf den Film gekommen, dass ich da was ganz Neues auf den Beat machen möchte. Ich habs mindestens 20 Mal versucht, im Laufe dieses Jahres, auf den Beat zu schreiben. Koljah hat immer gelacht und immer wieder nachgefragt, wie es so aussieht. Und ich musste immer wieder sagen: "Ich kriegs einfach nicht hin!" Der Beat ist so geil! Ey, dieses Geigensample am Anfang! Ich liebe das – immer noch! Das ist so zeitlos für mich. Letztendlich hatte ich dann doch diese zwei Parts fertig und hab den Track aufgenommen, und endlich ist der jetzt auch draußen. Ich kam mir schon blöd vor, ihm gegenüber, nach dem Beat zu fragen, was ja eigentlich schon so ein bisschen einen unhöflichen Charakter hat, weil da sein Solotrack schon drauf ist. Aber alles cool. Hab' dann nachher auch noch mal mit ihm geredet und fand er auch super, so.

Was mich persönlich interessiert: Was geht denn eigentlich mit Feinkost Paranoia? Auf "An7ma" findet sich ein Track mit Jamerson, mit dem du auch früher schon in Kontakt warst ...

Mit mehreren von denen sogar ...

Was machen die denn alle so?

Ich hab' mit keinem mehr zu tun, von Feinkost. Ich hatte mit Jamie flüchtig Kontakt, mit Junior, dem DJ, richtig guten Kontakt. Von Junior weiß ich, dass der schon damals eine Frau hatte und auch zwei Kids. Da denke ich mal, der wird sich ins Familienleben zurückgezogen haben. Der war auch früher schon ein guter Papi, so wie ich das mitbekommen hab'. Ja, und mit Jamie ist es ein bisschen komisch gelaufen. Der wohnt ja in Kalifornien, macht da sein Ding, hat da auch Freundin und Hund und so weiter. Kind weiß ich nicht, aber Pflanzen. Gelächter. Aber irgendwie ist dann übers Internet der Kontakt abgebrochen, nach dem "An7ma"-Ding. Da ist was ungünstig gelaufen. Er hatte wohl einen schweren Unfall gehabt, was mit dem Genick, und war dann ein halbes Jahr out of order. Ich wollte eigentlich noch mehr mit ihm machen, er hatte auch noch Beats für mich produziert. Und naja, ich hatte dann eine meiner speziellen Wochen. In der Zeit hätte ich mich da echt mal melden sollen und mal fragen sollen, wie es ihm geht. Das kam dann aber zu spät, was ich ihm geschrieben habe. Da war dann das Profil nicht mehr vorhanden, Nummer hatte ich von ihm nicht, und seitdem war dann der Kontakt bis heute weg. Aber wir waren bis dahin eigentlich cool. Das war ja auch eher so auf Sparflamme, wie er Mucke gemacht hat, daher gehe ich davon aus, der macht jetzt einfach sein Ding in Kalifornien. Mit den anderen habe ich früher über Junior gemacht, was Feinkost Paranoia-Leute halt miteinander so machen. Gelächter.

Es gibt die Geschichte, dass du früher hättest zu Selfmade gehen können, andere Dinge waren Dir aber wichtiger. Du sagst auch, so schnell wird man dich da oben nicht sehen. Was ist dein Ziel für die folgende Zeit? Möchtest du weiter für eine eher kleinere Hörerschaft Musik machen?

Meine Musik ist nicht so massentauglich. Das dauert länger. Ich habe mal in Statistiken nachgekuckt: Die meisten, die meine Musik hören sind 25+, viele sind über 30. Ich kriege zum Teil sogar von 50-Jährigen mit, dass die meine Musik hören, obwohl die eigentlich null mit Rap anfangen können, genauso wie viele andere Leute, die mit Hip Hop nichts anfangen können und meine Platte dann zwischen ihren Metalplatten im Regal stehen haben. Was ich mache, ist wohl irgendwie was anderes, so dass es schwerer ist, in diese Liga zu kommen und sich damit zu etablieren. Ich mache keine Musik für die Kids wie eben besagte Leute von vorhin. Lacht. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass das länger dauert, bis ich da in dieser Eliteliga mitspiele. Was auch mit den Medien zu tun hat.

Das mit dem "oben sehen" meine ich außerdem auch im Sinne meiner geistigen Haltung, die ich dazu habe, sprich: Selbst, wenn ich oben stehen würde, hätte ich noch diese Underground-Haltung. Ich hab' das jetzt 15 Jahre im Dreck gemacht, so leicht kriegt man den Dreck nicht aus mir raus. Auch wenn ich jetzt da oben wäre und im Scheinwerferlicht stehen würde, würde mich das in meiner Persönlichkeit nicht verändern. Glaub' ich nicht. Und wenn ich Geld einnehmen würde, würde es bei meiner Mutter landen, denn ich kann mit Geld nicht umgehen. Die würde mir das dann einteilen. Gelächter. Dann hätte ich halt statt 60 Euro die Woche 200 Euro pro Woche. Dann kauf' ich mir mal ein paar Schuhe mehr. Oder flieg' mal in den Urlaub. Oder neue Zähne – so was!

Neue Zähne?

Ja, ich hatte Probleme mit den Backenzähnen. Die mussten mir gezogen werden. Da würd' ich mir zum Beispiel Implantate reinmachen lassen, damit ich wieder richtig beißen kann.

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