laut.de-Kritik

Worte und Tanz gegen die Dominanz der Herkunft.

Review von

Der gastgebende Rap-Profi Common ist gar nicht die Hauptperson auf "A Beautiful Revolution Pt. 2"; eher der Herausgeber. Er zieht den Vorhang auf für Gastsängerin PJ. Sie ist viermal vertreten und seiner Beschreibung in "Imagine ft PJ" zufolge "a Lauryn Hill type of singers". Ihr Sprachfluss verortet sich irgendwo in der goldenen Mitte zwischen Greentea Peng und der rauen Rapperin Leikeli47 auf "Let Love" vor zwei Jahren, eher Trip Hop-Soulerin und dabei viel kraftvoller und vordergründig präsenter als Commons letzte Assistentin Samora Pinderhughes.

Der Chicagoer kuratiert die Bühne jedoch für zahlreiche Beitragende. Ausgesprochen kontrastreiche Stimmen und Musikgestaltungen halten den Longplayer experimentell und hinhörenswert. Erst ein Quartal später wird das mp3-Album physisch erscheinen. Formal mutet es an wie ein Konzept-Best Of starker handverlesener Unikate zu diversen Themenfeldern und Spielarten. Highlife zum Beispiel: Seun Kutis Afrobeat-Saxophone und Trompeten hieven den Multi-Genre-Ritt auf "When We Move ft Black Thought + Seun Kuti" in die Abteilung 'Post-Kolonialismus' ("a slaves nostalgia"). Ein origineller Move - statt einfach nur zu tun, was immer funktionierte.

Passend, da Chicago sich nicht weit weg anfühlt von Afrika. Sowieso schon unter Berufung der Lyrics auf die "ancestors", und vor allem, wenn man die krasse Segregation in des Rappers Metropole bedenkt. "No one cares", heißt es, von traurigen Kadenzen unterfüttert. Das Stück hinterfragt, ob denn unbedingt kaputte, gebrochene Lebensrealitäten den Weg zu Erkenntnis und Aufstieg pflastern müssen. Und warum überhaupt Herkunft so sehr über Glück und Erfolg entscheidet? Dieser Gedanke zieht sich durch alle Aufnahmen: Wieviel Ungerechtigkeit braucht es, um eine Revolution zu triggern? Wie auch das "Outro (Exclamation Point) ft Morgan Parker" in den Raum stellt, muss (zu) viel zerbrechen, um Änderungen lauter zu fordern.

E-Gitarrist Marcus King hätte man hier kaum erwartet, Isaiah Sharkey aus den Bands von D'Angelo und John Mayer schon eher. Beide machen in "Poetry ft Marcus King + Isaiah Sharkey" eine gute Figur. Sie erweitern die Palette um einen kratzigen Blues-Stomper. Common zählt Vorlieben und Abneigungen auf, zum Beispiel "I like the music, but not the business", referiert auf die Literatur von Toni Morrison: Ikone der afroamerikanischen Belletristik, da sie als Lektorin in einem mächtigen Verlag vielen den Weg ebnete (auch Akua Naru und andere beziehen sich gerne auf Morrisons Kampf) - ein Name als Keyword, fällt hier deswegen, weil Common selbst 2019 ein Buch rausbrachte. Seine Autobiographie wurde ein Riesenerfolg, machte ihn zum "New York Times best-seller", worauf wiederum "When We Move" anspielt.

Common bleibt sich treu und oldschoolig ("I love Public Enemy "), aber ohne den dicken Jazz-Aufstrich anderer Boombap-Nostalgiker wie Robert Glasper (der hier sogar einmal Orgel spielt), und ohne die Wucht und das stolz vorgetragene Gekränkt-Sein von Sa-Roc oder Akua in der Stimme. Sondern: Locker, flockig, lässig, heiter.

Mit Latin-funky-Pop in "Majesty (Where We Gonna Take It) ft PJ", wo der Beat so surreal wirkt, als brodele eine verkalkte Filter-Kaffeemaschine. Mehrmals scheint der Prince (a.k.a. TAFKAP) der New Power Generation-Phase um 1990 durch; in "Poetry, in der Stimmung des "Intro (Push Out The Noise) ft Jessica Care Moore", und im auffallenden NPG-Gedenk-Beat-Pattern von "Saving Grace ft Brittany Howard".

Ähnlich, aber weicher und rhythmisch vertrackter: der fluffige Spätsommer-Ohrwurm "Imagine ft PJ". Dieser Easy Listening-Boogie-Soul mit Rap-Einlage tendiert zu klebrigem Backbeat nach Art des Kollegen aus Minneapolis, hypnotisch, mitreißend.

Die Sounds sind hier so super-infektiös, dass man sich beim Hören willenlos den Stimmen und Worten hingeben wird. Doch die Lyrics sorgen sich, ob jemand auf die "Imagine"-Paradies-Tour mitkommt. Der Spoken Word-Schluss des Albums fordert, die Inhalte von Gedichten und Stories radikal zu leben, utopisierende Worte in der Wirklichkeit nachzuspielen. Practice what you preach.

Das heißt mindestens für die Arbeitslosen zu beten ("still pray for the jobless" in "A Beautiful Chicago Kid ft PJ"). Besonderer Anspieltipp auf der Reise von den Straßen Illinois zur idealen Welt ist "Get It Right ft Raphael Saadiq". Der Track will progressive Protest-Hymne sein, schreibt sich "people - power - peace" und auch "pride" auf die Fahnen, mit dem Ziel, aufs Ministerium zuzutanzen. Klingt alles ein bisschen nach Curtis Mayfield vor 50 Jahren. Was ich persönlich feiere, was aber vermutlich in Twitter und TikTok nicht verfängt. Noch nicht, flötet Saadiq in sonnigstem Timbre, "be patient 'cause good things happen in time" ("seid geduldig, weil Gutes Zeit braucht"). Okay. Einen smoothen Soundtrack voller Insider-Wortwitze, Metaphern und Schwung haben wir für die Geduldsphasen, denn mit "A Beautiful Revolution Pt. 2" verfliegt die Zeit.

Trackliste

  1. 1. Intro (Push Out The Noise) ft Jessica Care Moore
  2. 2. A Beautiful Chicago Kid ft PJ
  3. 3. When We Move ft Black Thought + Seun Kuti
  4. 4. Set It Free ft PJ
  5. 5. Majesty (Where We Gonna Take It) ft PJ
  6. 6. Poetry ft Marcus King + Isaiah Sharkey
  7. 7. Saving Grace ft Brittany Howard
  8. 8. Star Of The Gang ft PJ
  9. 9. Imagine ft PJ
  10. 10. Get It Right ft Raphael Saadiq
  11. 11. Outro (Exclamation Point) ft Morgan Parker

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LAUT.DE-PORTRÄT Common

Common. Unpassender hätte der Rapper aus Chicago seinen Namen nicht wählen können. Von "gewöhnlich" ist dieser Styler vor dem Herren Lichtjahre entfernt.

1 Kommentar mit 5 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Die Platte ist gut hörbar aber weniger als Common-Album, sondern eher so ein bisschen als Afrobeat/Rap-Fusion Platte mit schönen Gesangsparts. Black Thought hat seit 3, 4 Jahren seinen zweiten Frühling und wird langsam mit seinen EPs und Featureparts auf anderen Platten einer der Top 5 MCs überhaupt. 3/5 als Common Platte, 4/5 als Compilation mit Common Parts.

    • Vor 2 Jahren

      Klingt interessant, denke heute Abend mal reinhören.

    • Vor 2 Jahren

      Mit Black Thought nehme ich auch so wahr, dabei fand ich den früher nie geil.

    • Vor 2 Jahren

      Das letzte mal, dass er so als purer MC bei den Roots gescheint hat war wahrscheinlich auf Illadelph Halflife - das war aber auch das Album der Band das am puristischsten eine reine Rap-Platte ist, sonst ist er ja immer eher dem Ensemble dienlich

    • Vor 2 Jahren

      Das mit Black Thought kommt euch nur so vor, weil 2018 die Stream of Thought-Reihe ihren Anfang hatte und er das erste Mal mit einem Solo-Projekt um die Ecke kam.
      Ansonsten ist Black Thought spätestens seit der BET Cypher mit Eminem immer wieder Kandidat für die vorderen Plätze auf einschlägigen Bestenlisten.

    • Vor 2 Jahren

      Ist er wahrscheinlich schon immer. Dennoch hat er mich nie gekickt. Diese Cyphers übrigens auch nicht so wirklich, außer um 1 mal kurz drauf zu flashen. Ich höre ihn auch heute nicht regelmäßig. Aber was ich mitbekomme, lässt mich deutlich bestimmter mitnicken als früher. That's all.