laut.de-Kritik

Die Beschreibung Doom-Soul greift mittlerweile zu kurz.

Review von

Doom Soul, die Genre-Neuschöpfung, mit der Cold Specks selbst ihr 2012er Debüt "I Predict A Graceful Expulsion" beschrieben, taugt, um die Grundstimmung des Zweitlings "Neuroplasticity" zu beschreiben: Ihre Mitmusiker gewähren der so samtigen wie energischen Stimme der 26-jährigen Sängerin, die nur unter dem Pseudonym Al Spx bekannt ist, allzu gerne das Rampenlicht. Der Soul liegt in jeder gesungenen Note, das Verhängnisvolle in den Zeilen: Tod, Leid und Zorn sind die Themen, die man beim ersten Durchhören mitnimmt.

Gewandelt hat sich der Sound von Cold Specks trotzdem und Doom Soul greift zu kurz für die kleinen Nuancen, von denen "Neuroplasticity" lebt. Auf dem Debüt hielten sich die Mitstreiter der Kanadier mit sanften Streichern, Bläsern, Gitarren- und Pianoklängen zurück. Folkig angehauchte Soul/Gospel-Stücke wie "Blank Maps" oder "Holland" hätten deswegen auch leicht die Untermalung für die nächste Herzschmerz-Szene eines TV-Dramas liefern können. Die neuen Tracks wohl eher nicht.

Das liegt an PJ Harvey-mäßigen Ausflügen in den Rock: Im Opener "A Broken Memory" rumsen Drums und Orgel unter Spxs Vocals erstmal richtig los, gebrochen von einer ächzenden Trompete. "All is calm / Nothing is right" beendet Spx den Song. Mit der Ruhe ist es allerdings vorbei.

Nicht nur die Stimme wühlt auf, sondern auch die Begleitung, besonders jene Trompete, die Jazzer Ambrose Akinmusire spielt und die Beiträge von Michael Gira, Sänger der Swans. Cold Specks haben beide schon auf deren Alben unterstützt, jetzt revanchieren sie sich und bewahren die Platte davor, sich allzu eintönig auf die Stärken des Gesangs zu verlassen.

Gira tritt in "Exit Plan" zum ersten Mal auf den Plan, der am Anfang als Abzug von "Blank Maps" vor sich hinplätschert, bis die kühlen Backing-Vocals des Swans-Frontmanns dem Refrain seinen Gruselfaktor verleihen: "Hung, drawn, quartered / Does the weight ease at all? / When you come undone". Für das Highlight der Platte sorgen die drei, wenn sie mit "A Season Of Doubt" "Neuroplasticity" abschließen: Begleitet nur von sanften Trompeten- und Pianoklänge sowie der gewisperten Unterstützung Giras pendelt Spx Gesang irgendwo zwischen Schluchzen und einem gebetsartigen Vortrag.

Manchmal wünscht man sich mehr von diesem früheren Minimalismus zurück. Wie die Jazzelemente, die Akinmusire in die Stücke bringt, für die Brüche sorgen, die dem Debüt gelegentlich fehlten, wirken einige Synthesizer-Einsätze ("Let Loose The Dogs", "Absisto") wie überflüssiges Beiwerk. Das fällt aber eher in die Kategorie Detailkritik.

Denn weniger gelungene Arrangements überstrahlt Al Spx mit ihrer Stimme bzw. ihrer Persönlichkeit. Die Themen auf "Neuroplasticity" sind finster, morbide, ihre Weltsicht scheint eine pessimistische zu sein, aber die Kanadierin tritt nicht in der Rolle des zerbrechlichen Mädchens auf. Im Gegenteil: Während anderen Künstlerinnen sich in ihre Traurigkeit hüllen, wirkt sie für ihr Alter sehr gefestigt und tritt zwischenmenschlichen Irrungen und Wirrungen mit Unberührtheit entgegen: "Clear your clutter / Your words are not your own / I remain unshakeable" ("A Quiet Chill").

"Am I wasting your time?", fragt sie am Ende von "Let Loose The Dogs". Selbstverständlich nicht. Mit "Neuroplasticity" haben Cold Specks einen Zweitling abgeliefert, der stundenlange Beschäftigung garantiert: Etwa mit dem Entschlüsseln der kryptischen Lyrics, deren Gedanken sicher auch durch Spxs religiöses Elternhaus geprägt sind, den vielen kleinen Akzenten, die ihre Musiker setzen oder man lässt im Bann der umwerfenden Sängerin einfach mal Stress und Probleme hinter sich: "Forget the sin in you / Simmer down! / Settle in!", endet der Titel "Absisto". Gerne!

Trackliste

  1. 1. A Broken Memory
  2. 2. Bodies At Bay
  3. 3. Old Knives
  4. 4. A Quiet Chill
  5. 5. Exit Plan
  6. 6. Let Loose The Dogs
  7. 7. Absisto
  8. 8. Living Signs
  9. 9. A Formal Invitation
  10. 10. A Season Of Doubt

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